Mit Goldmedaille in die Klimakatastrophe

Die Stadt rühmte sich unlängst im Amtsblatt und in einer Pressemitteilung mit „ausgezeichnetem Klimaschutz“. Sie hat jüngst den European Energy Award in Gold erhalten. Aber was ist diese Auszeichnung überhaupt wert? Eine Recherche.
Die Stadt Konstanz hat Gold beim European Energy Award bekommen. Aber wie gut ist die Auszeichnung wirklich? Foto: Markus Spiske

Meist erhält nur der oder die Gewinner:in eines Wettbewerbs die Goldauszeichnung. Dass dem hier nicht so ist, erfährt man in der Pressemitteilung der Stadt, so man denn in diese Details einsteigt und nicht nur die Überschrift zur Kenntnis nimmt. Im Text findet sich der Hinweis: „Grundsätzlich wird ab einem Erreichen von 50 Prozent der möglichen Punkte der EEA (European Energy Award) verliehen; Kommunen, die mindestens 75 Prozent erreichen, bekommen den EEA in Gold.“ Konstanz habe nun 76,8 Prozent erreicht. Nicht in der Pressemitteilung erwähnt wird allerdings: Nicht nur Konstanz hat Gold „verliehen“ bekommen, sondern zum Beispiel auch Singen und Kreuzlingen. Aktuell besitzen 53 deutsche Kommunen diesen Status, die meisten sogar mit deutlich mehr Prozent. 

Prozent wovon eigentlich? Bedeutet das, Konstanz hat es geschafft, seine CO2-Emissionen seit der Ausrufung des Klimanotstandes um 76,8 Prozent zu reduzieren? Oder bedeutet das, das Ziel „Klimaneutralität in 2035“ ist bereits zu 76,8 Prozent erreicht? 

Weder noch. Der European Energy Award unterliegt ganz eigenen Regeln (siehe Infoblock). Welche das sind und nach welchen Kriterien die einzelnen Maßnahmen zusammengestellt wurden, bleibt Geschäftsgeheimnis des Anbieters B&SU. Eine öffentliche wissenschaftliche Evaluation der Sinnhaftigkeit der Kriterien findet sich nicht, diese würden „intern mit Beratenden und Auditierenden bzw. einem Beirat diskutiert“, so Ilga Schwidder, Geschäftsführerin und Mitgesellschafterin der B&SU.

Der EEA ist ein Programm zur fortlaufenden Steuerung und Kontrolle klimabedingter Aufgaben auf kommunaler Ebene, das von der privatgesellschaftlichen B.&S.U. Beratungs- und Service-Gesellschaft Umwelt mbH (im Weiteren B&SU) und ihren Partnern für Europa entwickelt wurde. Die B&SU betreibt auch die Bundesgeschäftsstelle EEA in Deutschland. 

Derzeit nehmen 294 deutsche Städte und Gemeinden an dem Award teil, also weniger als 3 Prozent aller Städte und Gemeinden in Deutschland. Teil des EEA-Programms ist ein Management-Tool, in dem bestimmte, für den Klimaschutz relevante Maßnahmen aus einem vorgegebenen Katalog mit Punkten bewertet werden. 

In sechs Maßnahmenbereichen gibt es insgesamt 79 Einzelmaßnahmen. Wie eine Kommune die maximale Punktzahl einer Einzelmaßnahme erreichen kann, ist dabei meist nicht transparent. Auch nicht öffentlich ist, nach welcher Methode die Punktegewichtung zwischen den Einzelmaßnahmen vorgenommen wurde. Nach den uns vorliegenden Informationen teilen die B&SU Berater:innen und Auditor:innen dies auch den Kommunen selbst nicht mit. Auf unsere Anfrage hin informierte uns die B&SU, dass die Bewertungskriterien „grundsätzlich nicht an Dritte gegeben werden“.

Das Erreichen der Punkte ist weder von der Einhaltung der im Pariser Klimaabkommen der Vereinten Nationen formulierten Ziele abhängig, noch können den meisten Maßnahmen konkrete CO2-Reduktionen zugeordnet werden. Laut B&SU wurde der nichtöffentliche Bewertungsmaßstab in den neunziger Jahren von dem Architekten und Wirtschaftsingenieur Dr. Armand Dütz mit seinem Team entwickelt und werde laufend angepasst. 

Die sogenannte „Akkreditierung“ der EEA-Berater:innen erfolgt rein durch B&SU selbst. B&SU hingegen ist nicht durch die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH bestätigt, die in Deutschland als Akkreditierungsbehörde fungiert. Personen mit einer nachgewiesenen „Fachexpertise im Klimaschutz“ können sich bereits nach einer dreitägigen Schulung und einer Gebühr von 3.570 Euro EEA-Berater:in“ nennen und ab dann Kommunen bei dem Prozess begleiten.

B&SU vermarktet den EEA und „verkauft“ ihn an Kommunen und Landkreise. Das Ganze ist langfristig angelegt: Teilnehmende Kommunen durchlaufen typischerweise drei Stufen: EEA-Partner, EEA-Partner mit Auszeichnung, EEA-Partner mit Auszeichnung Gold. In der Regel erhalten Kommunen laut B&SU nach vier externen Audits, die alle vier Jahre stattfinden, den Gold-Status. Auch Konstanz erreichte nach dem vierten externen Audit den Gold-Status. Das Ganze begann in Konstanz also vor 16 Jahren. Bereits 2007 erfolgte der Gemeinderatsbeschluss zur Teilnahme am EEA.

Nach Angaben von B&SU ist für Städte mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern in den ersten vier Jahren mit Kosten in Höhe von 11.900 Euro pro Jahr zu rechnen, danach mit 8.568 Euro pro Jahr. Teilweise können Fördergelder genutzt werden. Der Gold-Award kostet zusätzlich einmalig 3.570 Euro. Konstanz müsste also bis heute, bis zur „Verleihung“ des Gold-Awards, etwa 150.000 Euro für den EEA ausgegeben haben, interne Kosten nicht eingeschlossen. In ihren FAQ schreibt B&SU recht bezeichnend: „Jedem Gewinn gehen gewisse Kosten voraus“.

Der European Energy Award sei „ein verwaltungskonzentrierter Instrumentensatz“, ein „in erster Linie qualitatives und nicht quantitatives Instrument“, so Hans Hertle aus dem Projektteam des ifeu-Instituts, der die Konstanzer Klimaschutzstrategie maßgeblich mitentwickelt hat. Man könne den Goldstatus erreichen und dennoch die Klimaschutzziele komplett verfehlen.

Hans Hertle sieht den Award als sinnvolles Instrument für kleine Gemeinden und als Einstiegshilfe für mittlere Gemeinden, damit dort der Klimaschutz überhaupt adressiert wird. Für Konstanz allerdings, das bereits den Klimanotstand ausgerufen hat, sei es unzureichend, darauf noch großen Wert zu legen. „Wenn man die Paris-Ziele sieht, dann kann ich nicht alle paar Jahre eine Medaille hinheften, sondern muss wirklich voll auf Klimaschutz gehen“, so Hans Hertle im Gespräch.

„Was übrig bleibt, ist eher Bauchpinselei“

„Die CO2-Bilanzierung ist eher nachgeordnet“, so Hertle weiter. „Ganz klar, es ist sowas wie ein Anschub. Wenn man Silber oder Gold erreicht hat, hat man schon einiges gemacht, aber man kann trotzdem komplett die Klimaschutzziele verfehlt haben. Das ist das Problem bei dem Tool, quantitativ ist da fast nichts. Paris-konform ist das sowieso nicht, aber auch normale Klimaschutzziele kann ich damit in der Regel nicht monitoren.“ Am meisten störe Hertle allerdings, dass der Award in privater Hand sei und sich durch geringe Transparenz auszeichne: „So ist das eine komische Mischung aus öffentlich und nicht-öffentlich. Was übrig bleibt, ist eher Bauchpinselei.“

Gordon Appel, Leiter des Bereichs Energiedienstleistungen bei den Stadtwerken Konstanz und Mitglied im Energy Award Team der Stadt Konstanz, sieht den European Energy Award „mit zwei Herzen“. Einerseits würden durch das Management-Tool Fortschritte sichtbar gemacht, andererseits wünsche er sich zeitgemäßere Kriterien. So bekämen beispielsweise die Stadtwerke Punktabzug, da sie von Kraft-Wärme-Kopplung mit Erdgas wegkommen wollen. Würde man sich streng nach den Bewertungskriterien des European Energy Award ausrichten, wäre dies in diesem Fall für den Klimaschutz kontraproduktiv. 

Ein Beispiel: Bei den Zielen in der Wärmeerzeugung erreicht Konstanz laut Appel mit derzeit sechs Prozent Anteil der erneuerbaren Energien die volle Punktzahl. Die Begründung im schriftlichen Audit, der uns vorliegt: Konstanz läge mit sechs Prozent „im Durchschnitt“ der anderen Gemeinden. Und dies ergäbe die volle Punktzahl.

Mit diesen sechs Prozent liegt Konstanz weit hinter seinen selbst gesteckten Klimazielen und dem Zielpfad des ifeu-Instituts im Klimaschutzkonzept zurück. Danach sollen die erneuerbaren Energien bei der Wärmegewinnung bis 2035 einen Anteil von 90 Prozent erreichen. So gesehen erscheint die volle Punktzahl für die aktuellen sechs Prozent schon fast absurd.

Lorenz Heublein, Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Konstanz, sieht den Award deutlich positiver: „Der European Energy Award ist das Beste, was es gibt, um eine interkommunale Vergleichbarkeit bezüglich Klimaschutzmaßnahmen in den sechs Handlungsfeldern herzustellen.“

Bezüglich der nicht-öffentlichen Bewertungskriterien des Bewertungssystems verweist Heublein darauf, dass Kommunen sich im Falle einer vollständigen Bekanntheit der Bewertungskriterien rein auf die Systematik konzentrieren könnten, um eine bessere Punktzahl zu erreichen. Gleichzeitig sieht auch Heublein, dass die Ziele des Awards für Konstanz nicht ausreichend sind: „Wir sind mit der Goldauszeichnung in den Bereich der Best-in-class-Kommunen aufgerückt, obwohl wir insgesamt deutschlandweit wie auch weltweit betrachtet extreme Defizite haben, auf einen Paris-konformen Absenkpfad zu kommen.“

„Weil viele andere Kommunen noch deutlich schlechter dastehen, können wir uns freuen, zu den Besten zu gehören.“

Lorenz Heublein, Klimabeauftragter der Stadt Konstanz

Positiv sieht Heublein, dass der Award aufzeige, dass in den letzten drei Jahren eine deutliche Steigerung erreicht worden sei.

„Es braucht das Bewusstsein, wie viel noch vor uns liegt, und durchaus auch ein knallhartes Monitoring, das zeigt, wo unsere Defizite sind, aber es braucht hin und wieder auch auf der anderen Seite ein Feiern von Erfolgen oder zumindest ein Sich-Bewusst-Werden, dass man nicht völlig auf der Stelle tritt.“

„Wir haben keine Zeit mehr für weiteres Rumtrödeln“

Fridays For Future Konstanz, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass Konstanz ein ambitioniertes Klimaschutzkonzept entwickelt und im Gemeinderat verabschiedet hat, meinen zum European Energy Award:

„Dass die Stadt Konstanz jetzt die Auszeichnung Gold des European Energy Award gewonnen hat, zeigt sowohl die Stärken als auch die Schwächen des European Energy Award. Auf der einen Seite zeigt es, was wir bestätigen können, dass sich Konstanz im Klimaschutz in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, zum Beispiel durch ein neues Klimaschutzziel, eine Strategie, wie dieses theoretisch erreicht werden kann, und den Ausbau von Stellen. Auf der anderen Seite zeigt es jedoch auch, wie wenig eine Goldzertifizierung bedeutet, denn momentan deutet nichts darauf hin, dass die Stadt ihr eigenes Klimaschutzziel, eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2025, auch tatsächlich erreicht, was letzten Endes die Benchmark einer Auditierung sein müsste“, so Manuel Oestringer von Fridays For Future. 

Weiter führt er aus: „Während die Stadt sich für eine Goldzertifizierung feiert, wird gleichzeitig eine artenreiche Grünfläche am Brückenkopf Nord planiert, um Platz für Parkplätze zu schaffen […] Wir haben keine Zeit mehr für weiteres Rumtrödeln. Die nächsten zehn Jahre werden darüber entscheiden, wie unser Planet für die kommenden 10.000 Jahre aussieht. Wir brauchen endlich messbare Ergebnisse beim Klimaschutz. Und nur die sollten wir mit irgendwelchen Preisen auszeichnen. Beim Klimaschutz ist ja schließlich nicht der Weg das Ziel.“