Ein Kind im Kindergarten. Fotografiert von Natalie Bond

Kita-Report 2023: Der große Frust

Überlastete Erzieher:innen, Familien im Dauerstress und die Stadt im Dilemma ihrer Grenzen: Die Stimmung in der Kinderbetreuung in Konstanz ist aufgeheizt. Und jetzt kommen auch noch höhere Kitagebühren auf die Eltern zu. Einblicke in ein System vor dem Kollaps.
Michael ist Lokaljournalismus-Ultra. Er findet: Kaum ein Instrument…

Wie viel Zeit Jana Friedrichs in den vergangenen Monaten mit der Suche nach einem Kitaplatz für ihre Tochter verbracht hat? Die 31-Jährige zuckt mit den Schultern und sagt: „Zu viel.“ Die Lehrerin hat telefoniert, Einrichtungen besucht, das Internet durchwühlt. Bislang ohne Erfolg – der Kitaplatz für ihre 20 Monate alte Tochter scheint unerreichbar. Die junge Mutter zieht ein bitteres Fazit: „Wer sich an die Regeln hält, der kommt nicht rein.“

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Jana Friedrichs und ihre Familie stehen stellvertretend für ein Problem, das gerade viele Konstanzer Familien beschäftigt: Das System der Kinderbetreuung ist vollkommen überlastet. Die Stadt selbst beschreibt die Lage als „verheerend“. Trotz des geltenden Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung kann die Stadt nicht allen Familien einen Platz anbieten. Aktuell sind 778 Kinder unversorgt.

Dabei wurden in den Ausbau der Kitaplätze bislang rund 50 Millionen Euro investiert, mehr als 600 neue Plätze wurden seit 2012 geschaffen. Trotzdem reicht es nicht. Es gibt von vielem zu wenig: Kitaplätze, Erzieher:innen, Zeit für die Kinder. Nur eins gibt es im Überfluss: Frust auf allen Seiten. Frust bei den Eltern, die keinen Betreuungsplatz bekommen. Frust bei den Erzieher:innen, weil sie im Dauerstress sind. Frust bei der Stadt, weil sie nicht so vielen Familien helfen kann, wie sie gerne würde.

„Eltern müssen sich bei der Kinderbetreuung darauf einstellen, dass sie sich künftig mehr selbst organisieren müssen.“

Alfred Kaufmann, Leiter Sozial- und Jugendamt Konstanz

Das spüren auch die, die bereits im System drin sind: Immer mehr Einrichtungen schränken ihre Öffnungszeiten ein, verringern die Gruppengröße oder schließen gar ganze Gruppen. „Die Verlässlichkeit ist nicht mehr gegeben“, schreibt das städtische Sozial- und Jugendamt in einem Lagebericht aus dem Juni 2022. Besserung ist nicht in Sicht. „Wir tun alles dafür, dass wir im Ausbau vorankommen, aber Eltern müssen sich bei der Kinderbetreuung darauf einstellen, dass sie sich künftig mehr selbst organisieren müssen“, sagt Alfred Kaufmann, Leiter des Konstanzer Sozial- und Jugendamts.

Das Bild zeigt die Konstanzer Mutter und Lehrerin Jana Friedrichs mit ihrer Tochter.
„Alle unterlaufen das Vergabesystem in Konstanz, es funktioniert offensichtlich nicht.“ Die Konstanzer Mutter und Lehrerin Jana Friedrichs ist genervt von der Bürokratie in Konstanz. Bild: Privat

Für Jana Friedrichs fühlt sich das nicht nach Zukunft an, für sie und ihre Familie ist längst Realität, dass sie sich selbst um alles kümmern müssen. Sie wünschen sich einen Halbtagsplatz, idealerweise an fünf Tagen in der Woche. Da fängt das Problem schon an: Weil der Bedarf an Ganztagsbetreuung so hoch ist, sind Halbtagsplätze rar. Wer zudem in Teilzeit arbeitet, wie Jana Friedrichs, hat aktuell kaum Chancen auf einen Platz. Um überhaupt für einen Platz in Frage zu kommen, müssen nach Angaben der Stadt beide Eltern zusammen mindestens 170 bis 180 Prozent arbeiten.

Die Bertelsmann-Stiftung hat im Oktober 2022 eine Studie zum Thema vorgelegt. Demnach gibt es in ganz Deutschland immer noch zu wenig Kitaplätze. Gemessen an den Betreuungswünschen fehlen im kommenden Jahr demnach voraussichtlich bis zu 383.600 Plätze bundesweit: 362.400 im Westen und 21.200 im Osten. Das geht aus den Berechnungen der Stiftung für das aktuelle Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme hervor. In der Studie steht auch: Um den Betreuungsbedarf der Eltern zu erfüllen, müssten zusätzlich zum vorhandenen Personal weitere 93.700 Fachkräfte im Westen und 4.900 im Osten eingestellt werden. Für diese insgesamt 98.600 Personen würden zusätzliche Personalkosten von 4,3 Milliarden Euro pro Jahr entstehen.

„Ich frage mich, inwieweit das noch die Lebensrealität vieler Menschen trifft, das System scheint mir vor allem auf alte Lebens- und Berufsmodelle ausgerichtet zu sein. Es berücksichtigt nicht die individuelle Lage der Familien. Entweder passt man ins System – oder man fällt raus“, kritisiert Jana Friedrichs. Sie hat ohnehin längst den Glauben an die Gerechtigkeit des Konstanzer Vergabesystems verloren. Dazu hat sie zu viel erlebt auf ihrer Suche nach einem Kitaplatz.

Einrichtungsleitungen, die statt die Wartelisten abzuarbeiten, darauf verweisen, man solle immer mal wieder anrufen, ob etwas frei sei, denn: „Wer anruft, ist interessiert und bekommt einen Platz.“ Städtische Mitarbeiter:innen, die ihr dazu rieten, sich als Mitarbeiterin im Unternehmen des Mannes einstellen zu lassen, damit man mehr Stunden sammeln und so mehr Punkte bei der Vergabe geltend machen kann.

Und Eltern, die darüber diskutieren, wie man das System am besten austricksen könnte. Zum Beispiel mit der Firma ausmachen, eine möglichst weit entfernte Arbeitsstätte auf der für die Kitaplatz-Vergabe notwendige Arbeitgeberbescheinigung anzugeben, um mehr Punkte zu sammeln. Oder kurzfristig beide Eltern auf 100 Prozent aufstocken, das dokumentieren und dann wieder zurückschrauben. Oder ein Gewerbe anmelden. Dann kann man sich gleich selbst die Arbeitszeit bescheinigen.

Zu viele Kinder für zu wenig Plätze: Das ist die Situation in der Kinderbetreuung in Konstanz. Der Ausbau an Kitaplätzen (hier U3 und Ü3 zusammen) hinkt der Anzahl der Kinder (hier 0-6 Jahre) hinterher.

Eltern übertrumpfen sich gegenseitig darin, das System auszutricksen

„Alle unterlaufen das Vergabesystem in Konstanz, es funktioniert offensichtlich nicht. Ich verstehe nicht, weshalb die Stadt immer noch daran festhält“, sagt Jana Friedrichs. Für die junge Mutter wird das jetzt auch zu einem Problem beim Wiedereinstieg in den Beruf. Vor der Geburt ihrer Tochter kündigte sie ihre Stelle als Lehrerin in der Schweiz, weil sie sich Zeit für ihre Tochter nehmen wollte. In der Schweiz müssen Mütter üblicherweise spätestens vier Monate nach der Geburt wieder zurück in den Beruf. Jetzt merkt sie: Ohne Kitaplatz kann sie keinen Job annehmen und ohne Job hat sie wegen des Punktesystems keine Chance auf einen Kitaplatz. „Da beißt sich das System in den Schwanz“, klagt Jana Friedrichs.

Hier zeigt sich auch, was die Lage für Familien in Konstanz nochmal verschärft: Konstanz ist eine teure Stadt. Wer sich das Leben hier leisten können will, der ist oft auf zwei Gehälter angewiesen. Auch deshalb sind viele Eltern gezwungen, ihre Kinder möglichst früh in die Betreuung zu geben. Die einzige Alternative wäre: wegziehen ins günstigere Umland. Aber auch das ist nicht immer so einfach.

Dabei sollen Kitas doch eigentlich ein Ort sein, an dem man Spaß hat.

Alleine im Kleinkindbereich fehlen 120 Erzieher:innen

Um zu verstehen, wie groß das Problem ist, reicht ein Blick auf zwei Zahlen. 25 Millionen Euro müsste die Stadt investieren, um allein den Betreuungsbedarf für Kinder unter drei Jahren zu decken. Selbst wenn das Geld keine Rolle spielte und Grundstücke für Neubauten frei wären – die neuen Kitas bräuchten auch Erzieher:innen. Für die notwendigen 40 zusätzlichen Kleinkindgruppen wären 120 neue Erzieher:innen notwendig. „Das sind Ausmaße, die wir wegen des Fachkräftemangels im Moment nicht lösen können“, sagt Alfred Kaufmann vom Konstanzer Sozial- und Jugendamt.

Er weiß um die Lage der Familien in Konstanz. „Wir haben immer maximal ausgebaut, und jetzt zu sehen, dass es trotzdem nicht reicht, frustriert auch uns“, beschreibt Kaufmann seine Gemütslage. Alle bestehenden Einrichtungen sind weitestmöglich ausgebaut, sollen jetzt noch neue Kitaplätze hinzukommen, braucht es Neubauten. Und das ist in Konstanz ein weiteres Problem: Der Stadt fehlen schlicht die Flächen dafür. Das liegt einerseits an der eng begrenzten Lage der Stadt zwischen See und Landesgrenze zur Schweiz.

Es liegt aber auch an einer zu passiven Grundstückspolitik unter dem früheren, grünen Oberbürgermeister Horst Frank. Anstatt sich Grundstücke zu sichern, um sie in Eigenregie für städtische Bedürfnisse entwickeln zu können, kauften Investoren diese Flächen. Dort sind dann oft teure Wohnungen, aber keine Kitas entstanden.

Diese Haltung hat sich inzwischen bei manchem Privateigentümer gedreht: Einige Kitas, die aktuell gebaut werden, entstehen auf Grundstücken von Investoren. Sie vermieten die Räume dann an die Träger weiter.

Das Bild zeigt die Broschüre Tagesbetreuung für Kinder von der Stadt Konstanz.
Mit solchen Jahresberichten informiert das Sozial- und Jugendamt regelmäßig über die Lage in der Kinderbetreuung. Die aktuellste Ausgabe gibt es hier.

Bis 2027 sollen nach Plänen der Stadt Konstanz 708 neue Kitaplätze entstehen. 290 im U3-Bereich, 418 im Ü3-Bereich

Eröffnung 2022/2023
Kita Jungerhalde (30 Plätze U3-Jährige; 60 Plätze Ü3-Jährige)

Eröffnung 2023/24
Kita Ravensberg  (20 Plätze U3-Jährige, 40 Plätze Ü3-Jährige)
Kita Bücklestraße (20 Plätze U3-Jährige, 60 Plätze Ü3-Jährige)

Eröffnung 2024/25
Telekomareal (Petershausen, 20 Plätze U3-Jährige, 40 Plätze Ü3-Jährige)

Eröffnung 2025/26
Maria Hilf (20 Plätze U3-Jährige)

Eröffnung 2026/27
Arche (20 Plätze U3-Jährige)
Sozialzentrum Wessenberg (40 Plätze Ü3-Jährige)
Neue Betriebskita Seitenbau (20 Plätze U3-Jährige, 20 Plätze Ü3-Jährige)
Kinderhaus Paradies (20 Plätze U3-Jährige)

Eröffnung 2027/28
Kita Brückenkopf Nord (20 Plätze U3-Jährige, 60 Plätze Ü3-Jährige)

Perspektivisch, ohne Datum bislang
Kita Campus Seepark (20 Plätze U3-Jährige, 20 Plätze Ü3-Jährige)
Neue Kita Dettingen (20 Plätze U3-Jährige)

Die fehlenden Flächen sind aber nur ein Grund für die aktuelle Situation. „Was uns in die jetzige Lage gebracht hat, sind vor allem vier Dinge: der Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren seit 2006, die unerwartet hohen Geburtenraten in den Folgejahren, der ökonomische Druck auf Familien mehr Geld verdienen zu müssen und seit 2019 massiv der Fachkräftemangel“, erklärt Alfred Kaufmann.

Eine Entscheidung aus 2006 mit gravierenden Folgen

Wer sich heute die Frage stellt, wie wir an diesen Punkt kommen konnten, dem begegnen auch städtische Entscheidungen, die damals richtig schienen und heute falsch wirken. Zum Beispiel, als 2006 die Wohnbebauung rund um den Petershauser Bahnhof geplant wurde. „Damals haben wir darüber diskutiert, ob wir dort auch eine neue Kita einrichten. Aber wir hatten zu dem Zeitpunkt so viele Kitas mit vielen freien Plätzen, dass wir entschieden haben: Für die Bewohner, die da einziehen, brauchen wir keine zusätzliche Kita. Dann wurde ohne Kita gebaut und kurze Zeit später kam der Rechtsanspruch für die U3-Kinder“, erinnert sich Alfred Kaufmann.

Und manchmal löst die Stadt ein Problem und erntet dafür ein neues. Zum Beispiel, als sie wegen der steigenden Zahl der unversorgten Über-3-Jährigen entschied, in den so genannten altersgemischten Gruppen mehr ältere als jüngere Kinder aufzunehmen. Der Grund: Kinder unter 3 Jahren belegen in diesen Gruppen zwei Plätze wegen des größeren Betreuungsaufwands. “Dadurch konnten wir zwar mehr Ü3-Kinder versorgen, gleichzeitig aber auch weniger U3-Kinder. Das hat ein Problem gelöst, aber ein anderes geschaffen: Der Wechsel von Kita in den Kindergarten ist nicht mehr so einfach möglich, weil alle Plätze belegt sind“, erklärt Joachim Krieg vom städtischen Sozial- und Jugendamt.

Es ist nicht so, dass die Stadt es nicht versucht hätte

Tatsächlich hat die Stadt neben dem Ausbau in den vergangenen Jahren manches versucht, um die Lage in den Griff zu bekommen. Die Gruppengröße in den Einrichtungen wurde erweitert. Es gab mehr Personal in den Krippen, Hauswirtschaftskräfte wurden engagiert, um die Erzieher:innen zu entlasten, aus Spanien wurden einige Erzieher:innen angeworben. Und trotzdem hat sich die Lage nicht merklich entspannt.

Manche Dinge, die sich Familien wünschen, blieben hingegen unerfüllt. Flexiblere Betreuungsmodelle zum Beispiel, in denen Eltern nach ihren Bedürfnissen Betreuung buchen können. Oder geteilte Kitaplätze, um mehr Kinder versorgen zu können.

„Platz-Sharing ist nicht die Lösung.“

Joachim Krieg, Sozial- und Jugendamt der Stadt Konstanz

Joachim Krieg ist da eher skeptisch: „Das halte ich für pädagogisch fragwürdig. Ich weiß, dass es gerne als Lösung gesehen wird, aber so einfach ist es aus meiner Sicht nicht umzusetzen. Wenn wir von der Kita als frühkindliche Bildung reden, dann finde ich das eher problematisch. Denn: Zu frühkindlicher Bildung gehört, dass das Kind täglich da ist und an allen Ritualen teilnehmen kann. Platz-Sharing macht auch das soziale Lernen schwierig.“

Kitas sind auch Bildungseinrichtungen. Das wird in der Debatte manchmal vergessen. Bild: Archiv

Droht auch hier das Tübinger Szenario?

Andere Städte gehen andere Wege: Tübingen hat kürzlich die Öffnungszeiten der Kitas massiv eingeschränkt, um eine Grundversorgung für möglichst viele Familien leisten zu können. Droht das auch in Konstanz? „Eine grundsätzliche strukturelle Reduzierung der Öffnungszeiten wäre eine Katastrophe für Konstanzer Familien. An dem Punkt sind wir noch nicht. Aber gedanklich muss man sich natürlich damit auseinandersetzen“, räumt Sozial- und Jugendamtsleiter Alfred Kaufmann ein.

Die Frage, die bleibt, lautet: Wie könnte ein Konstanzer Weg aus der Krise aussehen? Alfred Kaufmann denkt kurz nach und sagt dann: „Der Konstanzer Weg besteht darin, weiterhin mit aller Kraft am Ausbau festzuhalten, jede Gelegenheit zu nutzen. Und Einschränkungen für die Familien nur dann durchzuziehen, wenn es keine andere Lösung mehr gibt.“ Wie genau das gehen soll, sagt er nicht. Aber Kaufmann macht auch klar: „Diesen Standard, wer einmal einen Kitaplatz hat, dann weitgehend versorgt ist und verbindlich seinem Beruf nachgehen kann, werden wir nicht dauerhaft für Familien in Konstanz aufrechterhalten können.“

Ab 2026 gilt der Rechtsanspruch auf Betreuung von Grundschulkindern. Und dann?

Erst recht, da die nächste Herausforderung längst vor der Tür steht: Ab dem Schuljahr 2026/27 gibt es einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von Grundschulkindern. Der wird gestaffelt eingeführt, sodass ab dem Schuljahr 2029/30 jedes Grundschulkind einen Anspruch auf eine ganztägige Betreuung hat. Wie genau das funktionieren soll, wenn jetzt schon der Fachkräftemangel groß ist, weiß keiner so recht. Klar ist nur: Das wird den Kampf um die besten Köpfe weiter verschärfen, die Lage im Betreuungssystem dürfte auf Jahre angespannt bleiben.

Wer wissen will, wie dieses System von innen aussieht, der muss mit Menschen reden, die darin arbeiten. Mit Lena Crivellari-Stein zum Beispiel. Sie hat jahrelange Erfahrung in dem Beruf – aus Hamburger und Konstanzer Kitas. Nach der Geburt ihres dritten Kindes hat sie die Arbeitsbedingungen nicht mehr ertragen: „Zu große Gruppen, zu wenig Personal, zu geringes Gehalt, zu wenig Gelder, die in die Bildung von Kindern fließen. Dazu ausgebranntes Personal, das dem Bildungsauftrag und der Leidenschaft für den Beruf nicht mehr nachkommen kann“, fasst sie ihre Erfahrung zusammen.

Das Bild zeigt die Erzieherin Lena Crivellari-Stein vor ihrem Hygge Hus in Konstanz.
Hat sich selbstständig gemacht, weil sie die Arbeitsbedingungen im Job nicht mehr ausgehalten hat: Die Erzieherin Lena Crivellari-Stein vor ihrem Hygge Hus in Konstanz. Bild: Privat

„Zu große Gruppen, zu wenig Personal, zu geringes Gehalt, zu wenig Gelder, die in die Bildung von Kindern fließen.“

Lena Crivellari-Stein, Erzieherin

Dabei liebt sie ihren Job eigentlich sehr: „Es gibt immer viel zu lachen. Ich mag es, mit Kindern den Alltag zu gestalten und zu sehen, wie schnell sie sich entwickeln und wie eigenständig sie ihre Wege beschreiten“, erzählt die Erzieherin. Aber die Rahmenbedingungen seien in den letzten Jahren kontinuierlich schlechter geworden.

„Dass in der Krise Politiker:innen auch noch dazu aufrufen, noch mehr Kinder in die jetzt schon überfüllten Gruppen aufzunehmen und auch noch ungelerntes Personal in den Kitas einzustellen, um der Lage Herr zu werden, empfinde ich als Geringschätzung. Für mich hat das jedenfalls nicht mehr viel mit dem Erfüllen eines Bildungsplans oder dem Schaffen einer sicheren Bindung zwischen Kind und Fachkraft zu tun“, sagt Crivellari-Stein.

Städte wie Stuttgart und München locken Erzieher:innen mit finanziellen Anreizen. Sie bekommen eine monatliche Zulage zwischen 100 (Stuttgart) und 200 Euro (München). Auch in Konstanz hatte eine Expert:innengruppe das empfohlen. Die Verwaltung hat sich aber dagegen ausgesprochen. Eine solche Arbeitsmarktzulage sei ungerecht gegenüber anderen Berufsgruppen, außerdem gebe der letzte Tarifabschluss Erzieher:innen, neben zwei zusätzlichen Regenerationstagen, bereits die Möglichkeit, zwei zusätzliche freie Tage in eine monatliche Umlage von 130 Euro umzuwandeln. Auch im Gemeinderat gab es bislang keine Mehrheit dafür. Was jedoch umgesetzt werden soll: Eine gemeinsame, trägerübergreifende Internetseite, die für den Erzieher:innen-Job in Konstanz werben soll. Und ein Fortbildungskonzept für Leitungskräfte zur Dienstplangestaltung.

Deshalb hat Lena Crivellari-Stein ihren Kita-Job gekündigt und arbeitet nun als selbstständige Erzieherin. Sie hat das „Hygge Hus“ gegründet und kann dort nun ihr eigenes pädagogisches Konzept umsetzen. Der größte Unterschied zu ihrem früheren Job sei die Qualität der Bindung zum Kind. „Während ich als Erzieherin im Kindergarten unter Dienstplänen mit Pausen und Schichten stehe, kann ich in der Kindertagespflege ununterbrochen beim Kind bleiben. Ich behalte den Überblick über den ganzen Tag hinweg und das Kind erlebt eine konstante, feste Bindungsperson“, erklärt die Gründerin.

Malen gehört auch zum Alltag in vielen Kitas. Bild: Archiv

Und jetzt auch noch der Streit um die Kitagebühren

Täglich bekommt sie Anrufe von verzweifelten Eltern auf der Suche nach einem Betreuungsplatz. Aber im Moment kann auch sie nur vertrösten: Alle ihre Plätze sind belegt. Aber Lena Crivellari-Stein denkt schon weiter: „Ich träume davon, das Hygge Hus eines Tages in einem größeren Rahmen für mehr als neun Familien zugänglich zu machen.“

Mitten in diese angespannte Lage musste die Stadt nach dem letzten Tarifabschluss nicht nur zwei zusätzliche Schließtage in den Einrichtungen einführen, sie will jetzt auch die Gebühren für die Kinderbetreuung erhöhen. Um 25 Prozent in diesem Jahr. Weitere Erhöhungen sollen jedes Jahr bis 2027 folgen. Im Vergleich zu heute wird sich der Stundenpreis der Betreuung teilweise fast verdreifachen.

Die Kitagebühren berechnen sich nach dem Alter der Kinder und der Dauer der Betreuung. Weil jüngere Kinder mehr Aufwand bedeuten, sind die Sätze hier höher. Und: Ein Ganztagsplatz ist teurer als ein Halbtagsplatz, der formal als VÖ-Platz läuft. VÖ steht für verlängerte Öffnungszeiten – in der Regel von 7 bis 14 Uhr, das variiert aber auch je nach Einrichtung. Die größten Preissprünge soll es für unter 3-jährige Kinder geben.

Für einen VÖ-Platz eines unter 3-jährigen Kindes zahlen Eltern bislang 4,40 Euro pro Betreuungsstunde. Nach den bisherigen Plänen soll dieser Preis schrittweise steigen: 5,51 Euro (2023), 6,06 Euro (2024), 7,58 Euro (2025), 9,10 Euro (2026), 11,38 Euro (2027).

Für einen Ganztagsplatz eines unter 3-jährigen Kindes zahlen Eltern bislang 5,09 Euro pro Betreuungsstunde. Nach den bisherigen Plänen soll dieser Preis schrittweise steigen: 6,36 Euro (2023), 7,90 Euro (2024), 9,88 Euro (2025), 11,10 Euro (2026), 14,15 Euro (2027).

Für einen VÖ-Platz eines über 3-jährigen Kindes zahlen Eltern bislang 2,20 Euro pro Betreuungsstunde. Nach den bisherigen Plänen soll dieser Preis schrittweise steigen: 2,75 Euro (2023), 2,89 Euro (2024), 3,03 Euro (2025), 3,34 Euro (2026), 3,54 Euro (2027).

Für einen Ganztagsplatz eines über 3-jährigen Kindes zahlen Eltern bislang 2,88 Euro pro Betreuungsstunde. Nach den bisherigen Plänen soll dieser Preis schrittweise steigen: 2,88 Euro (2023), 3,77 Euro (2024), 3,96 Euro (2025), 4,36 Euro (2026), 4,77 Euro (2027).

Einkommensstaffelung: Neu ist, dass die Kitagebühren auch vom Einkommen der Eltern und der Zahl der Kinder abhängen sollen. Wer mehr verdient, soll auch mehr bezahlen, so die Logik dahinter. Vier verschiedene Stufen sind bislang vorgesehen: Sockelbeitrag (100%, ab 44.000 Euro Bruttojahreseinkommen der Familie), ermäßigter Beitrag (80%, ab 43.999 Euro Bruttojahreseinkommen der Familie), erhöhter Beitrag (115%, ab 59.000 Euro Bruttojahreseinkommen der Familie) und Höchstbetrag (150%, ab 69.800 Bruttojahreseinkommen der Familie).

Geschwisterregel: Familien mit mehreren Kindern werden stärker entlastet als bislang. Besuchen mehrere Kinder zur gleichen Zeit eine Kindertagesbetreuung in Konstanz, gibt es für das zweite Kind eine Ermäßigung um 25 Prozent. Für jedes weitere Kind entfällt die Gebühr. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die gleiche Kita oder eine andere Einrichtung ist.

Wichtig: Die Beitragssätze sind vorläufig! Der Gemeinderat beschließt erst am 2. März darüber.

Das Sozial- und Jugendamt argumentiert, die Erhöhung sei überfällig, und verweist auf die höheren Preise in anderen baden-württembergischen Kommunen. Was bei den Eltern ankommt, ist, dass sie nach der Pandemie und den Ausfällen wegen fehlenden Personals nun erneut mit den Problemen alleingelassen werden. Und am Ende sogar noch mehr zahlen sollen für weniger Leistung.

Tatsächlich hat die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) Baden-Württemberg schon 2013 eine Erhöhung der Elternbeiträge angeregt. Auch weil die Eltern in Konstanz bislang vergleichsweise wenig bezahlen: 40,4 Millionen Euro kostet der Betrieb der Konstanzer Betreuungseinrichtungen pro Jahr, 5,2 Millionen davon kommen von den Eltern. Das sind knapp 12,9 Prozent. Eine landesweite Empfehlung liegt bei 20 Prozent. Dahin sollen die neuen Gebühren führen.

„Das Geld, das wir durch die Gebühren zusätzlich einnehmen, bleibt ausschließlich in den Kitas.“

Alfred Kaufmann, Leiter Sozial- und Jugendamt

„Das Geld, das da zusätzlich eingenommen wird, bleibt ausschließlich in den Kitas. Auch um die enormen Kostensteigerungen bei Energiekosten und nach Tarifabschlüsse in den vergangenen Jahren einzufangen“, versichert der Sozial- und Jugendamtsleiter Alfred Kaufmann. Weil frühere Pläne zur Gebührenerhöhung politisch gescheitert waren, fallen die Steigerungen nun besonders drastisch aus.

Elternbeiräte nennen Erhöhung ein „falsches Signal“

Die Elternbeiräte der Kitas laufen Sturm gegen die Pläne. Sie lehnen die Erhöhungen als „familienfeindlich“ und „inakzeptabel“ ab. Die Beitragserhöhung sei zum aktuellen Zeitpunkt „das falsche Signal an Familien in Konstanz“, schreibt beispielsweise Jana Breuer im Namen des Elternbeirats der Kita Weiherhof. Auch die Elternbeiräte anderer Einrichtungen verweisen darauf, dass Baden-Württemberg als eines der letzten Bundesländer überhaupt noch Kitabeiträge für alle Altersklassen erhebt. Eine weitere Erhöhung sei da wenig zeitgemäß.

Inzwischen gibt es auch eine Petition zu dem Fall. Darin fordern die Unterzeichner:innen faire Kitagebühren in Konstanz. Die bisherigen Pläne sollten demnach überarbeitet werden. „Die Kitagebühren für Eltern sollen um nicht mehr als 10 Prozent ansteigen“, schreiben die Initiant:innen. 1611 Menschen unterstützen die Petition bislang (Stand: 25.2.23). Sie läuft noch bis zum 26. Februar.

Die endgültige Entscheidung über die Kitagebühren wird ein paar Tage später fallen: Am Donnerstag, 2. März, berät der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung darüber.

Kinder spielen mit Buchstaben. Bild: Archiv

Was brauchen eigentlich die Kinder?

Eine Perspektive, die in der Debatte oft ausgeblendet wird, ist die der Kinder. Wie müsste eigentlich die ideale Kita für sie aussehen? Weil man die Kinder selbst nur bedingt dazu befragen kann, sollte man auf die Wissenschaft hören. Sonja Perren, Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau, hat sich intensiv mit dem Thema befasst.

Sie sagt: „Die Kinder benötigen eine attraktive Lernumgebung, die sie motiviert, die Welt zu entdecken. Sie brauchen einen Bereich draußen, wo sie auch frei spielen und explorieren können, um einen Bezug zur Natur zu entwickeln. Und sie brauchen ausreichend Bewegung und gesundes Essen.“ (Das ganze Interview mit Sonja Perren gibt es hier.)

Klingt nach nicht viel. Aber in Konstanz scheint dies in den kommenden Jahren für viele Kinder ein schwer erreichbares Ziel zu bleiben.