Herr Fehlmann, alle städtischen Einrichtungen sollen sparen in Konstanz. Das trifft auch ihr altes Orchester, die Südwestdeutsche Philharmonie. 20 Prozent sollen insgesamt eingespart werden. Wie realistisch ist das bei einem künstlerischen Betrieb?
Da sollte man sich keine Illusionen machen: 80 Prozent der Kosten eines Orchesters sind Personalkosten. Nennenswerte Einsparungen kann man hier nur verzeichnen, wenn man am Personal spart. Und das wäre aus meiner Sicht fatal. Eine solche Schwächung des Orchesters könnte eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die nur schwer zu stoppen sein könnte. Das Orchester würde durch eine Verkleinerung in der Besetzung deutlich eingeschränkt in der Repertoirewahl und müsste in Bezug auf die Vielfalt und Attraktivität ein deutlich eingeschränktes Programm anbieten.
Beat Fehlmann (48) war von 2013 bis 2018 Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie. Er übernahm das Orchester in einer schwierigen Zeit. Sein Vor-Vorgänger Florian Riem hatte ein fast 700.000 Euro schweres Defizit hinterlassen. Die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg hatte Riem unter anderem „mangelhafte Betriebsführung“ bescheinigt. Dem aus der Schweiz stammenden Fehlmann gelang es, das Ruder wieder herumzureißen. Er führte die Südwestdeutsche Philharmonie zu Rekord-Abo- und Auslastungszahlen. Mit seinen Projekten in einer Großraumdisko, der Therme oder beim Oktoberfest hatte Fehlmann der Philharmonie auch ein ganz neues Image gegeben und fest in der Stadtgesellschaft verankert. Seit 2018 ist Beat Fehlmann Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen. Seinen Vertrag dort hat er 2022 um weitere fünf Jahre verlängert. Mehr zur Intendanz von Beat Fehlmann in Konstanz gibt es hier und hier.
In der Debatte um den klammen städtischen Haushalt einerseits und Schwund von Abonennt:innen und Zuschauer:innen beim Orchester andererseits kursieren verschiedene Ideen für die Zukunftsentwicklung der Philharmonie. Auch wir von karla haben 5 Vorschläge dazu gemacht. Einer davon lautete: Neue Kooperationspartner an Bord holen und ein neues Trägermodell mit mehreren Geldgebern, zum Beispiel Städte wie Friedrichshafen, Radolfzell oder den benachbarten Schweizer Kanton Thurgau, begründen, um die Kosten zu teilen. Ist das eine gute Idee?
Ob ein solches Modell über die zahlreichen und unterschiedlichen Grenzen hinweg funktionieren könnte, sehe ich eher kritisch. Das große Plus für Konstanz liegt aber darin, dass mittels der angestellten Musikerinnen und Musiker Inhalte auf hohem Niveau in der Region sowie für die Region produziert werden können. Ein solches Angebot kann man sich auf dem überregionalen Markt nicht kaufen, deshalb könnten die von Ihnen erwähnten Kommunen noch stärker und bewusster vom Klangkörper am See profitieren und sich im Gegenzug auch stärker engagieren.
Wie könnte das konkret aussehen?
Ich hatte damals die Vision eines schwimmenden Konzertsaales, welcher rund um den See anlegt und die Musik zu den Menschen bringt. Diese Idee reflektiert für mich die Besonderheiten der Bodenseeregion und hat das Potential für ein ikonisches Alleinstellungsmerkmal über Grenzen hinweg. Vielleicht liegt die Lösung ja in der Verbindung Ihrer Forderung und meiner schon untergegangen geglaubten Idee.
Ich finde es wichtig, dass die Politik den Auftrag für das Orchester verbindlicher definiert. Allen sollte klar sein, für was dieses Orchester steht und welche Funktion Musik innerhalb der Gesellschaft erfüllen soll.
Beat Fehlmann, Intendant
Ein anderer Vorschlag lautete: Schafft die Intendanz ab und installiert einen Geschäftsführer, der sich allein um die wirtschaftliche Seite des Betriebs kümmert.
Das finde ich schwierig. Ich bin tatsächlich der Ansicht, dass die Position einer Intendanz bei der Südwestdeutschen Philharmonie richtig ist. Mir scheint es sehr wichtig, dass möglichst alle Entscheidungen aus einer inhaltlichen Perspektive heraus getroffen werden. Darunter verstehe ich die Musik, respektive die Werke an sich und ihre Wirkung auf uns Menschen. Es geht für mich immer um die Frage, was haben diese Kunstwerke mit mir ganz persönlich zu tun? Damit diese Verbindung gelingt, braucht es eine enge Vernetzung zwischen der Musik, dem Publikum und den vorhandenen Ressourcen. Dieser Prozess ist eine typische Kulturmanagement-Aufgabe, welche nach entsprechendem Wissen und Erfahrungen verlangt.
Könnte für die künstlerischen Aufgaben nicht auch der Chefdirigent stärker eingebunden werden?
Eine Dirigentin oder ein Dirigent ist für die von mir eben skizzierten Aufgaben in der Regel nicht ausgebildet. Eine Chefdirigentin oder ein Chefdirigent hat die Aufgabe, die Qualität des Orchesters weiterzuentwickeln. Dafür wählt er oder sie ein entsprechendes Repertoire, probt auf dem höchstmöglichen Niveau und schafft einmalige Konzerterlebnisse, welche sowohl die Mitarbeitenden als auch das Publikum begeistern. Die Qualität, den Inhalt, die gesellschaftliche Verantwortung und die vorhandenen Ressourcen in einen strategischen Gesamtzusammenhang zu bringen, ist eine Führungsaufgabe, welche aus meiner Erfahrung im Dirigierstudium nicht vermittelt wird. Für eine solche Künstler-Persönlichkeit ist es zusätzlich wichtig, auch außerhalb von Konstanz aktiv zu sein. Davon profitiert die Philharmonie und das Publikum gleichermaßen. Das bedingt Abwesenheitszeiten, was aber oft nicht kompatibel ist mit den täglichen Herausforderungen eines Orchesterbetriebes. Deshalb ist für mich eine konstante Führung eine wichtige Grundvoraussetzung.
Nach der Trennung von der bisherigen Intendantin Insa Pijanka sucht die Südwestdeutsche Philharmonie eine neue Leitung. Die Ausschreibung dazu soll jedoch nicht vor September 2023 veröffentlicht werden. Das geht aus den Unterlagen zur Sondersitzung des Orchesterausschusses am 30. März hervor. In einer weiteren Sondersitzung im September sollen dem Ausschuss dann sowohl Ergebnisse zu den geforderten 20-Prozent-Einsparungen vorgelegt werden, als auch die Stellenausschreibung des:der Intendant:in. In der Zwischenzeit wird die Philharmonie geleitet von dem stellvertretenden Betriebsleiter Rouven Schöll und dem Chefdirigenten Gabriel Venzago. Unterstützt wird das Duo zudem durch die persönliche Referentin des Kultur-Bürgermeister Andreas Osner.
Apropos Führung: In den vergangenen Krisen des Orchesters schien mir auch ein Systemfehler zu sein, dass in der Verwaltung und auch gerade im Büro der verschiedenen Kulturbürgermeister zu wenig Expertise über einen Orchesterbetrieb vorhanden ist.
Mit einem engmaschigen und funktionierenden Controlling kann man auch unterjährig jederzeit feststellen, ob das geplante Programm innerhalb des vorhandenen Budgets realisierbar ist. Ich glaube deshalb nicht, dass es absolut spezifisches Fachwissen in der Verwaltung braucht. Ausreichend ist es, wenn der eingeschlagene Kurs überprüft wird und Zielgrößen nicht leichtfertig verschoben werden.
In der Kommunalpolitik werden Belange der Philharmonie im Orchesterausschuss behandelt. Wie haben Sie in Ihrer Zeit als Intendant diese Sitzungen erlebt?
Ich habe den Orchesterausschuss immer als ein ernsthaft bemühtes Gremium erlebt. Aber natürlich stößt man mit einem quasi ehrenamtlichen Gremium immer an Grenzen. Das ist aber nicht nur im Orchesterausschuss so, sondern in den anderen Ausschüssen der Kommunalpolitik genauso. Wie sollen Stadträte und Stadträtinnen in all diesen komplexen Themen eines Gemeinwesens überall gleich kompetent sein? Das ist im Grunde unmöglich.
Wie sollen Stadträte und Stadträtinnen in all diesen komplexen Themen eines Gemeinwesens überall gleich kompetent sein? Das ist im Grunde unmöglich.
Beat Fehlmann, Intendant
Das ist auch mein Eindruck. Deshalb haben wir vorgeschlagen, mehr Expertise ins Gremium zu holen. Entweder durch eine Erweiterung des Ausschusses um beratende Fachleute. Oder dadurch, dass sich mehr Menschen mit kultureller Expertise für die Gemeinderatswahl aufstellen lassen.
Das finde ich einen interessanten Ansatz. Personen zu finden, die eine ausgesprochene Expertise für Orchestermanagement mitbringen und vor allem bereit sind, sich in der kommunalen Politik zu engagieren, scheint mir allerdings unrealistisch. Ein solches Gremium lebt doch letztlich auch von unterschiedlichen Ein- und Ansichten. Dennoch finde ich es wichtig, dass die Politik den Auftrag für das Orchester verbindlicher definiert. Allen sollte klar sein, für was dieses Orchester steht und welche Funktion Musik innerhalb der Gesellschaft erfüllen soll. Diese gemeinsamen Werte sollten alle Mitglieder des Ausschusses über die politische Gesinnung hinweg verbinden. Damit eine solche Zielsetzung vereinbart werden kann, ist eine punktuelle Beratung durch eine externe Expertise sicherlich hilfreich. Ein solcher Prozess wird aber nicht ständig und bei jeder Sitzung verhandelt. Eine Überprüfung respektive Weiterentwicklung pro Legislatur erscheint mir als eine sinnvolle Frequenz.
Zu guter Letzt – welche Rolle spielen die Musikerinnen und Musiker bei all dem? Müsste das Orchester nicht wieder viel stärker ins Zentrum der Stadtgesellschaft rücken durch Konzerte an Orten, an denen man ein klassisches Orchester nicht erwarten würde, zum Beispiel?
Mir scheint es wichtig, dass ein Orchester auch Zustimmung von Menschen der Stadtgesellschaft erhält, welche nicht regelmäßig oder nie zu Konzerten gehen. Es muss uns deshalb immer wieder gelingen, in die unterschiedlichsten Lebensrealitäten vorzudringen und möglichst viele Menschen am Musikerlebnis teilhaben zu lassen. Musik hat eine wichtige Funktion und Verantwortung für eine funktionierende Gesellschaft. Das erlebbar zu machen, ist unsere Aufgabe. Dafür gibt es kein Rezept, letztlich kommt es also auf die Versuche an. Dazu braucht es Mut, Offenheit und die Bereitschaft, die Komfortzone zu verlassen.
Musik hat eine wichtige Funktion und Verantwortung für eine funktionierende Gesellschaft. Das erlebbar zu machen, ist unsere Aufgabe.
Beat Fehlmann, Intendant
Philharmonie in der Krise: Alle Jahre wieder
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