Das Foto zeigt Musiker:innen aus einem klassischen Orchester bei einem Konzert.

Philharmonie in der Krise: Alle Jahre wieder

1989, 2012, 2023 – immer wieder gerät die Südwestdeutsche Philharmonie in finanzielle Schieflage. Woran liegt das? Und wie geht es jetzt weiter? Fünf konstruktive Vorschläge.
Für Michael ist klar: Ohne Journalismus keine Demokratie. Und ohne…

vom 5. Februar 2023

„Der Orchesterausschuss muss sich fragen, ob er da nicht auch zu gutmütig und zu vertrauensvoll gewesen ist“, sagt der Oberbürgermeister Uli Burchardt. „Wir müssen vielleicht alle etwas kritischer werden, das ist in den vergangenen Jahren wohl zu kurz gekommen“, sagt der grüne Stadtrat Peter Müller-Neff. „Die Stadt darf das Orchester mit den Problemen jetzt nicht alleine lassen“, sagt CDU-Stadtrat Wolfgang Müller-Fehrenbach.

Was klingt wie aktuelle Statements zur Lage der Südwestdeutschen Philharmonie, sind in Wahrheit Zitate aus den Jahren 2012 und 2013. Damals war das Orchester in größerer Not als heute: Maßgeblich hatte der frühere Intendant Florian Riem durch kostspielige Engagements und mangelhafte Betriebsführung ein Minus von fast 700.000 Euro verursacht.

Veruntreuung: Früherer Geschäftsführer zu Bewährungsstrafe verurteilt

Das war nicht die erste Finanzkrise der Konstanzer Philharmonie. Nach einer Japantournee 1989 stieg das Minus am Ende auf 1,2 Millionen D-Mark. Es folgten jahrelange juristische Auseinandersetzungen, an deren Ende der damalige Geschäftsführer zu einer Bewährungsstrafe wegen Veruntreuungen zum Nachteil des Orchesterbetriebs verurteilt wurde. Mit Krisen kennen sie sich also aus bei der Südwestdeutschen Philharmonie.

Was alle Fälle vereint: Am Ende stand immer der Ruf nach mehr Kontrolle. Nach 1989 wurde aus dem Verein ein städtischer Eigenbetrieb, um der Stadtverwaltung mehr Einflussnahme zu ermöglichen. Der Kulturbürgermeister sollte den Betrieb im Zweifel beaufsichtigen können. 2013 wurde das Controlling in den städtischen Eigenbetrieben verschärft. Tatsächlich installierte der frühere Intendant Beat Fehlmann ein ausgefeiltes betriebswirtschaftliches Analyse- und Frühwarnsystem, durch das die Philharmonie vermutlich zum best durchleuchteten Betrieb der Stadt wurde.

Insa Pijanka
Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie von 2019 bis Januar 2023. Bild: Johannes Raab

Über die eigentlichen Probleme wird bislang kaum diskutiert

Und trotzdem reden wir jetzt wieder über eine Krise beim Orchester. Wobei: Worüber jetzt öffentlich diskutiert wird – angeblich schlampig geführte Fahrtenbücher, Textplagiate im Philharmonie-Programmheft und verliehenes Werkzeug —, das sind nicht die eigentlichen Probleme des Betriebs. Vermutlich ist es nicht mal das im Quartalsbericht vom vergangenen November für das gesamte Jahr 2022 prognostizierte Defizit von rund 214.000 Euro. Sondern es sind die mittel- bis langfristigen Entwicklungen, die die jetzt erfolgte Trennung von der bisherigen Intendantin Insa Pijanka erklären.

Nach den Querelen und Schlagzeilen der vergangenen Wochen haben sich die Stadt Konstanz und Insa Pijanka geeinigt, den noch bis 2025 geltenden Arbeitsvertrag aufzulösen. Das Anstellungsverhältnis werde im besten wechselseitigen Einvernehmen beendet, hieß es in einer Pressemitteilung der Stadt dazu. Und weiter: „Frau Pijanka wird ab dem 31.01.2023 auf eigenen Wunsch freigestellt, wird aber ihre bereits erfolgten Planungen der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz übergeben und für Auskünfte weiterhin zur Verfügung stehen. Die Stadt bedauert den Entschluss von Frau Pijanka und bedankt sich für ihre seit Januar 2019 geleistete, erfolgreiche Arbeit. Sie wünscht ihr für die weitere Zukunft viel Erfolg und alles Gute.“ Über die Abfindungssumme wurde Stillschweigen vereinbart.

Die Abozahlen sind eingebrochen, die Auslastungszahlen der Konzerte sind rückläufig, die Kosten für die Konzerte galoppieren den gegenüberstehenden Erlösen davon. In konkreten Zahlen gesprochen: In der Intendanz von Insa Pijanka (2019 bis 2023) ist die Zahl der Abonnements, also das Kernpublikum des Orchesters, von 3.228 (Saison 2018/2019) auf 2.489 (Stand: November 2022) gesunken. Das ist ein Verlust von fast 23 Prozent. Die Auslastung der Philharmonischen Konzerte im Konzil ist von 92,9 Prozent (Saison 2017/2018) auf 57 Prozent (2022) gesunken. Die Kosten für die Konzerte lagen im dritten Quartal 2022 fast 400.000 Euro über dem eigentlichen Wirtschaftsplan.

Probenfoto zu «Daheim – eine Odyssee», ein Projekt der Südwestdeutschen Philharmonie aus dem Jahr 2019. Bild: Ilja Mess

Die Pandemie ist ein Grund, aber nicht der alleinige

Natürlich lag das alles auch an der Pandemie und den Beschränkungen, die in dieser Zeit für Kulturbetriebe galten. Aber die Pandemie alleine erklärt die Entwicklung nicht. Die Abozahlen sanken beispielsweise bereits ab 2019. Also etliche Monate vor den Lockdowns.

Zudem lässt es sich an einem anderen von der Philharmonie erhobenen Wert ablesen – den Gründen für die Abokündigung. Hauptgründe waren in der Saison 2019/2020 demnach das Programm und der Chefdirigent (28 Prozent), gesundheitliche Gründe (21 Prozent) oder Altersgründe (12 Prozent). Erst danach folgt Corona als Grund auf Rang 4 (10 Prozent).

All diese Entwicklungen waren der Intendantin, der Verwaltung, den Gemeinderät:innen bekannt. Man kann sie heute noch in den öffentlichen Jahresberichten der Philharmonie nachlesen. Trotzdem ist das Orchester nun erneut in den Schlagzeilen. Haben also wieder alle versagt?

Warum die Lage komplizierter ist, als es scheint

So klar lässt sich das dieses Mal nicht sagen. Denn: Ohne die vor zehn Jahren installierten Controllinginstrumente wäre die Lage vermutlich weiter eskaliert. In gewisser Weise hat das also funktioniert. Auch Insa Pijanka hat versucht, das Ruder rumzureißen.

Sie hat die Trennung von dem in Teilen des Publikums offenbar unbeliebten Chefdirigenten Ari Rasilainen (siehe Abo-Kündigungsgründe) durchgesetzt und mit dazu beigetragen, dass mit Gabriel Venzago nun ein neuer Hoffnungsträger am Dirigentenpult des Orchesters steht.

Neuer Hoffnungsträger: Chefdirigent Gabriel Venzago. Bild: Nikolaj Lund

Selbst der Orchesterausschuss war nicht so schweigsam, wie es auf den ersten Blick scheint. Als der Schwund bei den Abonnent:innen absehbar wurde, forderte beispielsweise Stadtrat Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) in einer Ausschusssitzung am 2. Juli 2020 ein strategisches Konzept von Insa Pijanka ein, wie neue Besucher gewonnen werden können. Zahide Sarikas (SPD) regte an, weitere Sponsoren zu suchen, um das Ergebnis zu verbessern. Und Gisela Kusche (Freie Grüne Liste) schlug ein Kombiticket für Philharmonie und Theater vor. Auch das kann man noch heute in der öffentlichen Niederschrift der Sitzung nachlesen.

Die Südwestdeutsche Philharmonie wurde 1932 als „Theater und Konzertorchester“ von Hans Rüdinger gegründet. Heute musizieren rund 60 Musiker:innen aus 21 Nationen im Orchester gemeinsam. Zudem engagiert sich die Philharmonie in der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen mit verschiedenen Formaten.

Seit der Corona-Pandemie sind die Zuschauer:innen- und Auslastungszahlen insgesamt stark gesunken. Kamen 2019 noch 41.037 Menschen zu den Konzerten, waren es 2022 nur noch 10.226. Die Auslastung der Zuschauer:innen-Kapazitäten bei den Konzerten sank von 84 auf 57 Prozent.

Aus dem städtischen Haushalt erhält die Philharmonie (nach dem Wirtschaftsplan 2022) einen jährlichen Zuschuss von 3,3 Millionen Euro. Das Land Baden-Württemberg zahlt weitere 2,6 Millionen Euro. Vom Landkreis und aus der Schweiz kommen zusätzliche Gelder in Höhe von rund 80.000 Euro.

Die Philharmonie im Internet: https://www.philharmonie-konstanz.de/de

Viele Probleme liegen in der Struktur des Betriebs

Die Frage ist allerdings: Mit wie viel Nachdruck haben die Stadträt:innen ihre Anliegen über die Sitzung hinaus vertreten? Und wie ernst wurden diese Anregungen innerhalb des Orchesterbetriebs genommen? Offenbar nicht sehr ernst. Denn nach der oben zitierten Ausschusssitzung verschlechterte sich die Lage weiter.

Anders als in früheren Krisen wurde zwar schneller gehandelt. Aber nicht ausreichend konsequent. Es reichte jedenfalls nicht aus, um die Probleme rechtzeitig zu lösen. Wohl auch deshalb, weil manche Defizite in der Struktur liegen. Eine Lehre aus der aktuellen Krise wäre, das jetzt auf allen relevanten Ebenen zu verbessern. Fünf Vorschläge dazu:

Fünf Vorschläge, wie die Philharmonie aus der Krise kommen könnte

Intendanz: Bei der neuen Ausschreibung der Stelle sollte das Anforderungsprofil geschärft werden. Wie viel betriebswirtschaftliche Kompetenz braucht der Job? Und wie viel davon ist wirklich künstlerische Arbeit? Braucht es überhaupt noch einen Intendanten oder eine Intendantin? Wäre es nicht klarer, wenn die Philharmonie eine:n Geschäftsführer:in bekäme und die künstlerische Ausrichtung noch stärker beim Chefdirigenten angesiedelt wäre? Beim Stadttheater gibt es mit Verwaltungsleitung und Intendantin eine vergleichbare Aufgabenteilung.

Verwaltung: Um zu erkennen, dass eine Intendanz aus dem Ruder läuft, braucht es eine:n Kulturbürgermeister:in, der:die im Idealfall schon im Vorfeld des Saisonprogramms erkennt, ob die Pläne zum Budget des Orchesters passen. Dazu müsste sie:er etwas von Kulturmanagement und Betriebswirtschaft verstehen. Oder zumindest Menschen um sich haben, die das können.

Orchesterausschuss: Aktuell gibt es kein einziges Ausschuss-Mitglied, das einen professionellen Orchesterbetrieb von innen kennt. Soll der Ausschuss weiter seine Funktion als Kontrollorgan erfüllen, braucht er mehr Expertise. Entweder über eine Erweiterung des Gremiums durch beratende Fachleute. Oder dadurch, dass sich mehr Menschen mit kultureller Expertise für die Gemeinderatswahl aufstellen lassen. Die nächste Gelegenheit dazu ist 2024.

Die Musiker:innen müssen sich als Teil der Stadt verstehen

Orchester: Die Musiker:innen müssen wieder zurück in die Mitte der Stadtgesellschaft. Der frühere Intendant Beat Fehlmann hatte es auf die Formel gebracht: „Wir müssen auch dahin gehen, wo man uns nicht erwartet. Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind, und sie davon überzeugen, dass so ein Orchester mehr ist als ein elitäres Vergnügen für die Wohlhabenden.“ Mit seinen Projekten in einer Großraumdisko, der Therme oder beim Oktoberfest hatte Fehlmann der Philharmonie ein ganz neues Image gegeben und die Abozahlen auf ein Allzeithoch getrieben. Will das Orchester mittelfristig kein Akzeptanzproblem bekommen, sollte es an diesen Weg anknüpfen. Eine Idee, die sich beispielsweise lohnte, weiterzuentwickeln: Insa Pijanka hatte in unserem Podcast im Dezember 2022 noch angeregt, ein gemeinsames Ferienprogramm von Philharmonie und HSG Konstanz aufzubauen. Hier könnten Kinder morgens Sport machen und sich am Nachmittag musikalisch ausprobieren.

Mit Projekten wie «Liebe Macht Nass» (2017) rückte die Philharmonie ins Herz der Stadt. Bild: Ilja Mess

Eine Aufgabe für alle: Gemeinsam sollten sich Politik, Verwaltung und Philharmonie darauf verständigen, was das Orchester für die Stadt leisten soll. Es muss wieder klar werden, wofür die Südwestdeutsche Philharmonie steht. Welchen Anteil hat der Konzertbetrieb? Wie wichtig sind klangvolle Namen im Programm? Welche Rolle spielt die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche? Wie sehr versteht sich das Orchester als relevanter Teil der Konstanzer Stadtgesellschaft? Dazu gehört auch ein genauer Blick auf die Finanzierung der Philharmonie.

Neues Trägermodell mit Radolfzell, Friedrichshafen oder gar dem Thurgau?

3,3 Millionen Euro zahlt allein die Stadt jedes Jahr für das Orchester. Perspektivisch wäre es zum Beispiel denkbar, weitere Partner:innen für die Finanzierung an Bord zu holen. Beispielsweise Städte wie Radolfzell, Friedrichshafen oder auch den benachbarten Schweizer Kanton Thurgau, die von einem Orchester vor Ort profitieren würden. Das finanzielle Risiko wäre auf mehrere Schultern verteilt und das Orchester könnte auch finanziell besser ausgestattet werden.

Und, ganz ehrlich, ob das Orchester, das hier spielt, Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz oder Bodensee-Sinfonieorchester heißt, ist zweitrangig. Solche neuen Trägermodelle wurden immer mal wieder an-, aber nie zu Ende diskutiert. Das Junge Forum Konstanz hat gerade einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ein guter Anlass, das Thema grundsätzlich zu debattieren.

Auch der Journalismus hat eine Verantwortung

Apropos Debatte: Der Südkurier hat sich tagelang für seine Berichterstattung zur Philharmonie gefeiert. Jetzt musste die Zeitung einräumen, dass sie in einem Fall eine falsche Zahl aus einer Pressemitteilung der CDU offenbar ungeprüft übernommen hatte. Das verschärfte die Debatte um die damals noch amtierende Intendantin Insa Pijanka, weil die Zahl das Defizit beim Orchester größer darstellte als es tatsächlich war.

Das zeigt: Auch der Journalismus hat eine Verantwortung für den öffentlichen Diskurs. Er muss unterscheiden zwischen seiner wichtigen Wächterrolle für die Gesellschaft und geschwätziger Wichtigtuerei für die eigene Reichweite. Nicht jede Info, die durchgestochen wird, lohnt eine Veröffentlichung. Insbesondere dann, wenn es, wie auch schon geschehen, um private Angelegenheiten geht.

Insa Pijanka wollte über die vergangenen Wochen öffentlich übrigens nicht reden. Sie scheint inzwischen ihren Frieden mit den Entwicklungen gemacht zu haben.

Insa Pijanka. Bild: Johannes Raab

„Wir sind nicht vermeintliche Hochkultur, wir sind essenziell für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für eine lebenswerte Stadt!“

Insa Pijanka, Ex-Intendantin Südwestdeutsche Philharmonie

Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie am vergangenen Dienstag, ihrem offiziell letzten Arbeitstag bei der Südwestdeutschen Philharmonie: „Lasst uns für die Kultur kämpfen, für alle, die sie lieben und für ihr Leben brauchen! Wir sind nicht vermeintliche Hochkultur, wir sind essenziell für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für eine lebenswerte Stadt! Das ist an diesem Tag für mich, der mein letzter als Intendantin eines wunderbaren Orchesters war, ein Motto für die Zukunft!“