Wenn in den Sommermonaten kein Chihuahua mehr durch die Konstanzer Innenstadt läuft, haben die irischen Wolfshunde in Kreuzlingen immer noch Auslauf. Und auch wenn meine Kinder drängelerprobt sind, haben sie eher den Platzbedarf irischer Wolfshunde. Aber eigentlich müssen wir gar nicht mehr rüber. In Zeiten geschlossener Corona-Grenzen haben wir in und um Kreuzlingen so manche versteckte Sehenswürdigkeit entdeckt.
Wir fahren eine Sommer-Konstanz-Freizeit-Vermeidungsstrategie und verabschieden alle Schweizer Tagestourist:innen, die vor unserer Haustür parken, freundlich in Richtung Lago.
Wir selbst gehen in den Seeburgpark, in Schweizer Badis oder auf den Seerücken.
Vom Bodenseetourismus bekommt die Schweizer Seite nur 10 Prozent des Umsatzes, obwohl rein geografisch 25 Prozent der Küste schweizerisch sind. Das gefällt mir. Und ich liebe es auch, wenn der Thurgauer Tourismusdirektor Rolf Müller in Zeitungsinterviews sagt: „Wir stehen zum Apfel, er ist unsere DNA und das Markenzeichen der Region.“ Das schreckt Tourist:innen ab, die ich nicht haben will. Ich ernähre mich zu 50 Prozent von Äpfeln und freue mich über leere Hofläden mit Kässli auf Vertrauensbasis. Nicht irgendwelche Hofläden, sondern solche mit gepflegter Jura-Kaffeemaschine zur Selbstbedienung, immer frischem Kuchenangebot, Obst der Saison, angrenzendem Geißli-Streichelzoo, Obstlehrpfad und Kinderspielplatz – und das alles mit traumhaftem Blick auf den Bodensee. Ich traue mich nicht zu verraten, wo das ist.
Ich habe Angst. Wenn die Gassen von Konstanz noch voller werden, könnte die Welle der Tourist:innen überschwappen.
Kreuzlingen kennt den Belagerungszustand
Einen Vorgeschmack darauf geben sonnige Frühlingswochenenden, wenn sich Spielplatz, Minigolfanlage und Tierpark im Seeburgpark in ein Kindersuchbild mit verzweifelten Eltern verwandeln. Besonders krass empfand ich das im Corona-Jahr 2021. Nicht wegen feiernder Abiturient:innen aus Konstanz, die im Seeburgpark ein Saufexil gefunden hatten. Geschenkt. Es war ein Samstag, die Grenze wieder offen, Konstanz im Pandemiestatus, aber am Kreuzlinger Hafen tummelten sich Menschenmassen in Volksfeststimmung mit Maroni- und Eisständen. Corona-sensibilisiert und stark irritiert bahnten wir uns den Weg zum Spielplatz, als mich ein junger Mann ansprach: „Sag mal, habt ihr hier in Kreuzberg keine Corona?“ Ich stammelte nur etwas von anderen Regeln. Dabei hätte ich sagen können: „Doch, aber das Konstanzer Kreuzberg nimmt gerne Tourist:innen auf, wenn es ihnen in Konstanz zu leer oder zu voll ist.“
Und doch könnte Kreuzlingen schon bald Gastgeber der Stunde werden. Noch blicken nur wenige in die Schweiz, wenn die Ferienwohnungen auf deutscher Seite ausgebucht sind. Sie wissen nicht, wie traumhaft die Jugendherberge Kreuzlingen im Kreuzlinger Seeburgpark liegt. Sie haben keine Ahnung, wie gepflegt die Strandbäder am Schweizer Rhein- und Bodenseeufer sind. Sie haben nur den Preis im Kopf und wissen nicht, dass der Fischerhaus-Biergarten neben dem Campingplatz den schönsten Blick auf Konstanz bei bayerischem Bier bietet.
Feriendorf soll Familien nach Kreuzlingen locken
Das soll sich zumindest teilweise ändern, wenn demnächst die Werbetrommel für 70 bezahlbare Ferienwohnungen am Bodensee gerührt wird. In Spuckweite zum Kreuzlinger Freibad Hörnli, doppelt so weit zum Fischerhaus-Biergarten und Seeburgpark. Dort plant die Schweizer Reisekasse Reka mit Partnern ein ganzes Familienferiendorf. Reka? Das ist ein ungarischer Mädchenname, aber auch etwas Urschweizerisches: Die Schweizer Reisekasse Reka widmet sich als Genossenschaft dem sogenannten Sozialtourismus und gilt als Schweizer Nummer 2 im Ferienwohnungsmarkt.
Noch ist es nicht so weit. Gegner:innen kämpfen seit Jahren mit Einsprachen und Petitionen gegen den Baubeginn. Unter anderem wurde eine Interessengemeinschaft, die IG Seezelg, gegründet. Als Argumente führt die IG an, dass der Verkehr zunehmen, Fauna und Flora leiden würden. Und einen zweifelhaften wirtschaftlichen Nutzen für Kreuzlingen: Das „Einkaufserlebnis in Konstanz bleibt unbestritten“. Zudem würden die neu geschaffenen Arbeitsplätze vermutlich mit billigerem Personal aus Deutschland besetzt. Das Feriendorf ist trotzdem oder gerade wegen der Nähe zu Konstanz auf dem richtigen Weg.
Ich gönne Kreuzlingen die Aufwertung
Wenn das Reka-Dorf kommt, wird meine Joggingstrecke nach Bottighofen erst einmal durch Bauzäune begrenzt sein. Die jetzt noch idyllische Uferzone ist dann kein Geheimtipp mehr. Aber ich gönne dem Wirt vom Fischerhaus den steigenden Umsatz – sofern er mir einen Platz reserviert. Und ich gönne Kreuzlingen die Aufwertung – wenn auch im Schatten des Einkaufserlebnisses Konstanz. Wenn eines Sommers ein Mädchen meinem Sohn während der Ferien im Reka-Dorf das Herz bricht, mache ich frisches Apfelmus mit Vanilleeis. Und bis dahin verrate ich auf keinen Fall meine Lieblingsplätze auf dem Seerücken.
Du willst mehr karla?
Werde jetzt Mitglied auf Steady und gestalte mit uns neuen Lokaljournalismus für Konstanz.
Oder unterstütze uns mit einer Spende über Paypal.