- Trotz eines Bevölkerungsanteils von 30% mit internationler Geschichte (Migrationshintergrund) sind diese nur zu 13% in Kommunalämtern vertreten, während Frauen 39% der Ämter in Großstädten innehaben.
- Die Mehrheit der Kommunalpolitiker:innen verfügt über einen akademischen Abschluss, was nicht dem Bild der Gesamtbevölkerung entspricht.
- In der Diskussion um mehr Vielfalt in der Politik wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass Vertreter:innen aus diversen Gruppen auch ihre spezifischen Anliegen direkt einbringen können.
- Die kommende Gemeinderatswahl zeigt bei einigen Parteien eine Zunahme von weiblichen Kandidierenden, was ein langsamer Schritt zu größerer Vielfalt ist.
Vielfalt begegnet uns überall: im Freundeskreis, bei der Arbeit oder beim Spaziergang durch die Stadt. Wir treffen Menschen, die eine andere Sprache sprechen, andere körperliche Fähigkeiten haben, eine andere sexuelle oder geschlechtliche Identität, ein anderes Alter oder eine andere Hautfarbe besitzen1. Diese Unterschiede führen dazu, dass wir die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Sie beeinflussen, wie wir behandelt werden und welche Chancen wir in Bereichen wie Arbeit, Wohnungssuche oder medizinischer Versorgung haben. Wir stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen und erfahren möglicherweise Vorteile, Privilegien oder auch Nachteile und Diskriminierung. Gleichzeitig bringen diese Unterschiede auch verschiedene Perspektiven auf Themen und Situationen mit sich. Wir können uns ergänzen, widersprechen oder inspirieren.
Repräsentative Demokratie: Eine Frage der Vielfalt?
In Deutschland haben 30 Prozent der Bevölkerung eine internationale Geschichte, also einen Migrationshintergrund im weiteren Sinne. Obwohl der Anteil an Abgeordneten mit internationaler Geschichte seit 1990 stark gestiegen ist, gibt es immer noch eine Repräsentationslücke. Ende 2021 hatten beispielsweise nur 11,3 Prozent aller Bundestagsabgeordneten eine internationale Geschichte. Auch in den Kommunen wird die Vielfalt der deutschen Bevölkerung in den Ämtern nicht sichtbar, stellt eine Studie der Universität Duisburg Essen (UDE) fest.
„Eine vielfältige Gesellschaft braucht vielfältige Repräsentation“
sagt Professor Andreas Blätte vom Institut für Politikwissenschaften an der Universität Duisburg Essen (UDE).
Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind sie nur zu 39 Prozent in den Ämtern der Großstädte vertreten. Noch gravierender ist die geringe Repräsentation von Menschen mit internationaler Geschichte. Sie machen in den Ämtern der untersuchten Kommunen nur 13 Prozent aus, dabei liegt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 30 Prozent. Die Studie zeigt auch, dass die Mehrheit der Kommunalpolitiker:innen einen akademischen Abschluss hat. Dem Bild der Gesamtbevölkerung entspricht das nicht.
Werden die Parlamente auf Bundes-, Landes-oder kommunaler Ebene dem Anspruch einer repräsentativen Demokratie also überhaupt gerecht? Müsste der Anteil von Menschen mit internationaler Geschichte in politischen Ämtern nicht viel höher sein?
Die repräsentative Demokratie in Deutschland ist ein wesentlicher Bestandteil des politischen Systems. Es basiert auf dem Prinzip der indirekten Partizipation. Hier haben wir die wichtigsten Punkte zur Funktionsweise zusammengefasst:
Wahlverfahren: Bei Wahlen wählen die Bürger:innen politische Vertreter:innen, die sie im Parlament oder in anderen politischen Gremien repräsentieren. In Deutschland erfolgt die Wahl auf verschiedenen Ebenen, darunter Bundestags-, Landtags-und Kommunalwahlen.
Parteienlandschaft: Die politische Landschaft in Deutschland ist durch eine Vielzahl von Parteien gekennzeichnet, die unterschiedliche politische Programme und Ideologien vertreten. Wähler:innen wählen Kandidierende von Parteien, die ihre politischen Überzeugungen am besten widerspiegeln.
Gemeinderäte: Auf kommunaler Ebene werden Gemeinderäte durch direkte Wahlen gewählt. Diese Räte sind für die Verwaltung und Entscheidungsfindung auf lokaler Ebene zuständig. Sie repräsentieren die Interessen der Bürger:innen ihrer Gemeinde.
Interessenvertretung: Die Mitglieder der Gemeinderäte sollen die vielfältigen Interessen und Anliegen der Bürger:innen vertreten. Dazu gehören Themen wie Bildung, Gesundheit, Stadtentwicklung, Umweltschutz und soziale Angelegenheiten.
Partizipation und Kontrolle: Repräsentative Demokratie soll den Bürger:innen ermöglichen, an politischen Entscheidungen teilzunehmen, indem sie Vertreter:innen für ihre Anliegen wählen. Gleichzeitig haben sie die Möglichkeit, ihre Vertreter:innen zu kontrollieren, indem sie ihre Leistung bewerten und sie bei Bedarf abwählen.
Eine lokale Bestandsaufnahme
Blicken wir auf Konstanz, waren im Jahr 2022 17,5 Prozent der 87.355 Konstanzer Bürger:innen „Ausländer“. Sehen sie sich in der kommunalen Politik gut repräsentiert, durch die amtierenden Personen oder die Politik, die diese umsetzen? Natürlich können (und sollen) sich Politiker:innen für die diversen Anliegen ihrer verschiedenen Wähler:innen einsetzen. Aber es braucht mehr, als sich für die Anliegen Anderer stark zu machen oder über deren Themen zu sprechen.
Es braucht Menschen mit internationaler Geschichte, Menschen mit Behinderung, Frauen und FLINTA Personen, die für sich selbst und die Anliegen ihrer Gruppe sprechen. Es reicht nicht aus, politische Beschlüsse umzusetzen, die die Situation von Menschen mit internationaler Geschichte verbessern. Es braucht Menschen mit internationaler Geschichte, die in der Politik für sich selbst und ihre Gruppe sprechen können. Es braucht die Perspektiven „der Anderen“. Die Perspektiven derer, die oft unterrepräsentiert sind. Passend dazu fehlen an dieser Stelle auch Zahlen zum Anteil nicht-binärer Personen in der Konstanzer Kommunalpolitik.
Werfen wir nun einmal einen Blick darauf, wie Frauen im Konstanzer Gemeinderat repräsentiert sind. Unsere ehemalige Ko-Redaktionsleiterin Wiebke Wetschera stellte bereits vergangenes Jahr fest: Da ist noch Luft nach oben. In ihrem Artikel „Mehr Frauen in die Kommunalpolitik! Aber wie?“, schrieb sie, dass im Gemeinderat von 40 Mitgliedern lediglich 15 Frauen vertreten sind. Das sind 37,5 Prozent.
In der FDP ist aktuell keine Frau im Amt, bei der CDU und den Freien Wählern jeweils nur eine Frau. Aber warum „nur“? Sollten wir uns nicht freuen,dass es „immerhin“ 15 Frauen sind? Die Diskriminierungen in der Diskussionskultur oder im Umgang unserer Gemeinderät:innen zeigen: Respekt sieht anders aus. Wegweisend sind die wenigen Frauen im Gemeinderat trotzdem. Sie vernetzen sich über Parteigrenzen hinweg, um mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu bringen.
Fragen der Repräsentation betreffen auch die Sprache. Um dabei möglichst inklusiv zu sein, nutzen wir Begriffe wie FLINTA*. Dieser Begriff steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen.
Vertrauen, Vorurteile und Vertretung
Wenn sich Menschen in einer Gesellschaft durch ihre politischen Vertreter:innen repräsentiert fühlen, steigert das ihr Vertrauen in das politische System. Fühlen sich beispielsweise Frauen in der Politik angemessen vertreten, erhöht das ihre Bereitschaft, sich politisch zu engagieren.
Wenn Menschen sehen, dass Vertreter:innen ihrer eigenen ethnischen oder geschlechtsspezifischen Gruppe politische Ämter innehaben und erfolgreich sind, kann dies Vorurteile abbauen und eine inklusivere Gesellschaft schaffen. Politische Entscheidungen werden mit den neuen Blickwinkeln möglicherweise gerechter und ausgewogener. Bedürfnisse, Herausforderungen oder Wünsche von Minderheiten können schneller gesehen werden, wenn die jeweiligen Politiker:innen selbst betroffen sind oder Umstände besser nachvollziehen können.
Was ist Vielfalt?
Vielfalt bezieht sich aber nicht nur auf die Herkunft oder das Geschlecht. In der Soziologie ist Vielfalt ein Konzept, das sich mit der Unterscheidung und Anerkennung von Gruppen-und individuellen Merkmalen befasst. Sie unterscheidet in Merkmale, die eng mit der Persönlichkeit eines Menschen verbunden sind, wie Herkunft, Geschlecht, sexuelle oder geschlechtliche Identität, Alter, Religion und Behinderungen. Zu den weiteren Merkmalen gehören beispielsweise der Familienstand oder der berufliche Vertragsstatus: erwerbslos, befristet oder unbefristet angestellt oder verbeamtet.
Die Idee, dass auch Ämter in Parlamenten, in der Verwaltung oder in Führungspositionen vielfältig besetzt sind, ist nicht einfach ein netter Wunsch. Vielfalt ist sogar an mehreren Stellen gesetzlich verankert. So zum Beispiel im AGG, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Darin sind 33 Paragrafen festgehalten, die alle Menschen davor schützen sollen, benachteiligt zu werden, „sei es aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, einer chronischen Krankheit oder Behinderung, ihrer Religion, ihrer sexuellen Identität oder aus rassistischen und antisemitischen Gründen.“ Das AGG stellt aber auch klar, dass Menschen im Fall von Diskriminierung Anspruch auf Entschädigung oder auch Schadensersatz haben.
Grund zur Hoffnung?
Blicken wir auf die Listen der Fraktionen, die zur Gemeinderatswahl am 9. Juni 2024 kandidieren. Den höchsten Frauenanteil finden wir auf der gemeinsamen Liste von FGL und Grüne, mit 23 Frauen ist das ein Anteil von 57,5 Prozent . Die SPD trifft genau die Mitte. Immer im Wechsel sind bei ihnen eine Frau und ein Mann aufgestellt, womit sie auf 20 Frauen und damit einen Frauenanteil von 50 Prozent kommen.
Platz drei geht an das Junge Forum Konstanz. Zwar sind ihre drei Spitzenkandidatinnen Frauen, aber mit insgesamt 17 Frauen auf der Liste machen sie nicht ganz die Hälfte ihrer Kandidat:innen aus. Dicht gefolgt schließt sich die FDP mit 16 Frauen auf ihrer Liste an. Damit haben sie den größten Zuwachs im Vergleich zur letzten Wahl. Aber auch bei der CDU hat sich etwas an ihrer Geschlechterverteilung geändert. Dieses Jahr kandidieren zwei Frauen mehr und damit insgesamt 15. Genauso viele Frauen finden wir auch auf der Linken Liste. Das Schlusslicht in punkto Frauen-Anteil sind auch dieses Jahr die Freien Wähler, bei denen lediglich elf von 40 Kandidat:innen Frauen sind — Immerhin befinden sich sechs davon auf den vorderen 20 Plätzen.
Wie können Parteien oder Parlamente vielfältiger werden?
Politische Parteien können an der Auswahl von Kandidat:innen ansetzen und diese diverser gestalten. Außerdem kann Bürger:innen ein gleichberechtigter Zugang zur politischen Teilhabe gewährt werden. Dazu gehören beispielsweise Programme zur politischen Bildung und Sensibilisierung oder organisatorische Unterstützung für potenzielle Kandidat:innen.
Gezielte Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Minderheitengruppen können in der Politik und Gesellschaft ebenfalls viel bewirken. In Konstanz wurde beispielsweise beschlossen, dass die Sitzungen des Gemeinderats nur noch bis 21 Uhr gehen. So sollen die Bedingungen für beispielsweise Menschen mit Kindern oder Alleinerziehende erleichtert werden. Mehr dazu hat Wiebke in ihrem Artikel zusammengefasst.
Die gute Nachricht
Die Bemühungen um mehr Vielfalt in der Politik zeigen erste Erfolge. Auf der Liste der FDP stehen dieses Jahr drei Frauen mehr. Auf den Listen von FGL&Grüne und CDU sind es zwei Frauen mehr als noch 2019. Bei der Linken Liste, der SPD und den Freien Wählern lassen sich gleich viele Frauen finden, nur beim Jungen Forum Konstanz ist es mit 17 statt 18 Frauen eine weniger.
Insgesamt sind das also 117 Frauen, die Lust auf Kommunalpolitik haben. Das sind 42 Prozent aller Kandidierenden. Eine langsame, aber sichtbare Annäherung an eine Vielfalt, wie sie in unserer Gesellschaft längst sichtbar ist.
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- Anmerkung der Autorin: Hierzu gehören auch rassifizierte Menschen. Rassifizierung/Rassisierung (abgeleitet von „Race“) bezeichnet einen Prozess und eine Struktur, in denen Menschen nach rassistischen Merkmalen (Aussehen, Lebensformen oder imaginäre Merkmale) kategorisiert, stereotypisiert und hierarchisiert werden. In diesem Prozess wird ein rassifiziertes Wissen erstellt und die Struktur beruht auf diesem Wissen. Der Begriff betont den Charakter von „Race“ als soziales Konstrukt. ↩︎
- Bei einer früheren Version der Grafik war von 19 Frauen bei der SPD im Jahre 2019 die Rede, es sind aber 20. Wir haben den Fehler korrigiert. ↩︎
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