Mitte Februar erschien dein Buch FEMALE WORKING. Wie bist du vorgegangen? Gibt es darin auch konkrete Geschichten oder Fallbeispiele – Vorbilder, wie du es vorhin genannt hast –, die dich besonders inspiriert haben?
Ich habe zunächst einen theoretischen Abriss gemacht und recherchiert, wie unsere Arbeitswelt eigentlich entstanden ist. Das heißt, ich habe tatsächlich in der Steinzeit angefangen, dann etwas über die Geschichte der Hexenverfolgung geschrieben bis hin zur Industrialisierung. Die Leitfrage war: Wie ist es historisch dazu gekommen, dass wir heute in dieser stark männerdominierten Arbeitssituation sind? Und dann habe ich zehn Eigenschaften herausgearbeitet, die wir in der Gesellschaft eigentlich Frauen zuschreiben. Diese habe ich so umformuliert, dass sie auch in der Arbeitswelt funktionieren und Beispiele gesucht – und gefunden.
Kannst du diese Beispiele ein wenig erläutern?
Da ist zum Beispiel die Intuition. Unsere Gesellschaft ist sehr vom Verstand geprägt, vom Rationalen, und die Intuition wird dem meistens untergeordnet. Viele meinen, das Bauchgefühl sei nicht so wichtig, man müsse vor allem logisch argumentieren. Und diese Logik, der Verstand, gilt seit dem Mittelalter als männlich. Seit René Descartes steht die Logik über der Intuition. Dabei sind das natürlich Eigenschaften, die wir alle in uns tragen. Das heißt nicht, dass Männer rein rational und Frauen nur intuitiv sind. Aber es wurde lange Zeit so etikettiert.
Ein anderes Beispiel ist das zyklische Arbeiten. Unsere Arbeitswelt ist in der Regel sehr linear aufgebaut und orientiert sich an einem männlichen Körper, der keinen direkten Zyklus hat oder zumindest nicht so starke Schwankungen wie der weibliche Körper. Das heißt, Männer können fünf Tage die Woche durcharbeiten, während es für uns Frauen viel entspannter ist, wenn wir auf unsere Hormone hören und Pausen machen, wenn wir Pausen brauchen, oder wenn wir in der Blüte sind, Vollgas geben. Dann arbeitet man nicht gegen sich selbst, sondern in seinem eigenen Rhythmus. Allein diese Erkenntnis hat für mich und mein Leben viel verändert.

Veronika Fischer plädiert für neue Arbeitsmodelle, die Care-Arbeit berücksichtigen und Frauen gezielt fördern. Unternehmen könnten durch flexible Strukturen und gleiche Chancen für Mütter einen Wandel bewirken. | Foto: Milena Schilling & Fiona Mentzel
Veronika Fischer wurde 1987 im Allgäu geboren. Sie studierte Deutsche Literatur und Philosophie in Konstanz und Berlin, arbeitet als freie Autorin, Journalistin, Texterin sowie Philosophin und ist Mutter von drei Kindern. Ihre Theaterstücke touren auf verschiedenen Bühnen. Auch in Genres wie Lyrik und Prosa, journalistischen Publikationen und künstlerischen Projekten setzt sie sich jeweils mit den Themen unserer Zeit und deren gesellschaftlicher Relevanz auseinander. Ihr Promotionsvorhaben über den philosophischen Liebesbegriff erschien unter dem Titel „Liebe“. In ihrem jüngsten Buch FEMALE WORKING beschäftigt sie sich mit dem Konzept Arbeit aus weiblicher Perspektive. Sie führt einen Liebesbriefservice und ein Leben ohne Smartphone.
Bevor wir zu den anderen acht Qualitäten kommen, möchte ich kurz die vier Phasen des weiblichen Zyklus erwähnen: Menstruationsphase, Follikelphase, Ovulationsphase und Lutealphase. Ich habe auch lange gebraucht, um zu erkennen, dass es bei einer Frau bessere und schlechtere Tage für Meetings gibt. Kannst du noch ein paar andere Qualitäten nennen?
Solidarität gehört dazu, also weg vom Konkurrenzdenken und Survival of the Fittest hin zu: Wie können wir gemeinsam etwas Tolles auf die Beine stellen? Immer wenn ich Menschen getroffen habe, mit denen ich eigentlich in Konkurrenz stehe, weil wir ähnliche Qualifikationen haben, habe ich sie angesprochen und gefragt, ob wir nicht etwas zusammen machen können. Und daraus sind tolle Projekte entstanden. Ein weiterer Punkt ist das Fürsorgeprinzip. In Konstanz gibt es ein Kollektiv namens KORPA, das sich radikale Fürsorge auf die Fahnen geschrieben hat. Das heißt, sie achten extrem aufeinander und konzentrieren sich darauf, was sie als Menschen überhaupt brauchen, bevor sie in den Arbeitskontext einsteigen. Sie haben einen Retreat gemacht, sich zurückgezogen und sich einfach um sich selbst gekümmert. Das fand ich einen schönen Aspekt, erst mal zu schauen, wer sind die Leute, die hier im Team sitzen und nicht direkt mit Flipcharts anzufangen.
Und eine weitere weibliche Eigenschaft ist die des Schaffens, des Erschaffens, des Gebärens. Schon in der Antike gibt es Texte, in denen es nicht nur um die Geburt von Kindern geht, sondern auch um die Geburt von Projekten oder Kunstwerken und Büchern. Außerdem ist Mode etwas, das oft den Frauen zugeschrieben wird. Denn es macht einen Unterschied, wie wir uns kleiden. Wir können damit spielen und auch kontrollieren, ob wir auffallen oder eher unbemerkt bleiben. Balance ist ein anderer Punkt. Für mich ist es mehr eine Write-Kids-Balance als eine Work-Life-Balance. Wenn ich zum Beispiel Hausarbeit mache, denke ich über einen Text nach und kann mich dann die drei, vier Stunden, die ich am Tag Zeit habe, hinsetzen und konzentriert arbeiten. So etwas wie eine Schreibblockade ist mir beispielsweise völlig fremd, weil ich mich gedanklich schon im Vorfeld mit dem Thema beschäftigt habe.
Weitere Eigenschaften sind Heilung, Magie und Energie. Gerade der Punkt Energie ist mir sehr vertraut, weil wir oft sehr angespannt sind und es eigentlich um Yin und Yang geht – um Anspannung und Entspannung – aber oft vergessen wir die Entspannung. Zurück zum Anfang: Du hast gesagt, wir leben in einer patriarchalisch geprägten Arbeitswelt. Wie erklärst du dir das?
Allein wenn wir an Karriere denken, ist das schon sehr männlich. Es gibt die Karriereleiter – eine gerade Linie, die nach oben führt – das ist ein phallisches Symbol. Wenn man einen falschen Schritt macht, landet man wieder unten. Das suggeriert eine Ellenbogenmentalität, weil man alle anderen wegstoßen muss, um nach oben zu kommen. Wenn ich mir ein Bild für meine Karriere aussuchen dürfte, dann wäre es eher eine Achterbahnfahrt, bei der es mal bergauf und mal bergab geht. Bei der es mal schneller geht und man auch Durststrecken überwinden muss.
Ein anderer Aspekt ist, wie Menschen bewertet werden, die keine Arbeit haben. Da gibt es die, die sich bewusst dafür entschieden haben oder die, die aus Pech arbeitslos geworden sind. Da habe ich viel darüber nachgedacht, warum wir uns eigentlich so sehr über unsere Arbeit definieren.
Wobei das ein sehr deutsches Phänomen ist. Ich war früher viel in Osteuropa unterwegs und da wird eher gefragt, wie es dir geht, ob alle in deiner Familie gesund sind oder was du in letzter Zeit Schönes gemacht hast. Gibt es eigentlich andere Länder, die einige dieser zehn weiblichen Eigenschaften stärker in das Arbeitsleben integriert haben?
Es gibt viele Länder, in denen die zyklische Arbeit eine größere Rolle spielt. In Japan zum Beispiel wird das schon seit den 1920er Jahren berücksichtigt, auch wenn es ambivalent ist, weil der Chef gleichzeitig das Recht hat, die Hygieneprodukte zu kontrollieren. Und Spanien ist das erste europäische Land, das 2023 den sogenannten Menstruationsurlaub eingeführt hat. Das heißt, man kann sich einmal im Monat freinehmen und zu Hause bleiben, wenn man Probleme mit der Menstruation hat.
Ein anderes Beispiel sind bessere Rahmenbedingungen für Menschen, die Hausarbeit übernehmen. In Deutschland ist das ein großes Feld für Schwarzarbeit – die meisten Haushaltshilfen und Putzkräfte sind nicht angestellt und versichert. In Frankreich beispielsweise gibt es hierzu andere Regelungen, und da gibt es kaum Schwarzarbeit in diesem Bereich. Es ist spannend zu sehen, dass die Politik mit so kleinen Stellschrauben massiv etwas verändern kann. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass wir leben in einer der besten Gesellschaften der Welt leben. Wenn wir unser eigenes Leben mit dem unserer Großmutter oder Urgroßmutter vergleichen – oder mit Frauen in anderen Ländern – dann haben wir die größten Freiheiten und Möglichkeiten, die es je gab. Ich denke, wir sollten sie auch nutzen.

Und was würdest du Unternehmen raten, die speziell Frauen in ihrer Belegschaft dabei unterstützen wollen, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren?
Dazu habe ich ein eigenes Kapitel geschrieben, in dem ich aufzähle, was Unternehmen konkret tun können. Das reicht von gleicher Bezahlung über Frauenförderung bei Einstellungen und Beförderungen, flache Hierarchien, Weiterbildung, Gesundheitsmanagement bis hin zur Bevorzugung junger Mütter. In der Filmbranche gibt es zum Beispiel extrem wenige Frauen. Der Grund: Die besten Jobs bekommt man nur mit einem tollen Portfolio. Und das bekommt man leichter, wenn man keine Kinder und somit keine längere Pause eingelegt hat. Dabei wäre es spannend, wenn man Ausschreibungen macht und bewusst Berufsanfänger bevorzugt oder Frauen, die gerade aus der Karenz zurückkommen.
Die haben vielleicht ähnliche Qualifikationen, hatten aber noch nicht die Chance, das zu zeigen. Deshalb wäre es wichtig, jemanden zu nehmen, der dadurch weiter kommen kann als diejenigen, die schon sehr weit sind. Und ein weiterer Aspekt ist die Gestaltung der Arbeitsräume bis hin zur betrieblichen Kinderbetreuung. Es gibt schon Firmen, da kann man die Kinder in die Betreuung geben, mit ihnen zu Mittag essen und dann noch ein paar Stunden weiterarbeiten. Das klingt so einfach, aber von solchen Arbeitsbedingungen können die meisten nur träumen – dabei ist so etwas auch für mittelständische Unternehmer machbar. Wichtig ist bei allen Veränderungen, die Mitarbeitenden zu fragen: Was braucht ihr? Was wäre für euch ein Gewinn? Und nicht einfach von oben herab zu entscheiden.
Und was würdest du Frauen raten, die sich in einem männerdominierten Arbeitsumfeld behaupten müssen?
Als erstes würde ich mir die Frage stellen: Will ich überhaupt in einem solchen Arbeitsumfeld bleiben? Sehe ich die Chance, mich weiterzuentwickeln oder suche ich mir lieber etwas Neues, um meine Energie nicht in Kämpfe zu stecken, die einfach verpuffen und zu keinem Ergebnis führen. Wenn man an den Strukturen etwas ändern will, ist es wichtig, dass man klug argumentiert und gute Beispiele im Gepäck hat. Dass man also konkret sagt: ‚Ich nehme bestimmte Dinge nicht mehr als gegeben hin und möchte sie anders lösen – und ich weiß auch wie.‘ Das erfordert vor allem Mut und Durchsetzungsvermögen. Und man kann damit auch scheitern. Mein Rat wäre daher, es nicht so ernst zu nehmen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, sondern dranzubleiben und das Ganze auch als Experimentierfeld zu sehen.
Was ist die eine Sache, mit der die Menschen, die das Buch lesen, mitnehmen sollten?
Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen zu ihrer Lebensfreude kommen und den Stress hinter sich lassen. Dass sie sich fragen: ‚Was brauche ich zum Leben? Was tut mir gut? Wo ist die Freude, die mich erfüllt?‘ Das kann im beruflichen Kontext sein oder im privaten. Oft werden diese Dinge hinten angestellt, man kümmert sich mal im Urlaub darum, aber eigentlich sollten wir das Gefühl von Leichtigkeit und Freude wieder stark machen. Dafür muss man nicht gleich das ganze System über Bord werfen, dafür müssen nicht alle ihren Job aufgeben. Es geht vielmehr darum, mit kleinen Dingen anzufangen. Ich habe zum Beispiel bewusst kein Smartphone, weil ich sehe, wie die Leute um mich herum nur noch auf dieses Gerät starren. So können ganz kleine Stellschrauben im Alltag schon viel bewirken.
9. März – Apollo Kreuzlingen – 14 bis 19 Uhr
🕜 13:30 – Einlass & Start des Bar-/Cafébetriebs mit Kuchen & Snacks
📖 14:00 – Buchpräsentation & Diskussion mit Autorin Veronika Fischer zur Premiere ihres neuen Buches FEMALE WORKING
✨ Anschliessend: Workshops & Impulse mit kreativen Akteur:innen aus Kunst, Design, Lyrik, Tanz & mehr
🎶 17:00 – ( DJ Spoon Carrey), entspannter Ausklang mit Snacks
Worum geht’s?
Noch immer werden „weiblich“ konnotierte Fähigkeiten in unserer Gesellschaft abgewertet oder unsichtbar gemacht. Die Fokussierung auf das männliche Prinzip des Höher-Besser-Weiter treibt unseren Planeten ans Limit und uns selbst in die Erschöpfung. Wie sind wir als Gesellschaft dahin gekommen? Und wie kommen wir wieder raus? Das fragt sich die Philosophin Veronika Fischer in ihrem Buch FEMALE WORKING. Ihre Analyse reicht von der Steinzeit über die Hexenverfolgung bis ins postindustrielle Zeitalter, mit spannenden Blickwinkeln aus der feministischen Literatur. Sie nimmt zehn als „weiblich“ gelabelte Qualitäten in den Fokus und zeigt auf, wie diese im Business-Alltag, aber auch in der Sorge- und Beziehungsarbeit zu einer neuen Sichtbarkeit gelangen. Und welche starken Kompetenzen darin stecken – wenn wir sie richtig für uns nützen. Es geht um Solidarität und Verbindung, zyklisches Arbeiten, radikale Fürsorge, Intuition, die Kraft des Schöpfens, eine gute Balance und andere Qualitäten wie Mode, Heilung und Empowerment.
Mitwirkende aus dem Buch sind live vor Ort dabei:
🛠️ Anna Appadoo (Künstlerin)
🖋 Barbara Marie Hofmann (Lyrikerin)
💃 Claudia Heinle (Tänzerin)
🌈 Fidelis Puchner (Künstler:in)
✂️ Klara Schneider (Designerin)
🎨 Maria Wacker (Künstlerin)
🍵 Pünktchen und Ton (Keramik-Duo)
🎧 Spoon Carrey (DJ )
🌀 Stephanie Pils (Energy & Body Work)
🖼️ Susanne Bonowicz (Künstlerin)
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