Palästina-Solidarität in Konstanz: Weg von Repression, hin zur Solidarität

In seinem Kommentar kritisiert unser Autor Mark Schoder das Auftreten israelsolidarischer und palästinasolidarischer Gruppen in Konstanz – und plädiert für mehr Gesprächsbereitschaft. Die Aktionsgruppe „Rettet Gaza“ widerspricht seiner Darstellung – und ordnet die Aussagen aus eigener Sicht ein.

Dieser Meinungsbeitrag wurde von der Aktionsgruppe „Rettet Gaza Konstanz“ verfasst.


Wir sind Rettet Gaza Konstanz. Ein Aktionsbündnis, das sich seit Ende 2023 für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzt. Mit unserer Arbeit klären wir über die Geschehnisse in Palästina auf und machen auf den Völkermord in Gaza aufmerksam. Getrieben werden wir von dem unvorstellbaren Maß an Leid und Ungerechtigkeit und dem Glauben an eine gerechtere und friedlichere Zukunft.

Das Aktionsbündnis Rettet Gaza Konstanz hat sich Ende 2023 als Antwort auf Israels Aggressionskrieg gegen den Gazastreifen gegründet. Das Bündnis lebt von der Vielfältigkeit seiner Mitglieder. Sie setzen sich für einen freien, demokratischen Staat im historischen Palästina ein, in dem alle Bürger:innen, egal welcher Herkunft und Religion, die gleichen Rechte haben.

Doch immer wieder sehen wir uns mit Angriffen aus anderen Konstanzer Gruppierungen und Personen konfrontiert, wie auch im jüngsten Meinungsartikel von Mark Schoder. Uns wird Polarisierung und irrationale Wut vorgeworfen, sowie keine Offenheit für Gespräche. Diese Vorwürfe, insbesondere den Vorwurf des Antisemitismus in unseren Reihen, weisen wir entschieden zurück. Wir reflektieren in diesem Artikel unsere Arbeit des letzten Jahres und werfen einen Blick darauf, was aus unserer Sicht diese Aversion mancher gegenüber „Rettet Gaza“ bedingt. 

Ein Bericht von Amnesty International mit dem Titel „’You Feel Like You Are Subhuman‘: Israel’s Genocide Against Palestinians in Gaza“ belegt, dass es sich bei der Aggresion Israels gegen den Gazastreifen um Völkermord handelt. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt dazu: „Unsere Recherchen ergeben, dass der Staat Israel über Monate einen Völkermord begangen hat und weiterhin begeht, in dem vollen Bewusstsein, dass den Palästinenser:innen im Gazastreifen ein nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt wurde. Dabei ignorierte die israelische Regierung zahllose Mahnungen über die katastrophale humanitäre Lage und setzte sich über rechtsverbindlich angeordnete Maßnahmen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) hinweg. Dieser hatte Israel wiederholt aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um unter anderem die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen sicherzustellen.“

Ablenken statt thematisieren

Der Journalist Mark Schoder gibt in seinem Kommentar vor, sich gegen Polarisierung einzusetzen und Brücken bauen zu wollen. Doch sein Meinungsartikel ist ein Paradebeispiel für das Gegenteil: Er zeichnet ein einseitiges Bild der zwei „Extreme”, Rettet Gaza und die Hochschulgruppe Alliance Against Antisemitism (AAA). Während in Gaza bereits über 50.000 Zivilist:innen gestorben sind, darunter unzählige Frauen und Kinder, und über 100.000 Verletzte ohne medizinische Versorgung auskommen müssen, setzt Schoder seinen Fokus auf interne Fehden in Konstanz.

Es wäre unseres Erachtens deutlich wichtiger, über die Repression der pro-palästinensischen Bewegung in Konstanz zu berichten. Wie systematisch Poster für Veranstaltungen entfernt werden – zum Beispiel zuletzt für unsere Demonstration am 30. März an der Universität – oder wie der Großteil der kulturellen Institutionen sich weigern, ihre Räume für palästinensische Stimmen zu öffnen. Solange Palästinenser:innen nicht zu Wort kommen dürfen, werden sie ihrer Entmenschlichung nicht entgegentreten können. 


Etwa 100 Menschen demonstrierten am 19. Juli 2024 unter dem Motto „Freiheit für alle Nationen, gegen imperiale Besatzungen in allen Regionen“ gemeinsam mit Rettet Gaza vom Herosépark bis zur Marktstätte. | Foto: Ed Kurdy

Irrtümliche Darstellung des Aktionsbündnisses Rettet Gaza

Sowohl Schoder als auch viele ihm Gleichgesinnte stellen uns als Rettet Gaza als radikale, unreflektierte Bewegung dar, die durch Social Media beeinflusst und von Emotionen getrieben sei. Besonders auffällig ist der Vorwurf, dass unsere Mitglieder „vor Wut schäumen“, wenn sie gegen Waffenlieferungen protestieren. Mit dieser Formulierung tut er die berechtigte Kritik unserer Aktivist:innen als irrationale Wut ab. Ein Muster, das an vielen Stellen der öffentlichen Debatte erkennbar ist. Deutschland als zweitgrößter Waffenexporteur an Israel hat gerade erst kürzlich Kriegskredite in Milliardenhöhe verabschiedet – das sollte nicht nur pro-palästinensischen Stimmen Sorgen bereiten, denn alle Anzeichen stehen auf Krieg. 

Schoder wiederum sieht in Rettet Gaza das eine Extrem, welchem er die AAA entgegenstellt. Jedoch bleibt er in der Beschreibung der AAA rhetorisch hinter seiner Polarisierung gegen Rettet Gaza zurück. Während Gruppierungen wie die AAA sich für die Freiheit der israelischen Geiseln einsetzen, stehen wir für die Befreiung aller Geiseln. Sowohl derer in den Händen der Hamas, als auch der Tausenden Palästinenser:innen in israelischer Gefangenschaft. Diese sind dort teilweise Jahre ohne Prozess oder jegliche juristische Hilfe eingesperrt.

Dass die AAA bei ihren Veranstaltungen oder in ihren Beiträgen in den sozialen Medien kein Wort über die palästinensischen Opfer des Völkermords verliert, zeigt deutlich, wessen Leben ihr mehr Wert ist. Währenddessen sehen sich viele Gruppen, die sich für ein Ende des Krieges einsetzen, dem Vorwurf ausgesetzt, extremistisch und einseitig zu handeln, weil sie nicht zusehen wollen, wie rassifizierte Menschen zu Zehntausenden getötet werden. So auch hier in Konstanz. 

Diese regelmäßigen Attacken, denen Palästina-solidarische Gruppen wie wir ausgesetzt sind, sehen wir dem geschuldet, dass wir eine unbequeme Wahrheit aussprechen: Mit unserem Schweigen und unseren Steuergeldern unterstützen auch wir in Konstanz einen Völkermord gegen die Palästinenser:innen. Es ist höchste Zeit, die Dämonisierung dieser Gruppen zu beenden und stattdessen Solidarität mit den Menschen zu zeigen, die ein erschreckendes Maß an Leid erfahren.


Am 17. Januar 2025 zeigte Rettet Gaza die Dokumentation „Israelism” im Café Mondial, welche zwei jüdische Menschen begleitet, die die unkritische Haltung zum Staate Israel thematisieren, welche in vielen Organisationen und Bildungseinrichtungen in den USA vorherrscht. Anschließend zur Dokumentation gab es eine Podiumsdiskussion mit drei Menschen, die in unterschiedlichen Ausprägungen jüdischen Glaubens aufgewachsen sind, sowohl in Kanada, den USA als auch in Deutschland. | Foto: Jina Kian

Vergangene sowie kommende Aktionen von Rettet Gaza sollen informieren, mobilisieren und der legitimen Trauer und Wut um die Eskalationen in Gaza Ausdruck verleihen. So etwa zahlreiche (Eil-)Demonstrationen und Mahnwachen mit teilweise um die 200 Teilnehmer:innen.

Des Weiteren wurden bisher zwei Filmvorführungen mit anschließender Podiumsdiskussion gezeigt (am 03.11.24 der Film „Where Olive Trees Weep”, mit anschließender Gesprächsrunde mit drei in Konstanz ansässigen palästinensischen Frauen und am 17.01.25 die Dokumentation „Israelism”, mit einem anschließenden Gespräch mit drei Personen jüdischen Glaubens).

Auch war Rettet Gaza an mehreren Gassenfreitagen in der Niederburg präsent, um palästinensische Küche anzubieten und so den Austausch über die palästinensische Kultur anzuregen. Zusätzlich war Rettet Gaza mit einem Infostand in der Innenstadt präsent, um zum Diskurs einzuladen und beteiligte sich erst kürzlich an einem gemeinsamen Fastenbrechen während des diesjährigen Ramadan mit der Muslimischen Hochschulgruppe und dem BIPoC Kollektiv. 

Realitätsferne Lösungsansätze

Zahlreiche Menschen im Westen, die sich nur oberflächlich mit dem Krieg und dessen historisch gewachsener Realität auseinandersetzen, würden Schoder vermutlich zustimmen, dass sich Menschen aus verschiedenen Lagern zu einer Teerunde in Konstanz treffen sollen, um Brücken zu bauen. Das mag auch ein schönes Bild sein. Doch das wird dem Ausmaß des Krieges und seiner Wirkung bis vor unsere Haustür nicht gerecht.

Wer glaubt, dass ein „gemeinsames Kochen“ eine angemessene Antwort auf das Massaker in Gaza und die brutale Gewalt gegen Zivilist:innen ist, verharmlost die Tragweite der dort stattfindenden humanitären Katastrophe und das vorherrschende Machtverhältnis zwischen Israel und dem Volk, welches Israel illegal besetzt. Innerhalb Rettet Gazas als auch unter den Teilnehmenden unserer Veranstaltungen, gibt es palästinensische Personen sowie Menschen aus Nachbarländern, die Angehörige in der Region haben.

Für eine Teerunde müssten Menschen aus dem Umfeld der AAA und ähnlich gesinnten Gruppierungen erstmals bereit sein, Menschen mit palästinensischer Herkunft auch als solche zu sehen – nämlich als Menschen. Mehr noch, sie müssten aufhören eine Regierung bedingungslos zu unterstützen, die allen Palästinenser:innen den Tod wünscht, welchen sie seit anderthalb Jahren herbeiführt („Wir bekämpfen menschliche Tiere und wir werden angemessen handeln”, Yoav Gallant, ehemaliger Verteidigungsminister Israels1). 

„Nahost-Expertise“

In einem Abschnitt behandelt Schoder Aussagen eines unserer Mitglieder. Oftmals sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden mit unseren Aussagen polarisieren, auch als Einzelpersonen. Den gleichen Standard legen weder Schoder noch andere, die uns dies vorwerfen, an Gruppen wie die AAA an. Lediglich als Palästina-solidarische Gruppe müssen wir uns dafür rechtfertigen, dass wir uns ein „freies Palästina“ wünschen – denn die Auslöschung von Jüd:innen würden wir ja damit direkt mitmeinen. Dass das mitnichten der Fall ist, bekundigen wir seit unserer Gründung.

Niemand von uns wünscht sich ein „freies Palästina“ ohne Jüd:innen, ohne Israelis – wofür wir plädieren ist ein einzelner, demokratischer Staat mit gleichen Rechten für alle seine Einwohner:innen. Inhaltlich bezweckt der Abschnitt über die Aussagen unseres Mitglieds unserer Meinung nach lediglich das Invalidieren der Motivationsgründe unseres Mitglieds sich gegen das Leid im Nahen Osten einzusetzen. 

Unabhängig von Herkunft, Vorwissen oder politischem Engagement – es bedarf keiner „Nahost-Expertise“, um den Völkermord in Gaza als solchen zu verstehen und sich gegen das Leid der Zivilist:innen beider Seiten zu positionieren. So protestieren bei Demonstrationen und Mahnwachen oft bis zu 200 Konstanzer:innen gemeinsam mit Rettet Gaza für ein Ende der Aggressionen. Seit dem 7. Oktober 2023 haben sich viele intensiv mit Antiimperialismus und den Verstrickungen westlicher Staaten wie den USA und Deutschland mit dem Krieg beschäftigt und setzen sich für Palästinenser:innen ein.

Auch hier am Bodensee ist das enorm wichtig: Die lokale Rüstungsindustrie ist direkt an den Waffenlieferungen in Kriegsgebiete beteiligt, wie es gemeinsame Aktionen von Rettet Gaza und Shut Elbit Down bereits seit Monaten anprangern.

Keine Vereinnahmung sondern Internationale Solidarität

Schoder entfernt sich vom Anspruch der Internationalen Solidarität, wie ihn Gruppierungen wie Rettet Gaza und viele andere leben. Er schreibt von „Vereinnahmung“ von Protesten wie dem Christopher Street Day oder dem 08. März, dem Internationalen feministischen Kampftag, durch den „Konflikt”. 

Der Zusammenhang von Freiheitskämpfen, egal welcher Form, ist ein Grundpfeiler der linken Bewegung. Ganz nach dem Motto, niemand ist wirklich frei, solange wir nicht alle frei sind. Wenn wir queere Kämpfe von feministischen Kämpfen, von antirassistischen Kämpfen, von antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfen trennen, können diejenigen, die von ihrer jeweiligen Unterdrückung profitieren, sie einfacher klein halten. 

Unsere stärkste Waffe dagegen ist unsere gelebte Solidarität. Die im Gefängnis eingesperrte iranische Aktivistin Atefeh Rangriz der „Frau, Leben, Freiheit”- Bewegung teilte nach dem 7. Oktober 2023 eine Sprachnotiz als Zeichen ihrer Solidarität. In dieser sagte sie:

„Oh Palästina. […] Wir haben von euch gelernt, dass Widerstand Leben ist und niemals endet. Und wir haben weitergemacht und werden weitermachen in der Frau, Leben, Freiheit Revolution.” 

Lasst uns daher gemeinsam den Worten von Atefeh Rengriz folgen und den Widerstand leben und in unseren Alltag integrieren. Gegen jeden Krieg und jede Form der Unterdrückung – von der Ukraine, in den Sudan und dem Kongo bis nach Palästina. Für eine friedliche und gerechte Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt. Hoch die Internationale Solidarität!

Wann: 02. Mai 2025, ab 18:30 Uhr
Wo: Gerichtsgasse, Niederburg, Konstanz-Altstadt

Wer uns kennenlernen mag, mit uns ins Gespräch kommen möchte über Aktionen oder die Möglichkeit aktiv zu werden oder wer einfach Lust auf palästinensische Köstlichkeiten hat, kann gerne bei unserem Stand am ersten Gassenfreitag des Jahres, am 02. Mai, in der Gerichtsgasse vorbeischauen.



  1. Aussage vom 09.10.2023 ↩︎