„Mir schwätze, wie’s uns gfallt!“ – auch in Konstanz 

So oder so ähnlich klingen Stimmen vom Bodensee bis zum Hochrhein, wenn es ums Seealemannische geht. Doch was jahrzehntelang als unerwünscht oder ungebildet galt, bekommt jetzt Rückenwind von höchster Stelle: Baden-Württemberg hat eine Dialektstrategie beschlossen.
Wolfgang Müller-Fehrenbach, Konstanzer Autor, Pädagoge und ehemaliges Gemeinderatsmitglied bei der Buchsignierung. | Foto: Sophie Tichonenko

Aus dem Konstanzer beziehungsweise Konschdanzer Stadtbild sind lockere Sprüche im Einheitsplural oder dem „sch“ statt des einfachen „s“ nicht wegzudenken. Doch wie sich ein solcher Sprachgebrauch etabliert und vor allem, was ihn am Leben erhält und dessen Charakter in schnelllebigen Zeiten ausmacht, definiert sich immer wieder neu. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Muettersproch-Gsellschaft für d alemannisch Sproch e.V.”. Der Verein mit Hauptsitz in Freiburg im Breisgau setzt sich seit bald 60 Jahren für den Erhalt aller südbadischen Dialekte ein. Auch am Bodensee trifft sich monatlich eine Regionalgruppe – von Juni bis August beispielsweise im Constanzer Wirtshaus. 

Aus „THE LÄND” wird „DialektLÄND”. | Foto: Laura Hüllmann 

Programmpunkt im Rahmen des Stammtisches der Seealemannen-Gruppe sind unter anderem Buchvorstellungen und Lesungen, wie zuletzt durch Wolfgang Müller-Fehrenbach zu seinem neuen Sammelwerk „Blicke aus dem Riesenrad. Alemannische und hochdeutsche Gedichte vom Bodensee“. Der Autor selbst ist als Konstanzer Urgestein stadtbekannt und blickt auf eine jahrzehntelange pädagogische sowie kommunalpolitische Laufbahn zurück. In seinen Reimen verarbeitet er Eindrücke aus dem Stadtgeschehen – von den Gemeinderatssitzungen bis zum Vesper wird alles humorvoll kommentiert. 

Wolgang Müller-Fehrenbach liest eines seiner allemannischen Gedichte aus seinem Sammelwerk „Blicke aus dem Riesenrad“ vor.

Neuer Enthusiasmus für Tradition 

Mit Blick auf Baden-Württemberg als Ganzes ist die Perspektive klar: auf die populäre und großangelegte Kampagne „THE LÄND“ folgt jetzt das „DialektLÄND“. Damit sollen die in Süddeutschland zahlreich vertretenen Mundarten neue Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren. Dazu gehört insbesondere der im vergangenen Jahr produzierte Podcast „DialektLand BW – eine Zeitreise durch den Strukturwandel ländlicher Räume“, welcher die Veränderungen und Einflüsse auf den Sprachgebrauch hierzulande beleuchtet. Gefördert wurde dieses Projekt durch die neue Dialektinitative des Landes Baden-Württemberg, umgesetzt und veröffentlicht durch die Universität Tübingen. 

Die Anfang April bekannt gegebene Dialektstrategie fokussiert sich auf vier Säulen zur Wahrung der verschiedenen Sprecharten. Zuerst soll eine Wissenssicherung über die Erforschung und Dokumentation der Dialekte etabliert werden, wie es der Podcast vormacht. Hinzukommt das Ziel erhöhter Sichtbarkeit über Plattformen wie „THE LÄND“ und die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Bestrebungen mit Hinblick auf die regionalen Mundarten. Dabei beabsichtigen Land und Regierung vor allem die verstärkte Anerkennung und Nutzung der Dialekte als sprachliche Ressource – so Ministerpräsident Winfried Kretschmann:

„Heute werden sie als Formen der inneren Mehrsprachigkeit geschätzt, weil sie sogar den Fremdsprachenerwerb erleichtern können.“ 

Die Benennung als identitätsstiftendes Kulturgut, welches zur Verständigung und einem Zugehörigkeitsgefühl innerhalb der verschiedenen Regionen beiträgt, wird darüber hinaus durch den 2024 erstmalig verliehenen Landespreis für Dialekt hervorgehoben. Dieser wird von dem Dachverband der Dialekte (DDDBW) in sechs Kategorien ausgeschrieben und ist mit einer Gesamtsumme von 60.000 Euro dotiert. Im ersten Durchgang sind rund 330 Beiträge aus ganz Baden-Württemberg in allen Dialektfärbungen eingegangen und insgesamt 20 Preise verliehen worden. Die nächste Ausschreibung ist für 2026 angesetzt.  

Zwischen Mediensprech und Mundart 

Dieses Engagement für die Eigenheiten der gesprochenen Sprache und die speziellen zugehörigen Bräuche – wie den Konschdanzer Fasnets-Ausruf „Ho Narro!“ – stehen im starken Kontrast zu der Ablehnung dieser, vor allem im Kontext von Bildungseinrichtungen in den letzten Jahrzehnten. Hinzukommt der abnehmende Gebrauch unter jungen Menschen, wozu vor allem die sich immer schneller wandelnde Jugendkultur, geprägt durch den Medienkonsum, beiträgt. Eine solche Entwicklung zeigte sich bereits vor knapp 15 Jahren in einer Publikation der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), welche auf einen Trend zu großräumigeren Jugenddialekten durch die „neuen Medien“ hinwies. 

Juni-Stammtisch der Regionalgruppe Seealemanne im Constanzer Wirtshaus mit einer Lesung von Wolgang Müller-Fehrenbach. | Foto: Sophie Tichonenko 

Im Rahmen ihrer Untersuchungen stellten die Institute jedoch auch klar heraus, dass eine solche Veränderung nicht pauschal als schädlich zu bezeichnen ist und der Sprachgebrauch konstanten Veränderungen unterliegt. Nur über Begegnung, Austausch und der darauffolgenden Anpassung von Aussprache und Wortstellungen sind Dialekte über Jahrhunderte hinweg überhaupt entstanden. Der Ursprung heutiger Mundarten im deutschen Sprachraum lässt sich dabei etwa im Zeitraum von 500 bis 1000 n. Chr. verorten und wird von Sprachhistoriker:innen als Zweite Lautverschiebung betitelt. Diese Entwicklung ist in den deutschsprachigen Gebieten sehr unterschiedlich ausgeprägt.  

Die Zweite Lautverschiebung beschreibt den Prozess der Abgrenzung verschiedener deutschsprachiger Regionen durch abweichende Formen der Aussprache. Zentral sind dabei die Konsonanten, welche je nach Sprachraum entweder stimmlos oder betonter genutzt werden. 

Interesse an den heimischen Mundarten besteht trotzdem, wie die aus Konstanz stammende Germanistik-Studentin Carla Gräfingholt aus eigener Erfahrung berichtet. Obwohl ihr selbst der Begriff des Seealemannischen in ihrer Schulzeit nie begegnet sei, möchte sie sich dem Thema der Dialektweitergabe in ihrer Forschung widmen. Ihre bisherigen Recherchen zeichnen zwar einheitlich mit den älteren Publikationen ein Bild der durchschnittliche:n Dialektprecher:innen im Renteneintrittsalter, doch das hält die junge Frau nicht davon ab, Kontakte beim Stammtisch der Seealemannen-Gruppe zu knüpfen. 

Wer spricht eigentlich was – und warum ist das so kompliziert? 

Sprachatlas der Universität Tübingen. | Grafik: Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen, 2017

Allein in Baden-Württemberg lässt sich heute zwischen vier weit verbreiten Dialekten unterscheiden – regional kommen nochmal diverse Mundarten hinzu, wie der Sprachatlas der Universität Tübingen zeigt. Im Raum Mannheim, aber auch über die Grenzen des Bundeslandes hinaus wird beispielsweise Rheinfränkisch gesprochen, während sich im Nordosten und -westen, das Ost- und Südfränkische etabliert hat. Umgangssprachlich wird außerdem der Oberbegriff des Badischen als Abgrenzung zum Schwäbischen genutzt. Besagter schwäbischer Dialekt ist mittig und östlich von Baden-Württemberg besonders ausgeprägt. Das Alemannische bezeichnet insgesamt einen übergeordneten Sprachraum im Südwesten. Am Bodensee ist besonders die Variante das Seealemannisch weit verbreitet. Wie genau das klingt, zeigt Heidi Wieland, Vorsitzende der Regional Regionalgruppe des Muettersproch-Gsellschaft Verein für d alemannisch Sproch e.V., in diesem Hörbeispiel:

Was heißt eigentlich wunderfitzig? Heidi Wieland (links) erklärt das allemannische Adjektiv. Zusammen mit Claudia Reimann (rechts) sind sie zwei der vier Vorsitzenden der Regionalgruppe des Muettersproch-Gsellschaft Verein für d alemannisch Sproch e.V.

Für Außenstehende oder Zugezogene sind diese Unterscheidungen oftmals schwer zu durchblicken. Dabei weichen die in Süddeutschland genutzten Dialekte allein schon aufgrund ihrer Tonalität, dem Satzbau und den teils stark verkürzten (Sprich-)Worten deutlich ab von mittel- oder hochdeutschen Mundarten. Hinzukommt, dass die Dialekte oftmals keinen festgeschriebenen grammatikalischen Regeln folgen und damit auch nur schwer erlernbar sind.  

„Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ – heißt es im Scherz oft gegenüber denen, die nicht gebürtig aus Baden-Württemberg kommen. Daher hier die wichtigsten Unterschiede im Dialekt-G’schwätz: die Mundart bringt drei Fälle mit:

  1. der Genitiv mit „vom“ 
  1. eine abweichende Artikelnutzung und  
  2. Verniedlichung über das Anhängen von „-le“/„-li“ (Bsp.: das Hörnle oder Schänzle).  

Ein Plädoyer für KonSCHdanz 

Die verschiedenen Sprecharten können sowohl inkludierend für den regionalen Zusammenhalt als auch exkludierend für neu hinzukommende Menschen aus dem In- und Ausland wirken. Sie ziehen unsichtbare, regionale Grenzen und sind gleichzeitig integraler Bestandteil von Gemeinschaften, besonders im ländlichen Raum. Angesichts dieser Komplexität sollte klar sein, dass Dialekte nicht einfach als Sinnbild mangelnder Bildung abzutun sind. Im Gegenteil: aufgrund ihrer Symbolkraft für das hiesige Zugehörigkeitsgefühl sind sie sogar besonders schützenswert.