Eigentlich stand das Thema „Situation Frauenhaus: Nachfolgende Wohnversorgung“ im Sozialausschuss am vergangenen Mittwoch nur als Kenntnisnahme auf dem Plan. Trotzdem führte der Bericht zur Situation des Frauenhauses von Julika Funk von der Chancengleichheitsstelle zu einer Diskussion. Markus Schubert, Abteilungsleiter für Soziale Dienste, argumentierte, dass auch er und seine Abteilungen unter dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum litten. Für Jugendliche, die an Schulen, Vereine und ihr soziales Umfeld gekoppelt sind, sei es sehr viel schwieriger, sich ein neues Leben in einer anderen Stadt aufzubauen. Anders als bei Frauen aus dem Frauenhaus, die nach dem Aufenthalt einen nicht ortsgebundenen Neustart wagen können.
Laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hat jede dritte Frau in Deutschland in ihrem Leben Gewalt erlebt. Häusliche Gewalt, physische, psychische, sexuelle Gewalt. Frauen, die dieser Gewalt oft hilflos ausgesetzt sind, finden Schutz in Frauenhäusern. Das Konstanzer Frauenhaus, das der Arbeiterwohlfahrt (AWO) angehört, hat im vergangenen Jahr 23 Kinder und 15 Frauen aufgenommen. Der Standort bleibt bewusst geheim, um den Frauen besseren Schutz zu ermöglichen. Die Sozialarbeiterinnen des Frauenhauses stehen den Betroffenen zur Seite.
“Bei diesen Frauen geht es ums Überleben”
sagt eine Betreuerin, die namentlich nicht genannt werden will.
Auch die Sozialarbeiterinnen wollen sich und ihre Privatsphäre schützen. Die Verweildauer der Frauen im Konstanzer Frauenhaus betrug im Jahr 2021 im Schnitt 59 Tage. Aber was dann?
Ein schwieriger Markt
Der private Wohnungsmarkt in Konstanz ist – sagen wir es ehrlich – eine Herausforderung. Die durchschnittliche Miethöhe in Konstanz liegt aktuell bei 13,90 Euro pro Quadratmeter, so die Einschätzung der Immobilienabteilung der Sparkasse Bodensee. Bei einer Drei-Zimmer Wohnung mit 80 Quadratmetern ergibt das eine Kaltmiete von rund 1.100 Euro, warm kostet eine Wohnung zwischen 1.400 bis 1.500 Euro.
Derzeit besitzt die städtische Wohnungsbaugesellschaft WOBAK 4.155 eigene Wohnungen in Konstanz. Zudem gibt es diverse Wohnbauprojekte, es wird in den nächsten Jahren also mehr Wohnraum geben. Die WOBAK-Wohnungen sind begehrt, denn mit einer WOBAK-Durchschnittsmiete von 7,03 Euro pro Quadratmeter (Stand 31.12.21) sind die Mieten im Vergleich zum privaten Wohnungsmarkt erschwinglich. Wer eine dieser Wohnungen möchte, muss sich bewerben. Im Auswahlprozess der WOBAK werden dann Kriterien wie Einkommen, Größe der Familie, soziales Milieu – also Herkunft und Alter – und die Ausgangssituation der Bewerber:innen berücksichtigt.
Eine Warteliste gibt es nicht, aber viele warten auf eine Wohnung der WOBAK. „Wir können einer vierköpfigen Familie keine Zwei-Zimmer-Wohnung anbieten, da fällt die Familie für so eine Wohnung natürlich aus dem Raster. Und so müssen wir immer wieder Anträge prüfen und passende Mieter finden“, sagt Malte Heinrich, Assistent der Geschäftsführung der WOBAK. Dem Unternehmen ist eine soziale Durchmischung in ihren Häusern wichtig. Dass Jung und Alt, Deutsch und Ausländisch miteinander unter einem Dach leben, ist ein Grundsatz der WOBAK. „Was die Vergabepraxis der WOBAK betrifft, gibt es seit Jahren Stimmen, die diese als intransparent bemängeln,“ sagt Christine Finke, Stadträtin des Jungen Forum Konstanz, die sich für Kinder und Familien einsetzt.
Ämter von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft abhängig
Auf den Bewerber:innenlisten der WOBAK stehen nicht nur Privatpersonen, auch Ämter wie zum Beispiel das Sozial- und Jugendamt der Stadt Konstanz und die AWO sind an WOBAK-Wohnungen interessiert und letztlich auch darauf angewiesen.
Frauen aus dem Frauenhaus, die physisch und psychisch belastet sind und oft erst einmal von Arbeitslosengeld II leben, können sich auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt meist keine Wohnung leisten. „Viele unserer Frauen stehen vor der Entscheidung: Obdachlosigkeit oder zurück in die Gewaltsituation,“ berichten die Sozialarbeiterinnen. Die Statistik zeigt, dass die meisten dann wieder zurück in ihren Gewalthaushalt gehen.
Um solche Situationen zu vermeiden, wünscht sich das Konstanzer Frauenhaus einen festen Wohnungsbestand der WOBAK. „Das Frauenhaus selbst ist ein Haus der WOBAK, aber wir brauchen zwei weitere Wohnungen im Jahr“, sagt eine Beraterin des Frauenhauses.
„Wir können die Frauen in unserem Rahmen unterstützen und für sie da sein. Aber gegen die strukturelle Gewalt, die außerhalb vom Frauenhaus passiert, können wir nichts tun. Und das nehmen wir alle mit nach Hause“
erzählt die Sozialarbeiterin weiter.
Die strukturelle Gewalt erlebt die Sozialarbeiterin so: Bereits seit mehreren Jahren finden Gespräche mit der WOBAK statt, mit der Bitte, dem Frauenhaus zwei Anschlusswohnungen pro Jahr zu gewähren.
Bisher ist das nicht passiert. In 20 Jahren Frauenhaustätigkeit sind lediglich zwei Sozialwohnungen der WOBAK an Frauen aus dem Frauenhaus vergeben worden. Das entspricht einem Prozentsatz von 0,06. „Das ist verschwindend gering“, stellt Julika Funk von der Chancengleichheitsstelle fest. Bei einer Anfrage der Grünen Abgeordneten Nese Erikli zum Thema „Situation der Frauenhäuser im Wahlkreis Konstanz“ im März 2022 stellte sich heraus, dass seit 2017 nur eine Frau aus dem Frauenhaus eine Wohnung der WOBAK beziehen konnte. Die meisten Frauen fanden Wohnraum in anderen Gemeinden.
„Wir können keine Interessensgruppe bevorzugen. Wenn wir der einen Gruppe Zusagen machen, dann kommen die Nächsten“, sagt Malte Heinrich. „Was wir aber Positives berichten können: Unsere Härtefälle sind dieses Jahr um 37 Prozent zurückgegangen. Die Wohnbauprojekte zeigen Wirkung.“ Wichtig zu wissen: Bei dieser Statistik geht es lediglich um die Härtefälle, die sich bei der WOBAK für eine Wohnung beworben haben.
Noch ist keine Lösung in Sicht
Der Konflikt zwischen dem Frauenhaus und der WOBAK ist noch nicht geklärt. „Wir möchten mit der WOBAK einen Kompromiss finden, aber wir stoßen auf ein Patriarchat. Wir Sozialarbeiterinnen bekommen auch keinen Termin bei der WOBAK.“ Die Stadträtinnen Christine Finke und Soteria Fuchs fühlten sich berufen und führten mit dem Geschäftsführer der WOBAK, Jens-Uwe Götsch, und dem Geschäftsführer der BHS Städtebau Bodensee/Hegau, Thomas Fröhlich, ein Gespräch. „Das Gespräch, das eine Stunde dauerte, fand in konstruktiver, sachlicher und offener Atmosphäre statt. Bestehende Zielkonflikte wurden von beiden Seiten aus klar angesprochen“, sagt Christine Finke. „Unsere Position ist, dass es die Aufgabe der Politik ist, für einen Nachteilsausgleich der besonders vulnerablen und diskriminierten Gruppe der Frauen im Frauenhaus zu sorgen.“ Eine Einigung konnte in dem Gespräch nicht gefunden werden. Deshalb brachten das Junge Forum Konstanz, vertreten durch Christine Finke, und die Grüne Liste, vertreten durch Soteria Fuchs, das Thema auf die Agenda im Sozialausschuss.
Die Istanbul-Konvention
Ein weiterer Grund für die Kommune zu handeln, ist die Istanbul-Konvention. Sie wurde auf europäischer Ebene beschlossen und trat 2018 in Deutschland in Kraft. Zweck dieses Übereinkommens ist unter anderem, „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen.“
Dabei sind alle staatlichen Akteur:innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in der Pflicht, dem nachzukommen. Für Frauen ohne eigenen Aufenthaltstitel gelten momentan noch andere Regeln. Sie sind mit weiteren Risiken und Herausforderungen konfrontiert, da sie eine dreijährige Ehebestandszeit einhalten müssen. Deutschland hatte 2018 vorsorglich Vorbehalte eingelegt, da Unsicherheiten bei der Auslegung der Norm bestanden. Ende Oktober hat die Bundesregierung nun bekannt gegeben, „die Vorbehalte gegen die Istanbul-Konvention gegen Artikel 59 zurückzuziehen und die Konvention ab Februar 2023 uneingeschränkt umzusetzen“, berichtet Claudia Krüger, stellvertretende Pressesprecherin des Sozialministeriums in Stuttgart. Der Artikel 59 enthält Regeln zur aufenthaltsrechtlichen Situation von ausländischen Gewaltopfern.
Klar ist: Es mangelt in Konstanz generell an bezahlbarem Wohnraum. „Bei fehlender Perspektive auf Wohnraum ist der Erfolg der Unterstützung und die Wiedereingliederung für Frau und Kinder gefährdet,“ beschreibt Julika Funk die Situation. Mit Diskussion der nachfolgenden Wohnungsversorgung des Frauenhauses im Sozialausschuss wurde das Thema auf die politische Agenda gebracht. Nun stehen weitere Anträge an, um die Situation weiterhin zu diskutieren und im besten Fall Lösungen zu finden.
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