Als die Bundesregierung 2018 den sogenannten „Digitalpakt Schule“ auf den Weg brachte, war das eine ziemlich gute Idee. Tablets, Cloud und Smartboards sollten flächendeckend an Schulen eingeführt werden, um die technische Ausstattung und das Lernen an Schulen zu verbessern. 6,5 Milliarden Euro stellte der Bund dafür zur Verfügung. Was danach folgte, war aber nicht Jubel, sondern Streit.
Erst zwischen Bund und Ländern. Weil Bildung laut Verfassung Ländersache ist und da lassen sich die Länder nur sehr ungern reinreden. Der Bund hat im Grunde keine Macht in der Bildung, er tritt nur als Geldgeber bei vereinzelten Förderprogrammen wie eben dem Digitalpakt auf. Streit gab es in diesem Fall aber nicht nur zwischen Bund und Land, sondern auch zwischen den Ländern und den Kommunen vor Ort.
Hier ging es vor allem um die konkrete Umsetzung. Die Länder klagten, dass die Kommunen die zur Verfügung gestellten Mittel kaum abrufen würden, und die Kommunen erklärten dies ihrerseits damit, dass das gesamte Verfahren, um an die Gelder zu kommen, zu bürokratisch und kompliziert sei. Streit gab es auch um Zuständigkeiten. Klar war, dass die Kommunen die technischen Geräte besorgten. Aber wer für den künftigen Support der Tablets und Smartboards die Verantwortung hatte, musste erst mühsam geklärt werden. Erst recht bei den Geräten für Lehrerinnen und Lehrer. Denn: Für das Lehrpersonal ist eigentlich das Land zuständig.
Historisches Erbe im Schulsystem
Eine Einigung zog sich hin im Zuständigkeitsgerangel. Es war wie so oft: bei Kosten will niemand zuständig sein. Am Ende verständigte man sich doch. Aber es gibt nicht wenige, die sagen, der Streit würde heute noch andauern, wäre die Corona-Pandemie nicht dazwischen gekommen. Dadurch wurden die digitalen Mängel in den Schulen offensichtlich und der Handlungsdruck riesig.
Das Beispiel zeigt, wie komplex das Schulsystem in Deutschland organisiert ist. Es gibt viele unterschiedliche Ebenen und Verantwortlichkeiten und nicht immer ist alles gut miteinander verzahnt. Das hat auch historische Gründe. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus sollte es in Deutschland kein Durchregieren mehr geben.
Vielfältige Entscheidungsebenen waren ein Mittel, um neue Diktaturen zu verhindern. Der Föderalismus – ebenfalls eine Konsequenz aus der Nazizeit, führte zudem dazu, dass jedes Bundesland seine eigenen Schulgesetze und Machtebenen etablierte. In Baden-Württemberg wurde es besonders kompliziert.
Die zwei wichtigsten Player im System
Die wichtigsten Player hier sind das Land und die Kommunen. Sie investieren auch am meisten in Bildung. Laut Statistischem Bundesamt gaben die Länder 2022 insgesamt 121,7 Milliarden Euro für Bildung aus, die Gemeinden und Zweckverbände 43,9 Milliarden Euro. Der Beitrags des Bundes nimmt sich demgegenüber bescheiden aus – rund 11 Milliarden Euro flossen aus Berlin in die Bildung.
Nach Bundesländern hält Nordrhein-Westfalen den ersten Platz mit den höchsten geplanten öffentlichen Bildungsausgaben (34,8 Milliarden Euro) für das Jahr 2022, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg (siehe öffentliche Bildungsausgaben in Deutschland nach Bundesländern). Damit entspricht die Reihenfolge grob den Schüler:innenzahlen in den einzelnen Ländern.
Während das Land für die sogenannten inneren Schulangelegenheiten zuständig ist, also für alles, was mit Lehrplan, Klassengröße, Pädagogik und Lehrkräften zu tun hat, sind die Kommunen für die äußeren Schulangelegenheiten verantwortlich. Dazu zählen die Gebäude, die finanzielle Ausstattung, die Planung, der Bau und die Pflege dieser Infrastruktur. Auch die Schulsekretariate und Hausmeisterdienste werden vor Ort geregelt.
Die Schulsozialarbeit wird ebenfalls über die Stadt oder die Gemeinde koordiniert. Allerdings nicht über das städtische Amt für Bildung und Sport, das sonst alle schulischen Angelegenheiten einer Gemeinde steuert, sondern über das Jugendamt. Geregelt sind all die verschiedenen Zuständigkeiten wiederum über das Schulgesetz des Landes.
Diese Behörden sind für die Schulaufsicht zuständig
Weil Regeln ja auch kontrolliert werden müssen: Die Kontrolle dieser Aufgaben liegt bei der Schulaufsicht. Und die ist in Baden-Württemberg kompliziert und über drei Stufen organisiert. In den meisten anderen Bundesländern ist sie einfacher strukturiert. Die erste Stufe ist der Landtag beziehungsweise das Kultusministerium. Das Landesparlament erlässt durch das Schulgesetz den inhaltlichen und personellen Rahmen für Schulen in Baden-Württemberg. Das Ministerium füllt diesen Rahmen mit Rechtsverordnungen, Erlassen und Verwaltungsvorschriften.
Auf der zweiten Stufe folgen die Regierungspräsidien (RP), im Fall von Konstanz ist es das Regierungspräsidium Freiburg. Es überwacht die Schulen, unterstützt die Schulträger und setzt die Bildungspolitik des Landes vor Ort um. Regierungspräsidien sind auch für die Einstellung von Lehrkräften und die Personalverwaltung für Gymnasien und Berufliche Schulen verantwortlich.
Der direkte Draht vom Gymnasium zu Regierungspräsidium
Zu den konkreten Aufgaben der Regierungspräsidien gehören die Fachaufsicht über die zugeordneten Schulen, die Dienstaufsicht über die Schulleitungen und Lehrkräfte. Das RP wacht aber auch darüber, dass die Schulträger, also Kommunen, Landkreise oder Privatanbieter, ihren Aufgaben nachkommen. Verantwortlich sind die Regierungspräsidien zudem für die Bearbeitung von beamten- und schulrechtlichen Fragen ebenso wie für die Organisation von zentralen Prüfungen und die Gestaltung der Rahmenvorgaben für die schulische Arbeit. Allerdings nur für die Gymnasien und die Beruflichen Schulen.
Die Budgets einzelner Schulen im Schulsystem in Baden-Württemberg werden in der Regel von den Schulträgern, also den Gemeinden und Landkreisen, die für die Organisation und Finanzierung der Schulen auf ihrem Gebiet verantwortlich sind, verwaltet.
Die Schüler:innenanzahl, die Schulart, die pädagogischen Ziele und die Bedürfnisse der Schule sowie weitere Faktoren bilden die Grundlage für das Budget von Schulen. Die Schulträger sind dafür verantwortlich, die finanziellen Ressourcen den Schulen zur Verfügung zu stellen, um den Schulbetrieb sicherzustellen und die Bildungsziele zu erreichen.
Die genauen Finanzierungsregelungen und -mechanismen können von Schulträger zu Schulträger variieren, sie müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben des Landes Baden-Württemberg halten. Das Kultusministerium von Baden-Württemberg kann ebenfalls Richtlinien und Empfehlungen für die Schulfinanzierung herausgeben, um die Gleichbehandlung und Qualitätssicherung im Bildungssystem sicherzustellen.
Die Mitbestimmung der Schulen und ihrer Gremien, wie die Schulkonferenz und der Schülerrat, kann in bestimmten Fällen die Budgetentscheidungen beeinflussen. Diese Gremien können Vorschläge und Empfehlungen zur Verwendung der finanziellen Mittel der Schule abgeben und an Entscheidungsprozessen teilnehmen, um sicherzustellen, dass die Mittel den Bildungszielen der Schule dienen.
Für alle anderen Schulen, also Grund-, Werkreal-, Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen sowie sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, sind die Staatlichen Schulämter als dritte Stufe der Schulaufsicht in der Verantwortung. Sie sind den jeweiligen Regierungspräsidien untergeordnet. Hier vor Ort bedeutet das: Das Staatliche Schulamt Konstanz kümmert sich um diese Schulen in den Landkreisen Konstanz und Tuttlingen. Zu den Aufgaben zählt neben der Dienst- und Fachaufsicht über die Schulleitungen und Lehrkräfte auch die Personalversorgung und die Unterstützung, Beratung und Begleitung der Schulen.
Was Schulamt und Regierungspräsidium unterscheidet
Die Staatlichen Schulämter sind mit eigenem Personal ausgestattet. Tätig sind dort meist erfahrene ehemalige Schulleitungen oder Juristen. Diese sind den Schulen gegenüber weisungsberechtigt. Klassisch geht es da um die Kontrolle der vorgeschriebenen Abläufe und Vorgaben und damit auch um ein Eingreifen bei Verstößen. Über die Kontrolle hinaus verstehen sich die meisten Staatlichen Schulämter heute aber auch als Ansprechpartner für alle Bereiche der Bildungs- und Schulentwicklung in der Region.
Die Idee hinter der Trennung der Zuständigkeiten zwischen RP und Schulamt lautet: Die Regierungspräsidien übernehmen die übergeordnete Aufsicht und Steuerung der Schulen auf Ebene der Regierungsbezirke, während die Staatlichen Schulämter die Umsetzung und die Unterstützung der Schulen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen sicherstellen. Warum die Gymnasien direkt vom Regierungspräsidium gesteuert werden, die restlichen Schulen aber über eine untergeordnete Behörde ist rational kaum zu erklären.
Die Rolle der Schulleiter:innen
An den einzelnen Schulen gibt es natürlich auch noch die Schulleiterinnen und Schulleiter. Sie müssen in dem Rahmen arbeiten, den ihnen die übergeordneten Ebenen zur Verfügung stellen. Sie sind für die Organisation und Verwaltung ihrer Schule zuständig. Sie setzen die Bildungspläne um, koordinieren den Unterricht und sind für die pädagogische Entwicklung der Schule verantwortlich.
Und, last but not least, sind da noch drei weitere wichtige Anspruchsgruppen, die ihrerseits Mitsprache im Schulsystem einfordern: die Lehrer:innen, die Eltern und die Schüler:innen. Sie sind in unterschiedlichem Maße organisiert und haben entsprechend unterschiedlichen Einfluss auf die Entwicklung in ihrer Schule.
Die schwierige Position der Kommunen
Bei so vielen unterschiedlichen Ebenen und Zuständigkeiten wundert es einen fast, dass nicht noch mehr schief läuft im baden-württembergischen Schulsystem. Christina Wieda, die bei der Bertelsmann-Stiftung im Projekt „Schulische Bildung“ forscht und sich seit 2012 intensiv mit den Baustellen in den Kommunen beschäftigt, sieht die Probleme im System sehr klar. „Im Beziehungsgeflecht zwischen Bund, Ländern und Kommunen haben die Kommunen oft die schwierigste Position. Sie müssen nach Kräften das umsetzen, was ihnen von Bund und Land vorgesetzt wird“, sagt die Expertin für kommunale Koordination.
„Die Länder müssen endlich Verantwortung für Bildungspolitik übernehmen.“
Christina Wieda, Bertelsmann-Stiftung
Konkretes Beispiel – der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen. „Weil die Länder es versäumt haben, rechtzeitig auf diesen gesellschaftlichen Bedarf nach mehr Ganztagsbetreuung zu reagieren, hat der Bund nun das Gesetz erlassen und die Kommunen müssen es ausbaden“, sagt Wieda. Wie genau das gehen soll, ist bislang kaum absehbar.
Christina Wieda befürchtet aber, dass es auf Kosten der Qualität und der Bildungsgerechtigkeit gehen wird. „Die Kommunen werden darum bemüht sein, möglichst viele Plätze zu schaffen und das Land drängen bei der Qualität der Betreuung eher mangels Fachkräften, Platz und Geld Abstriche zu machen. Und manche Kommunen investieren in erster Linie dort, wo sie von Eltern verklagt werden könnten. Dass das eher in Schulen in wohlhabenden Bezirken möglich ist, führt dazu, dass sich in ohnehin benachteiligten Schulen und Bezirke Benachteiligung verstärkt“, sagt die Forscherin.
Mehr Grundfinanzierung, weniger Förderprogramme
Wieda sieht hier vor allem die Länder in der Pflicht: „Sie müssen endlich Verantwortung für Bildungspolitik übernehmen!“ Zum Beispiel über eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen für den Bildungsbereich, damit diese ihre Aufgaben besser wahrnehmen können. Und damit meint sie nicht das x-te Förderprogramm, sondern wirklich eine bessere Grundfinanzierung.
Denn: „Förderprogramme wie der Digitalpakt können für Länder und Kommunen immer nur eine kurzzeitige haushalterische Entlastungswirkung entfalten. Zu einer nachhaltigen Finanzierung des Bildungswesens tragen sie nicht bei. Dazu kommt: Der konzeptionelle und administrative Aufwand für die Mitteleinwerbung und -verwendung sowie die entsprechenden Nachweispflichten sind oft sehr hoch. Das ist wenig effizient“, sagt Christina Wieda.
Brauchen Schulen mehr Freiheit in der Verwendung ihres Budgets?
Sie rät Kommunen dazu, den Gestaltungsspielraum, den sie haben, auch zu nutzen. Vor allem im Bereich der Verteilung der Schulbudgets: „Nach dem Motto ‚Ungleiches ungleich behandeln‘ sollte man hier genau schauen, welche Schule besonders viel Unterstützung braucht, und dann auch entsprechend Gelder verteilen“, so Christina Wieda. Zudem sollten die einzelnen Schulen mehr Freiheit bekommen, was sie mit den zugeteilten Mitteln machen: „Mehr Schulautonomie kann Entscheidungen vor Ort besser machen“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt.
Vielleicht wäre es aber auch ganz grundsätzlich nochmal eine gute Idee, über Strukturen im baden-württembergischen Schulsystem nachzudenken. Denn: Gerade die schleppende Umsetzung des Digitalpakts hat gezeigt, dass das größte Problem bei den Ländern liegt.
Was man aus dem Digitalpakt lernen kann
Dort war zu beobachten, „dass der Abfluss der Digitalpaktmittel in den Stadtstaaten, wo es die Trennung zwischen Land und Kommune so nicht gibt, viel schneller geht“, wie Alexander Handschuh vom Städte- und Gemeindebund gegenüber dem Handelsblatt sagte. In der Tat lagen Hamburg, Bremen und Berlin zum Start des Programms an der Spitze – alle anderen folgten zunächst mit deutlichem Abstand.
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