Am 27. Januar wurde der siebte Klimaschutzbericht der Stadt Konstanz veröffentlicht. Auf 55 Seiten inklusive Anlagen zieht er erstaunlich offen Bilanz: Konstanz liegt deutlich hinter seinen Plänen zurück. Das überrascht wenig, ernüchtert trotzdem. Der Bericht verdeutlicht, dass die „Abweichung zu den Zielsetzungen gemäß Klimaschutzstrategie immer größer wird“.
Noch düsterer die Zukunftsaussichten: „Große Abweichungen zur Zielsetzung sind ohne starkes gesamtgesellschaftliches Gegensteuern auch für die Folgejahre zu erwarten, da inzwischen die vom Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) eingeräumte „Hochlaufzeit“ für eine Vervielfachung der Klimaschutzanstrengungen abgelaufen ist und der Absenkpfad entsprechend steiler verläuft“.
Mit anderen Worten: Konstanz hatte eine Schonzeit eingeplant, diese aber nicht dazu genutzt, das geplante Soll effektiver zu erfüllen, Anlauf zu nehmen und durchzustarten. Stattdessen hat es sich geschont. Die CO2-Emissionen 2021 waren sogar höher als 2019.
Konstanz hat seine Schonzeit nicht genutzt
Ein gutes Negativ-Beispiel hierfür ist der Ausbau der Photovoltaik. Gerade einmal ein Sechstel des geplanten und benötigten Ausbaus wurde erreicht. Und das, obwohl man damit sogar Geld verdienen könnte. Investitionen in Sonnenenergie amortisieren sich nahezu ausnahmslos in kurzer Zeit. Investitionen in die Photovoltaik sind derzeit die gewinnbringendste Form von Klimaschutz. Eigentlich ein sogenannter No-Brainer. (Wer sich also gerade fragt, ob eine Solaranlage aufs Dach soll: Machen! Oder zumindest jetzt beauftragen!)
Aber auch hier gilt wie so oft: Die tiefhängenden Früchte lassen sich am Anfang am einfachsten ernten. Bei den anspruchsvolleren Projekten werden die Hürden deutlich höher liegen. Ist Konstanz womöglich in eine Planungsfalle getappt? Wurde zu lange und zu gründlich geplant und priorisiert? Gegen Planung an sich ist nichts einzuwenden. Ohne eine gewisse Planung geht es nicht.
In Katastrophen aber gilt es vor allem, schnell loszulegen. Tun, nicht nur planen. Hat das Schiff ein Leck, wäre es ungut, länger zu berechnen, an welcher Stelle ich idealerweise mit dem Schöpfen anfange, um das beste Gesamtergebnis zu erreichen. Ich beginne doch sofort zu schöpfen, wo bereits Wasser im Schiff ist. Es zählt jede Minute.
Geplante Sofortmaßnahmen reichen nicht aus
Der Konstanzer Gemeinderat hatte bereits eine Reihe an Sofortmaßnahmen beschlossen. Der Klimaschutzbericht aber macht überdeutlich, dass diese nicht ausreichen, um der Klimakatastrophe angemessen entgegenzutreten. Die Maßnahmen reichen nicht mal, um den eigenen Plan auch nur ansatzweise einzuhalten.
Hauptautor des – bezogen auf die Leistungen der Stadt – selbstkritischen Klimaschutzberichts ist Lorenz Heublein in seiner Funktion des aktuellen Leiters der Stabsstelle Klimaschutz. Just am Tag der Veröffentlichung des Berichts hat der Gemeinderat über die Besetzung einer neu zu schaffenden Stelle eines Amtsleiters für Klimaschutz abgestimmt.
Zur großen Überraschung aller – meinem Eindruck nach auch vieler abstimmenden Gemeinderät:innen – fiel die Wahl nicht auf Lorenz Heublein, sondern auf einen bisher in Sachen Klimaschutz in Deutschland gänzlich unbefleckten Bewerber, den Projektmanager Philipp Baumgartner. Sein Themengebiet bisher: Entwicklungshilfe. Passt ja auch irgendwie. Derzeit arbeitet er in Südafrika für eine Organisation der UN. Lorenz Heubleins De-facto-Abwahl könnte den Eindruck erwecken, er würde für die bisherigen eklatanten Verfehlungen der Klimaziele der Stadt Konstanz verantwortlich gemacht. Zumindest legt die zeitliche Verquickung dies nahe.
Neubesetzung verzögert den Klimaschutz weiter
Das dürfte aber zu einfach gedacht sein. Schließlich hat der Leiter der Stabsstelle Klimaschutz keine Weisungsgewalt über die größten Hebel der Konstanzer Energiewende. Diese finden sich unter anderem bei den Stadtwerken und der WOBAK. Heublein zum Sündenbock zu machen, mag aber ein paar Monate von den grundlegenden Problemen ablenken.
Eine Neubesetzung der Leitung erhöht die Gefahr, dass sich die nötigen Quantensprünge im Konstanzer Klimaschutz weiter verzögern. Der Neue tritt seine Stelle erst im Juli an. Baumgartner wird wohl mehrere Monate benötigen, bis er Abläufe, Netzwerke und die speziellen Klimaschutzbelange in Deutschland und Konstanz erarbeitet hat, einmal abgesehen davon, dass nebenbei die Strukturen des neuen Amtes geschaffen werden müssen. Ob Heublein ihm dabei hilft? Quasi degradiert dem Neuen, der ihm vor die Nase gesetzt wurde, Starthilfe leisten? Der Sache wegen? Öffentlich wollte er dazu nicht Stellung nehmen.
Wollen wir angesichts der Wichtigkeit hoffen, dass Baumgartner von Anfang an – idealerweise bereits vor seinem Antritt – Unterstützung von allen Seiten erhält. Dass nicht zuletzt Oberbürgermeister Burchardt Farbe bekennt und Klimaschutz zur prioritären Chefsache erklärt. Das neue Amt für Klimaschutz gehört bald zu seinem Dezernat, die Weichen sind also gestellt.
Der Klimaschutz-PR sollten jetzt endlich auch Taten folgen
Auch wenn Burchardt bis vor kurzem als Fürsprecher für den Bau einer weiteren Erdgaspipeline aufgefallen ist, ist nun mehr denn je gefragt, der positiven Klimaschutz-PR in Konstanz auch handfeste Taten folgen zu lassen. Sehnsüchtig schweift der Blick nach Meersburg, wo sich Bürgermeister Robert Scherer seit Jahren persönlich und mit viel Engagement für eine klimafreundliche Energiegewinnung aus Seewärme einsetzt.
Das Pressereferat der Stadt hingegen betont gerne und oft – zuletzt in der Pressemitteilung zur Neubesetzung der Stelle – dass Konstanz die erste Stadt war, die den Klimanotstand ausgerufen hat. Weitere Ruhmesgeschichten sind vor allem als Gedankenspiele zu finden. Der aktuelle Klimaschutzbericht macht dies schmerzlich deutlich. Er führt die „eingespielten Verhaltensmuster“ an, die verhindern, dass „neue klimafreundliche Lösungen konsequent umgesetzt werden“.
Auch unbequeme Entscheidungen sind erforderlich
Ein Grund mehr, dass Oberbürgermeister Uli Burchardt als Verwaltungschef und Aufsichtsratsvorsitzender der städtischen Beteiligungen, denen eine Schlüsselrolle bei der Energiewende zukommt, allen Beteiligten deutlich macht, dass Klimaschutz nicht nur ein Kreuzchen auf einer Gemeinderatsvorlage ist, sondern tatsächlich bei jedem Vorgang quer durch alle Ämter, Abteilungen und städtischen und privatwirtschaftlichen Organisationen bedacht werden muss.
Und umgesetzt. Vor allem umgesetzt. Auch unbequeme Entscheidungen sind mehr denn je erforderlich. Diese sind gut begründbar und rechnen sich für eine Stadt, zumindest, wenn man langfristig denkt, und die jungen Menschen und Folgegenerationen nicht einfach aus der Rechnung streicht.
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