Gemeinsam mutig für die Stadt der Zukunft

Was müssen wir tun, damit unsere Stadt klimagerecht wird, und was wird bereits getan? In Zeiten, in denen die Erderwärmung und ihre Folgen auch bei uns in Mitteleuropa immer deutlicher zu spüren sind, möchte karla die Bürger:innen in Denkprozesse für eine lebenswertere Zukunft einbeziehen.
Foto der Podiumsbühne
Auf dem Podium (v.l.n.r.): Hannes Munk, Frank Oberzaucher, Maren Rühmann. Moderation: Moritz Schneider

Die Podiumsdiskussion „Klimagerechte Stadt – ganz praktisch?!“ fand in Kooperation von Universität Konstanz, HTWG Konstanz und karla statt. Für einen möglichst breiten Blick auf das Thema waren Vertreter:innen der Stadt Konstanz, der Wissenschaft und eine Wohngenossenschaftlerin geladen. Ein Inputreferat hielt Luigi Pantisano, ehemaliger Kontrahent von Uli Burchardt im Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters. Als Dozent leitet er aktuell gemeinsam mit Rebecca Fox von der Deutschen Umwelthilfe das SQ-Seminar „Klimagerechte Stadtentwicklung“ an den beiden Konstanzer Hochschulen. Luigi Pantisano nahm am Podium in seiner Rolle als Stadtplaner teil. Wenn sich Städte heute entwickelten, dann müsse dies klimagerecht und bürgernah geschehen. Dabei sei die Klimafrage nicht zu trennen von der sozialen Frage.

Im Zentrum steht der Mensch, nicht mehr das Auto

Grundprinzip der Stadtentwicklung müsse eine Kreislaufwirtschaft sein, zu welcher auch Müllvermeidung und die Wiederverwendbarkeit von Dingen gehöre. Wenn die Klimaziele bis 2030 erreicht werden sollen, müsse die Zahl der Fußgänger:innen erhöht werden. Als konkretes Beispiel, wie das durchgesetzt werden könne, zog Luigi Pantisano das Projekt der autofreien Innenstadt der Stadt Stuttgart heran. Fahrzeuge sollen am Zentrumsrand geparkt werden, während die Innenstadt vor allem für Fußgänger:innen attraktiv gestaltet wird. „Wohnen, Arbeiten, Konsumieren rücken hier näher zusammen.“

Urban Farming und Gardening Projekte, wie sie unter anderem im Konstanzer Berchengebiet betrieben werden, sind Projekte, die in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen werden. Ein wichtiger Zukunftsaspekt ist, die Priorität weniger auf Neubauten denn auf Erhalt und Erweiterung zu legen. Verdichtung ist für viele Menschen jedoch negativ konnotiert. Dabei hat zum Beispiel das Paradies, eines der beliebtesten Quartiere in Konstanz, durch die Blockrandbebauung die höchste Dichte der gesamten Stadt. Auch im Bausektor, der rund 30 Prozent der CO2-Emissionen einer Stadt ausmacht, braucht es also „eine neue Kultur des Pflegens und Reparierens“.

Mehr Partizipation für Konstanz

Hannes Munk vom Amt für Stadtplanung und Umwelt vertrat in der Diskussion die Stadt, Frank Oberzaucher, Dozent für empirische Sozialforschung und Stadtsoziologie an der Universität Konstanz, die Wissenschaft und den Standpunkt der Praktikerin nahm Maren Rühmann von der Wohngenossenschaft „Wohnprojekt Konstanz“ ein, das nachhaltige, gemeinnützige Lebensformen anstrebt und dafür Bauland sucht. Moritz Schneider vom karla Magazin moderierte das Podium: „karlas Ziel ist es, partizipative Elemente voranzubringen. Ich hoffe, dass wir bald mehr solcher Veranstaltungen in die Stadt bringen dürfen.“

Die Einstiegsfrage an das Podium lautete, was Klimagerechtigkeit für sie bedeute. Maren Rühmann sieht ihre Rolle als Bürgerin, nicht als Expertin: „Für mich ist das relativ komplex. Wie kann ich mit unterschiedlichen Lebensvoraussetzungen Gerechtigkeit bei dem Thema schaffen? Wer kann sich ein Elektroauto leisten oder wer aufs Auto verzichten? Gerechtigkeit ist ohnehin schon schwierig – bei Klimagerechtigkeit müssen wir die unterschiedlichen Facetten der Lebensumstände im Blick behalten.“

Der Frage Moritz Schneiders, ob „der Mensch nur ein Schädling im System sei“, widersprach Frank Oberzaucher ausdrücklich. Die Idee, die Gesellschaft zu „reparieren“, wie Luigi Pantisano dies in seinem Vortrag anklingen ließ, höre er heute zum ersten Mal. „Diese Vorstellung gefällt mir. Der Mensch ist aber nicht einfach mit einem Schädling gleichzusetzen.“ Es gehe darum, ob wir verantwortungslos handelten oder nicht.

Menschen wohnen dort, wo Arbeit ist

Hannes Munk hatte als Vertreter der Stadtverwaltung keine einfache Rolle, konnte aber mit seiner offenen Haltung Sympathiepunkte sammeln. In der Auseinandersetzung darüber, ob bei der zwingend nötigen Wohnraumbeschaffung der Bestand ausreichend geprüft werde, bevor freie Wiesen zugebaut würden, argumentierte er, dass die Stadt nur den Rahmen schaffen könne. Bürgerschaft, Wirtschaft und Verwaltung müssten zusammenarbeiten. Auch die Wissenschaft wird in solche Prozesse miteinbezogen. „Wir sind nicht nur Beobachter“, sagt Stadtsoziologe Frank Oberzaucher. „Bei der Begleitung von Stadtteilentwicklungsprojekten habe ich die Personen in der Verwaltung als sehr offen wahrgenommen.“

„Siehst du es eher als Kooperation oder Kampf, den Rahmen für einen Austausch zwischen Bürger:innen und Stadt zu schaffen?“, möchte Moritz Schneider von Maren Rühmann erfahren. „Es ist kein Kampf, aber aus unserer Sicht geht alles zu langsam.“ Dies liege daran, dass vieles ein wenig komplexer sei, als es aussehen mag, rechtfertigt Hannes Munk das Tempo. Gutachten, Analysen, Lärmprüfungen, Umwelt, Petitionen; die Prozesse liefen nicht nur im eigenen Haus ab, sondern gingen auch über das Regierungspräsidium.

Mut war ein wiederkehrender Begriff. Frank Oberzaucher fand, dass die Stadt schon auch mal mutiger agieren könne, um Prozesse zu beschleunigen. Maren Rühmann nannte als Beispiel für zu wenig Mut die Fahrradstraße, die zwar gut sei, aber ein Kompromiss, da dort immer noch Autos fahren dürften.

Gestaltungs­spielräume von Flächen und Sozialem prüfen

Um die Zuhörer:innen in den Denkprozess über eine klimagerechte Stadtentwicklung einzubinden, wünschte sich Moritz Schneider einen Vorschlag für ein Stadtviertel, an dem Vorgehensweisen der Stadtteilentwicklung fiktiv durchgespielt werden könnten. Die Entscheidung fiel auf Petershausen-West.

Hannes Munk würde als Erstes die notwendigen Schritte einleiten, um ein Sanierungsgebiet daraus zu machen. Die Sanierung müsse für Kommune und Eigentümer:innen tragbar sein. „Hingehen, sich engagieren, eigene Ideen einbringen und schauen, wo Gestaltungsspielräume bezüglich Fläche, aber auch im Sozialen sind“, ist der Ansatz von Maren Rühmann.

Mehr Wertschätzung für den öffentlichen Raum

Aus den Reihen der Zuhörer:innen wurde der öffentliche Raum zurückgefordert. „Petershausen-West ist so vollgeklatscht. Wir müssen dem Platz einen besseren Wert zuführen.“ Ein weiterer Gast möchte wissen, welche Bemühungen unternommen werden, um nicht-akademisierten Menschen in das Thema Klimagerechtigkeit einzubinden. „Das ist eine Riesenherausforderung“, gibt Hannes Munk zu. Mit der Integrationsstabsstelle arbeite die Stadt aktuell daran, Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen.

Das Plädoyer einer Studentin, die auf die Dringlichkeit zum Handeln hinwies, sorgte für Nachhall. Mit der Förderung von Solarzellen müsse es vorangehen, auch wenn die Abläufe komplex seien, um Photovoltaikanlagen in Betrieb zu nehmen, und zusätzliches Personal bei der Stadt nötig wäre und auch Privatpersonen dabei auf eine steuerrechtlich komplexe Situation stoßen. „Dann stellt bitte dieses Personal an, das Thema ist wichtig. Wir müssen groß denken und was machen, weil es gerade um alles geht!“

Das öffentliche Podium „Klimagerechte Stadt – ganz praktisch?!“ fand am 13.05.2022 an der HTWG Konstanz als Teil des SQ-Seminars „Klimagerechte Stadtentwicklung“ unter der Leitung von Rebecca Fox und Luigi Pantisano statt. karla begleitete das Seminar aus Perspektive der demokratischen Meinungs- und Medienbildung.