Am liebsten würde ich allen das Du anbieten – dann muss sich niemand mit meinem Nachnamen abmühen. „Guten Tag, Frau van Hunns, nein, sorry: van Henning?“ – „Einfach Yvonne – passt!“ Doch so einfach ist das nicht. Außerdem sind wir ja nicht in Vorarlberg, wo mir in meiner Ausbildung selbst der damalige Landeshauptmann beim ersten Treffen das Du angeboten hat.
In der Schweiz und Deutschland passiert sowas höchstens oberhalb der Baumgrenze. Und bei der Fasnet. Unabhängig vom Alkoholpegel gibt es dann kein Siezen auf den Straßen von Basel, Luzern, Köln, Konstanz oder Kreuzlingen. Leider ist das oft nicht nachhaltig. Den älteren Handwerker Heinz, der mir am Schmotzigen in der Niederburg einmal das Leid über seine Enkel geklagt hatte, traf ich kurz darauf wieder: Nachdem ich ihn geduzt und an unseren Abend erinnert hatte, wurde die Reparatur teurer. Natürlich per Sie.
Ist Kreuzlingen lockerer als Konstanz?
Gibt es da einen Unterschied zwischen der Schweiz und Deutschland? Der Alltagstest fern der Fasnet in Kreuzlingen und Konstanz zeigt, dass ich mit dem Du bei der unbekannten Bäckereiverkäuferin in Kreuzlingen eher durchkomme als in Konstanz bei meiner Stammbäckerei, wo ich mich wegen des verdutzten Gesichts gleich für meinen Fauxpas entschuldigt habe. In der Kreuzlinger Beiz um die Ecke kassiere ich gleich ein Du, wenn ich die Thekenkraft duze, während die Bedienung in Konstanz beim Sie bleibt. Das ist nicht repräsentativ, aber da ist was dran.
Schweizer:innen halten sich in dieser Hinsicht für progressiver, so das Ergebnis meiner ebenso nicht repräsentativen Umfrage. Sagen wir es so: Viele nutzen bewusster das Aus- und Eingrenzende von Sie und Du. Mit dem Hamburger Duzen – „Du, Frau Schmidt …“ – und all den deutschen Zwitterformen hält sich kaum jemand auf. Es kann schnell gehen, dass jemand mit mir „Duzis macht“. Aber nur wenn es nützlich erscheint. Ich freue mich trotzdem: Ich gehöre irgendwie dazu!
Wann Siezen zur Pflichtaufgabe wird
Menschen einer Berufsgruppe duzen sich in der Schweiz per Definition. Das gilt auch im Journalismus. In Deutschland habe ich, haben Kolleg:innen von mir das noch ganz anders erlebt. Wenn aber in der Schweiz jemand aus der PR-Branche versucht, mit dem Du bei „Journis“ einen auf Kollegialität zu machen, wird die Nase gerümpft. Und wenn der rechtskonservative Journalist und Politiker Roger Köppel vor mir säße … dann siezte ich – keine Frage!
„Completely brainwrecked“, sagt da mein britischer Freund Jamie und duzt alles, jede und jeden. Doch was für Jamie als Lösung daherkommt, endet für mich nicht selten im Dilemma. Schreibe ich einem australischen Professor an der Uni Zürich eine förmliche Mail, um ihn zu treffen, antwortet er gleich mit „Dear Yvonne“ und endet mit „Love, Tom“. Bei seinem Schweizer Kollegen bin ich auch nach x Mails noch bei „Sehr geehrter Herr Professor Müller“. Ich treffe beide gemeinsam und hangle mich mit komplizierten Formulierungen durch das Gespräch. Professor Müller lässt mich schwitzen.
81 Prozent der Deutschschweizer Unternehmen duzen ihre Kund:innen
Um das zu vermeiden, haben viele Unternehmen in der Schweiz mittlerweile das Du zur Pflicht gemacht. Auch weil englischsprachige Fachkräfte immer wichtiger werden und im Vielsprachenland Englisch immer mehr die Oberhand gewinnt. Im letzten Jahr wurde eine Umfrage bei Unternehmen durchgeführt, bei der sich 81 Prozent in der Deutschschweiz zu einer Du-Kultur bekannt haben. Sei es bei Sigg oder natürlich bei internationalen Konzernen wie Ikea: Es wird geduzt.
Selbst in manchen Supermarktketten wurden die Mitarbeitenden gebrieft, die Kundschaft konsequent zu duzen. Quasi Vorarlberg per Dekret. Es hagelte Kritik an der sogenannten Ami-Unart. Kund:innen wollten wie König:innen behandelt, also respektvoll per Sie angesprochen werden. Und per Vornamen vom Chef angebrüllt oder rausgeworfen zu werden, mache den Job-Alltag nicht leichter, hieß es.
Ein Schritt weg vom Ausgrenzenden
Aber auch wenn Lockerheit nicht auf Anweisung geht: Es ist ein weiterer Schritt weg von „Eurer Hoheit“ und allem Ausgrenzenden, was damit verbunden ist. Und selbst wenn Konstanz dafür noch nicht reif ist, bin ich für die Abschaffung von: „Was an der Fasnet passiert, bleibt an der Fasnet.“ Einmal Duzis, immer Duzis, Heinz! Love, Yvonne
Ein System am Limit
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