Ist die direkte Demokratie gut für den Klimaschutz?

Die Schweizer:innen stimmen in einem Referendum für ein ambitioniertes Klimaschutzpaket. Welche Lehren lassen sich daraus für andere Länder ziehen?
Grafik: Alexander Wucherer

Eine deutliche Mehrheit von knapp 60 Prozent der Schweizer Bürger:innen hat am Wochenende für ein ambitioniertes Klimaschutzpaket gestimmt: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral werden. Um dies zu erreichen, sind u.a. Förderprogramme zum Ausbau der Erneuerbaren Energien oder zum Austausch von Heizungen mit fossilen Brennstoffen vorgesehen.

In Zeiten, in denen Deutschland selbst mit seinem eigenen Heizungsgesetz hadert und der Ausbau der Erneuerbaren im Ländle auch nach über zehn Jahren grün-geführter Landesregierung irgendwie nicht so richtig vorwärtszukommen scheint, erscheint das Schweizer Referendum-Ergebnis wie ein Lichtblick im dunkelsten Abschnitt des Tunnels. Könnte die direkte Demokratie die Klimablockade lösen, die zerstrittenen Koalitionspartner der Ampelregierung mit einer ambitionierten Klimapolitik elegant umspielen und so für die dringend notwendigen Impulse im Klimaschutz sorgen? Und wenn ja, sollten wir dann nicht vom Nachbarn Schweiz lernen und dieses Instrument noch viel stärker nutzen als bisher?

Reflexhafte Abwehrhaltung?

Wie immer gibt es hier Pro und Contra. Positiv könnte man vermerken, dass über die Instrumente der direkten Demokratie durchaus auch radikalere und potentiell innovative Ideen in den politischen Diskurs eingespeist werden – man denke etwa an die Volksinitiative zum bedingungslosen Grundeinkommen in der Schweiz, die zwar nicht erfolgreich war, aber dennoch den Diskurs um sozialpolitische Innovationen bereichert hat. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Beispiele für erfolgreiche Referenden, die den sozialen und politischen Fortschritt eher behindert haben, wie das berühmt-berüchtigte Referendum zum Minarett-Verbot oder das Referendum zur befürchteten „Masseneinwanderung“ aus der EU aus dem Jahr 2014, das die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz nachträglich belastete und letztlich geschicktes Taktieren und faktisches Ignorieren des Referendum-Ergebnisses erforderte, um den Schaden halbwegs zu begrenzen.

Diese kurzen Beispiele zeigen schon: Direkte Demokratie kann zwar ab und an innovative Impulse setzen; es überwiegen aber Reflexe des Konservatismus und der reflexhaften Abwehrhaltung. Das ist auch kein Zufall, denn Mobilisierungskampagnen im Vorfeld von Referenden können von populistischen Parteien und Interessengruppen genutzt werden, um Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung zu wecken. Auch dies ist im Vorfeld des Klimareferendums von der rechtspopulistischen SVP versucht worden – dieses Mal haben diese Strategien allerdings nicht ihre giftige Wirkung entfalten können. Der Problemdruck im Klimaschutz ist einfach zu hoch – und die anderen Parteien außer der SVP sprachen sich für das Klimaschutzgesetz aus. 

Direkte Demokratie im Klimaschutz

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass zwei Jahre vorher eine andere direktdemokratische Initiative zur Senkung der CO2-Emissionen krachend am Widerstand der Bauernverbände und der ländlichen Räume gescheitert ist. Hinzu kommt, dass auch mit dem neuen Klimaschutzgesetz die Schweiz bestenfalls zum europäischen Mittelfeld aufschließt. Andere Länder sind bei den Klimazielen und den daraus abgeleiteten Maßnahmen wesentlich ambitionierter.

Welche Lehren kann man aus den Schweizer Erfahrungen ziehen? Ich bin und bleibe skeptisch, ob das Instrument der direkten Demokratie zur Durchsetzung einer ambitionierten Klimaschutzpolitik taugt. Die Gefahr, dass angstgetriebene Mobilisierungsmaßnahmen zu konservativen Abwehrreflexen führt, ist groß – wobei ironischerweise die SVP im aktuellen Fall genau solche angstgetriebenen Mechanismen dafür verantwortlich macht, dass Menschen (aus ihrer Sicht) zu viel Klimaschutzpolitik wollen. Eine hochkomplexe Materie wie die Klimaschutzpolitik lässt sich schwerlich auf Flyerformat herunterkochen, sondern erfordert Aushandlungsprozesse zwischen Parteipolitik und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die die Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen in den Prozess einbringen. Direkte Demokratie kann im besten Fall solche Prozesse unterstützen, aber nicht ersetzen. Im schlimmsten Fall kann sie aber die Ergebnisse dieser Prozesse unterminieren. 

Und schließlich ein letzter Punkt: Die direkte Demokratie kann logischerweise nur die Bedürfnisse und Interessen der gegenwärtigen Generationen zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden. Beim Thema Klimaschutz geht es aber ganz wesentlich um die Interessen zukünftiger Generationen, deren legitimen Interessen an den Rand gedrängt werden können, wenn es (zu) stark um die Befindlichkeiten der mächtigen Akteure im Hier und Jetzt geht.