Jetzt mal im Ernst, ohne Feuerwerk kein Seenacht(s)­fest!

Am Wochenende ist wieder Seenachtfest. Während unser Autor in früheren Erinnerungen an das Fest schwebt, fragt er sich: War das Fest jemals für die Einheimischen gemacht? 
Grafik: Alex Wucherer

Es fängt schon beim Namen an. Nicht wenigen Konstanzer:innen läuft es kalt den Rücken herunter, wenn jemand das Fugen-s nicht spricht. Wikipedia räumt ein, dass es „umgangssprachlich üblich“ Seenachtsfest heißt. Da hört die – Verzeihung – Sprengkraft beim „größten Volksfest am Bodensee“ (dito: Wikipedia) aber natürlich nicht auf. 

Fünf Jahre ist es her, als das Seenachtfest für immer beendet werden sollte. Rückblick: Konstanz hatte damals als erste deutsche Stadt den sogenannten Klimanotstand ausgerufen. Einen Monat später wurde bekannt, dass die Stadt und der private Organisator die Zusammenarbeit vorzeitig beenden wollten. Kleiner, heimischer und klimafreundlicher sollte das Seenachtfest werden – und womöglich auch ganz ohne Feuerwerk auskommen. Im Nachhinein kann man ergänzen: Stadt und Stuttgarter Veranstalter waren beide auch nicht komplett zufrieden über die (wirtschaftliche) Entwicklung der Riesenparty zwischen Seestraße und Klein Venedig. 

Nie zuvor (und eigentlich auch nie danach) erlebte ich – der ich damals diese Informationen bekannt machte – eine ähnliche Aufregung um einen Artikel. Die Kommentare und Zuschriften, die ich daraufhin erhielt, mäanderten zwischen blankem Entsetzen, Wehmut, Erleichterung und mit Beschimpfungen geschmücktem Hass. 

Ohne Feuerwerk fehlt das Alleinstellungs­merkmal

Und 2024? Findet das Seenachtfest immer noch statt, sogar ausgerichtet von einer Konstanzer GmbH. Alles so schön also, wie es früher schon nicht war? Nachhaltig soll es natürlich sein, das ist „in sämtlichen Bereichen fest verankert“, verkündet die Homepage und legt noch einen ausführlichen, halb-wissenschaftlichen Feuerwerk-Hinweis oben drauf. Fazit: Trotz Raketen und Rauch dürften wir „in den Himmel schauen und bedenkenlos genießen“. 

Ein Glück, denn jetzt mal im Ernst: Ohne Feuerwerk fehlte dem Seenacht(s)fest sein Alleinstellungsmerkmal, wenigstens aber das Spektakel. 30 Minuten Leuchten über dem Seehimmel sind der USP, wie es auf Marketing-Deutsch heißt. Genau darauf kommt es an, in Konstanz allgemein und beim Seenachtfest im Besonderen: werben und verkaufen. Dass das Seenachtfest auch wieder einen stärker regionalen Anstrich hat, ist dem Trend zu Heimat, Nähe und Regionalität geschuldet – und nicht einer Umsorgung der einheimischen Bürger:innen. 

Wer war besser: Konstanz oder Kreuzlingen?

Als Konstanzer:in kann einen das zurecht nerven. Ein Tag mehr mit noch mehr Tourist:innen und blockierten Zubringerstraßen – ganz ohne Klimaprotestierende. Aber war das Seenachtfest früher wirklich konschtanzerischer? Mittlerweile glaube ich, dass das die Wahrheit reichlich verklärt. In Wahrheit wollte man den Touris eben schon seit den Urversionen Unterhaltung bieten. 

Ja, auch ich habe romantischste Kindheitserinnerungen an diesen, als das größte Highlight im Jahreskalender empfundenen, zweiten August-Samstag. 

Vorabends schon ein vorfreudiges Lächeln ob der mit hohem Sichtschutz versehenen Alten Rheinbrücke. Bis Samstagmittag dann noch ans Hörnle, tieffliegende Passagierflugzeuge, 

Kunst- und Kampffliegerstaffeln bestaunen. Dann ein Bändel ums Handgelenk und rein ins Vergnügen zwischen Wasserski-Show, zu viel Orangenlimo und Roter im Brötle, frühzeitig Platz fürs Feuerwerk am Ufer sichern und schließlich urteilen, ob denn jetzt Kreuzlingen oder Konstanz besser gefeuert hat. 

Der zweite August-Samstag ist besonders

Das echte Finale fand danach statt: Vom Hafen in Richtung Sternenplatz zum Bus, der damals einfach Sonder- statt Shuttlebus hieß und was wiederum bedeutete: die Alte Rheinbrücke zu Fuß betreten. Auf der Autospur! Lange bevor diese Option als grundsätzliche Verkehrsführung auch nur im Ansatz in Betracht gezogen wurde. Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich kleiner Konstanzer Stöppke das als etwas ganz Besonderes empfunden habe. 

Vieles von diesem Zinnober ist heute aus der Zeit gefallen und/oder deplatziert. Trotzdem gehe ich in einer Woche mal wieder zum Seenachtfest, das erste Mal seit sehr, sehr langer Zeit. Letztes Jahr habe ich einer damals Dreijährigen versprochen, dass wir hingehen, wenn sie etwas älter ist. Erstaunlich, wie gut das Gedächtnis von Kindergartenkindern funktionieren kann. Erstaunlich auch, dass der zweite August-Samstag auch für heute Klein-Konstanzer:innen noch besonderes ist. Fehlt nur noch, dass dem Fest endlich einmal jemand das wohlverdiente, fehlende S schenkt.