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preche ich dieser Tage im Bekanntenkreis über die Feiertage, kommt ein Thema ganz schnell: Streit mit den Großeltern an den Festtagen. Aber stopp! Stimmt nicht ein Großteil von uns zu, dass Enkel:innen gerade bei Oma und Opa viel über Verlässlichkeit, Verantwortungsgefühl und Vertrauen lernen?
Es gibt Belege dafür, dass ein gutes Verhältnis zwischen Großeltern und Kindeskindern beiden Seiten guttut – sogar die Wahrscheinlichkeit für Depressionen verringern kann. Also muss es doch Beispiele dafür geben, dass es unterm Tannenbaum nicht nur Zoff gibt… Gemeinsam mit vier Großmüttern aus Konstanz habe ich mir ein Ideal angeschaut: das friedliche Miteinander der Generationen an Weihnachten.
Kurzfassung: Wenn Familienbande nicht an 365 Tagen im Jahr gepflegt werden – und dazu zählt auch, sich mal in Ruhe zu lassen –, dann klappt es auch an Heiligabend nicht. Doch das wird nicht dem gerecht, was Gerda Harder (87), Luise Mitsch (76), Inge Koppenhagen (73) und Maria Duffner* (82) zu erzählen haben. Zugegeben: Jede von ihnen hat mich tief beeindruckt. Deshalb will ich unten ihre Geschichten einfach wirken lassen und habe nur jeweils einen Tipp herausgezogen, den wir uns zu Herzen nehmen können.
Kita, Schule, Erziehung, Pflege, Freizeit – Familienpolitik betrifft fast alle Menschen in Konstanz. Deshalb widmen wir uns diesen Themen künftig verstärkt in einem themenspezifischen Newsletter. Er heißt „familie mit k“ und erscheint alle 14 Tage donnerstags. Du kannst ihn hier kostenlos abonnieren.
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Tipps für ein friedliches Miteinander der Generationen
1. Leben und leben lassen mit Wollsocken
Gerda Harder startet im Januar mit der Wollsockenproduktion für Weihnachten. Und nein, das drängt sie niemandem auf. Wie hat es nochmal ihr Sohn formuliert? „Wenn ich diese Socken anziehe, fühle ich mich zuhause.“ Inzwischen schmerzt der 87-Jährigen immer häufiger beim Stricken die Hand, dennoch bekommen neun Personen inklusive Urenkelkind im Säuglingsalter Selbstgestricktes.
Und alle werden in diesem Jahr wieder am ersten Weihnachtsfeiertag zu ihr in die kleine Wohnung der Spitalstiftung Konstanz kommen. Sie sagt: „Ich darf nichts ändern! Sogar die Tischdecke muss dieselbe sein.“ Sie mag Fleisch, kocht aber auf Wunsch das immer gleiche vegetarische Menü mit selbstgemachten Kartoffelknödeln.
Gerda Harder ist dabei alles andere als eine Prototyp-Omi: Ab 1974 war sie alleinerziehende Mutter in Konstanz, hat an der Uni in der Verwaltung gearbeitet, zwei Mädchen und einen Jungen großgezogen. Sie vermittelt, was sie gelebt hat: Unabhängigkeit. Von ihr sind Sätze zu hören wie: „Meine Kinder sollten meine Enkel so erziehen, wie sie es wollten.“ Oder: „Am Anfang war es komisch, dass meine Kinder Religiöses ablehnen, aber jetzt ist es okay und ich freue mich einfach, sie an Weihnachten zu sehen.“
Zu ihrer Haltung passt, dass sie an Heiligabend von ihren Kindern Jahr für Jahr eingeladen wird. Doch sie mag nicht. „Da genieße ich die Ruhe“, sagt sie. Und Freiheit ist ihr auch dann ein hohes Gut, wenn sie es bedauert. Eine ihrer Töchter lebt in Freiburg, ein Schicksalsschlag hat Mutter und Tochter voneinander entfernt. Sie halten Kontakt, sehen sich ab und zu, doch Weihnachten feiern sie getrennt.
2. Mit Liebe engagieren und die Welt verändern
Klar, Luise Mitsch hat mit 76 Jahren mehr Energie als andere mit 20. Doch sie hat auch ein starkes Motiv. Sie sagt: „Die Familie ist das Wichtigste.“ Die Keimzelle des Staates. Wenn es in der Familie nicht funktioniere, dann könne es auch nicht im Land funktionieren. Luise Mitsch ist seit vielen Jahren Vorsitzende des Altenhilfevereins Konstanz und als solche Trägerin der Ehrennadel der Stadt. Es tut ihr weh, zu beobachten, dass viele der 733 Bewohnenden der neun Konstanzer Pflegeheime so gut wie nie Besuch bekommen. Auch nicht an Weihnachten.
Das ist ein Grund, warum sie Veranstaltungen wie diejenige am letzten Wochenende organisiert, als ein Orchester der Musikschule in der Einrichtung Talgarten aufspielte. Und sie vertritt in der Öffentlichkeit entschieden ihre Meinung. Ein Freiwilliges Soziales Jahr, ist sie überzeugt, würde einen besseren Ausgangspunkt für das Verständnis der Generationen schaffen.
Die Einsamkeit älterer Menschen mag mit der geographischen Zerstreutheit der Familien zu tun haben. Aber Luise Mitsch sagt auch: „Familienbande müssen ein Leben lang gepflegt werden, nicht erst im Alter.“ Dabei sei nicht entscheidend, wie viel getan werde, sondern wie viel Liebe drinstecke. Sie selbst ist nicht erst seit ihrer Scheidung Anker der Familie, auf die sie stolz ist – mit gutem Recht. Mit ihren Kindern und Enkel:innen in Konstanz hat sie ein enges Verhältnis und verbringt mit ihnen Heiligabend; die Familie ihres Sohns in Heilbronn sieht sie zwar seltener, doch am ersten Weihnachtstag sind alle bei ihr. Die Ente ist schon eingefroren.
3. Wer Zeit schenkt, investiert in seine Beziehungen
„Wir hatten eben Zeit für die Enkelinnen, wie es sich gehört“, sagt Inge Koppenhagen. Einmal pro Woche gab es über viele Jahre für die Mädchen ihrer Tochter einen Opa-Oma-Tag mit Übernachtung, jährlich auch einen Ponyhof- oder Bauernhof-Urlaub. Dabei war immer eine Enkelin allein mit den Großeltern unterwegs und konnte ganz im Zentrum stehen.
Die Zeit, die ihr Mann und sie ihrer Familie geschenkt haben, hat Vertrauen geschaffen und Zeichen gesetzt. Davon ist die 73-jährige Konstanzerin überzeugt. Einmal pro Woche frühstückt sie mit ihrer Tochter – in welchem Café, das entscheiden sie immer erst kurz zuvor. Als ihr Mann vor zwei Jahren starb, ihre Mutter im letzten Jahr gestürzt war, deren Haus geräumt werden musste und diese nun vor zwei Monaten im Alter von 99 Jahren ebenfalls verstorben ist: „Meine Kinder sind da und helfen.“
So werden unter neuen Bedingungen neue gemeinsame Traditionen geschaffen: In diesem Jahr feiert sie bei der Familie der Tochter Heiligabend, am ersten Feiertag kommen Sohn und Tochter mit Partner:innen und Kindern zu ihr. Und mit den Enkelinnen im Teenageralter ist sie seit dem Tod ihres Mannes schon im Zweierpack verreist. Ihr Herz blüht auf, wenn die Mädchen Erinnerungen an ihn wachhalten.
4. Familientrubel bringt Energie, solange es Ruhezeiten gibt
Einmal hatte Maria Duffner* beschlossen, Heiligabend allein mit ihrer Schwester zu verbringen. „Einen Tag später fand ich es blöd – ich will keine Weihnachten ohne meine Kinder“, sagt die 82-Jährige. Bis auf diese Ausnahme feiert sie seit 21 Jahren Weihnachten mit den Familien ihrer beiden Töchter, die in Kreuzlingen und Konstanz leben. Die Schwiegersöhne kochen, von ihr kommen Schäufele und Kartoffelsalat.
Mittlerweile hat sie sechs Enkel- und drei Urenkel-Kinder. Und sie liebt den Trubel. Ihre vierjährige Urenkelin holt sie häufig vom Kindergarten ab, trinkt gern einen Kaffee in der Stadt mit den drei Enkelinnen, die am Ende der Schul- und Anfang der Studienzeit stehen. Mit diesen unternimmt sie auch immer noch Städtetrips. Sie hilft, wo sie kann, doch sie erzieht nicht, sagt sie: „Das sollen die Eltern machen.“
Die Konstanzerin lebt in ihrer Seniorenwohnung der Spitalstiftung seit März 2024 fast Tür an Tür mit der Familie ihrer Tochter. Erst war ihr das unangenehm: „Sie sollen doch nicht denken, dass ich täglich vor der Tür stehe.“ Doch das hat sich schnell aufgelöst, denn Maria Duffner schätzt ihre Unabhängigkeit und Streit ist ihr ein Gräuel. „Wenn es meiner Familie gut geht, geht es mir gut“, erklärt sie.
Als ihr Mann und sie sich trennten, waren die Töchter schon fast erwachsen, doch die Verbindung blieb stark. Dazu braucht es auch Distanz, die mit Ritualen gelingt. Jeden Morgen begrüßt sie alle im Familienchat auf WhatsApp. Wenn sie es vergisst, kommt ein Anruf.
*Name von der Redaktion geändert.
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