Sollten wir alle weniger arbeiten?

Eine neue Studie zeigt: Die wöchentliche Arbeitszeit von fünf auf vier Tage zu reduzieren hat durchaus positive Effekte. Ist das endlich die langersehnte Antwort auf Burn-out und Dauerstress im Job?
Die Illustration zeigt einen Mann, der an seinem Körper hinab schaut. Dazu der Titel der Kolumne Busemeyers Blickwinkel.
Grafik: Alexander Wucherer

Dieser Tage ging die Meldung zu einer neu erschienenen Studie aus Großbritannien durch die Presse, an der insgesamt 61 Unternehmen beteiligt waren (bei 2.900 Teilnehmenden).

Das Experiment: Die Beschäftigten arbeiteten über einen Zeitraum von sechs Monaten einfach vier statt fünf Tage pro Woche – bei vollem Lohn.

Was sich auf den ersten Blick wie der Alptraum mittelständischer Unternehmer:innen ausnimmt, hat erstaunlich gut funktioniert. Die Studienteilnehmer:innen fühlten sich weniger gestresst und von Burn-out bedroht, ihre Zufriedenheit stieg und – aus ökonomischer Sicht zentral – die Umsätze der beteiligten Unternehmen gingen trotz geringerer Arbeitszeiten nicht zurück, sondern sind aufgrund der höheren Produktivität der Arbeitnehmenden sogar leicht gestiegen.

Also ein scheinbar klarer Fall: Die Viertagewoche bringt viel – nämlich mehr Zufriedenheit – und kostet nichts – zumindest keine Umsatzverluste.

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Immer prüfen: Wer hat die Studie gemacht?

Aber Vorsicht: Ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Zum einen wurde die Studie von Forschenden in Zusammenarbeit mit Aktivist:innen einer Interessengruppe durchgeführt, die sich schon länger für eine Verkürzung der Arbeitszeit einsetzt. Das muss nicht heißen, dass dadurch der wissenschaftliche Anspruch der Studie prinzipiell verloren geht, aber es ist dennoch eine wichtige Randinformation.

Außerdem wurden die Unternehmen scheinbar nicht vollkommen zufällig ausgewählt, was aber idealerweise notwendig wäre, um wasserdichte Ergebnisse zu bekommen (in der Praxis aber sowieso nicht erreicht werden kann).

Schließlich kommen noch mögliche Verzerrungen durch die Studienteilnehmer:innen selbst hinzu: Sie wussten, dass sie an einer Studie teilnehmen, und haben sich deswegen vielleicht besonders angestrengt (damit die Viertagewoche für sie Realität wird).

Wie ein Klempner in Überlingen die Viertagewoche einführte

Man muss aber nicht unbedingt nach Großbritannien fahren, um die möglichen Vorzüge der Viertagewoche hautnah zu erleben. Es reicht, nach Überlingen zu schauen. Der Klempnermeister Keller hat hier in seinem Handwerksbetrieb schon letztes Jahr die Viertagewoche eingeführt und es so geschafft, entgegen dem Trend eine hohe Zahl hochmotivierter Azubis zu gewinnen. Alle scheinen zufrieden. (Sein Trick allerdings: Die Gesamtwochenarbeitszeit bleibt gleich, indem der halbe Freitag einfach auf die anderen Wochentage aufgeteilt wird.)

So oder so zeigen diese Beispiele, dass die Diskussion um Arbeitszeit-Politik wieder an Fahrt aufnimmt – was gut ist und längst überfällig war. Der einflussreiche britische Ökonom John Maynard Keynes hatte schon in den 1930er-Jahren die Prognose gewagt, dass die Menschen dank technologischem Fortschritt bald nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten – den Rest würden Maschinen erledigen.

Work-Life-Balance für jüngere Generation oft wichtiger als ein Vollzeitjob

Fast 100 Jahre später ist dieser Zustand leider noch nicht eingetreten, obwohl die negativen Nebenwirkungen eines stressigen Berufslebens immer offensichtlicher und greifbarer werden. Die erzwungene Entschleunigung durch die COVID-19-Pandemie hat sicherlich auch bei dem einen oder der anderen einen Denkanstoß gegeben, die eigene Work-Life-Balance zu überdenken. Hinzu kommt, dass immer mehr Beschäftigte – besonders der jungen Generation – freiwillig weniger als 100 Prozent arbeiten und die dadurch entstehenden Lohnverluste in Kauf nehmen.

Es gibt also einiges, was für die Viertagewoche spricht. Dennoch bleiben viele Frage offen: Würde eine Viertagewoche den Fachkräftemangel nicht massiv verstärken? Würde ein voller Lohnausgleich die Unternehmen überfordern? Oder umgekehrt: Würden Lohnkürzungen die Arbeitnehmer:innen nicht allzu hart treffen in einer Zeit, in der sowieso viele den Gürtel enger schnallen müssen? Und was ist mit denjenigen, die freiwillig mehr als vier Tage arbeiten wollen – müsste nicht auch eine solche Mehrarbeit reguliert werden, damit kein unlauterer Wettbewerb entsteht?

Wie viel Arbeit wollen wir uns als Gesellschaft leisten?

Um diese Fragen besser beantworten zu können, bedarf es weiterer Forschung (eine vielleicht erwartbare Aussage von einem Forscher), aber auch eine breitere gesellschaftliche Debatte darüber, wie viel Arbeit wir uns als Gesellschaft leisten können und wollen. Und auch darüber, welche Art von Arbeit und unter welchen Bedingungen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt, die in Zeiten von ChatGPT und Co. tendenziell als Bedrohung wahrgenommen wird, eröffnet auch Möglichkeiten, neue Arbeitszeitmodelle auszuprobieren. Vielleicht behält Keynes am Ende ja doch noch recht!