Vor wenigen Wochen veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Lohnunterschiede für das Jahr 2022. Das Ergebnis: Frauen verdienten im vergangenen Jahr rund ein Fünftel weniger als Männer. Mit einem Gender-Pay-Gap von 18 Prozent liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf einem der hinteren Plätze.
Der Gender-Pay-Gap beschreibt die geschlechtsspezifische Lohnungleichheit, bei der Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer. Zu Beginn der Erhebung im Jahr 2006 betrug der Gender-Pay-Gap noch 23 Prozent.
Warum Frauen häufig weniger verdienen, lässt sich hauptsächlich an drei Faktoren festmachen: Erstens, nur sehr wenige Frauen sitzen in Führungspositionen. Zweitens, in Deutschland arbeiten Frauen vergleichsweise oft in Teilzeit. Und drittens, Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Branchen (Sozialer Sektor, Gesundheits- und Pflegebranche etc.).
Nun könnte man naiv argumentieren: Frauen können Beruf und Branche ja freiwillig wählen. Das stimmt aber nur zum Teil. So zeigen Studien aus skandinavischen Ländern, wie Hürden wie das Ehegattensplitting, die Betreuungssituation und die Bildungssituation die Arbeitsplatzwahl beeinflussen – und den Gender-Pay-Gap vergrößern.
Ein Steuersystem für die Ein-Mann-Show
Das Ehegattensplitting fördert das klassische heteronormative Familienmodell, von dem sich unsere Gesellschaft so mühsam zu befreien versucht. Es zwingt Männer in die Rolle des Geldverdieners und drängt Frauen in die Betreuungsarbeit. Für die Wirtschaft ist das ein fataler Verlust, denn Frauen nehmen häufiger ein Studium auf als Männer. Sie sind gebildet. Sie sind motiviert. Strukturen wie das Ehegattensplitting hindern Frauen zwar nicht aktiv daran, mehr Geld zu verdienen, aber sie fördern die Entscheidung für weniger Arbeit. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt sogar zu dem Schluss, dass es gerade kinderlose Ehen sind, die von der „familienfreundlichen Entlastung“ Ehegattensplitting profitieren.
Beim Ehegattensplitting wird das steuerpflichtige Einkommen beider Partner:innen addiert und je zur Hälfte beiden Ehepartner:innen zugerechnet. Das soll zu einer gleichmäßigen steuerlichen Belastung beitragen. Den größten steuerlichen Vorteil erhält das Ehepaar allerdings, wenn die Einkommensverteilung sehr unterschiedlich ist. Also, wenn ein:e Partner:in sehr viel weniger verdient. (Das sind in Deutschland häufig Frauen.) Das führt zu einer sehr hohen Grenzbelastung für den:die Zweitverdiener:in und macht Teilzeitanstellungen sowie Minijobs attraktiver.
Schlechte Betreuungslagen verschärfen die Situation
Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zeigt, dass während der Corona-Pandemie jede fünfte Frau ihre Arbeitszeit reduziert hat. Homeoffice und eingeschränkte Öffnungszeiten von Kindertagesstätten führten dazu, dass viele Frauen als die Care-Arbeiterinnen der Familie die Kinderbetreuung übernehmen mussten.
Die Betreuungsangebote in Deutschland sind allerdings nicht erst seit der Pandemie so konzipiert, dass sie Anstellungsverhältnisse in Teilzeit begünstigen. Schon immer musste ein Elternteil Betreuungsaufgaben übernehmen, selbst im Schulalter sind die Kinder am Nachmittag oft zuhause.
Um diese strukturelle Problematik aufzulösen, fehlt es nicht nur an qualifizierten Fachkräften (die oft Frauen sind, die schlecht bezahlt werden). Es fehlt auch an Infrastruktur: Bis 2027 sollen in Konstanz zwölf weitere Kitas gebaut werden – und selbst das wird nicht ausreichen.
Gleiche Arbeit, gleicher Lohn?
Die durch Care-Arbeit beeinflusste und eingeschränkte Berufs- und Arbeitsplatzwahl ist jedoch nur eine Dimension des Gender-Pay-Gap. Denn selbst wenn man alle Lohnungleichheiten herausrechnet, die sich aus den obigen Faktoren ergeben, bleibt immer noch ein sogenannter „bereinigter Gender-Pay-Gap“ von 7 Prozent. Mit anderen Worten: Frauen verdienen bei vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation 7 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Und ab diesem Punkt wird es – sagen wir mal – ein bisschen unscharf: Die restlichen 7 Prozent Lohnunterschied werden immer weniger erklärbar, bis schließlich nur noch das Geschlecht als Unterschied übrig bleibt.
Auf die Überholspur zur Lohngleichheit?
Statistisch gesehen ist Deutschland auf einem Weg der Besserung – allerdings nicht gerade auf der Überholspur. Denn mit dem aktuellen Tempo werden wir noch sage und schreibe 50 Jahre brauchen, um die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen zu erreichen. Dann schreiben wir das Jahr 2073 – und die meisten von uns sind schon lange in Rente. Deshalb folgen nun drei konstruktive Vorschläge (und ein Fakt), wie wir vielleicht doch etwas schneller dahin kommen, wo andere europäische Staaten schon heute sind.
Realsplitting statt Ehegattensplitting
In Schweden wurde das Ehegattensplitting 1971 abgeschafft. Die damals neu eingeführte Individualbesteuerung ging einher mit dem Recht auf Erwerbstätigkeit für Frauen. Diesen scheinbar perfekten Moment haben wir in Deutschland offensichtlich um einige Zeit verpasst. Aber bleiben wir positiv: Dank langer Untätigkeit können wir nun viel aus anderen Modellen lernen. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2020 verschiedene Reformoptionen für das Ehegattensplitting untersucht. Und kam zu dem Schluss, dass ein Realsplitting mit einem niedrigen Übertragungsbetrag (in Höhe des Grundfreibetrags) ein guter Kompromiss wäre. Das heißt, nur Einkommen in Höhe des Grundfreibetrags werden auf die:den geringer verdienende:n Partner:in übertragen. Ein ähnliches Splitting gibt es übrigens schon für geschiedene Paare.
Ausbau der Betreuungsangebote
Der 2026 kommende Rechtsanspruch auf Betreuung von Grundschulkindern markiert eine tiefgreifende strukturelle Veränderung. Denn im europäischen Vergleich sind Frauen in Deutschland deshalb so stark vom Gender-Pay-Gap betroffen, weil mangelnde Betreuungsmöglichkeiten die Berufstätigkeit einschränken. Ausreichende Betreuungsangebote sind für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf essentiell und können dafür sorgen, dass Frauen beruflichen Chancen stärker nachgehen.
Sinnvolle verpflichtende Quoten
Man kann über die Idee von verpflichtenden Quoten streiten. Sicher ist aber: Sie wirken. In Norwegen wurde bereits 2003 eine verpflichtende Frauenquote von 40 Prozent für Führungspositionen in börsennotierten Unternehmen eingeführt. Damals lag der Anteil weiblicher Führungskräfte bei gerade mal 20 Prozent. Im Jahr 2019 lag er bereits bei 41 Prozent.
Sexismus ist keine Verhandlungssache
Seit 16. Februar 2023 ist klar: Auf die gleiche Stellenausschreibung dürfen weibliche Bewerberinnen nicht schlechter bezahlt werden als männliche Bewerber – auch wenn diese durch Verhandlungsgeschick höhere Gehaltsforderungen durchgesetzt haben. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden. Das ist immerhin ein erster Schritt auf dem Weg dahin, dass Frauen generell bei gleicher Arbeit den gleichen Lohn erhalten wie Männer.