Stilltoleranz oder: Wieviel Tittenblitzen ist erlaubt?

Stillende Mütter werden in Deutschland und der Schweiz auch heute noch immer wieder aus Cafés oder Einkaufszentren geworfen. Weil sie stören, sich andere belästigt fühlen. Aber nach meinem Start ins Muttersein war schnell klar: Es fließt und wenn ich nicht daheim im Wäscheberg untergehen will, muss ich es auch in der Öffentlichkeit fließen lassen.
Grafik: Alexander Wucherer

„Es heißt ‚Stillen‘, weil es still ist! Wen belästige ich denn? Was sehen Sie denn morgens, wenn Sie aus der Dusche kommen – ein Versace-Negligé? Mein Kind hat Hunger, essen ist nicht verboten.“ Das hatte ich mir zurechtgelegt. Denn mental hatte ich mich darauf vorbereitet, einen Anschnauzer für Tittenblitzer zu bekommen. 

Wohlgemerkt: Ärgernis habe ich nicht willentlich provoziert. Ich habe aus der Notwendigkeit heraus schlicht überall gestillt: Im Pano, Sorriso, Lago, natürlich auf Aldi-Parkplätzen, vor der Migros und Coop im Ceha und Karussell, im Seehas und auf vielen Parkbänken, im Café des Archäologischen Landesmuseums, im Alti Badi, in der Hafenhalle, im Schneidersitz mitten in der Fußgängerzone, in der Bäckerei beim Toom-Baumarkt – ja, sehr, sehr oft in dieser Bäckerei; Baumärkte scheinen hungrig zu machen. Der Geduldsfaden meiner Kinder war immer recht kurz, ihre Stimme überproportional laut. Nennen Sie mich bedürfnisorientiert oder durchsetzungsschwach: Ich gab, wem der Hunger zu Kopf stieg.

Picknick überall

Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich in solchen Situationen ein warmes Fläschchen hätte zaubern können. Organisation ist alles, doch so organisiert bin ich nicht. Ich war schon froh, wenn ich beim Verlassen des Hauses meine Schuhe anhatte. Nach den Geburten war ich jeweils für Monate grottenmäßig überfordert. Mit dem zweiten Kind erübrigt sich zwar die Überraschung, dass Windeln in den ungünstigsten Momenten – etwa im Bürgerbüro – überlaufen oder ein paar Pfund schweres Etwas dazu fähig ist, den Karstadt allein mit seiner Stimme zum Beben zu bringen. Doch parallel ist noch ein weiteres, schwereres und nicht minder lautes Etwas zu beachten, das JETZT Aufmerksamkeit will. Also gab es hier auf dem Boden eine neue Windel und im Schneidersitz Milch für das eine Kind, für das andere hatte ich im besten Fall ein Bauernhof-Buch und Apfelschnitze in der Tasche. Picknick. 

Vielleicht sah ich dabei einfach immer bemitleidenswert aus, oder alle waren peinlich berührt oder sehr rücksichtsvoll. Zumindest sagte nie jemand etwas. Nie. Ergo? Konstanz/Kreuzlingen ist tolerant gegenüber stillenden Müttern. Vielleicht. 

Sorry, ich finde dennoch ein Haar in der Suppe: Ich habe Reaktionen vermisst – for good and for bad. Ich weiß, das ist nicht bei allen Säuglingen so, doch meine hätte selbst die Geräuschkulisse der Ärzte im Bodenseestadion nicht vom Trinken abgehalten. Mir war langweilig. Ich hätte gern ein Gespräch geführt mit einer Frau, die mir erzählt, sie hätte auf einem Autobahn-Pannenstreifen ihr Kind gestillt. Mit einem Mann, der mir seine Panik offenbart, wenn er allein mit dem Säugling unterwegs ist. Ich hätte gern mit einer Oma die Stadtpolitik zerpflückt. Vielleicht saß ich deshalb nie im Marktstätten-DM in der ruhigen Stillecke. Habe nie den Still-Raum der – nun aus dem Zentrum verschwundenen – Rosgarten-Apotheke genutzt. Das war mir viel zu einsam. Und an vielen Tagen hätte ich am liebsten in der Rolle eines Opfers mit starker Lobby gebadet. Hätte gern mit dem Grundton der Überzeugung einer recht habenden, unverstandenen, hormongeschwängerten Mutter kritisierenden Menschen meinen vorbereiteten Satz entgegen geschmettert. 

Mein Vorschlag: Familien-Cafés

Ich plädiere für Familien-Cafés, die den Anschein wirklicher Cafés machen. Zu finden in zentraler Lage mit Innen- und Außenbereich. Babys trinken, Kleinkinder toben oder schreien gemeinsam ohne das PSSSSST der Eltern. Letztere können sich hier mit Menschen mit und ohne Anhang verabreden, bekommen WLAN, Bier oder Kaffee mit und ohne Alkohol oder Koffein. Für die Kids regionales Eis und Brezeln. So einfach geht das. Allein an mir würden die Betreiber:innen solcher Cafés gutes Geld verdienen. Zweitens plädiere ich für explizit stillfreie Orte. An Tagen, an denen ich das Gefühl habe, dass nichts hilft, außer mächtig Dampf abzulassen, hätte ich zu gern das Hausrecht gebrochen. Ich hätte meinem Kind genau dort die Brust gegeben – ob es nun hungrig wäre oder nicht – und jeden schrägen Blick gekontert mit … Sie wissen schon. 

P. S.: Natürlich gibt es den Kulturkiosk Schranke in Konstanz und das Kreuzlinger Begegnungszentrum Trösch. Wunderbare Ansätze! Ich hatte hingegen Familien-Cafés im Kopf, die ich etwa in Basel gesehen habe. Wer hat konkrete Beispiele, an denen man sich Inspiration holen könnte?