Wer krank ist, ist krank und muss sich keine Gedanken machen, wie er oder sie auf andere wirkt. Aber Argan ist der Eindruck, den er hinterlässt, wichtig. Im aktuell auf dem Münsterplatz gespielten Stück „Der eingebildete Kranke“ besteht er darauf, bemitleidenswert zu sein. Was ihn einiges an Mühen kostet. Das Theater wiederum stellt sich der Herausforderung, den Eindruck des bemüht kränkelnden Argan überzeugend bis in die letzte Reihe sichtbar zu machen. Aber wie genau machen die das?
Es ist 15:45 Uhr und das Licht über dem Krankenbett geht unter dem kritischen Blick der Techniker:innen ein und aus. Wenn das Publikum später am Abend die Vorführung genießt, wird die Sonne immer tiefer sinken und das Licht hinter den Schauspielenden in den Scheiben des Münsters und auf der Bühne immer präsenter werden. Dann sollte alles funktionieren. Deshalb muss im Vorfeld alles exakt geprüft werden.
Unter der größten Tagesdecke der Stadt
Auf dem Münsterplatz sei die Möglichkeit des unauffälligen Eingreifens sehr begrenzt, erklärt Projektleiterin Mela Breucker. Im schlimmsten Fall müsse eben jemand ohne Rolle auf die Bühne und die Sache richten. „Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass unser Publikum das liebt.“
Noch liegt über dem Bett die vielleicht größte Tagesdecke Konstanz’, eine grüne Plane als Regenschutz. Der Rest des Bühnenbildes liegt noch völlig unkenntlich daneben. Trotzdem sind die Dimensionen des Bettes schon zu erahnen, fünf auf sechs auf sieben Meter thront das Krankenlager vor dem Kreuzgang. Die Jesus-Figur daneben wirkt klein.
Die Vorbereitungen starten früh
Dabei beginnt auch eine Münsterplatzaufführung früh und klein. Ein erster Schritt für dieses Jahr war zunächst, ein Modell des Bühnenbildes in Miniaturformat zu erstellen. Zunächst in klein, dann in Originalgröße, aber aus Pappe und Ähnlichem. „Das wird aufwendig ausprobiert“, erklärt Breucker.
Die Vorbereitungen für die Spielenden beginnen am Veranstaltungsabend schon vor 17 Uhr in der Maske des Theaters. Optisch werden sie ebenfalls auf die besonderen Eigenschaften der Bühne auf dem Münsterplatz vorbereitet. Mit aufwendigen Perücken, denn „das macht die Spielenden groß“, erklärt Breucker. Zudem sind sie stark geschminkt.
Auch die Kostüme werden so entworfen, dass sie auf der großen Open-Air-Bühne am Münsterplatz ihre Wirkung entfalten. Schon die ersten Entwürfe, die Kostümbildnerin Sarah Borchardt und ihr Team umsetzen, sind extravagant. Zum Beispiel trägt Argan (gespielt von Jasper Diedrichsen) einen lila Morgenmantel, sein Dresscode des Siechenden.
Wie die Kostüme auf den Münsterplatz angepasst werden
„Was wir auf dem Münsterplatz einsetzen, macht starke Silhouetten. Da gibt es ja keinen ruhigen Hintergrund und das Münster würden wir natürlich nie verbauen wollen“, erläutert die Projektleiterin. „Ein normaler Bademantel würde zum Beispiel nicht funktionieren.“
Deshalb befindet sich unter dem sichtbaren Stoff eine aufwendige Konstruktion, damit der Mantel nicht wirklich fällt, sondern auch auf den vielen Wegen über die Bühne und auf und ab über die Treppen des Riesenbettes immer den Eindruck macht, zerzaust zu fallen. Aber das eigentlich nie tut. Am Ende wiegt der Mantel zwischen sechs und sieben Kilogramm.
Vor Einlassbeginn treffen die Schauspielenden dann nach dem kurzen Weg vom Gebäude des Stadttheaters zur Bühne auf dem Münsterplatz am Spielort ein. „Man sieht die Menschen Blicke erhaschen“, freut sich Breucker. „Als offenes Haus möchten wir ja auch sichtbar sein. Und das sind wir hier auch total.“
Versteckspiele eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn
Auf eines der Sichtschutzelemente hat das Theater den Aufruf zum Ticketkauf gedruckt. Verfügbar sind allerdings heute keine mehr, gespielt wird an diesem Abend vor ausverkauftem Haus. Noch eine halbe Stunde bis zum Spielbeginn und für die Zuschauer:innen, die bereits in großer Zahl um die Bühnenkonstruktion herumstehen, unhörbar, wird über Funk ein Signal gegeben: „Alle Schauspielenden, die sich verstecken müssen, werden gebeten, dies nun zu tun.“
Denn diese werden das Spiel auf der Bühne beginnen, sollen aber für das Publikum, das sich langsam zu seinen Plätzen begibt, noch nicht sichtbar sein. Deshalb verharren sie hinter dem Bühnenbild, das mittlerweile seine Schutzschichten verloren hat. Das Bett ist gemacht und das durchbohrte Herz der Marienstatue leuchtet schrill in der Abendsonne.
Was tun, wenn es regnet?
Den Platz teilen sich die Schauspieler:innen mit einigen Regenschirmen für kurze Schauer sowie einem Teil der sechs Tonnen Ballast, die verhindern, dass das Bett bei einem heftigen Windstoß einfach umkippt. Gerade die Bühne sei recht windig, so Breucker. Bei Regenfällen gäbe es außerdem noch den Funkspruch „alle an die Lappen“ – damit die Zuschauer:innen auf trockenen Sitzen Platz nehmen können.
Damit die Spielenden nicht zu lange dort verharren müssen, wird auch der Einlass geprobt. Welche Plätze müssen zu welchen Aufgängen geschickt werden und wie funktioniert die Kommunikation?
Während die Abendsonne langsam von Wolken verdunkelt wird, stolpert der hustende Argan aus seinem Versteck. Er versucht, sein viel clevereres Dienstmädchen Toinette herumzuscheuchen. Vergebens, denn sie ist ihm immer ein bisschen überlegen.
Situationskomik trifft Slapstick
Nur von seinen Krankheiten ist er nicht abzubringen. Das Publikum lässt sich von der schrillen und stimmig schrägen Inszenierung mitreißen. Neben viel Situationskomik und Slapstick sind die Grenzen dafür großzügig gesteckt. Ein Beispiel: Um die Geräusche auf der Latrine zu erzeugen, rauscht ein Eimer Wasser in der Tuba nach unten.
Nach kurzer Zeit beginnt es zu regnen, aber es wird entschieden, zunächst weiterzuspielen. Beiläufig wird ein Regencape hinter der Holzvertäfelung hervorgezogen, das die wertvolle Perücke schützt. Kein Echthaar, aber dennoch acht bis zehn Arbeitsstunden, weiß Mela Breucker.
Überraschende Situationen souverän meistern
Auch die Begeisterung des Publikums für die Authentizität des Münster-Open-Airs bewahrheitet sich. Als ein für die nächste Szene benötigter Putzschwamm im hohen Bogen von der Bettbühne fällt, rettet Argans Bruder Beralde (gespielt von Julian Mantaj) in religiös verzücktem Gang die Situation und „schwebt“ die Treppen zum Corpus Delicti hinauf und wieder hinunter.
Neben dem Schauspiel zeigt sich die Professionalität des Ensembles auch in der Art, diese Situationen souverän in das Spiel zu integrieren, was vom Publikum mit spontanem Extra-Applaus gewürdigt wird.
Zusätzlich zu den fehlenden Zugängen zur Bühne ist auch deren Form und Beschaffenheit eine Herausforderung. Die Bühne ist breit, hat aber wenig Tiefe, was in alle Bereiche der Vorbereitung und kreativen Prozesse eingearbeitet werden muss. „Das erfordert viel Austausch zwischen den Mitarbeitenden“, betont Breucker. Denn über 50 Personen sind an den Vorbereitungen beteiligt.
Die Tücken einer schrägen Bühne
Außerdem ist die Bühne alles andere als eine Ebene. Fünf Prozent Gefälle lauern auf die Spielenden. Für das Bett wurden die Beine ausgeglichen, die Spielenden müssen sich vorsichtig bewegen. Das Kopfsteinpflaster ist eine zusätzliche Herausforderung. Im Kreuzgang steht, wie zur Mahnung, noch ein Elektrorollstuhl, mit dem ein verletzter Schauspieler zunächst weiter probte, dann musste die erste Besetzung von Thomas schließlich doch geändert werden.
Kurze Zeit nach Beginn des Schauers ist er auch schon wieder vorbei und genauso unauffällig, wie er angelegt wurde, verschwindet der Regenponcho wieder und die Perückenhaare stehen wieder ungehindert der untergehenden Sonne entgegen.
Am Ende alles wie immer: Großer Applaus und dann raus
Mit langem Applaus verabschiedet das Publikum die Schauspielenden, die sich durch die Menschen auf dem Münsterplatz zurück auf den Weg in das Theater machen.
Nach dem Stück ist vor dem Sichern, auch zur nächsten Vorstellung soll schließlich alles noch problemlos funktionieren. Der Aufwand der Inszenierung und die Offenheit des Veranstaltungsortes bringe das Theater zusammen, schwärmt Mela Breucker. „Das ist ein toller Abschluss für die Spielzeit, hier kommen nochmal alle zusammen“.
Gespielt wird auf dem Münsterplatz noch am 18./19./20. und 22. Juli. Beginn ist jeweils um 19 Uhr. Tickets (zwischen 35 und 57 Euro) gibt es über die Internetseite des Theater Konstanz.
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