Von der Idee zur Institution

Die Kunstschule Konstanz ist mehr als nur ein Ort zum Malen und Zeichnen: Sie ist ein kreativer Begegnungsort und ein Herzensprojekt. Von Idealismus angetrieben, haben die beiden Gründerinnen eine bunte Oase für alle Altersgruppen geschaffen.
  • Die Kunstschule Konstanz ist ein kreativer Raum, der 2018 gegründet wurde, um Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein freies und unverbindliches Kunstschaffen zu ermöglichen.
  • Die Gründerinnen Corinna Palz und Luise Merle fördern die Kreativität ohne Leistungsdruck, wobei der Prozess des Schaffens im Vordergrund steht.
  • Das Kursangebot reicht von Malen für Kinder ab zwei Jahren bis hin zu Kunstkursen für Erwachsene, die vielfältige Techniken und Materialien umfassen.
  • Die Schule bietet einen Raum für Selbstentfaltung und experimentelles Arbeiten, wobei die Teilnehmer:innen ermutigt werden, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen.
  • Eine wichtige Kooperation besteht mit verschiedenen lokalen Institutionen, um die Kunstschule in der Gemeinschaft zu verankern.
  • Die Kunstschule strebt eine dauerhafte Etablierung in Konstanz an, um die lokale Kunstszene zu bereichern und zu stärken.

„Wir malen heute ganz große Blüten“, ruft Luise Merle in den lichtdurchfluteten zentralen Raum der Kunstschule in der Blarerstraße 56. Mehrere Kinder suchen sich an diesem Donnerstagnachmittag einen Platz im Obergeschoss des ehemaligen Technologiezentrums im Grenzbachareal. Eines davon ist die neunjährige Nelly. Das Mädchen mit den langen hellbraunen Haaren geht in die dritte Klasse der Stephansschule und sagt:

„Mir gefällt besonders, dass ich hier neue Techniken lernen kann, das Malen und die Bilder, die dabei entstehen.“  

In der Kunstschule Konstanz arbeitet Gründerin Luise Merle (Mitte) mit großen und kleinen Künstler:innen. I Fotos: Pauline Tillmann

Merle hat eine kleine Skizze mit Blumen mitgebracht, die sie schnell mit grüner, gelber und weißer Kreide zu Papier gebracht hat. In dem Kurs für Grundschulkinder geht es darum, verschiedene Materialien kennenzulernen. Die Kinder experimentieren unter anderem mit Tusche, Ölkreide, Aquarellfarben, Pastellkreide, Bleistift und Buntstiften. Mit dabei ist auch Carla Riesler, die die elfte Klasse der Gebhard-Gemeinschaftsschule besucht. Sie macht ein einwöchiges Praktikum und kennt die Kunstschule von eigener Kurs-Teilnahme.  

Im Nebenraum kümmert sich Corinna Palz um Kinder ab fünf Jahren. Sie haben jeweils ein großes weißes Blatt Papier an die Wand geklebt und bemalen es mit dicken Pinselstrichen in Temperafarbe. Palz hat ein abgeschlossenes Abitur in Kommunikationsdesign und Gestaltung, hat Museologie auf Diplom studiert und 15 Jahre lang in diesem Beruf gearbeitet. Heute bezeichnet sie sich als Kreativschaffende sowie Leiterin und Dozentin für Bildende Kunst.  

Vor sieben Jahren gegründet  

2018 wurde die Kunstschule Konstanz gegründet. Corinna Palz erzählt, dass die Kunstschule aus der Not geboren wurde, nachdem eine bestehende Kindermalwerkstatt in den Ritterwerken geschlossen wurde. Ihre Tochter hatte selbst daran teilgenommen, und als die Leiterin eine:n Nachfolger:in für das Atelier suchte, bot sich Palz an. Aber die geeigneten Räumlichkeiten fehlten. 

Nach intensiver Suche fand sie über einen Flyer Luise Merle, die bereits Zeichenkurse anbot, aber ebenfalls keine festen Räume besaß. „Malen und Zeichnen sind keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung“, beschreibt Palz den Gedanken, der zur Zusammenarbeit führte.

Die Chemie zwischen den beiden Künstlerinnen stimmte auf Anhieb. So entstand die Idee einer Kunstschule, die es bis dahin in Konstanz nicht gab. 

Corinna Palz ist Diplom-Museologin und unterstützt andere dabei, kreativ zu sein.

Das Besondere: Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen sich hier frei von Leistungsdruck entfalten können. „Unsere Philosophie war von Anfang an klar: Es geht uns nicht darum, herausragende Künstler:innen hervorzubringen, sondern den Spaß am kreativen Arbeiten zu fördern“, erklärt Luise Merle. Die Kunstschule soll ein Ort sein, an dem nicht das Endergebnis, sondern der kreative Prozess im Vordergrund steht. 

Kreatives Angebot für alle Altersgruppen 

Heute bietet die Kunstschule täglich Kurse für Kinder ab fünf Jahren an, außerdem gibt es Eltern-Kind-Malen ab zwei Jahren. Das Angebot reicht vom intuitiven Malen bis zum kreativen Gestalten mit verschiedenen Materialien wie Holz, Stein und Papier. Die Kurse finden in kleinen Gruppen von drei bis zehn Kindern statt, wobei die Jüngsten bereits um 14 Uhr beginnen, um dem natürlichen Rhythmus und der Energie der Kinder Rechnung zu tragen. Auch Jugendliche und Erwachsene finden in der Kunstschule ein vielfältiges Kursangebot.

„Wir haben alles, vom Zeichnen über Tonarbeiten bis hin zum Aktzeichnen. Die Vielfalt der Techniken ist uns besonders wichtig“, sagt Merle.

Die Kurse für Erwachsene gehen bis in die Abendstunden und bieten eine kreative Auszeit vom oft hektischen Arbeitsalltag. Die Teilnehmenden können hier verschiedene Materialien ausprobieren und ihren eigenen Stil entwickeln.  Lange hatten die beiden sogenannte Brotjobs, um die Kunstschule quer zu finanzieren. Seit diesem Sommer hat Palz ihr Pensum allerdings auf Vollzeit angehoben und den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Luise Merle unterrichtet weiterhin in Teilzeit Kunst und Kunstgeschichte an Schulen in Winterthur und Kreuzlingen. 

 

In den Kursen lernen Teilnehmende unterschiedliche Techniken und Materialien kennen, um ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen.

Herausforderung Finanzierung 

Eine besondere Herausforderung sei, so Corinna Palz, dass die Zahl der Teilnehmende und die Einnahmen stark schwanken. „Das ist wie bei allen Vereinen oder Nachmittagsangeboten: Kinder kommen und gehen, Erwachsene und ihre Interessen ändern sich.“ Hinzu kämen administrative Aufgaben wie Buchhaltung, Kursanfragen und die Koordination von Dozent:innen, die viel Zeit in Anspruch nähmen.  

Fragt man Palz nach ihrer Superkraft, antwortet sie: „Es ist meine Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit den Kindern. Wenn sie von der Schule kommen, sind sie noch total aktiv und dann heißt es, erst mal runterkommen.“ Das schönste Kompliment sei, wenn die Kleinen anfangen zu singen oder zu summen. „Dann merke ich, dass das Kind ganz bei sich ist.“ Sie halte es für enorm wichtig, etwas Haptisches in die digitale Welt zu bringen und die Kinder vom „Müssen“ wegzubringen.

„Man muss gar nichts. Alles kann, nichts muss. Es ist auch okay, wenn sie einfach nur erzählen wollen, wie ihr Tag war oder was sie gerade beschäftigt.“ 

Um das Wachstum der Kunstschule voranzutreiben, haben die Gründerinnen nun sogar den nächsten Schritt gewagt. „Wir haben im Erdgeschoss ausgebaut, um unsere Kurskapazitäten zu erweitern. Das ist zwar ein unternehmerisches Risiko, aber wir glauben an unser Konzept“, so Mitgründerin Merle. Im Sommer kam eine Holzwerkstatt hinzu, für die nächsten Monate ist noch eine Dunkelkammer für analoge Fotografie geplant. Das erklärte Ziel: Langsames Wachstum in alle Richtungen. 

Ein Raum für Freiheit und Selbstentfaltung 

Ein zentrales Element der Kunstschule ist die Freiheit, die den Teilnehmenden geboten wird. Die Kinder haben Raum, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und auszuprobieren, ohne dass ihnen jemand über die Schulter schaut und bewertet. „Hier dürfen sie kleckern, Farbe spritzen und großformatig arbeiten. Das ist in der Schule oder zu Hause oft nicht möglich.“ Es gehe darum, die Kinder von einem normierten und zielgerichteten Ansatz wegzubringen und ihnen zu erlauben, einfach zu sein und zu experimentieren.  

Sie können Farbe aus kleinen Tuben oder aus großen Flaschen nehmen. Sie können dünne Pinsel nehmen – oder breite. „Es ist wichtig herauszufinden, was passiert, wenn man Farbe auf Papier bringt. Wie verhält sie sich? Fließen die Farben zusammen oder verschmieren sie? Es geht darum, den Kopf auszuschalten und einfach der Fantasie freien Lauf zu lassen“, erklärt Corinna Palz.  

Luise Merles Steckenpferd ist das Zeichnen – und genau das bringt sie anderen Menschen mit großer Begeisterung und Leidenschaft nah.

Auch für Erwachsene ist die Kunstschule ein Rückzugsort. „Viele kommen gestresst von der Arbeit und gehen mit einem Lächeln nach Hause“, erzählt Merle. Dabei sind die Kurse nicht auf künstlerische Vorkenntnisse ausgelegt, sondern offen für alle, die Lust haben, kreativ zu sein. Der Prozess des Schaffens sei wichtiger als das Ergebnis, fassen die beiden Gründerinnen die Philosophie der Kunstschule zusammen. 

Die Kunstschule ist nicht nur ein Ort der kreativen Arbeit, sondern auch ein gemeinsames Miteinander. Gerade bei den Erwachsenen bilden sich oft langjährige Gruppen, die sich gegenseitig inspirieren und unterstützen. „Für mich geht es nicht darum, erste Sahne Künstler:innen zu produzieren. Unser Ziel ist vielmehr, dass die Leute gerne kommen und einfach etwas für sich tun – vor allem die Erwachsenen.“  

Mittendrin statt nur dabei  

Ab und zu entdeckt man in der Stadt eine Gruppe mit Zeichenblock, Klemmbrettern und Klappstühlen. Dann geht Luise Merle raus in die Natur und zeichnet die Stadt: „Wenn wir in die Fußgängerzone gehen, kommen immer Ansammlungen von Tourist:innen und sagen zu den Kindern ‚Oh, wie niedlich!‘ und schauen, was die Kinder so malen. Das freut mich immer besonders.“ Immer mit im Gepäck: ein Bollerwagen, auf dem alle notwendigen Utensilien wie Wasser, Becher, Papier, Pinsel und Farben Platz finden. 

Die Kunstschule kooperiert unter anderem mit dem Kulturamt, der Stadt Konstanz, der Universität, der Wessenberg-Galerie und anderen Museen der Stadt. Aktzeichnen ist als Kursangebot ein Dauerbrenner – einfach, weil es das nicht so oft gibt. Auch Porträtzeichnen und Arbeiten mit Ton seien sehr beliebt. Ein besonderes Highlight sei die Teilnahme am Jugendkunstpreis gewesen, bei dem es eine Schülerin der Kunstschule sogar bis in die Endauswahl geschafft habe.  

Grundsätzlich ist geplant, das Grenzbachareal, in dem sich die Kunstschule derzeit befindet, grundlegend umzugestalten (wir berichteten). Doch wann das dazugehörige Gebäude abgerissen werden soll, darüber gibt es unterschiedliche Informationen.

„Am Anfang hieß es, es wird sofort abgerissen – und jetzt sind wir schon im dritten Jahr hier.“

Die beiden Leiterinnen gehen mit offenen Augen durch die Stadt, aber es sei extrem schwierig, etwas Passendes zu finden. Auch die Zwischennutzung in der ehemaligen Mädchenschule Zoffingen war bekanntermaßen irgendwann vorbei.  

In dieser Kursstunde ging es für Kinder von der zweiten bis zur vierten Klasse darum, große Blüten mit Pastellkreide zu zeichnen.

Die Gründerinnen suchen deshalb nach einem dauerhaften Standort und sind dabei nicht zuletzt auf die Hilfe der Stadt angewiesen. Was wäre, wenn es die Kunstschule in Konstanz nicht mehr gäbe? „Ich würde den Kontakt zu den unterschiedlichen Menschen extrem vermissen“, meint Merle. Es sei erfrischend, immer wieder neue Techniken auszuprobieren und nicht nur mit Schüler:innen, sondern auch mit Erwachsenen zu tun zu haben. Ihrer Meinung nach braucht jede Stadt – neben Vereinen und einer Musikschule – eine Kunstschule, um „gemeinsam kreativ zu sein“, wie ihr Leitspruch besagt.  

Ein wichtiger Meilenstein ist im November – nach knapp sieben Jahren – die Aufnahme als ständiges Mitglied in den Landesverband der Kunstschulen Baden-Württemberg. Luise Merle meint: „Damit haben wir es geschafft, einen kreativen weißen Fleck bunt zu machen. Darauf sind wir sehr stolz. Kurzum: Wir sind gekommen, um zu bleiben.“  

Jede der beiden Gründerinnen bietet etwa zehn verschiedene Kurse pro Woche an. Neben Merle und Palz gibt es noch weitere freie Dozent:innen, die das Angebot erweitern. Kinder können ab zwei Jahren bis ins Teenager-Alter Kurse besuchen. Bei den Erwachsenen gibt es keine Altersgrenze. Die älteste Person ist 86 Jahre.   

Die Teilnahmegebühr ist unterschiedlich und beginnt bei 55 Euro pro Monat und Kurs (für Kinder) und endet bei 69 Euro (für Erwachsene). In den Ferien finden in der Regel keine regulären Kurse statt. Stattdessen werden eigene Ferienkurse angeboten, für die man sich über die Homepage oder Social Media bewerben kann.  

Wer sich einfach mal in der Kunstschule umschauen möchte, für die oder den ist vielleicht das „offene Atelier“ das Richtige. Dort dürfen sogar Kleinkinder mit Farben experimentieren und können immer am ersten Freitag des Monats zwischen 14 und 17 – ohne Anmeldung – vorbeikommen. Die Honorierung erfolgt auf Spendenbasis. 


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