„40 neue Kita-Plätze wären entstanden“

Zweimal wollte Magdalena Abend eine Kita in Konstanz gründen. Zweimal sind ihre Pläne gescheitert. Auch weil die Politik zu langsam war. Im Interview erzählt die Erzieherin ihre Geschichte, was man von der Schweiz lernen kann und wie die Stadt Gründer:innen wie sie besser unterstützen könnte.
Das Bild zeigt die Erzieherin Magdalena Abend in ihrer Kita.

karla: Magdalena, als Erzieher:in kämpft man oft an vielen Fronten: Mit manchmal lauten Kindern, fordernden Eltern, geringem Gehalt und Strukturen, die mehr einengen als ermöglichen. Wie viel Freude macht Dir Dein Job gerade noch?

Magdalena Abend: Also, ich habe sehr viel Freude, weil ich als Kitagründerin und Kitaleiterin selber gestalten kann. Ich kann mir meine Arbeitskolleg:innen aussuchen und das Konzept wählen, nach dem wir arbeiten. Ich bin nach wie vor sehr gerne Erzieherin.

<!– Paywall –>

Dann geht es Dir anders als vielen Deiner Kolleg:innen, die über Stress, Unterbezahlung und mangelnde Anerkennung klagen.

Natürlich gibt es auch bei uns Zeiten, die superstressig sind. Wenn neue Kinder eingewöhnt werden oder wenn Kolleg:innen krank sind und wir keinen Ersatz haben. Der Job ist immer in irgendeiner Weise belastend. Aber wir wissen in meinem Team einfach, dass wir aufeinander bauen können. Von meinen Freundinnen, die Erzieherinnen in anderen Einrichtungen sind, höre ich allerdings auch anderes. Die können sich oft nicht so aufs Team verlassen. Aber mir geht es aktuell echt gut.

Die Bertelsmann Stiftung hat zuletzt eine Studie vorgelegt, nach der in Deutschland allein in diesem Jahr 384.000 Kita-Plätze fehlen. Die Studie zeigt zudem, dass es eigentlich mehr als 300.000 zusätzliche Erzieher:innen bräuchte, um alle Kinder angemessen zu betreuen. Wenn Du auf das ganze System Kinderbetreuung schaust: Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Ich glaube, dass unser Job einfach nicht attraktiv genug ist. Es gibt zu wenig Fachkräfte – in Deutschland genauso wie in der Schweiz. Das Problem liegt darin, dass die Gehälter viel zu gering sind für das, was wir leisten. Wir sind Erzieher:innen, wir sind Reinigungskräfte, Musiker:innen, Künstler:innen, Köch:innen und manchmal sogar Paartherapeut:innen für die Eltern. Es ist wirklich so! Wir betreuen kleine Kinder, wir schauen, dass ihnen nichts passiert, dass sie eine Umgebung vorfinden, die sie zum Entdecken anregt. Wir haben den Auftrag, dass sie eine gute Bildung erhalten. Wir begleiten Wutanfälle, schlichten Konflikte und trösten. Wir geben unser Bestes, damit es den Kindern und deren Eltern gut geht. Wir arbeiten am Wichtigsten überhaupt: an unserer Zukunft. Das sollte besser bezahlt und mehr wertgeschätzt werden, finde ich.

Magdalena Abend ist Erzieherin mit Montessori-Diplom. Sie wohnt mit ihrem Partner und ihren beiden Kindern im Konstanzer Paradies. Sie leitet das Kinderhaus der „Kleine Wunder Montessori“ Kindervilla in Kreuzlingen. Magdalena hat 2013 gemeinsam mit ihrer Mutter im Kanton Zürich ihren ersten eigenen Montessori Kindergarten gegründet.

2019 entwickelte sie die Vision eines bindungs- und beziehungsorientierten Montessori Kinderhauses, in dem großer Wert auf nachhaltige Mahlzeiten, die Spaß machen, gelegt wird. So gründete sie in 2020 die vegane „Kleine Wunder Montessori“ Kinderkrippe in Kreuzlingen.

In 2022 zog die eingruppige Kita in ein Einfamilienhaus mit Garten und Seesicht. Die Kindervilla beherbergt zwei Gruppen mit Kindern von 6 Monaten bis 6 Jahren. Es werden pro Tag 24 Kinder betreut. Insgesamt besuchen 45 Kinder mit flexiblen Betreuungsmodellen die familiäre Kindervilla.

„Wir arbeiten am Wichtigsten überhaupt: an unserer Zukunft. Das sollte besser bezahlt und mehr wertgeschätzt werden.“

Magdalena Abend, Erzieherin

Du hast 2019 versucht, einen eigenen Weg zu gehen. Du wolltest in Konstanz ein neues Kinderhaus gründen.

Genau. Monatelang habe ich an einem Konzept geschrieben und dann tatsächlich recht flott über Kleinanzeigen einen Investor gefunden, der drauf und dran war, ein Grundstück mit zwei Häusern zu kaufen. Es lag zwar mitten im Industriegebiet, aber nicht weit weg vom See. Man hätte auch einen Garten gestalten können. Wir hatten einen Architekten, die Zuschüsse der Stadt wurden genehmigt. 

Wie viele Kita-Plätze sollten entstehen?

Wir hatten zwei Krippengruppen und eine Kindergartengruppe geplant. Es wäre Platz für etwa 40 Kinder gewesen. 

Bild: Elaine Fehrenbach

„Wir hatten einen Architekten, die Zuschüsse der Stadt wurden genehmigt. Alles sah sehr gut aus.“

Magdalena Abend, Erzieherin und Kita-Gründerin

Warum hat die Umsetzung Deines Projektes in Konstanz am Ende nicht geklappt?

Bevor mein Investor den Kaufvertrag unterschreiben konnte, kam jemand anders, hat mehr Geld für das Grundstück auf den Tisch gelegt und das war es dann. Dazu gibt es aber noch eine andere schöne Geschichte.

Nämlich?

Weil ich mich an bestimmte Richtlinien der Stadt hätte halten müssen, die mir etwas Freiheit genommen hätten, war da die Idee, es rein privat zu machen. Also ganz ohne städtische Zuschüsse und dafür mit höheren Elternbeiträgen, das wären dann rund 1.500 Euro für einen Ganztagesplatz pro Kind pro Monat gewesen. Es gibt in Konstanz sicher Eltern, die bereit wären, das zu zahlen. Als ich das dem städtischen Sozial- und Jugendamt 2019 erzählt habe, hieß es: ‚Das können Sie gerne machen. Aber die Stadt plant, in den nächsten zwei Jahren die Kitas so auszubauen, dass alle Kinder Platz haben. Und dann wird das niemand mehr an Sie zahlen.‘ 

Diese Prognose der Stadt ging ja eher nicht auf.

Nein, damals ging man noch davon aus, dass mehr Kitas ihren Betrieb aufnehmen würden. Der Fachkräftemangel war zu dem Zeitpunkt noch nicht so als drängendes Problem erkannt. Jetzt wird um jeden einzelnen Platz gekämpft. Für mich war das damals auch der Moment, in dem ich meine Pläne begraben habe. Auch weil die Kita einen elitären Touch abbekommen hätte, da sich nicht jede Familie diese Einrichtung hätte leisten können. Ich wollte das Konzept gerne für alle öffnen.

Du hast aber trotz dieses Rückschlags noch nicht aufgegeben.

Nein. Ich habe weitergesucht, Immobilien besichtigt, neue Konzepte entwickelt. Im Februar 2020 hatte ich dann ein Haus im Musikerviertel gefunden, das gerade im Umbau war. Ich hatte Kontakt zum Eigentümer, der offen gewesen wäre, dort eine Kita zu errichten. Seine Bedingung war, dass sie ab Mai bezogen wird. Ich bin dann auf die Stadt zugegangen, habe ihnen alles erklärt. Für das erste Projekt im Industriegebiet hatte ich schon die Zusage für die städtischen Zuschüsse. Ich ging davon aus, dass es bei einem ähnlichen Projekt dann vielleicht schneller geht. War aber nicht so. Ich hätte alles neu beantragen müssen. Der Gemeinderat hätte sich auch erst im September damit beschäftigen können. Damit war auch diese Chance verloren.

Das Bild zeigt den Raumplan eines geplanten Kindergartens in Konstanz.
Für ihre geplante Kita hatte Magdalena Abend auch schon Raumpläne entworfen.

Das heißt, die Stadt sucht eigentlich händeringend nach Kita-Plätzen, vergibt dann aber diese Möglichkeit. Ist die Politik manchmal zu langsam für solche Ideen?

Mir kam es in dem Moment so vor, ja. Aber ich habe es auf eine Art auch verstanden. Es war der Beginn der Coronapandemie mit all den Lockdowns. Das war das beherrschende Thema überall. Vielleicht fehlte es da an Ressourcen für mein Projekt.

Wie hast Du in dem Prozess die Zusammenarbeit mit der Stadt erlebt?

Eigentlich als sehr offen. Ich habe mich vor allem am Anfang auch wirklich unterstützt gefühlt. Es gab ein großes Interesse und einen Willen im Sozial- und Jugendamt, das umzusetzen. Letztlich ist dieses Projekt dann an Zeitproblemen und den langen politischen Prozessen gescheitert.

„Ich habe mich von der Stadt vor allem am Anfang wirklich unterstützt gefühlt.“

Magdalena Abend, Erzieherin

Wie frustriert warst Du, als klar war, das wird nichts, weil die Politik zu langsam ist?

Es sind viele Tränen geflossen. Ich hatte ja auch schon ein kleines Team zusammengestellt. Dabei waren auch Erzieherinnen aus anderen Einrichtungen, die einfach Lust hatten, etwas Neues aufzubauen und mitzugestalten. Ja, ich war ziemlich traurig. Aber ich bin niemand, der so schnell aufgibt.

Statt in Konstanz hast Du Deine Kita nun in Kreuzlingen gegründet. Ist die Gründung einer Kita in der Schweiz leichter?

Ja, ich glaube schon. Zumindest gab es dort nicht so viele Vorschriften, die eine Gründung erschweren. Wie viel Quadratmeter bestimmte Räume haben müssen, ist jedenfalls nicht so genau vorgegeben. Kindertoiletten und zertifizierte Möbel werden nicht vorgeschrieben. Ich habe da eine größere Flexibilität und Freiheit erlebt.

Kinder malen in der Kreuzlinger Kindervilla von Magadalena Abend. Bild: Elaine Fehrenbach

Aus Deiner Erfahrung gesprochen: Wie könnte es die Stadt Gründer:innen wie Dir künftig leichter machen?

Es bräuchte mehr koordinierte Unterstützung von Einzelpersonen oder Gruppen, die soziale Einrichtungen gründen möchten. Zudem wäre es gut, wenn wir in der aktuellen Mangellage, und die wird voraussichtlich noch einige Jahre dauern, die hohen Auflagen für die Einrichtung einer Kita ein Stück weit zurücknehmen. Daran scheitert es oft, weil die zur Verfügung stehende Immobilie nicht zu den gesetzlichen Vorschriften passt. Ein paar Beispiele: Muss der Schlafraum immer exakt der vorgeschriebenen Größe entsprechen oder könnte das auch flexibler gehandhabt werden? Braucht es überall zwingend Kindertoiletten oder können wir auch normale Toiletten benutzen, auf die die Kinder dann mit einem Treppchen steigen? Ich finde Sicherheit auch wichtig, aber muss wirklich jede Ecke abgerundet sein? Dürfen nur Regale in der Kita stehen, die irgendeine Zertifizierung haben? Bezahlbare IKEA-Regale sind ja zum Teil gar nicht erlaubt.

„Es wäre gut, die hohen Auflagen für die Einrichtung einer Kita ein Stück weit zurückzunehmen.“

Magdalena Abend, Erzieherin

Was müsste sich noch ändern, um die Situation in den Konstanzer Kitas zu verbessern?

Puh, wo soll ich da anfangen? Bezahlbare Mietwohnungen für Fachkräfte wären was. Mehr Wertschätzung gegenüber sozialen Berufen insgesamt, Erzieher:innen, die besonders viel leisten oder sich weiterbilden, sollten neben den Tarifzahlungen auch besondere Bonuszahlungen bekommen können. Vollzeit in unserem Erzieher:innenjob zu arbeiten, kann belastend sein. Es sollte meiner Meinung nach möglich sein, auch in Teilzeit genug verdienen zu können, um mit Herzblut und der nötigen Energie diesen Job ausüben zu können. Das würde unseren Beruf um einiges erstrebenswerter machen. Aus Familiensicht wäre es sicher überlegenswert, individuellere Betreuungsmodelle anzubieten. Zum Beispiel, indem man Kita-Plätze teilt. Dann könnten Familien die Kinderbetreuung buchen, die sie wirklich brauchen, es wären mehr Kinder mit einem Platz versorgt und Beruf und Familie wären besser miteinander vereinbar.

Gutes Essen für die Kinder findet Magdalena Abend wichtig. Bild: Elaine Fehrenbach

„Aus Familiensicht wäre es sicher überlegenswert, individuellere Betreuungsmodelle anzubieten.“

Magdalena Abend, Erzieherin

Wie könnte das konkret aussehen?

Kaum ein Elternpaar arbeitet zeitgleich in Vollzeit. Teilzeitjobs teilen sich auf drei ganze Tage anstatt auf fünf halbe auf, damit ganze Tage mit den Kindern verbracht werden können. Zeit zur Selbstverwirklichung und individuelle Lösungen sind das, was wir uns heute wünschen und dringend brauchen. Ich finde, eine Stadt wie Konstanz sollte bereit sein, umzudenken und neue Wege zu gehen.

Die Einrichtungen sagen dazu oft, das sei zu aufwändig.

Das ist natürlich ein größerer organisatorischer Aufwand. Jeden Tag ist die Gruppenzusammenstellung anders. Aber man gewöhnt sich dran, muss ich sagen. In der Schweiz ist das Konzept der individuellen Kinderbetreuung völlig normal. Und die Eltern sind einfach happy, weil sie spontan sagen können: Morgen 12 Uhr habe ich noch ein Meeting, kann mein Kind eine Stunde länger bleiben? Und dann können sie über eine App, die wir haben, einfach eine Zusatzstunde buchen. So verdient die Kita etwas dazu, was wiederum in Material oder Personal investiert werden kann. Also eigentlich eine Win-win-Situation.

„In der Schweiz gibt es nicht so viele Vorschriften, die eine Gründung erschweren.“

Magdalena Abend, Erzieherin

Um den Kreis zu schließen: Konstanzer Familien, die hier keinen Platz bekommen, könnten sich auch in Deiner Kita in Kreuzlingen anmelden.

Ja, im Moment betreuen wir fünf Kinder aus Konstanz.

Dabei sind die Kosten für den Kita-Platz in der Schweiz deutlich höher, da die Plätze dort nicht subventioniert und rein privat finanziert werden. Wer zahlt den Unterschied?

Die Stadt Konstanz. Das geht inzwischen sehr einfach. Bekommen Familien in Konstanz keinen Betreuungsplatz, muss die Stadt wegen des geltenden Rechtsanspruchs auf Betreuung die Kosten dafür übernehmen. Bei jedem Einzelfall wird hier jedoch individuell entschieden. Allerdings sind auch wir in unserer Montessori Kindervilla derzeit ausgebucht. Erst im Sommer 2024 haben wir wieder freie Plätze.

Abschlussfrage: Könntest Du es Dir auch vorstellen, doch nochmal in Konstanz eine Kita zu gründen?

Ja, das wäre eine Herausforderung, die ich gerne annehme. Das fände ich spannend, aber nicht, wenn ich mein Privatvermögen reinstecken müsste, das bekomme ich in Deutschland wegen dem sehr geringen Gewinn nämlich nicht mehr zurück. Aber wenn die Stadt sagt, wir brauchen jemanden, der dieses Projekt anleitet, die Räume einrichtet, Personal sucht, das ganze Konzeptionelle übernimmt, da wäre ich auf jeden Fall dabei – vorausgesetzt, die Finanzen wären gesichert. Denkbar wäre auch, in Kreuzlingen nochmal eine Einrichtung zu gründen und diese auch Konstanzer Familien zu öffnen, wie ich es schon in der Kindervilla mache.

Hier lernen Kinder Zahlen. In Magdalena Abends Kindervilla in Kreuzlingen gehört die spielerische Annäherung an Zahlen und Buchstaben auch zum Alltag. Bild: Elaine Fehrenbach