Drei Zahlen zum Einstieg: In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zum „Beruf Bürgermeister:in“ sagten 80 Prozent der befragten Bürgermeister:innen, dass Familie und Privatleben durch das Amt stark oder sehr stark beeinträchtigt seien. 41 Prozent aller Befragten vermelden, dass die hohen Belastungen des Jobs gesundheitliche Probleme nach sich zögen. Und: 62 Prozent aller Bürgermeister:innen beklagen, dass ihr Privatleben zunehmend öffentlich wird.
Was man zu den Ergebnissen wissen muss: Die Studie stammt aus dem Jahr 2008. Facebook und Twitter spielten damals noch kaum eine Rolle. Bürgerbeteiligung war in vielen Rathäusern noch ein Fremdwort. Und die Probleme von damals wirken aus heutiger Sicht wie Peanuts. Keine Frage: Das Bürgermeisteramt ist in den vergangenen Jahren noch komplizierter geworden. Und vor allem stressiger.
„Auf Anraten meines Arztes werde ich mich deshalb in den nächsten Wochen schonen und nur sehr wenige Termine wahrnehmen.“
Uli Burchardt, Oberbürgermeister
60 bis 80 Arbeitsstunden pro Woche gelten als normal, die Erwartung ständiger Verfügbarkeit wirkt für viele Amtsträger:innen belastend. Die Wiederwahl von Amtsinhaber:innen ist heute zudem längst nicht mehr so ein Selbstläufer wie vielleicht noch vor 20 Jahren.
Dass der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt jetzt seinen Hörsturz öffentlich gemacht hat, kann als ein Beispiel für den Stress im Amt gelten. Klar: Ein Hörsturz kann auch andere Ursachen haben, aber Stress spielt laut Ärzt:innen eine große Rolle dabei.
Burchardt schrieb über seine Facebook-Seite: „Auf Anraten meines Arztes werde ich mich deshalb in den nächsten Wochen schonen und nur sehr wenige Termine wahrnehmen.“
Zu viel Verantwortung für eine Person?
Dieser sehr persönliche Fall zeigt einmal mehr: Auch in politischen Spitzenämtern braucht es einen Kulturwandel in der Führungsstruktur. Die Aufgaben sind heute oft so komplex, dass sie von einer einzelnen Person kaum mehr zu leisten sind.
Nun arbeiten Verwaltungen heute schon oft arbeitsteilig. Neben dem:der Oberbürgermeister:in gibt es sogenannte Beigeordnete, also die Bürgermeister:innen, die bestimmte Themengebiete verantworten.
In Konstanz sind dies Karl Langensteiner-Schönborn (Bau, Stadtplanung, Stadtentwicklung, Umwelt, Klimaschutz, Barrierefreiheit, Liegenschaften, Vermessung, Entsorgungsbetriebe und Technische Betriebe der Stadt) und Andreas Osner (Soziales, Bildung, Sport, Gesundheit und Kultur).
Zusätzlich hat die Konstanzer Rathausspitze versucht, sich in den vergangenen Jahren noch arbeitsteiliger aufzustellen – durch die Schaffung von Querschnittsressorts im Bereich Klimaschutz zum Beispiel. Trotzdem ist immer noch sehr viel Verantwortung im Amt des Oberbürgermeisters gebündelt.
Warum Teams bessere Chefs sein können
Deshalb wird es Zeit, auch den obersten Job in einer Stadt oder Gemeinde neu zu denken. Die Kultur kann hier als Vorbild dienen. In den vergangenen Jahren haben sich dort immer mehr Kollektive gebildet, um gemeinsam etwas zu erreichen. Inzwischen sogar in Leitungspositionen wie beispielsweise am Schauspielhaus Zürich. Dort teilen sich Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann den Job.
Die Vorteile solcher Duos liegen auf der Hand: In einem Team kann sich jede:r auf seine:ihre Stärken konzentrieren, Entscheidungen fallen automatisch vielfältiger aus, weil mehrere Sichtweisen in die Entscheidungsfindung einfließen können, die Last der Verantwortung liegt auf mehreren Schultern und – ganz banal – man kann präsenter sein.
Das hat Benjamin von Blomberg in einem Beitrag des „Tagblatt“ so erklärt: „Sobald die Intendanz berufen ist, erwartet die Öffentlichkeit, dass sie sich auch möglichst überall zeigt und in die Stadt eintaucht. Da ist es natürlich super, zu zweit zu sein. Man hat doppelt so viel Präsenz. Und alles ist halb so anstrengend.“
Geteilte Verantwortung, weniger Überforderung, bessere Entscheidungen
Warum also sollte man solche Modelle nicht auch in der Politik ausprobieren? Es wäre ein Weg, den Job in der Kommunalpolitik wieder attraktiver zu machen. Schon jetzt haben Städte und Gemeinden Schwierigkeiten, geeignete Bewerber:innen zu finden. Politische Entscheidungen könnten besser werden, weil sie ausgeruhter getroffen werden. Außerdem wäre es ein Weg, Amtsinhaber:innen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen.
Das bedeutet aber auch: Politiker:innen müssen lernen, sich selbst zurückzunehmen. Und wir müssen lernen, dass die sehr männlich geprägte Vorstellung eines ständig präsenten und stets verfügbaren „Stadtvaters“ vorbei ist.
Auch Politiker:innen dürfen Schwäche zeigen
Vielleicht ändert sich mit diesem Bewusstsein auch eine andere Zahl aus der Bertelsmann-Studie aus dem Jahr 2008. Die Notwendigkeit, keine Schwäche zeigen zu dürfen, empfanden 30 Prozent der Befragten damals als negative Begleiterscheinung ihres Jobs. Heute, 14 Jahre später, sollten wir weiter sein. Mal Schwäche zu zeigen, ist nicht peinlich, sondern menschlich. Das sollte auch für Politiker:innen gelten.
Für die Studie „Beruf Bürgermeister/in. Eine Bestandsaufnahme für Deutschland“ hat die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vom 6. November bis zum 17. Dezember 2007 in Deutschland insgesamt 1.153 zufällig ausgewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Städten und Gemeinden ab 2.000 Einwohnern schriftlich bzw. online befragt. Zusätzlich zur Befragung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Deutschland wurden in einer repräsentativen Parallelbefragung auch die Bürgerinnen und Bürger zum Thema Bürgermeister befragt.
Die gesamte Studie zum Nachlesen gibt es hier.
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