Mit seinen fünfunddreißig Jahren ist Stefan Kitzmann schon ganz schön viel herumgekommen, beruflich und privat. Bevor er nun (erstmal) wieder angekommen ist hier am See. Nach seinem Zivildienst im Evangelischen Jugendhaus im Paradies verbrachte er ein Jahr in Australien. Als er sich dann zu spät für die Anmeldung zum Studium einschrieb, entschied er sich dazu, eine Ausbildung zum Tauchlehrer in Meersburg zu absolvieren. Darauf folgte das Studium der Sozialen Arbeit in Stuttgart. Das Studium war dual mit der Stadt Konstanz verbunden, sodass er in seinen dreimonatigen Praktikumsphasen im Jugendzentrum, zweimal bei der Mobilen Jugendarbeit und ins Kinderkulturzentrum (KiKuz) reinschaute. Sein Auslandspraktikum führte ihn nach Kapstadt, wo er in einem Schul-sozialen Projekt mitarbeitete, das Jugendlichen dabei hilft, ihren Schulabschluss zu erreichen.
In Konstanz war er zunächst in Teilzeit im Treffpunkt Petershausen tätig. Dort organisierte er das Event „Petershausen spielt!“ mit und lernte dabei viele Menschen kennen. Währenddessen betreute er auch Kinder, während ihre Eltern an Sprachkursen teilnahmen. In der anderen Hälfte seiner beruflichen Laufbahn arbeitete er im Bereich Kinder- und Jugendbeteiligung. Dort trug er zum Kinderstadtplan bei, der Kindern interessante Orte in der Stadt vorstellt, von Eisessen bis Schlittenfahren. Später war er beim freien Träger „flexflow“ beschäftigt und kümmerte sich auf einem Campingplatz in Moos um bis zu zwanzig unbegleitete jugendliche Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Gambia. Er vermittelte sie in Schulen und unternahm in seiner Freizeit Aktivitäten wie Schwimmen oder das Zeigen der lokalen Esskultur, wie zum Beispiel das Essen einer Brezel.
Aus Brüssel zurück in die Heimat
Anschließend absolvierte er seinen Master in European Studies in Göteborg, wo er 2017 am EU-Sozialgipfel teilnahm. Dort wurden die „Europäischen Säulen der sozialen Rechte“ proklamiert. Er nahm an Workshops teil und lernte die Leiterin der „Euro-Diakonie“ kennen. Nach Abschluss seines Studiums bot sie ihm einen Job als Politikreferent in Brüssel an. Dort betrieb er vier Jahre lang Lobbyarbeit, verbrachte zwischendurch zwei Monate bei der deutschen Botschaft in London und knüpfte Kontakte. Er verfolgte politische Debatten im Europaparlament und versuchte, Themen wie Kinderarmut oder Mindestlohn ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und dort zu halten. „Interessante Arbeit, aber doch weit weg von der Basis der Sozialen Arbeit“, sagt er.
Dies führte ihn dazu, sich wieder in seiner Heimat zu bewerben. Seit Juli 2022 ist er nun bei der Mobilen Jugendarbeit tätig. Er leitet ein kleines Team mit 2,75 Planstellen und einer Auszubildenden. Übersichtlich.
Können wir das als Beweis für das „Herumkommen“ betrachten? Dieses Stichwort lässt sich möglicherweise auch auf diejenigen übertragen, um die sich Stefan Kitzmann jetzt kümmert: junge Menschen im Alter zwischen 14 und 27 Jahren, die laut sozialem Fachjargon „nicht ausreichend vom Regelangebot erreicht werden können“. Mit anderen Worten: Sie fallen immer wieder durch das Netz der sozialen Angebote, die jede Kommune bereitstellt. Es handelt sich um Menschen, deren Lebensmittelpunkt eher auf der Straße als in Wohnungen liegt. Menschen, die oft keinen Schulabschluss haben. Menschen, die keine familiäre Unterstützung erhalten, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und auszufüllen.
Vernetzung ist wichtig
„Unsere Arbeit beruht auf vier Säulen“, erklärt Stefan Kitzmann. Die erste Säule ist die individuelle Beratung, die in allen Lebenslagen unterstützen kann. Ob jemand ungewollt Vater oder Mutter wird, ob Lebensläufe für Bewerbungen auf Ausbildungsstellen verfasst werden müssen, ob jemand in die rechte Szene, den Alkohol oder andere Probleme abgerutscht ist, ob jemand ein Drogenproblem hat – die Liste der Herausforderungen ist lang. „Unser Angebot ist niederschwellig und kostenlos. Manchmal spricht es sich einfach herum, dass man hier Hilfe bekommt. Und wir sind gut vernetzt mit allen anderen Einrichtungen der Stadt.“ Wenn zum Beispiel jemand mit Schulden kommt, kann man ihn problemlos an die Schuldenberatung weitervermitteln.
Eine zweite Säule ist die „Streetwork“. Man gehe immer zu zweit los, meist am Nachmittag, Abend, dorthin, wo sich Jugendliche aufhalten. Herosé, Zähringer Platz, Stromeyersdorf, im Sommer zu Badeplätzen. Mit dabei sind stets Flyer. Um über ihr Angebot zu informieren oder gegebenenfalls sogar vor Ort gleich eine kurze Beratung durchzuführen. „Dabei sind wir uns immer bewusst, dass wir nur Gast in der Lebenswelt der Jugendlichen sind.“ Deshalb werde erst gefragt, ob man störe. Klingt nach Achtsamkeit und Respekt vor dem anderen. „Wir versuchen, einfach ehrlich zu sein.“ All das braucht es auch, um Misstrauen ab- und Vertrauen aufzubauen. „Mit der Zeit entwickelt man einen Blick für die, die vielleicht ansprechbar sind.“
Fußball gegen Hemmschwellen
Was dabei hilft, Säule drei, ist das Budget, um solchen Gruppen auch mal ein „Cliquenangebot“ machen zu können: Zusammen bowlen, ins Schwimmbad, zu einem Fußballspiel gehen. Etwas, was sich die Jugendlichen vielleicht sonst nicht leisten könnten oder würden. Auch hier: um überhaupt in Kontakt zu kommen, Hemmschwellen abzubauen.
Und viertens wäre da die „Gemeinwesen-Arbeit“. Dass man als Interessenvertretung der Jungen in Stadtteilkonferenzen sitzt, in Arbeitskreisen wie für die Wohnungslosen oder Straffälligen das einbringen kann, was aus der Sicht der Sozialarbeit notwendig ist. Da geht es auch um die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, an denen sich Jugendliche gerne und viel aufhalten. „Am DFB-Fußballplatz an den Öhmdwiesen gibt es einen renovierungsbedürftigen Unterstand und es fehlen Netze um das Feld.“ Dahinter sei Sumpf, mühsam sei es, da immer wieder den Ball rauszufischen. Solche Projekte eben. Für den Fußballplatz am Jugendzentrum, der viel benutzt wird, würde eine kleine Fluchtlichtanlage nicht schaden, dass man auch noch bei Anbruch der Dunkelheit weiterspielen könnte – selbstverständlich nur bis zur vorgeschriebenen Nachtruhe –, um all das gelte es sich zu kümmern.
Sie organisieren auch größere Veranstaltungen, wie zum Beispiel das Nightsoccer-Turnier, das letztes Jahr in der Halle der Geschwister-Scholl-Schule stattfand. Das Turnier begann um 19 Uhr und dauerte bis in die Nacht um Eins. Zwölf Mannschaften nahmen teil und knapp 200 Zuschauer waren dabei. Solche Veranstaltungen ziehen immer viele Menschen an. Es sei jedoch wichtig, ihre Arbeit von der Diskussion um nächtliche Ruhestörungen am Herosé abzugrenzen. Kitzmann hat dazu eine klare Meinung. Er beobachtet, wie Jugendliche aus dem städtischen Raum verdrängt werden. Wo sollen sie hin? Am Seerheinufer wurde ein städtischer Platz geschaffen, der natürlich einladend ist und zentral gelegen ist. „So etwas zieht immer.“
Wenn dort Studentenwohnheime stehen würden, sähe die Situation ganz anders aus, ist sich der Sozialarbeiter sicher. „Wir kümmern uns aber nicht um die Probleme, die junge Menschen machen, sondern um die Probleme, die sie haben.“ Es handelt sich um eine andere Zielgruppe und einen anderen Auftrag, auch wenn man sich vor Jahren am Seeufer eingebracht hat, als man das Glasverbot eingeführt hat. „Natürlich haben wir in unseren Gesprächen darauf hingewiesen, dass sie sich selbst schaden, wenn Flaschen am Ufer zu Bruch gehen.“ Kitzmann hat sowieso nicht den Eindruck, dass die Jugendlichen über die Stränge schlagen. Und repressives Vorgehen hilft sowieso nicht: Was bringt es, wenn sich die Fronten verhärten? „Und die Jugendlichen haben sich während Corona ja auch größtenteils mit der Gesellschaft solidarisch verhalten und zurückgesteckt.“ Und wenn Erwachsene sich ehrlich fragen würden, wie sie als Jugendliche unterwegs waren …? Klar, Kitzmann steht auf der Seite derer, die er vertritt. Und natürlich muss das Zusammenleben zwischen Alt und Jung in einer Stadt immer wieder neu ausbalanciert werden, es gibt keine dauerhafte Lösung. Und wenn die Jugendlichen Grenzen überschreiten, „dann werden auch Lautsprecherboxen vom Ordnungsdienst konfisziert“. Ganz klar. Kitzmann betrachtet die Situation pragmatisch, ohne ideologische Gräben im Kopf.
Keine Probleme machen, sondern haben
Und er sieht auch, dass er in seinem Job viel Geduld braucht. Zum Beispiel macht er auch mal Termine aus, zu denen dann niemand kommt. „Oder: Als Praktikant habe ich hier mal mit einem gesessen, dem war es ganz wichtig, seinen Lebenslauf zu schreiben.“ Um ihn dann am nächsten Tag in der Schule abzugeben. Ließ ihn aber liegen. Kitzmann hat ihm den dann noch vorbeigebracht. Und sich gewundert. Es erfordert Durchhaltevermögen, aber wenn sich dann Türen öffnen für diejenigen, die bereits fest davon überzeugt sind, dass nichts mehr für sie funktioniert, und die sich nur abgelehnt fühlen, dann ist das gut: „Solche Momente wollen wir schaffen.“ Ein Vermieter, der einem jungen Mann eine Chance gibt und ihm eine Wohnung gibt. Ein Unternehmen, das einem Schulabbrecher einen Praktikumsplatz bietet und dann schaut, ob es passt.
Stefan Kitzmann ist mit drei Brüdern und einer Schwester bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Als Sandwich-Kind in der Mitte hat er gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Er schaut nach unten und nach oben, nach eigenen Wegen und persönlicher Freiheit. Früher war er oft auf dem Kickplatz an der Wessenberg-Schule. Dort traf er auf die unterschiedlichsten Menschen und Typen. Diejenigen, die als gefährlich und verrufen galten, waren im direkten Kontakt überhaupt nicht so. „Man konnte mit allen auf dem Platz stehen und ohne Probleme gemeinsam kicken.“ Das habe ihn sensibilisiert und geprägt. Mit dieser Einstellung geht er nun zu jungen Menschen, die nicht Probleme machen, sondern erst einmal welche haben.