Es war wahrscheinlich der meistgesagte Satz am vergangenen Samstagnachmittag im Apollo Kreuzlingen: „Wir haben schnell gemerkt, dass wir doch sehr ähnlich ticken.“ So jedenfalls lautete das Fazit vieler Teilnehmer:innen unseres Dialogformats „Konstanz trifft Kreuzlingen“ in Kooperation mit My Country Talks und der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg im Rahmen unseres aktuellen Schwerpunktthemas.
Menschen aus Konstanz und Kreuzlingen waren hier zu Zweiergesprächen zusammengekommen, um über ganz verschiedene Themen zu reden, die an der Grenze eine Rolle spielen. Von einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Schweiz bis hin zur Frage der grünen Zettel an den Kassen des Konstanzer Einzelhandels.
Die Bedeutung des persönlichen Kontakts
Eine Erkenntnis der Vier-Augen-Gespräche lautete: Am Ende kommt es auf den persönlichen Kontakt an. Vorurteile und Klischees haben immer dann weniger Chancen, sich festzusetzen, wenn man jemanden auf der anderen Seite der Grenze persönlich kennt und schätzt.
Aber wie könnte unser Miteinander entlang der deutsch-schweizerischen Grenze über diese persönlichen Kontakte hinaus besser gelingen? Darüber diskutierten Sarah Müssig (Kulturamt Konstanz), Dr. Jörg Röber (Hochschule Kehl), Karin Peter (KMU Frauen Thurgau), Benjamin Michael-Lohs (EHC Kreuzlingen-Konstanz) und Petra Rindlisbacher (Dialogteilnehmerin) mit Moderatorin Wiebke Wetschera (Ko-Redaktionsleitung karla) im Anschluss. Aus diesem Gespräch sind sieben Tipps für ein besseres Miteinander an der Grenze entstanden. Los geht’s!
1. Orte für Begegnungen schaffen!
„Immer, wenn wir uns gegenseitig begegnen, spielen Vorurteile keine Rolle mehr“, sagt beispielsweise Petra Rindlisbacher. Sie ist Präsidentin des Handharmonika Clubs Kreuzlingen und hat schon mehrfach gemeinsame Konzerte mit Konstanzer Akkordeonmusiker:innen veranstaltet. Wichtig dabei sei vor allem das Miteinander. Was aus ihrer Sicht hier noch besser werden könnte: „Wir sollten Konzerttermine besser absprechen, uns mehr koordinieren und alle Kulturvereine stärker vernetzen“, findet Rindlisbacher.
Es braucht also mehr Orte, an denen Konstanzer:innen und Kreuzlinger:innen tatsächlich gemeinsam etwas machen können. Die Infrastruktur dafür steht eigentlich schon bereit: Vor allem in Kreuzlingen gibt es mit dem Apollo, dem Kult-X und dem Trösch drei Orte, die genau solche Begegnungen ermöglichen könnten. Sie müssten nur besser genutzt werden. In Konstanz könnte der Turm zur Katz, der ja auch ein Ort des Diskurses sein will, zu einem Konstanz-Kreuzlingen-Schmelztiegel werden.
2. Plattformen für grenzübergreifende Informationen bauen!
Wenn es die Infrastruktur für Begegnungen eigentlich schon gibt, sie aber noch zu selten genutzt wird, könnte eine Lösung sein – besser darüber zu informieren und zu kommunizieren. Das war jedenfalls eine Erkenntnis aus den Zweiergesprächen des Nachmittags: Viele wünschen sich einen gemeinsamen Informationskanal. Das könnte auch dabei helfen, die Sichtbarkeit der bereits existierenden grenzübergreifenden Projekte und Initiativen zu erhöhen.
Auch eine Erkenntnis: Medien denken die beiden Städte oft noch zu getrennt voneinander. Wer sich für das Kulturleben im Thurgau interessiert, kann in die Thurgauer Zeitung oder auf thurgaukultur.ch blicken, wer sich für Konstanz interessiert, kann karla, Seemoz oder den Südkurier lesen. Man bekommt aber sehr oft lediglich einen Ausschnitt. Beides gemeinsam denkt bisher eigentlich nur das Magazin „Nun“. Das erscheint aber nur einmal im Jahr. Grundsätzlich gilt: karlas Kalender ist offen für alle Veranstalter:innen. Je mehr Kreuzlinger und Konstanzer Veranstaltende ihre Termine bei uns eintragen, umso grenzübergreifender kann der Kalender werden.
3. Den Raum gemeinsam denken!
„Es gibt so viele Dinge, da hängen wir zusammen. Nachhaltigkeit, Stadtplanung, Mobilität, Klimaschutz, Kultur, zum Beispiel. In all diesen Feldern müssen wir noch viel stärker lernen, uns als gemeinsame Region zu verstehen“, sagt Dr. Jörg Röber, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, der in Konstanz studiert hat. Hier erlebt er noch oft Grenzen, wenn es um Standort- und Wirtschaftsfragen geht: „Dann will eben doch jeder das Spital oder die Shopping Mall lieber nur auf seiner Seite der Grenze.“ Hier die Zusammenarbeit zu stärken könnte das Miteinander fördern, findet Röber. Hilfreich könnte dabei sein, die bestehenden Instrumente intensiver zu nutzen. Über das Agglomerationsprogramm Konstanz-Kreuzlingen beispielsweise können auch Baumaßnahmen in Konstanz mit Geld vom Schweizer Bund gefördert werden.
Ein Beispiel dafür: die fußgängerfreundliche Umgestaltung und Aufwertung des Rheinsteigs. Aus diesem Topf wären für Konstanz bis 2025 beziehungsweise 2027 noch Mittel in Höhe von rund einer Millionen Franken abrufbar. Auch deshalb hat sich die Stadt Konstanz in diesem Jahr entschieden, ihr Engagement beim Verein Agglomeration Kreuzlingen-Konstanz (VAKK) zu verstärken. Im April dieses Jahres hat der Gemeinderat zudem eine eigene Charta zur „Zusammenarbeit für eine starke Region Kreuzlingen-Konstanz“ verabschiedet.
Darin vereinbaren Städte und Gemeinden auf deutscher und Schweizer Seite sowie der Kanton Thurgau, der Landkreis Konstanz und der Regionalverband Hochrhein-Bodensee mehr Kooperationen. Das trifft auch auf einen Wunsch von Benjamin Michael-Lohs vom EHC Kreuzlingen-Konstanz: „Mehr Durchlässigkeit und Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen könnte helfen Hürden zu senken.“ In der Theorie klappt das schon ganz gut, in der Praxis fehlt noch manches Mal die Durchschlagskraft.
4. Nicht alles neu erfinden, Räume gemeinsam nutzen!
„Wir müssen unseren kulturellen Stadtraum nicht nur stärker als einen Raum denken, sondern ihn auch als einen Raum nutzen“, sagt Sarah Müssig, Leiterin des Konstanzer Kulturamts. Heißt auch, dass es dies- und jenseits der Grenze nicht immer dasselbe Angebot geben muss. Das Ziel wäre: sich gegenseitig ergänzen und kooperieren statt konkurrieren. Ein Beispiel: Konstanz hat Theater und Philharmonie, Kreuzlingen hat mit dem Kunstraum einen spektakulären Ort für junge und zeitgenössische Kunst. Was der eine hat, muss der andere nicht mühsam aufbauen.
Besser wäre, für die Angebote auf der anderen Seite der Grenze zu werben. Am Ende haben alle was davon. Das Konstanzer Kulturamt geht da jetzt voran: „In der Überarbeitung unserer Kulturförderrichtlinien wollen wir einen Passus einbauen, der Atelier- und Band-Raumförderung in Konstanz und Kreuzlingen ermöglicht“, erklärte Sarah Müssig. Auch das würde beiden Städten helfen: Die Kulturszenen vernetzen sich, die größere Vielfalt an Atelier und Bandräumen in Kreuzlingen gleicht den Mangel in Konstanz aus.
5. Bürokratie abbauen!
Wenn die Grenze spürbar wird, dann hat das oft mit den unterschiedlichen Verwaltungsabläufen in Konstanz und Kreuzlingen zu tun. Die politischen Systeme unterscheiden sich. „Oft fehlt es dann auch an Wissen darüber, wie Prozesse im jeweils anderen Land laufen und organisiert sind“, sagt der Verwaltungswissenschaftler Röber.
Das sieht Karin Peter vom Thurgauer Unternehmerinnen-Netzwerk KMU ähnlich. Sie beklagt aber auch: „Es gibt noch zu viele Hürden für Dienstleistungen und Waren an der Grenze. Da könnte vieles besser laufen.“ Tatsächlich ist das allerdings eine Aufgabe, an der die beiden Städte Kreuzlingen und Konstanz wenig drehen können. Bei Grenz- und Zollfragen kommen Berlin und Bern ins Spiel – und dann wird es oft kompliziert.
6. Verteilungskonflikte aushalten!
Auch wenn es in einem konkreten Projekt mal kracht, sollte man das große Ganze nicht in Frage stellen. Man sollte zudem nicht ausblenden: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bedeutet auch Kosten. In der Regel sind solche Kooperationen nicht in den Haushalten der einzelnen Beteiligten verankerz. Das bedeutet: “ Man muss immer erstmal Geld finden, um zum Beispiel ein grenzüberschreitende Radroute einzurichten und das Projekt zu managen. Zudem verursacht auch die Koordination gewisse Kosten. Auch diese Kosten für Meetings, Tagungen, Reisekosten und Ähnliches sind meist schwer aufzutreiben”, erklärte Wissenschaftler Jörg Röber.
Die große Frage, die da im ebenfalls Raum steht, lautet: Sind wir bereit, für etwas zu zahlen oder etwas mitzufinanzieren, von dem wir nicht direkt und unmittelbar profitieren? Aktuelles Beispiel: Die notwendige Sanierung der Bodensee-Arena bei Klein Venedig. Kreuzlingen wünscht sich hier eine Beteiligung von Konstanz. Und der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt sagt: „Eine Entscheidung, Geld in die Schweiz zu zahlen, polarisiert in Konstanz.“ Er sagt aber auch: „Die Debatte müssen wir führen!“ Für ihn zählt die Eisfläche auch zur Sportinfrastruktur der Stadt Konstanz.
7. Gemeinsame Großprojekte wagen!
Große Dinge gemeinsam erarbeiten schweißt zusammen. Das weiß jede:r, der:die schon mal etwas in einem Team gewonnen hat. Und sei es nur die Kreisligameisterschaft im Fußball. Aber lässt sich das so einfach auf zwei Stadtgesellschaften übertragen? Ein Projekt, das jedenfalls in anderen Städten schon einen vergleichbaren Impact hatte, ist die Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt. Luxemburg und die Region um Saarland, Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz und Wallonien waren es 2007. Die Stadt Essen war es 2010 im Verbund mit dem Ruhrgebiet. Bis 2033 sind diese Städte bereits ausgewählt.
Aber nur mal so als Idee: 2036 wird es 30 Jahre her sein, dass der Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen abgebaut wurde. Wann, wenn nicht dann würde sich eine gemeinsame Bewerbung als Kulturhauptstadt anbieten? „Ich freue mich jedenfalls schon darauf, sollten wir dann wieder hier gemeinsam sitzen und zusammen darüber staunen, was in den vergangenen Jahren alles zwischen Konstanz und Kreuzlingen entstanden ist“, sagt der Grenzforscher Jörg Röber.
Schafft der Sport die Grenze beiseite?
Du willst mehr karla?
Werde jetzt Mitglied auf Steady und gestalte mit uns neuen Lokaljournalismus für Konstanz.
Oder unterstütze uns mit einer Spende über Paypal.