Tradition trifft auf Neu

Vor einem Neuanfang steht in der Regel erst einmal ein Ende. Das Ende eines Projektes, das Ende einer Karriere, das Ende einer Auszeit. Oder wie bei Tamaras Weinstube: das Ende einer Ära. Einen Neuanfang wagt dafür Patrick Schreibmüller und hat im November das Weinglöckle in der Niederburg neu eröffnet.
Linda ist Urkonstanzerin und hat nach zehn Jahren Großstadtgeflüster in…

Will man die Öffnungszeiten von Tamaras Weinstube nachschauen, liest man jetzt: „Dauerhaft geschlossen“. Seit dem 31. Dezember 2022 ist die Wirtin Tamara Unterwerner nicht mehr Pächterin der beliebten Weinkneipe Zum Guten Hirten. Gemeinsam mit ihrem Sohn betreibt sie aber weiterhin das zugehörige Hotel am Fischmarkt in der Zollernstraße. Tamara sieht man die vielen Schritte, die sie tagtäglich in ihrer Weinstube läuft, auch an. Die schlanke 60-Jährige wirkt fit wie ein Turnschuh. Ihr Dialekt enttarnt sie als wahre Bodenseelerin. Die gebürtige Stockacherin gibt die Weinstube nun nach 16 Jahren ab: „Leider haben wir für die Weinstube keine Einigung gefunden. Ich hab’ zu meinen Vermietern gesagt: Entweder verkauft ihr mir jetzt den Laden, damit ich Geld in die Hand nehmen und renovieren kann, oder ihr nehmt Geld in die Hand. Einer muss es machen. Und das war das Problem. Ich kann nicht so viel Geld in etwas investieren, das nicht mein Eigenkapital ist“, erzählt Tamara und nennt das als Hauptgrund für ihren Abgang. Der neue Pächter Hubertus Reiber, der auch das Barleben an der Seestraße betreibt, setzt sich also ins unrenovierte Nest.

Tamara Unterwerner vor der Weinstube, die sie 16 Jahre lange betrieben hat.

Den Kund:innen will sie treu bleiben

Tamaras Weinstube war ein Ort der Begegnung für viele Konstanzer:innen. Die Weinstube lebte vor allem durch ihre Pächterin, die für jede:n ein Plätzchen fand. „Es ist tragisch, zu gehen. Ich bin aber dran, etwas Neues zu machen. Nicht mehr in so aufwendigem Rahmen, aber mein Ziel ist es, meine Kunden auch weiter sehen zu können. Nach 41 Jahren Gastronomie sind meine Kunden meine Freunde.“ Obwohl die Wirtin traurig über die Schließung ist, freut sie sich auch auf die Zeit, die ihr jetzt bevorsteht: Geburtstagspost der letzten Jahre lesen, mit dem Fahrrad nach Barcelona fahren und im Hotel helfen. Finanziell macht sie sich keine Sorgen. „Ich habe nie über meine Bedürfnisse gelebt und glaube, dass ich gut zurechtkommen werde“, sagt die 60-Jährige.

Politik im Hinterstübchen

Das Besondere an Tamaras Weinstube war, dass die unterschiedlichsten Menschen an einen Tisch kamen. Anwält:innen und Stadträt:innen, Schweizer:innen und Deutsche, junge und alte Menschen. Tamaras Weinstube war nach Gemeinderatssitzungen ein beliebter Ort für ein abschließendes Getränk. „Die Mischung macht’s; ich glaube, deshalb kamen die Leute so gerne“, sagt Tamara.

„Ich bin überhaupt nicht politisch und weiß manchmal auch gar nicht, wer da jetzt alles zusammensitzt. Mich interessiert nicht die Politik, mich interessieren die Menschen. Aber was ich weiß: Claus Kleber war oft hier!“ Obwohl Tamara die Stube mit Sack und Pack verlässt, verschwindet sie nicht aus der Konstanzer Gastronomie. Sie möchte in kleinerem Rahmen neu starten. Dafür müsse sie möglicherweise nach Bali fliegen. Außerdem wartet sie aktuell auf die Zustimmung der Stadt, bevor sie ihre neuen Pläne bekannt gibt. Mit dem Ende von Tamaras Weinstube entsteht nicht nur für sie persönlich etwas Neues: Auch die Konstanzer:innen dürfen sich freuen.

S’Glöckle

Während Tamara noch im Abschiedsprozess steckt, hat Patrick Schreibmüller bereits im vergangenen November das Weinglöckle in der Niederburg neu eröffnet. Nachdem der vorherige Pächter Achim Gretzmeier in der Pandemie die Weinstube geschlossen hatte, wagte der 33-Jährige einen Neuanfang in der Gastronomie. „Ich habe schon immer neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit in der Jugendhilfe in der Gastro gearbeitet. Jetzt drehe ich den Spieß um und bin Pächter vom Weinglöckle.“ Als Ausgleich arbeitet Patrick aber weiterhin mit 20 Prozent in der Jugendhilfe.

Der neue Besitzer vom Glöckle hat sich einige Konzepte überlegt für seine Kneipe. Aus der traditionsreichen Weinstube, dessen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, macht er etwas Neues. Er will nicht mehr nur eine reine Weinstube sein und bietet deshalb auch Bier und Longdrinks an. Den Tresen hat er wiederbelebt, damit sich Menschen dort begegnen und kennenlernen können. „Wir sind immer noch dabei zu optimieren, aber mir war eine Mischung aus alt und modern wichtig. Das ist uns mit den neuen Glasregalen und dem Fachwerk, das jetzt schön rauskommt, auch gelungen“, sagt er. Das Haus aus dem Jahr 1353 beherbergte schon Schusterwerkstatt, Schlosserei und Metzgerei und wurde ab 1925 als Weinkeller genutzt. Im Jahr 1955 eröffnete dann das Weinglöckle das erste Mal als Weinstube. Bis heute ist das Glöckle ein beliebter Ort für einen Umtrunk.

Patrick Schreibmüller an seinem neuen Tresen im Weinglöckle in der Niederburg. Foto: Linda Lengler

Fasnacht als erste Herausforderung

Die Konstanzer:innen sind laut Patrick Schreibmüller froh, wenn Traditionslokale bestehen bleiben oder wieder eröffnen. Gerade aufgrund von Tamaras Abschied geht er davon aus, dass ihre Stammgäste unter anderem im Weinglöckle „Trost“ suchen. Auf Fasnacht ist er gespannt, weil er in der närrischen Zeit bisher nur vor der Theke stand. „Die Lagerkapazität ist beschränkt, da ist gute Vorbereitung nötig und auch logistisch gesehen wird es spannend.“ Der Konstanzer ist aber zuversichtlich. „Wenn nicht jetzt, wann dann“ ist sein Motto für seinen Neuanfang.

Patrick probiert sich derzeit noch an verschiedenen Ideen. Eine davon ist, dass man im vorderen Bereich vom Weinglöckle nicht mehr reservieren kann. „Hinten im Fass und bei den von mir eingerichteten Stehtischen kann man reservieren. Aber vorne möchte ich freie Platzwahl anbieten.“ Die Frage, ob Tamara ein Vorbild für ihn sei, beantwortet er so: „Ich weiß, dass sie schnell und flink ist, dass sie alle Menschen an Tische zusammensetzt und klar, diese Konzepte übernehme ich zum Teil auch.“ So entsteht Neues und die Traditionen bleiben zugleich erhalten.