Wie die Zukunft der Pflege in Konstanz aussehen kann

Konstanz steht vor einer Herausforderung: Der Bedarf an Pflegeplätzen steigt, während die stationäre und ambulante Versorgung immer schwieriger wird. Fest steht: Es müssen neue Ansätze her und die betreffen nicht nur die ältere Generation. 
Illustration: Fee Baske

Marija hat gemischte Gefühle, wenn sie über ihren Job in der Pflege spricht. Einerseits liebt sie ihren Beruf und hat die Ausbildung zur Pflegefachkraft absolviert. Sie schätzt die Dankbarkeit der Pflegebedürftigen und die Möglichkeit, Gutes zu tun. Außerdem arbeitet sie gerne mit vielen tollen Menschen zusammen.

Das Foto zeigt Marija.
Marija hat gemischte Gefühle, wenn sie über ihren Job in der Pflege spricht. Foto: Wiebke Wetschera

Marija ist 28 Jahre alt und kommt aus Serbien. Sie ist ausgebildete Krankenschwester und kam 2016 nach Deutschland. Da ihre Ausbildung nicht anerkannt wurde, arbeitete sie vier Jahre lang als Hilfskraft. Schließlich entschied sie sich für die Ausbildung zur Pflegefachkraft in Konstanz. Drei Jahre lang besuchte sie die Mettnau-Schule in Radolfzell und arbeitete in verschiedenen Einrichtungen in Konstanz. „Ich finde den Beruf sehr schön und würde ihn jedem empfehlen“, sagt Marija. Das ist die positive Seite. Auf der anderen Seite gibt es Phasen, in denen sie zwölf Tage am Stück arbeitet. Sie hat ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht genug Zeit für die Pflegebedürftigen hat. Die Arbeitszeiten sind schlecht und sie hat das Gefühl, daran nicht viel ändern zu können. „Man kann nicht mehr als fünf oder sechs Tage am Stück arbeiten. Die Leute gehen psychisch und physisch daran kaputt“, erzählt Marija. Der Grund, warum sie der Altenpflege nun den Rücken kehrt. 

Petra Böhrer steht in ihrem Büro im Sozial- und Jugendamt (SJA) vor einer Pinnwand. Dort hängen runde Zettel in verschiedenen Farben. Petra Böhrer nennt sie Bubbles, Blasen. Die Bubbles sind vollgeschrieben. Auf einem weißen Zettel steht „Beratung altersgerechtes Wohnen“, auf einem roten steht „Kampagne für die Pflege“ und auf einem anderen Bubble steht „Gründung privater Pflegedienste unterstützen, Übernahme sichern“. Das sind Themen, die die Stadt betreffen. Petra Böhrer arbeitet in der Abteilung Altenhilfe beim SJA und ist vor allem für das „Handlungsprogramm Pflege & mehr“ und die Beratung und Begleitung von ambulant betreuten Wohngemeinschaften im Gründungsprozess zuständig. „Wir als Abteilung Altenhilfe können das Rad alleine nicht rumreißen. Wir sind darauf angewiesen, die Ideen mit Menschen umzusetzen, die etwas verändern und gemeinsam aktiv werden wollen. Dafür muss man viel Kommunikation betreiben und Geduld haben“, sagt sie. Um den Überblick zu behalten hat sie die Bubbles an der Wand. 

Petra Böhrer steht in ihrem Büro im Sozial- und Jugendamt (SJA) vor einer Pinnwand mit vollgeschriebenen Zetteln zum Handlungsprogramm.
Petra Böhrer arbeitet in der Abteilung Altenhilfe beim SJA und ist vor allem für das “Handlungsprogramm Pflege & mehr” und die Beratung und Begleitung von ambulant betreuten Wohngemeinschaften im Gründungsprozess zuständig. Foto: Wiebke Wetschera

Der Stand der Dinge

In Konstanz gibt es derzeit elf Pflegeheime und fünf ambulant betreute Wohngemeinschaften, die rund um die Uhr die Versorgung pflegebedürftiger Menschen gewährleisten. Obwohl neue Pflegeheime wie das Pflegeheim Zoffingen oder das Pflegeheim der Spitalstiftung am Weiherhof entstehen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass auch mehr Plätze zur Verfügung stehen. Im Gegenteil, alte Heime werden oft reduziert oder ganz geschlossen.

Der aktuelle Pflegebericht der Altenhilfe verdeutlicht, dass jedoch mehr Plätze benötigt werden. Die Angebote für die 24-Stunden-Versorgung im Jahr 2030 reichen nicht aus, um den steigenden Bedarf zu decken. Derzeit gibt es in Konstanz 755 Plätze. Bis 2030 sollen es 789 sein. Laut Prognose werden dennoch 76 Plätze in den stationären Einrichtungen fehlen. „Wenn Menschen zuhause versorgt werden können, werden Pflegeheime entlastet. Bricht die Versorgung zuhause weg, dann wird der Druck auf die Pflegeheime größer. Man kann das also gar nicht getrennt voneinander betrachten“, erklärt Petra Böhrer.

Die Situation in den Pflegeheimen

Bärbel Sackmann arbeitet seit 23 Jahren in der Pflege bei der Caritas. Sie war zwölf Jahre lang Leiterin des St. Marienhauses. In dieser Zeit gab es immer Anfragen, nie einen Mangel an Interessenten. Sackmann sagt:

„Ich habe nicht einmal erlebt, dass wir in dieser Zeit keine Anfrage hatten. Im Gegenteil: Ich könnte ein Zelt mit 30 Feldbetten draußen aufstellen und wir hätten immer noch nicht genug Platz.“

Bärbel Sackmann

Die Caritas betreibt das Haus Don Bosco mit 57 Plätzen und das Marienhaus mit 101 Plätzen. Im September ziehen die Bewohner:innen aus dem Marienhaus in das neue Haus Zoffingen um. Dabei entstehen vier neue Betten.

Das Foto zeigt Bärbel Sackmann.
Bärbel Sackmann. Foto: Caritas

Sackmann, die seit Mai in der Geschäftsleitung der Caritas tätig ist, sagt: „Vier Betten zusätzlich sind ja gar nichts, da sind wir nicht mal ein Tropfen auf dem heißen Stein mit unserem Umzug.“ Sackmann berichtet: „Was sich massiv geändert hat, ist der kurze Aufenthalt und damit der hohe Wechsel an Bewohnern.“ Früher gab es etwa 50 Neuaufnahmen pro Jahr, vor Corona waren es rund 80. Bis Mitte dieses Jahres waren es bereits 100. „Und das ist ja politisch gewollt. Es gilt ambulant vor stationär, die Leute kommen immer später, im immer schlechteren Zustand mit einem höheren Pflegegrad und das bedeutet natürlich auch mehr pflegerischen Aufwand.“ Bewohner:innen, die jahrelang in Pflegeheimen bleiben, sind mittlerweile die Ausnahme. Die meisten bleiben nur wenige Wochen oder Monate.

„Dadurch erhöht sich das Tempo in der Altenhilfe so stark, die Pfleger:innen wollen ja eigentlich eine Bindung aufbauen, aber sie sehen die Leute nur noch relativ kurz und das macht das sehr schwer. Das empfinde ich als den größten Stressfaktor.“

Bärbel Sackmann

Was kann die ambulante Pflege leisten?

Immer mehr Menschen möchten auch im Falle von Hilfe- und Pflegebedarf in ihren eigenen vier Wänden bleiben. Um dies zu ermöglichen, sind ambulante Pflegedienste von entscheidender Bedeutung. In Konstanz gab es bis vor einigen Jahren sowohl private als auch trägergeführte Pflegedienste in gleicher Anzahl. Mittlerweile haben jedoch vier private Pflegedienste ihren Betrieb eingestellt. Dies hat Auswirkungen auf die Arbeit von Mandy Ehrenberg, die Leiterin des ambulanten Pflegedienstes bei der Spitalstiftung. Sie berichtet: „Ich könnte in der Woche bestimmt 50 neue Kunden aufnehmen.“ Ehrenberg und ihr Team, bestehend aus 54 Mitarbeitenden, kümmern sich um 160 pflegebedürftige Menschen.

„Man erbringt ja als ambulanter Dienst ganz viele Leistungen, die man gar nicht berechnet. Wenn meine Mitarbeiter gefragt werden, ob sie kurz den Müll mitnehmen können, dann machen sie das natürlich. Aber genau das sind die Sachen, die den kleinen Pflegediensten das Genick brechen. Das ist weniger diese Tat an sich, aber die damit verbundene Zeit. Bei 20 Kunden summiert sich das.“

Mandy Ehrenberg

Wenn das Team merkt, dass eine ambulante Pflege nicht mehr möglich ist, greift Ehrenberg zum Telefon. Sie kennt die richtigen Ansprechpartner:innen in Konstanz und weiß, wen sie kontaktieren muss. „Manchmal habe ich Glück“, erzählt sie. Erst kürzlich konnte sie einem pflegebedürftigen Menschen zumindest ein Doppelzimmer vermitteln. Obwohl es dem Pflegedienst der Stiftung im Vergleich zu den privaten Diensten recht gut geht, sind Veränderungen dringend nötig. „Es müsste viel mehr Personal geben, um die Dienste attraktiver zu gestalten. Noch ist es ja schon sehr viel und sehr hart, was die Pflegekräfte leisten müssen. Es wäre gut, das auf mehr Schultern zu verteilen“, betont Ehrenberg.

Das Foto zeigt Mandy Ehrenberg.
Mandy Ehrenberg leitet die ambulante Pflege bei der Spitalstiftung Konstanz. Foto: Spitalstiftung

Auch Kurzzeitpflegeplätze könnten dazu beitragen, die ambulante Pflege zu entlasten. Bisher fehlen in Konstanz und im gesamten Landkreis ganzjährig verfügbare Kurzzeitpflegeplätze. Die zukünftig im Haus Zoffingen zur Verfügung stehenden Kurzzeitpflegeplätze könnten die Versorgungssituation in Konstanz zumindest etwas verbessern.

Es fehlen Mitarbeitende und Wohnungen

Der Ausbau von Dauer- und Kurzzeitpflegeplätzen allein reicht nicht aus. Das Hauptproblem ist der Mangel an Fachkräften, das ist das zentrale Thema in jedem Arbeitskreis“, erklärt Petra Böhrer.

„Die Einrichtungen konkurrieren heute nicht um Kunden, sondern um Fachkräfte. Im Grunde brauchen wir viel mehr Fachkräfte.“

Petra Böhrer
Das Foto zeigt zwei Hände, die aufeinandergelegt sind.
Wie kann es mit der Pflege in Konstanz weitergehen?

„Der Markt ist hart und unfair geworden“, sagt Bärbel Sackmann von der Caritas. „Wir fischen alle im leeren Teich. Es gibt viele Einrichtungen, die selbst nicht ausbilden und uns dann die Mitarbeiter nach der Ausbildung abwerben.“

„Wir haben für uns festgestellt, dass die beste Möglichkeit Mitarbeitende zu gewinnen ist, sie auszubilden“, sagt Annette Bortfeldt aus dem Pflegemanagement der Spitalstiftung. Im FSJ können Menschen aus verschiedenen Ländern ankommen, ihre Sprachkenntnisse verbessern und herausfinden, ob ihnen die Pflege gefällt. „Wenn ja, können sie anschließend direkt in die Ausbildung einsteigen“, so Bortfeldt. Aber: Wenn sich Fachkräfte aus anderen Regionen bewerben, finden sie in Konstanz oft keine bezahlbare Wohnung und können ihre Stelle nicht antreten. Daher müssen die Träger von Pflegeheimen in Konstanz, wie die Caritas oder die Spitalstiftung, selbst Wohnraum anbieten.

Das Foto zeigt Annette Bortfeldt.
Annette Bortfeldt leitet das Pflegemanagement der Spitalstiftung. Foto: Spitalstiftung Konstanz

Das Handlungs­programm Pflege und mehr

Die Stadt ist sich der Probleme in der Pflege bewusst. Um aus der Spirale immer neuer Probleme auszubrechen, sind neue Ansätze erforderlich. Petra Böhrer erklärt: „Bislang waren wir hauptsächlich damit beschäftigt, die Menschen ab 65 Jahren zu allen Themen rund ums Älter werden zu beraten.“ Jetzt möchte sie sich jedoch mit Themen beschäftigen, die bisher vernachlässigt wurden – und mit einer anderen Zielgruppe.

„Eigentlich müssen wir nicht diejenigen ansprechen, die heute alt sind, sondern die, die morgen alt sind“, betont sie. In Konstanz wohnen momentan 22.248 Menschen über 60 Jahren – das ist ein Viertel aller Konstanzer:innen. Fakt ist: Immer weniger ältere Menschen können sich auf die Hilfe von Angehörigen verlassen. Die Babyboomer-Generation wird älter und hat gleichzeitig nur wenige Nachkommen. „Ich habe Freunde, die sagen, ich leiste mir dann eben einen Pflegedienst. Aber wenn etwas nicht da ist, dann kann man es sich auch nicht leisten können“, sagt Böhrer. „Wir müssen ganz generell als Gesellschaft umdenken in diesen ganzen Themen.“ Es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Versorgung im Alter. Das Alter ist somit eine persönliche und eine gesellschaftliche Aufgabe.

Das „Handlungsprogramm Pflege & mehr“ legt fest, wie das aussehen kann. Es wurde 2022 vom Gemeinderat verabschiedet. Der Stadtseniorenrat beteiligt sich aktiv an der Erstellung und Umsetzung des Handlungsprogramms und vertritt die Interessen der älteren Generation gegenüber der Verwaltung, dem Gemeinderat und den entsprechenden Ausschüssen. „Aus meiner Sicht ist besonders wichtig, dass versucht wird, dem Wunsch fast aller Pflegebedürftigen, so lange wie möglich zuhause bleiben zu können, entsprochen wird“, sagt Irene Heiland, Vorsitzende des Stadtseniorenrats. „Erforderlich ist eine Stärkung des Quartiergedankens und der Aufbau einer sorgenden Nachbarschaft. Beides setzt auch ein Umdenken in unserer weitgehend individualisierten Zivilgesellschaft voraus.“

Fünf Ansätze zur Verbesserung der Pflege in Konstanz

Die Lösungsansätze waren in den, für diesen Beitrag geführten, Interviews Thema. Zum Großteil sind die Ansätze auch Teil des Handlungsprogramms Pflege und mehr.

Wohngemeinschaften statt Pflegeheime: Pflegewohngemeinschaften können die Pflege in Konstanz verbessern. Bisher gibt es fünf solcher WGs, die ambulant betreut werden. Das Konzept hat viele Vorteile: Die Menschen können in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und ihr soziales Umfeld behalten. Gleichzeitig entlastet es die Angehörigen, da die Pflegebedürftigen nicht in ein Pflegeheim gebracht werden müssen. Ein weiterer Pluspunkt ist die schnelle Umsetzung im Vergleich zum Bau eines Pflegeheims. Vom Plan bis zum Einzug der ersten Bewohner im Pflegeheim an der Jungerhalde dauerte es zehn Jahre. Diese Zeit hat Konstanz nicht mehr, Pflegewohngemeinschaften lassen sich hingegen viel schneller realisieren. Die Stadt Konstanz unterstützt daher Interessenten bei der Planung und Gründung von ambulant betreuten Pflegewohngemeinschaften. Das Ziel ist, in jedem Stadtteil eine solche Wohngemeinschaft zu etablieren.

Einzelhelfer:innen: Wenn Pflegedienste überlastet sind, müssen alternative Ansätze gefunden werden. Hier kommt das Prinzip der Nachbarschaftshilfe ins Spiel. Natürlich können Nachbar:innen nicht die gleichen Leistungen erbringen wie professionelle Pflegedienste, aber sie können dennoch entlasten, indem sie kleine Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Einzelhelfer, das derzeit in Konstanz getestet wird. Dabei übernehmen Nachbar:innen oder Freund:innen von pflegebedürftigen Personen regelmäßig kleine Tätigkeiten wie Haushaltshilfe, Begleitung zum Arzt oder gemeinsame Spaziergänge. Als Dank erhalten sie eine kleine Aufwandsentschädigung. In Konstanz gibt es bereits elf solcher Einzelhelfer-Tandems, und Marion Götz vom Servicepunkt Einzelhelfer ist mit weiteren dreien im Gespräch.

Zusammenlegung ambulanter Dienste: Ambulante Pflegedienste könnten sich zusammenschließen und unter einem Dach arbeiten. Dieser Ansatz ähnelt dem bereits in der Gesundheitsversorgung praktizierten Modell der Zentralisierung von Leistungen. Eine große Klinik anstelle vieler kleiner Einrichtungen könnte auch für ambulante Pflegedienste überlebensfähiger sein.

Pflege im Quartier: Mit neuen Wohngebieten wie dem Horn und dem Hafner entstehen in Konstanz auch neue Quartiere. Diese bieten die Möglichkeit, den Gedanken der quartiersbezogenen Pflege direkt umzusetzen. Wenn die Konzepte so gestaltet sind, dass eine problemlose Nahversorgung möglich ist, eignen sich solche Quartiere auch für altersgerechtes Wohnen. Menschen, die altersgerecht wohnen, können selbstständig einkaufen gehen und benötigen weniger Unterstützung. Dies hängt sowohl von der Beschaffenheit der Wohnung als auch von der Infrastruktur des Quartiers ab. Im Hafner sind bereits eine Wohngemeinschaft und ein Pflegeheim geplant, und auch für die Christiani-Wiesen ist eine Wohngemeinschaft vorgesehen.

Verlässliche Arbeitszeiten und Ausgleich: Die Frage, wie man genügend Fachkräfte gewinnen und halten kann, ist von großer Bedeutung. Eine gute Arbeitsumgebung ist dabei entscheidend. Neben dem Gehalt sind vor allem angemessene Arbeitszeiten, verlässliche Dienstpläne, genug freie Tage und ein gutes Teamklima wichtig. 

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