Mehr Lohn, besseres Arbeitsklima? Zum Arbeiten in die Schweiz

Höherer Lohn, mehr Wertschätzung, kurzer Arbeitsweg: Konstanzer:innen arbeiten vermehrt in Kreuzlingen, Bottighofen oder Münsterlingen. Viele wandern sogar aus. karla hat mit einer Deutschen, die in der Schweiz lebt, und mit einer Grenzgängerin gesprochen.
Saskia Baumgartner ist Mitgründerin von karla. Seit 2013 arbeitet sie…

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht am Lohn liegt.“ Tanja Freitag ist Konstanzerin und arbeitet seit sechs Jahren in der Schweiz. Explizit nach einer Stelle im Nachbarland gesucht habe sie nicht. Als sie einen Job als Werksstudentin benötigte, sei sie auf Holidaycheck in Bottighofen gestoßen. Nicht zuletzt durch Empfehlungen von Bekannten. Sie fühlte sich im Betrieb wohl und habe dort nach dem Studium eine Festanstellung als Buchhalterin erhalten. 

Rekordzu­wachs an Grenz­gänger:innen

So wie Freitag pendeln viele Deutsche in die Schweiz. Ende 2022 waren im Kanton Thurgau rund 6.500 Grenzgänger:innen beschäftigt, und damit 8,1 Prozent mehr als im Vorjahr (1,2). Eine Zunahme, so stark wie seit 2011 nicht mehr. Daniel Wessner, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau, erklärt sich dies mit der unerwartet guten Erholung der Wirtschaft nach der Covid-Pandemie. „Die Inflation hielt sich in Grenzen im Vergleich zu den umliegenden Ländern und der Schweizer Franken ist stark.“ Die Anzahl offener Stellen liege im Kanton Thurgau auf Rekordhöhe. Das sei für Grenzgänger:innen interessant. „Auch lohnmäßig.“

Außer dem Lohn spielt für Freitag auch der kurze Arbeitsweg eine Rolle. „Ich fahre 15 Minuten mit dem Fahrrad“, sagt die 32-Jährige. Freitag ist in Bottighofen eine von vielen Grenzgänger:innen. Im 2.700-Einwohner-Ort machen diese gar über 22 Prozent (Stand 2020) aller Beschäftigen aus. So viel wie in keiner anderen Gemeinde des Kantons Thurgau. Freitags Arbeitgeber Holidaycheck trägt vermutlich dazu bei. Zur Thematik äußern möchte sich das Unternehmen gegenüber karla jedoch nicht. 

Außergewöhn­lich viele Deutsche ziehen in die Schweiz

Nebst den Grenzgänger:innen nimmt auch die Anzahl in der Schweiz wohnhafter Deutsche zu. 2022 stieg die Zahl deutscher Einwohner:innen im Kanton Thurgau um 980 Personen beziehungsweise um 4,1 Prozent. Gerade im Raum Konstanz/Kreuzlingen ziehen ungewöhnlich viele Deutsche in die Schweiz. Kreuzlingen besitzt mit 56 Prozent gar einen der größten Ausländeranteile im ganzen Land. Mehr als die Hälfte der Menschen ohne Schweizer Pass in Kreuzlingen kommt dabei aus Deutschland. In Tägerwilen (Ausländeranteil 38 Prozent) und Bottighofen (37 Prozent) machen die Deutschen gar zwei Drittel bis drei Viertel aller Ausländer aus. Bei den meisten handelt es sich um Erwerbstätige.

Für Tanja Freitag wäre ein Umzug in die Schweiz keine Option. Gerade hat sie zusammen mit ihrem Mann in Konstanz ein Haus gekauft. „Das war ein absoluter Glücksgriff.“ Doch auch ohne das Haus würde sie ihre Meinung nicht ändern. „Ich habe mich in Konstanz verliebt und möchte hierbleiben“, sagt die gebürtige Ulmerin. Die steuerlichen Vorteile der Schweiz könnten dieses Heimatgefühl nicht übertreffen.

„Ich werde nicht zurückkehren“

Für Yvonne Schiller indes überwiegen neben dem Beruf in der Schweiz auch die Vorteile eines dortigen Wohnorts. Die Physiotherapeutin wusste bereits nach ihrer ersten Anstellung in der Schweiz: „Ich werde nicht mehr nach Deutschland zurückkehren.“ Schiller, die nach der Ausbildung zur Physiotherapeutin Sportwissenschaften in Konstanz studiert hatte, arbeitet seit über 15 Jahren in der Schweiz. Inzwischen hat sie sich selbständig gemacht und führt eine Physiotherapie-Praxis in Kreuzlingen. 

Die Wertschätzung für ihren Beruf sei in der Schweiz viel höher. Nicht nur seitens der Patient:innen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen und Physiotherapeut:innen sei in der Schweiz besser. Man begegne sich auf Augenhöhe. Das habe sie in Deutschland so nie erlebt, sagt Schiller. Zudem könne sie sich in der Schweiz ausreichend Zeit für die Patient:innen nehmen. 

Der Umzug in die Schweiz habe aus beruflichen Gründen Sinn gemacht, sagt Schiller. Man werde im Vergleich zu Grenzgänger:innen eher akzeptiert. Auch privat biete die Schweiz Vorteile. Yvonne Schiller berichtet, dass ihre Tochter in Kreuzlingen beispielsweise nun in eine Schulklasse mit nur 16 Kindern kommt. Eine Gruppengröße, die in Deutschland kaum vorstellbar sei. Zudem sei gesetzlich geregelt, dass der Schulweg in der Primar- beziehungsweise Grundschule nicht länger als einen Kilometer sein dürfe. 

Anders als Freitag fühlt sich Schiller nicht einer Stadt oder einem Land, sondern vielmehr der Region verbunden. Sie nehme die Grenze eigentlich gar nicht wahr. Kreuzlingen und Konstanz seien zusammengewachsen und sie habe Freund:innen auf beiden Seiten. Mal gehe sie in der Schweiz einkaufen, mal in Deutschland. „Manche Produkte gibt es eben nur in der Migros, und manche nur im Edeka.“ Die Mentalität sei beidseits ähnlich. Passenderweise wird Schiller bald deutsch-schweizerische Doppelbürgerin sein. Das Einbürgerungsverfahren auf Gemeindeebene hat die 43-Jährige bereits hinter sich gebracht, nun müssen Kanton und Bund noch ihr Okay geben. 

„Mietpreise in Konstanz sind so granatenteuer geworden“

Dass es so viele Deutsche ihr gleichtun und in die Schweiz ziehen, ist für Schiller nicht verwunderlich. Nebst den guten Arbeitsbedingungen und dem höhere Gehalt würden auch die tieferen Steuersätze viele dazu bewegen, in der Schweiz zu wohnen, sagt sie. Zudem sei Kreuzlingen in den letzten Jahren attraktiver geworden und viel hochwertiger Wohnraum hinzugekommen. Dieser sei inzwischen nicht mehr teurer als jener in Konstanz. „Die Mietpreise in Konstanz sind so unglaublich teuer geworden“, sagt Schiller. Sie berichtet von einer Bekannten, die für ihre viereinhalb Zimmer in Konstanz-Staad mehr zahlt als sie für ihre Kreuzlinger Wohnung, bei gleicher Größe.  

Nehmen Deutsche Schwei­zer:innen den Job weg?

Wenn so viele Konstanzer:innen in Kreuzlingen, Bottighofen oder Münsterlingen arbeiten – nehmen sie dann eigentlich den Schweizer:innen den Job weg? Offenbar nicht. Die Arbeitslosenquote im Thurgau liegt derzeit bei tiefen 1,9 Prozent (Stand März 2023). Vielmehr ist es so, dass die Menschen nicht nur über die Grenze zur Arbeit pendeln, sondern auch innerhalb der Schweiz. Das geht aus dem Bericht „Die Auswirkungen der Coronapandemie auf die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums“ der Universität St. Gallen hervor. Dort heißt es:

„Gerade in den Kantonen Aargau, Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen ist zu vermuten, dass Grenzgänger aus Deutschland auch eine lokale ‚Arbeitsmarktlücke‘ schließen, die dort durch hohe Auspendlerzahlen in die Agglomerationen Zürich und Basel bestehen.“

Auch Daniel Wessner vom Kanton Thurgau sagt: „Aufgrund der guten Verkehrsverbindungen gibt es tatsächlich eine hohe Anzahl Pendlerinnen und Pendler. Diese zieht es hauptsächlich in die Kantone Zürich und St. Gallen.“ 

Auch Konstanz profitiert von Grenz­gänger:innen

Und wie steht es um den Kreis Konstanz, ist dieser aufgrund der Migration und der Grenzgänger:innen der große Verlierer? Wird der Fachkräftemangel dadurch verstärkt?

„Der lokale Arbeitsmarkt ist grenzübergreifend und wird natürlich durch die Schweiz beeinflusst, genauso verhält es sich aber auch in die andere Richtung.“

Eva Schmidt, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg

So profitierten insbesondere die Gastronomie und der Einzelhandel in Konstanz auf der einen Seite von der Schweizer Kaufkraft. Auf der anderen Seite übe die Schweiz mit ihrem hohen Lohnniveau eine gewisse Anziehungskraft auf Arbeitskräfte aus Deutschland aus. 

Gemäß Eva Schmidt würden vor allem bei älteren Arbeitnehmer:innen und Menschen mit Familie andere Faktoren den hohen Lohn relativieren. So gebe es in der Schweiz weniger Urlaubs- und Feiertage. „Die wöchentliche Arbeitszeit ist höher und es kann mitunter zu langen Pendelzeiten und Stau an der Grenze kommen“, so Schmid. „Zudem sind die Regelungen zur Elternzeit in der Schweiz deutlich begrenzter, der Raum für Familienzeiten wird damit kleiner.“ In Deutschland ist die Elternzeit von bis zu 3 Jahren deutlich länger, während es in der Schweiz nur einen 14-wöchigen Mutterschutz gibt. Vätern stehen in der Schweiz gesetzlich nach der Geburt nur 2 Wochen Vaterschaftsurlaub zu. Auch sei in der Schweiz die Kinderbetreuung Privatsache und teuer.  

Laut Schmidt pendelten im ersten Quartal 10.829 Grenzgänger:innen aus dem Landkreis Konstanz in die Schweiz. Mögen diese dem lokalen Arbeitsmarkt fehlen, so bietet das Grenzgängertum dennoch Vorteile für Konstanz. Das geht aus dem Bericht der Universität St. Gallen hervor. Und zwar aufgrund des sogenannten Einkommenstransfers. Demnach sind 2018 allein durch das in der Schweiz generierte Einkommen rund 700 Millionen Euro in den Landkreis Konstanz geflossen.

„Grenzgänger leisten durch ihr Einkommen und die resultierenden Konsumausgaben also in erheblichem Maße einen Beitrag zur regionalwirtschaftlichen Entwicklung“, heißt es im Bericht.

Zudem tragen sie zum Steueraufkommen bei, da sie sowohl in der Schweiz 4,5 Prozent Quellensteuer zahlen als auch in Deutschland besteuert werden. 

Übrigens gibt es im Grenzbereich auch Menschen, die zum Arbeiten von der Schweiz nach Deutschland pendeln. 450 Personen sind es im Landkreis Konstanz (Stand 2020), größtenteils handelt es sich um Deutsche. Einer von ihnen ist Yvonne Schillers Mann. Der Ingenieur pendelt von Kreuzlingen nach Konstanz.