Diese Konstanzer­innen wollen Familien­themen in den Gemeinderat bringen

Von Verkehr bis Gesundheit – so ziemlich jedes Thema in der Kommunalpolitik betrifft Konstanzer Familien. Doch es fehlt bisher an Institutionen, die ihre Interessen sammeln, strukturieren und im Gemeinderat platzieren. Ein neues Familienforum soll das ändern.
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael leitet…

Gemeinsam stärker? Aber sowas von! Die Diskussion um die Elternbeiträge in Konstanz hat gezeigt, was politisch möglich ist, wenn man sich zusammenschließt. Durch den Gesamtelternbeirat (GEB) Kita, WhatsApp-Gruppen und Mund-zu-Mund-Propaganda kamen schnell Unterschriften für eine Petition zusammen. Das Ergebnis: Durch den Dialog zwischen der Stadt und den Elternvertreter:nnen ist ein Kompromiss entstanden. „Was die Interessenvertretung im Bereich Kita und Schule angeht, sind wir mit dem GEB und GEB Kita in Konstanz schon gut aufgestellt, aber das Thema Familie umfasst ja noch viel mehr“, sagt Heike Kempe, Vorsitzende des GEB Kita.

Soteria Fuchs ist Gemeinderätin, Tagesmutter und auch selbst Mutter.
Foto: Wiebke Wetschera

„Als Tagesmutter bekomme ich jeden Tag so viele Impulse von meinen Familien“, sagt Soteria Fuchs, Gemeinderätin der Freien Grünen Liste (FGL), im Gespräch. „Aber genau diese Themen finden in der politischen Arbeit bisher wenig Platz.“

Um das zu ändern, haben Heike Kempe und Soteria Fuchs im Juli einen Aufruf in ihrem Netzwerk gestartet: „Wir sehen das Thema Familie von allen Bereichen der Kommunalpolitik berührt – nicht nur Soziales und Bildung, sondern auch Umwelt, Wirtschaft und Finanzen. Doch finden die unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensbedingungen der Konstanzer Familien auch genügend Berücksichtigung in den verschiedenen Feldern der Kommunalpolitik? Was können wir tun, um die Bedürfnisse und Interessen von Familien stärker in den Fokus zu rücken?“ heißt es in der E-Mail mit Termineinladung. Beim ersten Treffen des Familienforums Mitte Juli waren vier Teilnehmende da. Eine von ihnen ist Elisabeth Stühle. Ihre dreijährige Tochter Johanna wird von Soteria Fuchs als Tagesmutter betreut. Elisabeth ist gerade in Elternzeit, da sie vor kurzem ihre zweite Tochter Helena bekommen hat. Durch Soteria kam sie zum Familienforum. „Du hast dich über etwas nicht Familienfreundliches in der Stadt bei mir beschwert“, sagt Soteria Fuchs. „Und dann habe ich gemeint: Genau dafür wollen wir das Familienforum gründen.“

Das Ziel: familien­bewusste Kommune

Heike Kempe, Vorsitzende des GEB Kita.
Foto: Wiebke Wetschera

Gesagt, getan. Statt lang zu überlegen, welche Form das Familienforum haben soll – ob Verein, Initiative, loser Zusammenschluss –, haben Heike und Soteria einfach ihr Netzwerk aktiviert. „Man kann immer lange überlegen, aber genau das haben wir jetzt einfach mal nicht gemacht“, sagt Heike Kempe. Als das erste Interesse im Netzwerk positiv war, kam die Mail. Mitte Juli das erste Treffen, das nächste soll im Oktober stattfinden. Dann soll über die Zukunft des Forums diskutiert werden: „Erst wenn wir eine kleinere oder gerne auch größere Gruppe gefunden haben, machen wir uns Gedanken, wie genau man es aufziehen könnte“, sagt Soteria Fuchs. Ein konkretes Ziel haben sie aber schon: eine familienbewusste Kommune werden. „Damit die Menschen das Familienforum direkt mit einem Ziel verbinden können“, sagt Soteria Fuchs. Gleichzeitig sollte das Ziel realistisch sein: „Sonst hätten wir ja auch sagen können, wir wollen ausreichend bezahlbaren Wohnraum für Familien schaffen.“

Das Qualitätsprädikat von der Arbeitsgemeinschaft Netzwerk Familie Baden-Württemberg „Familienbewusste Kommune Plus“ ist eine Auszeichnung mit dem Ziel, den Bedürfnissen von Familien an eine Kommune gerecht zu werden. So erhalten interessierte Kommunen in zwölf Handlungsfeldern wie Freizeit und Kultur, Klimaschutz, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Gesundheit in der Kommune eine umfassende Stadtanalyse sowie eine Orientierung für ihre familienbewusste Weiterentwicklung. Erst kürzlich hat Friedrichshafen als erste Kommune am Bodensee das Prädikat erhalten. Es ist für vier Jahre gültig, dann muss sich die Stadt rezertifizieren. „Das wollen wir auch für unsere Stadt Konstanz bekommen“, sagt Soteria Fuchs, die das Konzept aus ihrem vorherigen Wohnort im Landkreis Calw bereits kennt.

„Ich habe es beim Aufrufen des Klimanotstands in Konstanz schon gemerkt: So etwas verpflichtet. Es ist nicht nur eine leere Hülse, sondern die muss auch mit Leben gefüllt und Geld darin investiert werden. So etwas wünsche ich mir auch für die Familien in Konstanz.“ 

Soteria Fuchs, Gemeinderätin

„Hier in Konstanz ist noch ganz viel zu tun.“

Themen, die das Familienforum bereits auf dem Plan hat, sind zum Beispiel die Beschattung in der Stadt, die zu niedrige Temperatur in den Kleinkinderbecken der Schwimmbäder oder mehr inklusive Spielmöglichkeiten. „Es sind viele kleine Interessen, aber wenn man die einfach mal sammelt, dann gibt’s ja doch größere Cluster an Themen, die sich daraus ergeben“, sagt Heike Kempe. Ein weiteres Thema: die Rücksichtnahme auf Kinder im Verkehr. Im Arbeitskreis Rad und Fuß wird die Thematik der Älteren durch den Stadtseniorenrat vertreten, „aber die Sicht der Familien fehlt“, sagt Fuchs. Auch der Hafner: „Das ist ein ganzes Stadtgebiet, was für Familien ganz anders geplant werden könnte.“ Als Vorreiterin nennt sie die Stadt Wien, die extra Angebote für Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten mit Kindern geschaffen hat. „Hier in Konstanz ist noch ganz viel zu tun“, sagt Soteria Fuchs.  

Forum als Initial­zündung

Elisabeth Stühler engagiert sich beim Familienforum, um zu verhindern, dass Themen hinten runterfallen.

„Es ist immer so schade, dass die ganze Aufmerksamkeit nur bei den Aufregern ist, aber es gibt ja auch super viele andere Sachen, die wichtig sind. Wir wollen auch da sein, wenn es mal nicht 300 Unterschriften für ein Thema gibt.“

Elisabeth Stühler, zweifache Mutter

Das sagt auch Soteria Fuchs: „Uns bewegen so viele Themen, die aber eigentlich immer noch nur punktuell und eventuell in der Politik ankommen. Da dachte ich mir, es muss einen anderen Weg geben.“ Und wie so oft, muss eine Idee eben jemand in die Hand nehmen – in diesem Fall Heike Kempe und Soteria Fuchs. „Ich glaube, der Bedarf ist da, es braucht nur ein bisschen Initialzündung“, sagt Soteria Fuchs. Und Heike Kempe ergänzt:

„Ich kann entweder auf dem Sofa sitzen und jammern oder ich kann versuchen, was zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn mehrere Menschen dasselbe denken und man dann gemeinsam etwas versucht, erreicht man auch was.“

Heike Kempe

Bis Konstanz in die Fußstapfen von Friedrichshafen als familienbewusste Kommune treten kann, ist es noch ein langer Weg. Doch der erste Schritt mit dem ersten Treffen des Familienforums ist gegangen. Neue Mitglieder sind beim zweiten Treffen im Oktober willkommen. Väter wie Mütter, Eltern wie Großeltern – eigentlich jede:r, der:die sich für das Thema Familie interessiert. Je mehr Menschen aus unterschiedlichen Blasen, desto besser: „Ich finde ja auch den Austausch sehr wertvoll, denn wir alle haben einen eigenen Blick auf etwas, weil wir in unserer Blase leben. Manchmal kommen Impulse, bei denen ich mir dachte: Wow, daran habe ich noch gar nicht gedacht.“

Wer Mitglied im Forum werden will, kann sich per Mail an familienforum-konstanz-planung@posteo.de wenden. Geplant sind regelmäßige Treffen, Impulsvorträge und gemeinsame Veranstaltungen. „Wir können über die Beschattung auf Spiel- und Matschplätzen lange reden, aber wenn wir sie nicht platzieren und sagen, wir brauchen noch Geld dafür, dann wird sie auch nie kommen“, sagt Soteria Fuchs.