„Die Bedingungen in den Kitas sind viel schlechter geworden“

Wie gut sind die Kitas in Deutschland wirklich? Sonja Perren ist Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Sie hat einen dringenden Appell an die Politik.
Das Bild zeigt Sonja Perren, Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau.
„Kinder brauchen zuverlässige Beziehungen.“ Sonja Perren, Expertin für frühkindliche Bildung.

karla: Frau Professorin Perren, was brauchen Kinder in einer Kita?
Sonja Perren: Kinder brauchen vor allem zuverlässige Beziehungen. Sie brauchen eine Anregungsfläche, eine attraktive Lernumgebung und sie brauchen unterstützende Interaktionen mit Fachpersonen. Die Erzieher:innen in einer Kita sollten wirklich die Zeit, die Möglichkeit und die Kompetenz haben, die Kinder in ihrem Lernen zu unterstützen. Die große Frage, die ja oft diskutiert wird, ist die, ob Kita Betreuung oder Bildung ist. Und da sprechen alle Studien dafür, dass Kitas ein Bildungsort sein müssen, an dem die Bildungsprozesse von Kindern angeregt werden. Vereinfacht gesagt: Kinder brauchen gute pädagogische Qualität, um sich in einer Kita gut entwickeln zu können.

Wie gut ist denn die Qualität der Kitas in Deutschland?
Hier muss man unterscheiden. Im Bereich emotionale Unterstützung und Verhaltensunterstützung sehen wir in Forschungen, dass die Qualität mittelmäßig, oft auch gut oder sehr gut ist. Problematischer ist das Feld der aktiven Lernunterstützung – das ist oft schwach oder gar nicht vorhanden. Dabei wäre genau das extrem wichtig für die Entwicklung der Kinder

Woran liegt das?
Das Hauptproblem ist, dass die strukturellen Bedingungen in den Kitas oft nicht erlauben, wirklich qualitativ gut zu arbeiten. Zum Beispiel, wenn die Gruppen zu groß sind, zu viele Kinder anwesend, gleichzeitig zu wenig Fachpersonen da sind, dann können die Erzieher:innen gar nicht mehr individuell auf die Kinder eingehen und irgendwelches Lernen unterstützen. Wir sehen auch, dass es von Gruppe zu Gruppe, von Kita zu Kita große Unterschiede gibt. Aber wir wissen noch nicht genau, woher diese Unterschiede kommen.

Erzieher:innen sollten Zeit haben, die Kinder in ihrem Lernen zu unterstützen. Bild: Archiv

„Die Träger sollten mehr Geld in die Kinderbetreuung investieren.“

Sonja Perren, Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit

Wie könnte man die Situation in den Einrichtungen verbessern?
Insgesamt muss der Beruf attraktiver werden. Das bedeutet vor allem, dass die Arbeitsbedingungen besser werden müssen. Oft mangelt es auch an Ressourcen, um genügend Personal einstellen zu können. Heute haben Sie oft einen Teufelskreis – die Erzieher:innen, die heute ausgebildet werden oder in dem Beruf arbeiten, steigen eher aus, weil die Bedingungen so schlecht sind. Der Fachkräftemangel verschlechtert die Situation weiter. Diese Arbeitsbedingungen sorgen dann wieder dafür, dass die Erzieher:innen keine gute Arbeit leisten können. Dann werden auch sie unzufrieden, wechseln den Job und verschärfen so weiter den Fachkräftemangel. Die Träger sollten auch mehr Geld in die Kinderbetreuung investieren.

Wie sieht in Ihren Augen eine ideale Traumkita aus?
Dazu braucht es einerseits gut ausgebildetes und motiviertes Personal sowie Arbeitsbedingungen, die attraktiv sind. Die Kinder benötigen eine attraktive Lernumgebung, die sie motiviert, die Welt zu entdecken. Sie brauchen einen Bereich draußen, wo sie auch frei spielen und explorieren können, um einen Bezug zur Natur zu entwickeln. Und sie brauchen ausreichend Bewegung und gesundes Essen.

„Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen großen Rückschritt gemacht.“

Sonja Perren, Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit
Kinder benötigen eine attraktive Lernumgebung, die sie motiviert, die Welt zu entdecken. Bild: Archiv

Wie steht Deutschland im Bereich Kinderbetreuung gerade da?
Deutschland hat in den vergangenen Jahren einen großen Rückschritt gemacht, weil die Bedingungen in den Kitas so viel schlechter geworden sind. Das ist umso bitterer, weil in den letzten Jahren viel in die Qualitätsentwicklung im Kitabereich investiert wurde – mit Forschungsprogrammen, mit Weiterbildungsprogrammen und vielen anderen Dingen. Der Fachkräftemangel frisst all diese Fortschritte gerade auf. Wir sehen zunehmend, dass der Bildungsanspruch in den Einrichtungen verloren geht, weil Kinder halt irgendwie betreut werden müssen.

Wie kommen wir da wieder raus?
Man müsste in der Ausbildung ansetzen. Aber bis das wirkt, dauert es natürlich viele Jahre. Ich glaube, die Notfalllösungen, die es jetzt überall gibt, werden sich langfristig eher negativ auswirken. Wenn jetzt unausgebildete Kräfte Kinder betreuen, damit sie versorgt sind, dann befürchte ich, dass das die Fachkräfte weiter demotiviert, weil Sie denen damit im Prinzip sagen, schau, deinen Job kann auch jemand, der nicht gelernt hat. Deshalb plädiere ich sehr dringlich dafür, dass diese Notfalllösungen Notfalllösungen bleiben und sich nicht im System verselbständigen. Weil dadurch der Ruf und die Anerkennung des Berufs weiter sinken würden.

„Notfalllösungen müssen Notfalllösungen bleiben.“

Sonja Perren, Brückenprofessorin für Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit

Haben Sie konkrete Wünsche an die Politik?
Ich habe keinen konkreten Wunsch, aber es wäre schon viel wert, wenn die Politik all die Erkenntnisse und all das Wissen, was die Forschung in den letzten Jahren in dem Bereich erarbeitet hat, ernst nehmen würde – und dort nach Lösungen sucht.

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