Zugegeben, man muss ein bisschen stöbern, um nachhaltige Tourismusprojekte in Konstanz zu finden. Die gute Nachricht ist: Es gibt sie. Nachhaltigkeit nimmt in vielen Bereichen Einzug in unseren Lebensalltag. Regionales und saisonales Obst und Gemüse ist hoch im Kurs und mit dem 49-Euro-Ticket können wir auf mehr Zugreisende hoffen. Auch im Tourismus zeigt sich ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Ressourcenschonend und im Einklang mit der Natur, das ist die Devise der Bewegung des nachhaltigen Tourismus.
Grundsätzlich scheint das Thema Nachhaltigkeit aber im Tourismus noch keine Sprünge zu machen:
„Nachhaltigkeit funktioniert im Tourismus bisher nur sehr begrenzt. Umweltschutz ist für die Deutschen eher etwas für den Alltag, aber nicht für den lang ersehnten Jahresurlaub“
sagt Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen.
Es gäbe verschiedene Faktoren, die für die Deutschen einen Urlaub ausmachen, und das seien Erholung und Kontrast zum Alltag. „Das Problem ist, dass Massentourismus bisher einfach keine Aspekte von Nachhaltigkeit erfüllt. Günstig und attraktiv muss es sein.“ Laut Reinhardt wäre die einfachste Option, nicht das Urlaubsverhalten zu verändern, sondern die Angebote an den Destinationen anzupassen. Das bedeutet, dass nachhaltige Attraktionen, Veranstaltungen und Beherbergungen ein Teil der Lösung sein könnten. Allerdings bezahlbar.
Was schon mal in die deutsche Nachhaltigkeitskasse fließt: Unsereins bleibt gerne in Deutschland zum Urlaub machen. 41 Prozent der Bürger:innen verbringen ihren Haupturlaub im Inland. Im Jahr 2022 übernachteten insgesamt rund eine Millionen Menschen in Konstanz, 871.006 davon kamen aus Deutschland. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es noch 656.761 Besucher:innen, davon 528.267 aus Deutschland. Die Gründe für Urlaub im Inland sind vor allem finanzieller Natur und der Wunsch, so wenig Zeit wie möglich für An- und Abreise zu verplempern.
In Konstanz und Umgebung gibt es rund 2.600 Cafés und Restaurants. Wer übernachten will, findet in einem der 40 Hotels Unterschlupf, in einer Ferienwohnung oder auf einem der fünf Campingplätze. Wirklich nachhaltig sind in dieser Vielfalt an Angeboten aber nur wenige.
Zwei Campingplätze machen es vor
Per se bietet Konstanz als Stadt am Bodensee viele Möglichkeiten, um die Natur zu erleben. Beim Camping geht das besonders gut. Allerdings sind Zelte nicht mehr ganz so modern: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Camper:innen mit Wohnmobil bundesweit um 50 Prozent angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt gab es in der Pandemie viele Neuzulassungen. Im Mai 2020 waren es 29 Prozent, also 10.460 Neuzulassungen.
Der Campingplatz Klausenhorn in Dingelsdorf und der Naturcampingplatz Litzelstetten-Mainau sind seit 2022 mit dem EU Ecolabel versehen. „Damit ist der Stadt Konstanz als Eigentümerin beider Campingplätze ein ökologisches Vorzeigeprojekt direkt gegenüber der Blumeninsel Mainau gelungen“, heißt es auf der Webseite des EU Ecolabel. Um das Label zu erhalten, müssen verschiedene Kriterien erfüllt sein. Beispielsweise ein betrieblicher Kohleausstieg, die ausschließliche Nutzung von Ökostrom, LED-Beleuchtung und wassersparende Duschköpfe.
„Manchmal gibt es Gäste, die sich ärgern, wenn sie fürs Duschen bezahlen müssen. Der Sinn dieser Maßnahme ist, dass nur so viel Wasser verbraucht wird, wie man tatsächlich zum Duschen benötigt, und dadurch Ressourcen geschont werden. Wenn wir dies erklären, ist das Verständnis sehr groß“
erklärt Theresa Arndt vom Stadtmarketing.
Kein Bock auf Camping – wohin?
Bekanntlich steht nicht jede:r auf sanitäre Anlagen und den ein oder anderen Mückenstich, den man sich beim gemütlichen Sitzen vor dem Wohnmobil schon mal holen kann. Wer’s etwas häuslicher will, ist in Gaienhofen gut aufgehoben und kann sich im Bio-Hotel Seehörnle einquartieren. Das Hotel setzt auf saisonale und regionale Lebensmittel und ist mit dem Zertifikat „Fokus Zukunft – Klimapositives Hotel“ versehen. Fokus Zukunft setzt sich für nachhaltiges Wirtschaften ein und berät Betriebe darin, wie sie ihren Status quo verbessern können. Im Bio-Hotel Seehörnle, das von der Konstanzer Caritas e.V. betrieben wird, ist nicht nur nachhaltiges Wirtschaften ein Thema, sondern auch Inklusion und ein soziales Miteinander. Seit 2020 ist das Hotel biozertifiziert und klimapositiv.
„Der Wärmebedarf unseres Seehörnle wird allein über eine klimaneutrale Hackschnitzelanlage gedeckt. Beliefert wird sie vom lokalen Förster. Für 2023 planen wir außerdem die Inbetriebnahme einer neuen Photovoltaikanlage auf das Haus Hörnle, die voraussichtlich mehr Energie produzieren kann, als für den Betrieb des Seehörnle nötig ist,“ berichtet Christine Herbrig der Caritas. 40 bis 50 Prozent der Mitarbeitenden kommen mit dem Fahrrad, Bus oder zu Fuß zur Arbeit. Es gibt eine Ladestation für E-Bikes und E-Autos. Zusätzlich gleicht das Hotel seine Emissionen durch Aufforstungsprojekte in Uruguay und den Schutz des Regenwalds in Peru aus und ist damit nicht nur klimaneutral, sondern eben klimapositiv.
Klimapositiv bedeutet, dass ein Unternehmen oder ein Produkt keine negativen Auswirkungen auf das Klima hat. Zusätzlich entzieht es der Atmosphäre mehr klimaschädliche Emissionen, als es verursacht.
Das erste E-Schiff auf dem Bodensee
Schifffahrten gehören für viele Gäste zu einem Besuch in Konstanz und am Bodensee einfach dazu. Diese wichtige Säule im Tourismus ist bisher wenig nachhaltig. Vor allem die Fähren, die von Staad nach Meersburg fahren, werden nach wie vor mit Motoren betrieben.
Die Strecke wird an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden bedient und ist damit hochfrequentiert. „Die Umstellung auf alternative Antriebe bei der Fähre Konstanz-Meersburg ist bereits begonnen worden – so soll in diesem Jahr noch eine neue LNG-Fähre in Dienst gestellt werden“, erklärt Christopher Pape von den Konstanzer Stadtwerken.
Die neue Fähre wird von Gasmotoren angetrieben und fährt mit Bio-LNG klimaneutral. Sie ist nahezu baugleich mit dem neuesten Fährschiff „Lodi“ und bietet Platz für 62 PKW und 700 Passagiere. Im Sommer 2023 soll das Schiff in See stechen und zwischen Staad und Meersburg verkehren.
Einen bereits sichtbaren Schritt in Richtung Nachhaltigkeit gab es am 21. April 2023: Das erste vollelektrisch betriebene Schiff „MS Insel Mainau“ verkehrt seit diesem Tag in der Saison bis Oktober zwischen der Insel Mainau, Unteruhldingen und Meersburg. Das Schiff hat Platz für 300 Fahrgäst:innen. Das Dach ist mit Solaranlagen bestückt, das bei gutem Wetter 20 Prozent des benötigten Energiebedarfs deckt. Der restliche Bedarf wird, wie bei E-Autos, in der Mittagspause und nachts an der Steckdose geladen. Die Propeller des Schiffs werden von einer 1.000-Kilowattstunden-Batterie angetrieben. Wie sieht es aber mit den vielen anderen Schiffen auf dem Bodensee aus?
„Es ist erklärtes Ziel, dass sich die Flotte der BSB wandelt: Alle Schiffe sollen bis 2035 auf umweltfreundliche Antriebe umgestellt werden, der Bodensee soll eine Modellregion für eine klimaneutrale Zukunft der Fahrgastschifffahrt werden. Wir wollen und müssen bei allen Schiffen vom Kohlenstoff der fossilen Brennstoffe wegkommen.“
Christopher Pape, Stadtwerke Konstanz
Die Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB), eine Tochterfirma der Stadtwerke Konstanz, setzen sich laut eigener Aussage auch dafür ein, denkmalgeschützte Schiffe mit umweltfreundlichen Antriebsalternativen auszustatten.
Uni fördert nachhaltiges Reisen
Nicht nur für Tourist:innen, die nach Konstanz kommen, sondern auch für die, die aus Konstanz reisen, gibt es Angebote. Mit dem Programm „Green Travel“ gibt es ab dem Hochschuljahr 2022/23 die Möglichkeit für Studierende, einen Zuschuss für Reisekosten ohne das Flugzeug zu beantragen. Als nachhaltige Verkehrsmittel gelten Bus, Bahn, Rad und Fahrgemeinschaften. Die Uni möchte ihren Studierenden zum einen ein Gefühl für Nachhaltigkeit vermitteln und zum anderen ihrer Pflicht der Klimaneutralität näher kommen. „Bis 2030 müssen öffentliche Verwaltungen klimaneutral sein, dazu gehören auch Universitäten. Mit dem Programm Green Travel kommen wir dem ein Stück näher“, sagt Dr. Hilmar Hofmann, Leiter der Stabsstelle Nachhaltigkeit an der Uni. Studierende haben dadurch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie nachhaltig ihre Reise ins Auslandssemester, zur Studienreise oder zum ERASMUS-Semester sein soll.
Bodenseecard West
Nicht nur die Universität, auch das Stadtmarketing macht sich Gedanken zu nachhaltigen Angeboten und surft damit auf der Welle, die die Stiftung für Zukunftsfragen vorschlägt: Nämlich, die Urlaubsziele nachhaltig zu gestalten. Die Bodenseecard West ist die moderne VHB-Gästekarte und ermöglicht Besucher:innen kostenlose Fahrten im Landkreis Konstanz. Damit sollen Autofahrten reduziert werden. Alle Übernachtungsgäste in den Gemeinden des Landkreises erhalten die Karte beim Check-in in ihrer Unterkunft. Außerdem gibt es damit Ermäßigungen in der Schifffahrt, Museumseintritte und günstige Leihgebühren für Fahrräder und Boote.
Gelebte Nachhaltigkeit im Café Selma
Ein Café in Konstanz, das Nachhaltigkeit sichtlich lebt, ist das Café Selma. Gelegen im Hockgraben zwischen Uni, Allmannsdorf und Egg auf dem Gelände des Haettelihof, steht ein Bauwagen, der mit selbstgebackenem Kuchen, Sonnenschirmen und Sitzgelegenheiten zehn Meter vom Kuhstall entfernt zum Verweilen einlädt. Die beiden Leiterinnen des Cafés Leonie Horn und Stefanie Lebek sind seit Sommer 2019 für ihre Gäste da. Leonie und Stefanie achten darauf, ihren Gästen regionale Bioprodukte anzubieten.
„Wir halten abseits von Lebensmitteln erstmal nach gebrauchten Gegenständen Ausschau, werfen quasi nie Reste weg, haben faire Preise und sind tatsächlich stolz darauf, dass es aufgeht, dass sehr wenige Besucher mit dem Auto kommen und superselten Kaffee-to-go bestellt wird.“
Leonie, Café Selma
Das Café Selma ist ein beliebter Ort für Urlauber:innen, aber auch für Einheimische, die diese ruhige, naturbelassene Umgebung schätzen. „Wir setzen gerade nicht auf Tourist:innen, nur um großen Umsatz zu machen, sondern möchten eine kleine Oase für Konstanzer:innen sein, an der natürlich auch die Tourist:innen, die uns finden, stets willkommen sind.“ Auch wenn Leonie und Stefanie einen Verweilort hauptsächlich für Konstanzer:innen kreiert haben, ist deren Idee und Konzept, inklusive Komposttoilette, auch für touristischere Locations umsetzbar.
Fest steht: Ideen und Möglichkeiten gibt es viele. Warum wird es dann nicht viel mehr umgesetzt?
„Dreh- und Angelpunkt ist die Nachfrage der Gäste. Wenn die Gäste keine regionalen Produkte wollen, macht es auch keinen Sinn, sie anzubieten. Das Angebot geht dann am Markt vorbei.“
sagt Dennis Bachmann vom Verband für Hotellerie und Gastronomie DEHOGA.
Man müsse auch im Hinterkopf behalten, dass Bio nicht immer nachhaltig sei, denn in Baden-Württemberg gäbe es nicht die landwirtschaftlichen Strukturen, um das bedienen zu können. „Viele Gastbetriebe müssen auf Produkte in Norddeutschland, im europäischen Ausland oder Argentinien zurückgreifen. Das sind dann natürlich riesige CO2-Abdrücke, die nicht nachhaltig sein können.“ Durch massive Kostensteigerungen im Bereich Energie und Personal müssen viele Hotels und Cafés auch auf ihre Kosten achten.
Oft scheitern Vorhaben der Regierung für das Gastgewerbe zu mehr Nachhaltigkeit schon im Kleinen, zum Beispiel mit der Mehrwegalternativpflicht, die seit Januar 2023 gilt. Sie wird nur in Teilen umgesetzt, jeden einzelnen Gastbetrieb zu kontrollieren, ist kaum möglich. „Es ist aber schon besser geworden. Wir merken seit Januar einen kleinen Unterschied“, sagt Henry Rinklin von den Technischen Betrieben Stadt Konstanz, die für den öffentlichen Müll zuständig sind.
„Ein Pfandsystem in der Gastronomie einzuführen, ist doch ruckzuck gemacht.“
Bis spätestens 2045 müssen Tourismusbetriebe umjustieren, denn bis dahin will Deutschland klimaneutral sein. Ob sie wollen oder nicht. Wer jetzt damit beginnt, ist eigentlich schon zu spät. Aber besser jetzt als gar nicht, und die Ideen und Möglichkeiten sind vielfältig. Auch die eigene Kreativität wird in puncto Nachhaltigkeit in den nächsten Jahren immer wieder gefragt sein. Die Verantwortung liegt jedoch nicht allein im Gastgewerbe. Auch wenn die Deutschen eher Alltagsumweltschützer:innen sind: Man kann ja trotzdem mal darüber nachdenken, wie der nächste Jahresurlaub auch umweltfreundlich erlebbar ist.
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