Klima­gerechte Stadt­entwicklung – was heißt das?

Immer wenn mir Begriffe wie „Klimaschutz“, „Klimawandel“ oder „Klimagerechtigkeit“ vor die Füße fallen, stolpere ich darüber. Es geht doch um mehr als nur das Klima, oder?
Foto der Fahrradbrücke in Konstanz
Foto: Sophie Tichonenko

Was gemeint wird, wenn vom „Klima“ die Rede ist

Ja, die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur ist ein Riesenproblem, das die Lebensgrundlage vieler Menschen bedroht. Aber Verschmutzung, Biodiversitätsverlust, die Degradation der Böden − also der Zerfall und die Verschlechterung der Zustände der Böden − sowie die immer weiterwachsende ungleiche Verteilung von Ressourcen und die damit einhergehende soziale Ungleichheit sind doch alles mindestens genauso relevante und gravierende Probleme.

Nun, von manchen Seiten wird mir erklärt, dass der Begriff „Klima“ all diese Dinge umfasst und beispielsweise Artensterben und Bodendegradation ebenso gemeint und mit inbegriffen sind, wenn von Klimawandel die Rede ist. Tatsache ist, dass all die angeführten Themen zusammenhängen. Dahinter steckt eine Logik, die in den letzten Jahrzehnten immer stärker in den Vordergrund geraten ist: Es gibt keine unabhängigen abgeschlossenen Systeme, alles hängt gegenseitig voneinander ab und miteinander zusammen. So betrachtet ist auch klar, dass wir Menschen nicht getrennt von diesem Gesamtsystem betrachtet werden können und das Soziale mitgedacht werden muss, wenn wir über das Klima sprechen.

Alles, was wir tun, hat Auswirkung auf das System Erde und all die Veränderungen dieses Systems haben Auswirkungen auf das menschliche Leben.

Hintergründe und Reichweite des Konzepts der Klimagerechtig­keit

An dieser Stelle kommt die Klimagerechtigkeit ins Spiel. Der Begriff hat seinen Ursprung in der ungleichen Verteilung von Treibhausgasemissionen und deren Folgen. Es ist ungerecht, dass Regionen im globalen Süden, wenngleich sie im globalen Schnitt ungleich viel weniger CO2 ausgestoßen haben als die großen Industrienationen, stärker von den negativen Folgen des menschengemachten Klimawandels betroffen sind.

Und schon landet man bei Fragen zur Industrialisierung, dem ungleichen Energieverbrauch und der Frage, woher die ungerechte Verteilung von Chancen, Macht und Ressourcen eigentlich herkommt? Und wer kann die Verantwortung dafür übernehmen?

Ich frage mich, ob, wenn von „Klima“ die Rede ist, die Allgemeinheit all diese Verstrickungen im Hinterkopf hat. Oder ob bei vielen Menschen Klimagerechtigkeit einfach nur ein Begriff ist, den sie mit Einschränkungen verbinden und deshalb ablehnen. Im Vordergrund stehen dann die Ungerechtigkeiten, die selbst erlitten wurden: „Jetzt habe ich mein ganzes Leben lang gearbeitet und bekomme eine Rente, von der ich die Hälfte für die Miete überweise, und soll dann auch noch auf mein Auto verzichten?“

Die Verbindung zwischen dem nationalen Rentensystem und der Veränderung klimatischer Verhältnisse springt einem nicht direkt ins Auge. Und dennoch ist sie da, wenn wir uns zum Beispiel ansehen, wie vermeintlich gering die Möglichkeiten sind, sich mit Aspekten der Nachhaltigkeit zu beschäftigen, wenn die eigene Lebensgrundlage nicht gesichert ist.

Der Referenzpunkt, an welchem wir unser Leben festmachen, ist das Entscheidende. Und wenn in unserer Gesellschaft medial immer und immer wieder das Leben der wenigen Superreichen als Orientierung und Beispiel aufbereitet wird, dann ist das Gefühl der Ungerechtigkeit nicht weit weg. Zu Recht, wenn man sich vor Augen hält, dass in Deutschland die reichsten 1 % der Bevölkerung mehr als ein Drittel des Vermögens besitzen. Zu Unrecht, wenn man sich im globalen Kontext vor Augen führt, welch Glück es ist, in Frieden leben zu dürfen.

Wenn Klimagerechtigkeit ein Konzept ist, das soziale Gerechtigkeit mit einbezieht, dann darf eine entsprechende Bewegung, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt, keine Anforderungen und Maßregelungen an sozial benachteiligte Menschen stellen. Vielmehr muss sie die Unzulänglichkeiten einzelner Menschen und Personengruppen aushalten.

Wer ausgrenzt, hat die Dimension des Problems nicht verstanden

Darüber hinaus geht es doch darum, sich gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten zu solidarisieren und Menschen einzuladen, sich zu beteiligen, um Klimagerechtigkeit als Idee in der Breite der Gesellschaft zu verankern. Vielleicht muss es dementsprechend sogar ein Recht geben, mit dem SUV vorzufahren, ohne eine Ächtung dafür zu erfahren.

Denn wenn erstmal alle kulturellen Codes der „Ökos“ geknackt werden müssen, um beim Klimaschutz mitmachen zu dürfen, dann werden viele eben nicht mitmachen. Ausgrenzende Haltungen hemmen die Motivation, sich an einer sozialen und ökologischen Transformation hin zu mehr Gerechtigkeit zu beteiligen.

Mit dem Wissen, dass sich Gewohnheiten meist schwer und oft nur langsam ändern, braucht es bei aller Dringlichkeit auch Geduld. Gelingt es den Bewegungen rund um klimagerechte Entwicklung nicht, diese Geduld für den Mainstream aufzubringen, bleiben wir politisch im Kampf gegeneinander verhaftet. Für eine Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Zusammenleben braucht es aber eines ganz besonders: die gemeinsame Kooperation über verschiedene Gruppierungen, Milieus und Schichten hinweg.

Und hier kommen wir auch zur Frage nach der klimagerechten Stadt, denn es ist die lokale Ebene, auf der die Basis für eine breite Bewegung liegt. Dort kennt man sich und begegnet sich auch mal ohne Vorbehalte gegenüber dem politischen Etikett des Gegenübers. Was ist also eine klimagerechte Stadtentwicklung im Sinne eines umfassenden Klimabegriffs auf lokaler Ebene?

Städte müssen Räume für Begegnung und Gestaltung schaffen

Es ist eine Entwicklung weg von sozialer Ächtung, Verleumdung und Klüngelei hin zu einer offenen Bewegung, die die Menschen der Nachbarschaft mit all ihren klimaschädlichen Gewohnheiten einlädt, sich zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen.

Wie kann so etwas gelingen? Kann so eine Entwicklung überhaupt von einer Stadt ausgehen? Ja. Indem die Stadt Räume schafft, die nicht nur für den Konsum geplant sind, sondern explizit für den Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern. Indem die Stadt einen sicheren finanziellen Rahmen für Veranstaltungen schafft, bei denen Informationen verbreitet werden sowie Begegnung und Austausch stattfindet. Indem die Stadtverwaltung nicht meint, alles selbst machen zu müssen, sondern Freiräume für die Kreativität der Bürger:innen schafft.

Vielleicht begeben sich solche in Eigeninitiative gestalteten Freiräume auf Umwege. Aber auf lange Sicht – und um diese langfristige Perspektive geht es – werden so für die Bewohner:innen einer Stadt Möglichkeiten geschaffen, sich zu beteiligen: Das ist die Grundvoraussetzung für eine umfassende gesellschaftliche Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Dabei geht es nicht nur um das Einkaufsverhalten oder den stehengelassenen SUV, sondern vor allem darum, woran die Menschen arbeiten: In welche Ideen, Projekte und Unternehmungen stecken wir unsere Zeit und Energie? Wem oder was dienen wir mit dem, was wir tun? Und wie kann es uns gelingen, unser aller Grundbedürfnisse zu befriedigen, sodass wir von Selbstfürsorge und -verantwortung zur Verantwortungsübernahme für das große Ganze gelangen?

Der Begriff der Klimagerechtigkeit hat für viele Menschen eine andere Bedeutung. Gleichzeitig steckt in dem Konzept das Potential, viele verschiedene Bewegungen zu vereinen und Menschen einzuladen, sich zu engagieren. Die Grundidee lautet, Lösungen dafür zu finden, wie wir unser menschliches Leben miteinander organisieren können, ohne dabei unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören.

Wenn es ums Klima geht, geht es immer auch ums soziale Klima

Dabei spielt das soziale Klima eine zentrale Rolle, denn für so ein gemeinsames Organisieren braucht es die demokratische Mehrheit, um legitimiert und ohne Machtmissbrauch einen Wandel für eine gerechtere Gesellschaft gelingen zu lassen. Ob der Begriff der Klimagerechtigkeit es vermag, dieses Potential zu wecken, ist ungewiss, doch eines sollte in Hinblick auf eine klimagerechte Stadtentwicklung klar sein: Es geht nicht nur um die ökologische Nachhaltigkeit, vielmehr geht es insbesondere auch um das soziale Miteinander. Es geht also um die soziale Gerechtigkeit und demnach um folgende zentrale Frage: Gelingt es uns bei der weiteren Entwicklung von Städten, Räume zu schaffen, in denen sich eine konstruktive, vielfältige und für Veränderungen offene Stadtgesellschaft entfalten kann?