Wir treffen uns mit Verena Vögt am sogenannten Brückenplatz Süd, einem eher unscheinbaren Platz zwischen Fahrradbrücke und Bahnhof Petershausen, der vor gut zehn Jahren im Rahmen einer Quartierssanierung neu geplant wurde. Immer wieder rauscht ein:e Radler:in die Z-Brücke herunter, ansonsten ist eher wenig los an diesem Sommerabend, trotz der netten Wasserbecken und der lose verstreuten bunten Stühlen unter den Blauglockenbäumen.
Verena macht uns auf ein paar Details aufmerksam, die diesen Platz trotzdem spannend machen. Spannend, weil vorbildlich geplant in Bezug auf Wetterextreme: Die Wände der Häuser sind weiß gestrichen, die Wege mit hellgrauen Platten gepflastert. Das ist vorteilhaft bei Hitze, denn helle Flächen heizen sich weniger stark auf als zum Beispiel schwarzer Asphalt. Die Bäume in der Mitte des Platzes spenden Schatten, und auch die Wasserbecken sind ein großes Plus, denn das verdunstende Wasser kühlt an heißen Tagen die Flächen und Gebäude drum herum.
Ein Beispiel für klimagerechte Gestaltung des öffentlichen Raumes
Auch mit starkem Regen kommt dieser Platz gut klar, erklärt uns Verena. Das Wasser kann in den kleinen Spalten zwischen den Bodenplatten versickern. Und in der Mitte, wo die Bäume stehen, ist der Boden mit Kieselsteinen bedeckt. Der kann das viele Wasser gut aufnehmen und speichern.
Ihren Blick für diese Details verdankt Verena ihrem Studium an der HTWG, wo sie im Master Bau- und Umweltingenieurwesen studiert hat. Dort setzte sie sich damit auseinander, wie heutzutage Häuser gebaut werden und wie öffentliche Räume gestaltet sein müssten, um für den Klimawandel gerüstet zu sein. Vögt sitzt auch für das Junge Forum Konstanz (JFK) im Gemeinderat.
Das Thema Klimawandelanpassung gehörte bislang eigentlich kaum zur Ingenieursausbildung, erzählt Verena. Ihr Jahrgang war einer der ersten, der sich intensiv damit auseinandergesetzt hat. Dabei ist das Thema hochaktuell – denn seit Juli gibt es ein bundesweites Klimaanpassungsgesetz, das Landkreise in die Pflicht nimmt: Sie sollen Maßnahmen definieren und umsetzen, um beispielsweise die Gesundheit ihrer Einwohner:innen besser zu schützen.
Extreme Wetterereignisse werden auch hier zunehmen
Der Landkreis Konstanz hinkt hier – wie andere Kommunen auch – den Entwicklungen hinterher. Ein tragfähiges Konzept für Klimaanpassungsmaßnahmen gibt es noch nicht. Erst mal braucht es eine Risikoanalyse, um überhaupt zu sehen, wo die kritischen Punkte sind und welche Maßnahmen Abhilfe schaffen könnten. Die Verantwortlichen im Landkreis rechnen aber bis 2050 mit einer Zunahme extremer Wetterereignisse, also Hitze, Dürre, Wassermangel, Starkregen und Hochwasser.
Verena ist also eine von denjenigen, die am Puls der Zeit sind. An der HTWG arbeitet sie aktuell an einem Forschungsprojekt, das versucht, Stadtverwaltungen bei der Klimawandelanpassung zu unterstützen. Und zwar unter anderem mithilfe von hochpräzisen Satellitendaten. Diese Daten gibt es bereits – und sie zeigen sehr genau, welche Straßen und Plätze von welchen Wetterereignissen betroffen sind. Metergenau.
Leider werden diese Daten bislang nur selten genutzt, weder von privaten Bauherr:innen noch von den Planer:innen in der Stadtverwaltung. Denn die Satellitendaten sind zwar theoretisch zugänglich, oft aber nicht bedienungsfreundlich aufbereitet. Wer sich informieren will, braucht ein halbes Informatikstudium – und das soll sich ändern. Für das Projekt kooperiert die HTWG mit der Stadt Konstanz, dem Climate Service Center in Hamburg und der Universität Stuttgart.
An diesen Konstanzer Plätzen wird es im Sommer besonders heiß
„Lässt sich für Konstanz und Kreuzlingen einsehen, wo es im Sommer besonders heiß wird?“, wollen wir von Verena wissen. Für Kreuzlingen hat Verena die Hotspots der Stadt nicht parat, aber für Konstanz kann sie uns Auskunft geben: Hotspots finden sich in Teilen des Industriegebiets, die sich mit großen Parkplätzen und Dachflächen übermäßig aufheizen, und – irgendwie klar – die Marktstätte.
Das Problem sind aber nicht nur einzelne Hotspots, sondern der insgesamt zu erwartende Temperaturanstieg. Gefährlich sind vor allem sogenannte Tropennächte, in denen es auch nachts nicht richtig abkühlt. Herz-Kreislauf-Versagen kann das Ergebnis sein, betroffen sind vor allem ältere, aber auch kranke Menschen, Säuglinge und Schwangere.
Wie baut man die Häuser für die Zukunft?
Das Thema Klimawandelanpassung trägt Verena auch in den Konstanzer Gemeinderat, wo sie als Vertreterin des Jungen Forums Konstanz einen Sitz hat. Dort wünscht sie sich deutlich mehr Schwung für das Thema: „Alle sind gerade auf das Thema Klimaschutz fokussiert, also die Verlangsamung des Klimawandels, indem man Emissionen reduziert. Das ist ohne Zweifel wichtig. Gleichzeitig brauchen wir aber dringend pragmatische Konzepte für Anpassungsmaßnahmen. Bei öffentlichen und privaten Ausschreibungen müsste man zum Beispiel deutlich mehr Wert auf klimaangepasstes Bauen zu legen.“
Wie baut man denn nun Häuser für die Zukunft? Es sind oft schon ganz einfache Maßnahmen, die viel bewirken, erklärt uns Verena mit Blick auf die Häuser rund um den Platz, auf dem wir sitzen. Helle Farben an den Fassaden und auf den Dachziegeln sind schon mal das A und O. Auch die Ausrichtung eines Hauses kann entscheidend sein.
Braucht es jetzt Klimaanlagen für alle?
Klimaanlagen für jede Privatwohnung wären aber eher kontraproduktiv, erklärt uns Verena: „Klar könnte man sagen, es könnte doch jetzt einfach alle ihre Wohnungen mit einer Klimaanlage ausstatten – Problem gelöst! Das ist aber Unsinn, weil Klimaanlagen immer Abwärme erzeugen, und damit letztlich die Stadt noch weiter aufheizen. Das ist ungefähr so sinnvoll, als würde ich versuchen, mit der offenen Kühlschranktür meine Wohnung zu kühlen.“
Mal davon abgesehen, dass wir Stadtbewohner:innen ja auch weiterhin gerne draußen sein wollen – beim Flohmarkt, beim Baden, beim Open-Air-Kino. Nur noch drinnen sein? Das erscheint uns dreien keine Option.
Es gibt gute Ideen, die Umsetzung ist aber oft kompliziert
Was wäre also noch zu tun? Mehr Bäume im öffentlichen Raum pflanzen? Ja, sagt Verena, das wäre auf jeden Fall nachhaltiger – und auch schöner. Zugleich weiß sie aus ihrer Arbeit im Gemeinderat nur zu gut, wie schwierig das im Detail ist. Schließlich ist jeder Quadratmeter Stadt heiß umkämpft – Stichwort Parkplätze. Und: Jemand muss sich um die Bäume kümmern. Die städtischen Betriebe sind jetzt schon am Anschlag, was das Gießen der Bäume im öffentlichen Raum angeht.
Trotzdem ist Verenas Schwung ansteckend. Die Daten sind da, das Know-how ist da und die Zukunft ja auch. Die Städte Kreuzlingen und Konstanz wären bereit für Straßen, Plätze und Gebäude, die für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts gebaut werden.
Die Autor:innen
Franziska Schramm ist Autorin und Spoken Word-Poetin. Seit eineinhalb Jahren ist sie glückliches Mitglied der FoodCoop Speisekammer Konstanz, über die man regional und bio einkaufen kann. Mehr: www.franziskaschramm.de
Florian Roth ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich beruflich und privat mit der Resilienz sozialer Systeme und dem Thema Nachhaltigkeit.
Die Idee für den gemeinsamen Artikel entstand an einem heißen Frühsommertag, als Franziska und Florian sich morgens um sieben auf dem Rad trafen und zufällig in dieselbe Richtung fuhren.
Kooperation mit dem NUN-Magazin
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit dem NUN, Magazin, das die Grenzstädte Kreuzlingen und Konstanz sowie deren Menschen und Geschichten in einem Heft zusammenbringt. Der Artikel ist daher auch in der aktuellen Printausgabe (#11 Nass und Nackig) erschienen. Sie liegt an vielen Orten in Konstanz und Kreuzlingen aus. Wo genau, könnt ihr auf der Internetseite des NUN-Magazins nachschauen:
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