Raus aus der Medienflut

Was nutzt es, die alltägliche Gewalt auf der Welt live zu beobachten? Die Folgen davon sind Angst, Misstrauen und Wut. Um dem zu entkommen, plädiert unser Kolumnist Oliver Wnuk für einen bewussteren Umgang mit negativen Nachrichten.
Das Bild zeigt das Logo zur Kolumne: ein Gesicht mit Megafonen an den Ohren, dazu der Titel Wnuk denkt laut.

Ein älterer Schauspielkollege, der für mich bislang immer einen recht geerdeten Eindruck gemacht hatte, fragte mich neulich während einer Drehpause, ob ich mich denn schon ausreichend auf den möglichen Blackout vorbereitet hätte. 

Das beunruhigte mich so sehr, dass ich noch am selben Abend einen Campingherd, ein Dutzend Butan-Kartuschen, Taschenlampen, einmal mit Solar- und, falls sich die Sonne doch verdunkeln sollte, sicherheitshalber noch einmal mit Kurbelantrieb bestellt habe. 

Jetzt noch drei Eimer Wasser für die Toilettenspülung bereithalten und mindestens 50 Liter Trinkwasser sowie haltbare Lebensmittel, Klopapier und Medikamente gegen … ja, gut, erstmal gegen alles Mögliche. 

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Was tun beim Blackout?

Mein Kollege meinte: „Lieber wenig Aufwand betreiben, um im Ernstfall großes Leid zu verhindern.“ Alle Leitmedien hätten den Blackout schon zum Thema. Ob ich denn wirklich noch nichts davon mitbekommen hätte. Hatte ich nicht.

Ich bemerke ein leichtes Schamgefühl aufsteigen, wenn ich hier und jetzt zugebe, dass es jüngst eine längere Phase in meinem Leben gab, in der ich weder Nachrichten geguckt noch gehört und auch einen großen Bogen um jeden Zeitungsständer in meiner Nähe gemacht habe. 

Frei nach dem Motto: Ich bin, was ich konsumiere, habe ich versucht, mich ausschließlich um meinen eigenen, direkten Einflussbereich zu kümmern. 

Und was soll ich sagen, es ging mir damit um einiges besser, als wenn ich mich jeden Tag mit den Headlines über das Schrecken in der Welt beschäftigt hätte. 

Ist Eskapismus in diesen Zeiten eine vertretbare Haltung?

Aber ist Eskapismus ein sozialer, verantwortungsvoller Gegenentwurf? 

Was wäre das vernünftige – was das ‚richtige‘ Maß an Medienkonsum?

Vor ein paar Tagen stolperte ich in den sozialen Medien ungewollt über einen Videoclip, in dem ein Anwohner im Iran heimlich eine Exekution auf offener Straße mitgefilmt hatte. Man konnte sehen, wie ein Pulk Vermummter bestialisch auf einen am Boden liegenden Mann eingetreten und den Regungslosen schließlich kaltblütig erschossen haben. 

Sollte ich mir diese Bilder ansehen, um einen aussagekräftigen Eindruck über die Verhältnisse im Iran zu erhalten? 

Sollen meine Kinder so etwas sehen, damit sie verstehen, in was für einer Welt sie aufwachsen? 

Nun verfolgen mich diese Bilder und ich werde sie wahrscheinlich mein Lebtag nicht vergessen. 

Wenn die Informationswelle über einen schwappt

Ich habe schon vorher gewusst, welche unmenschlichen Lebensverhältnisse im Iran wüten, und konnte mir den Gräuel auch ohne Bewegtbild vorstellen. Habe ich als interessierter Weltbürger dann auch das Recht, mich dieser Art Medien zu entziehen?

Wenn die Informationswelle über mich schwappt, fällt mir das tiefe Durchatmen sehr schwer.

In erster Linie machen mir solche Bilder Angst. Sie schaffen Misstrauen, Verachtung, Trauer, Wut und Verzweiflung. Sie wirken toxisch und machen mich teilweise handlungsunfähig. Sie erschweren es mir sogar, vorurteilsfrei, aufnahmebereit und mitfühlend auf meinen Nächsten zuzugehen. 

Angst schaltet mich in den Rückwärtsgang. Nun könnte man behaupten, ich wäre vielleicht zu sensibel. Aber wäre denn ein ausgeprägtes Maß an Sensibilität in der heutigen Welt eine gesellschaftlich akzeptable Entschuldigung für Medien-Enthaltsamkeit?

„Zu viele gewaltvolle Bilder oder katastrophisierende Informationen lassen mich abstumpfen und verfehlen schließlich ihre Wirkung.” 

Oliver Wnuk, Schauspieler

Ich möchte versuchen, ein gutes, Werte-orientiertes Leben zu führen. In Dankbarkeit über meine persönliche Situation versuchen, für andere da zu sein. Für mich persönlich stellt es das einzig Effiziente dar, was ich in meinem persönlichen Einflussbereich fähig wäre zu leisten. 

Ich habe festgestellt, dass es mir leichter fällt, Kapazitäten dafür aufzubringen, wenn ich mich der Flut an negativen Medien so weit es geht entziehe. 

Zu viele gewaltvolle Bilder oder katastrophisierende Informationen lassen mich abstumpfen und verfehlen schließlich ihre Wirkung. 

Serviert wird eine eine höchst unverträgliche, panische Verzweiflungs-Suppe

Aus der unmenschlichen Situation im Iran, dem Krieg in der Ukraine, dem IS-Terror in Afghanistan, der Angst vor dem Despoten in Russland, den sozialen und psychologischen Folgen der Corona-Krise, den explodierenden Energiepreisen, der beunruhigenden Inflation und aus vielen anderen Missständen lässt sich eine höchst unverträgliche, panische Verzweiflungs-Suppe kochen, die einem, falls man sich nicht zu wehren im Stande sieht, pausenlos eingeflößt wird.

Und vielleicht bin ich nicht der Einzige, den Medien so sehr beeinflussen könnten, dass ich (etwas überspitzt) meine Nudeln-, Mehl- und Toilettenpapier-Bestände nie mehr abebben lassen würde. Dass ich (weniger überspitzt) meinen Freundeskreis kritisch beäugen und mich wahrscheinlich genötigt fühlen würde, mich von Einzelnen zu trennen, da sie zum Beispiel in der Masken-Diskussion und bei der Frage nach dem Sinn oder Unsinn einer weiteren Corona-Impfung anderen Information vertrauen, als ich es für mich entschieden habe. 

Wer gehört zu uns und wer zu denen?

Aber wie könnte ich – voller Panik – meinem Bauchgefühl überhaupt noch unabhängiges Vertrauen schenken? Bei dieser Fülle an Medien-Nahrung könnte aus einem starken Bauchgefühl auch schnell mal nervöser Durchfall werden. 

Gerade in Krisenzeiten halte ich es für umso wichtiger, eine verantwortungsvolle Selbstfürsorge zu betreiben. Ganz bewusst darüber nachzudenken, was mir guttut oder was mir eher Energie, Kraft und Zuversicht raubt. 

Auch wenn es in diesen Zeiten geradezu höhnisch klingen mag, dennoch bin ich der Meinung, dass in Freundschaft und Liebe aufeinander zuzugehen – jeder in seinem eigenen, kleinen Bereich – wohl der einzige Schlüssel gegen alles Leid auf Erden sein muss. 

Am Ende muss jede:r für sich selbst entscheiden

Dieser vielleicht naive, kindliche Ansatz gibt mir persönlich immer noch mehr Kraft – schafft mehr Freiraum für Aufnahmebereitschaft im täglichen Miteinander als die brachialen Aufklärungsversuche der Medien.

Aber natürlich muss jede:r für sich selbst entscheiden, welche Impulse vonnöten sind, um der besten Version von sich selbst eine Hilfestellung zur Entfaltung zu leisten. 

Und falls Sie es grotesk finden, in einer Kolumne für eine digitale Zeitung über Medien-Enthaltsamkeit zu lesen … tja … 

Willkommen in meiner Welt der Ambivalenz.