Diane Kruger und Felix Lobrecht haben es, na und? Aber in einer Klasse von 20 Kindern in Konstanz sitzt rein statistisch ein Kind mit ADHS, das unsere Unterstützung verdient. Rund 5 Prozent aller Kinder weltweit sind betroffen; in Deutschland ist für 4,4 Prozent der 3- bis 17-Jährigen die stark erblich bedingte Diagnose bestätigt und es wachsen immer neue Kinder nach, die getestet werden müssten. Dabei ist der Weg zur Diagnose in Konstanz steinig – eine Mutter beschreibt es mir als eine Odyssee. Zudem ist es nicht leicht, auch danach Unterstützung zu finden.
„Das Netzwerk ist auf allen Ebenen total überlastet“, sagt auch die Psychologin und Sozialpädagogin Monika Ade, die in Tengen Eltern-Trainings für ADHS anbietet. Ich habe nachgeforscht, Antworten auf Fragen gesammelt und schnell war klar: Konstanz hat eine gute Infrastruktur – wäre da nicht die verflixte Sache mit den Kapazitäten. Was jahrzehntelang unterdiagnostiziert war, kommt nun an die Oberfläche.
Am Ende findet Ihr eine Liste mit Tipps. Aber eins noch vorweg: Was bei ADHS hilft, ist vor allem Verständnis. Und dazu müssen wir mit Vorurteilen aufräumen.
Kita, Schule, Erziehung, Pflege, Freizeit – Familienpolitik betrifft fast alle Menschen in Konstanz. Deshalb widmen wir uns diesen Themen künftig verstärkt in einem themenspezifischen Newsletter. Er heißt „familie mit k“ und erscheint alle 14 Tage donnerstags. Du kannst ihn hier kostenlos abonnieren.
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Wie sind sie, die Kids mit ADHS?
Sie ertragen keinen langweiligen Unterricht, sind aber auch schnell begeistert. Und wenn die Zeit richtig eng wird, können sie hyperfokussiert arbeiten. Die Liste der Stärken ist lang!
„Die Welt wäre arm ohne Menschen mit ADHS“, ist die Psychologin und ADHS-Expertin Stefanie Rietzler überzeugt.
Aber leider fällt den Kindern auch die Konzentration im Alltag schwer, sie müssen sich oft aufregen und manche können kaum still sitzen. Im Kindergarten ist das alles noch okay und dann kommt die Grundschule: 75 Prozent der ADHS-Fälle werden vor dem 10. Lebensjahr diagnostiziert.
Wie lange dauert’s bis zur Diagnose & Therapie?
Die Nachfrage nach Tests und Unterstützung für Familien in Konstanz ist enorm. „Wir hatten zuletzt einen Aufnahmestopp aufgrund der hohen Anfrage und Auslastung“, sagt mir Lilli Carolin Willy. Sie ist Psychiaterin für Kinder und Jugendliche und betreibt in der Konstanzer Altstadt partnerschaftlich eine Praxis mit ADHS-Schwerpunkt. Ab Frühjahr 2025 nimmt sie wieder neue Patient:innen zur Diagnostik auf: „Wir öffnen und schließen immer wieder unsere Warteliste, je nach Nachfrage. Insgesamt ist diese wahnsinnig hoch.“
Zwölf Monate dauert die Wartezeit am apb Zentrum für Psychotherapie Bodensee in Konstanz Petershausen. Etwas besser sieht es gerade in der Luisenklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Radolfzell aus: Mit etwas Glück gibt’s in zwei Monaten einen Termin.
Aktuell herrscht im Landkreis Konstanz offiziell eine Überversorgung an Psychotherapeut:innen, doch nicht an Kinder- und Jugendpsychiater:innen. Die Regionen rund um Heidelberg, Freiburg sowie Karlsruhe haben gemäß Versorgungsschlüssel sogar zu viele davon. Vielleicht will jemand von dort an den Bodensee umziehen. Auch schön hier.
Wie sieht der Weg aus?
Ein Diagnosetermin wird von vielen Eltern sehnlichst erwartet. Setzt er doch einer teilweise zermürbenden Phase der Unsicherheit ein Ende. In vielen Fällen sind es Lehrkräfte, die ADHS zuerst ansprechen. Dann geht’s zum Kinderarzt, der eine Überweisung für eine Abklärung stellt.
Besteht ein positiver Befund, ist ADHS gut behandelbar, bestätigt die Ärztin Lilli Carolin Willy. Weil Probleme der Selbstregulation zentral sind, unterstützt sie Kinder unter anderem dabei, sich mit passenden Strategien selbst zu beruhigen. Auch Medikamente sind laut Willy sehr hilfreich. (Siehe Tipp 4)
Prinzipiell werde auch in Schulen immer mehr Rücksicht genommen, sagt sie. So ist ein sogenannter Nachteilsausgleich (NTA) möglich, der Schüler:innen etwa mehr Zeit bei Prüfungen beschert und nicht im Zeugnis vermerkt wird. Das entlastet und lohnt sich, auch wenn der Prozess dahinter an manchen – nicht an allen – Schulen kompliziert ist.
Welche Hilfen & Tiefschläge können Eltern erwarten?
Die Expertin Monika Ade sagt: „Eltern machen die Erfahrung, dass sie entweder keine alltagstaugliche Unterstützung bekommen oder viel zu lange auf Unterstützung warten müssen. Häufig kostet die Suche und Auseinandersetzung mit Hilfsangeboten viel zu viel Kraft.“ Dabei stünden auch viele bürokratische Hürden im Weg.
Ideal ist, wenn es an einer Schule eine Ansprechperson für Schulsozialarbeit gibt – und das ist nur etwa bei 55 Prozent der Grundschulen im Land der Fall –, dann kann diese zur Seite stehen. Sonst ist für Eltern und Lehrkräfte die Schulpsychologische Beratungsstelle in Singen eine gute Adresse. Sie entwickelt mit Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften Lösungen für den Schulalltag, die Erleichterung schaffen. Zudem vermittelt sie durch das Landesprogramm STÄRKE finanzierte Unterstützungsangebote. Die ADHS-Elterntrainings von Monika Ade gehören auch dazu. Hier lernen Eltern, das Verhalten ihrer Kinder besser zu verstehen und zu akzeptieren.
Einer der schwersten Belastungspunkte für Eltern ist aber das Unverständnis von außen – von anderen Eltern, Lehrkräften oder Verwandten, so Monika Ades Erfahrung. „Eltern erzählen mir regelmäßig von sehr verletzenden und entmutigenden Gesprächen und Erlebnissen in Kindergärten, Schulen, Kirchengemeinden, Kliniken und anderen Organisationen.“ Und das könne eine Dynamik verstärken, die sogar die ganze Familie ins Wanken bringt. Laut Studien steigt die Wahrscheinlichkeit einer Trennung bei Eltern mit einem Kind mit ADHS.
Sind auch ADHS-Vorurteile behandelbar?
Jede:r von uns kann dazu beitragen, die Situation zu verbessern, denn das Thema ist noch immer ein Tabu. Die Dunkelziffer bei Kindern mit Migrationshintergrund ist hoch und generell ist das System bei Mädchen von jeher auf einem Auge blind (Siehe Tipp 4). Letztlich beobachtet Monika Ade aber auch Fortschritte: Etwa sinkt die Scham der Eltern.
„Bei meinen ersten Elterntrainings 2011 war es für manche Eltern noch so undenkbar, vor anderen über ihre Probleme zu sprechen, dass sie an der Türe umkehrten. Das erlebe ich heute nicht mehr.“
Wer mehr wissen will: Ich habe Euch 7 Tipps für Eltern zu ADHS zusammengestellt. Darunter sind Links zu empfehlenswerten Büchern oder Podcasts, zu regionalen Selbsthilfegruppen oder auch Studien, die sich mit ADHS-Medikamenten beschäftigen. Einfach klicken!
7 Tipps für Eltern und ADHS
1. Informiert Euch:
Empfehlenswert ist etwa die Schweizer Plattform „Akademie für Lerncoaching“, von deren Macher:innen es auch Bücher gibt, oder die Podcast-Reihe von ADHS Family.
2. Übt Verständnis:
ADHS ist in erster Linie nicht Resultat mieser Erziehung. Ob Wutanfall oder stark schwankende Leistungen: Das alles ist Teil des Spiels, das das ADHS-Hirn mit dem Botenstoff Dopamin spielt. Ein Lächeln hilft.
3. Habt Mädchen im Blick:
Bei Jungs wird ADHS dreimal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Ein Fehler? Bei Jungs überwiegt Hyperaktivität, bei Mädchen Unaufmerksamkeit.
4. Lasst Eure Kinder behandeln:
Therapie und Medikamente machen Kindern das Leben leichter. Laut Studien sind die Risiken, Medikamente nicht zu nutzen, höher als die Risiken mit ihnen.
5. Redet darüber:
Es braucht Multiplikator:innen und sichere Häfen für Eltern – auch damit sie Kinder bestmöglich unterstützen können. Etwa in Hilzingen gibt es eine Selbsthilfegruppe.
6. Fördert die Weltrettung:
Kids mit ADHS sind begeisterungsfähig. Versuchen Sie es mit Angeboten in diesen Bereichen: Helfen, Retten, Bewegung, Kreativität, Tiere, Natur und Gerechtigkeit.
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