„Geht nochmal crazy ab“, schreit Anna. Zum Einstieg verwandeln sich alle in watschelnde Pinguine, Schaukelpferde oder Naturkatastrophen. Jeder darf vorschlagen, was als Nächstes inszeniert werden soll. Egal, wie absurd die Idee klingt. Wer Theater spielt, dem darf nichts peinlich sein.
In Konstanz gibt es gleich zwei studentische Theatergruppen. Sowohl an der Universität als auch an der HTWG werden jedes Semester verschiedene Stücke einstudiert und aufgeführt. Das Theater gibt den Studierenden die Möglichkeit, selbst mitzugestalten und ihre Ideen zu verwirklichen.
An der Hochschule wird die Gruppe von Anna Hertz geleitet. Sie war vorher beim Unitheater. Beim Wechsel hatte sie auch Vorurteile: „Theater an einer Hochschule für Technik und Wirtschaft – geht das überhaupt?“ Inzwischen ist sie begeistert, was die Studierenden alles auf die Beine stellen. In diesem Semester steht zum Beispiel ein zweifacher Weltmeister im Jonglieren auf der Bühne. Aber auch vom Rest der Truppe zeigt sie sich beeindruckt: „Wenn man ihnen den Raum gibt, kreativ zu werden, dann füllen sie ihn auch“, freut sich Anna. So schreiben sie alle ihre Stücke selbst. Dieses Jahr spielen sie einen Krimi, es geht um den Giftmord an einer Künstlerin.
Auch das Bühnenbild ist von Studierenden
Auch die Nähe zur Technik kommt dem Ensemble zugute. Im letzten Semester spielten sie auf dem Campus. Dafür brauchten sie eine Bühne, die sich drehen lässt. So kann das Bühnenbild während der Aufführung verändert werden. Gemeinsam mit den technischen Fakultäten wurde das realisiert. Begeistert erinnert sich Anna, wie ein Student im letzten Moment die Bremsen der Bühne umprogrammierte. Gerade in den letzten Wochen vor der Premiere gibt es immer unglaublich viel zu tun. Die Studierenden bauen das Bühnenbild, müssen schleppen und proben. Da sei es schön zu sehen, wie engagiert die Gruppe ist.
Jarun ist seit 2019 dabei. Er studiert Umwelttechnik und hat vor seinem Studium noch nie Theater gespielt. Aber als er in seinem ersten Semester eine Aufführung des Hochschultheaters sah, wusste er, dass er auch dabei sein muss. Sein Highlight aus der Theaterzeit? Während der Pandemie wurde ein Stück auf der Marktstätte aufgeführt. Jarun stand dabei auf dem Kaiserbrunnen und brüllte „Krieg!“ durch alle Gassen der Altstadt. Heute wäre ihm das wahrscheinlich zu viel, aber während der Pandemie kam es ihm gerade recht: „Einfach mal alles rauslassen und rausbrüllen. Das ist Theater für mich. Das macht mich lebendig.“ Auch Anja stimmt ihm zu: „Es macht unheimlich Spaß, einfach mal durchzudrehen. Und alle machen mit.“ Sie studiert eigentlich an der Uni, ist aber durch ihre Mitbewohnerin zum Hochschultheater gekommen.
Im Laufe der Jahre haben sich auch einige Freundschaften entwickelt. „Das Schönste ist eigentlich der Kuschelkreis am Ende“, sagt Sina. Auch nach der Probe sitzt die Truppe oft noch zusammen. Man hat das Gefühl, sie hören nie auf zu spielen. Immer wieder setzen sie sich selbst in Szene, schlüpfen in verschiedene Rollen und improvisieren absurde Szenen.
Theater als Lernort
An der Hochschule findet das Theater im Rahmen des Studium Generale statt. So können sich die Studierenden ihre Mitarbeit auch für ihr Studium anrechnen lassen. Und gelernt wird auch: „Gefühle nachvollziehen, Menschen verstehen und im Team arbeiten – all das lernt man beim Theater“, sagt Anna.
Für das Unitheater steht in diesem Semester „Der Wanderer“ von Aphra Behn auf dem Programm. Das Stück wurde 1677 uraufgeführt und handelt von zwei spanischen Adelsdamen, die aus den Rollen ausbrechen wollen, in die sie ihre Familie zwingen will. Verkleidet fliehen sie während des Karnevals von zu Hause und mischen sich unter das Volk. Dabei geraten sie an eine Gruppe verwegener englischer Piraten.
Das Stück sei auch heute noch mehr als aktuell, sagt Cecilia Amann. Sie leitet seit vier Semestern das Unitheater. Es gehe um weibliche Selbstbestimmung, Prostitution und Klassenunterschiede. „Wir wollten unbedingt ein feministisches Stück spielen“ – deshalb fiel die Wahl auf Aphra Behn. Sie gilt als erste professionelle Schriftstellerin Englands und feministische Vordenkerin.
„Theater hat auch die Funktion, gesellschaftliche Themen anzusprechen. Und das geht am besten mit Humor“, so Cecilias Philosophie. Deshalb spielten sie immer wieder Komödien mit gesellschaftlichen Themen. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, spielten sie zum Beispiel „Oh, was für ein schöner Krieg“. Ein satirisches Stück über den Ersten Weltkrieg. Die Parallelen zur Ukraine seien verblüffend gewesen, sagt die Regisseurin. Immer wieder hätten sie Schlagzeilen aus der Zeitung an ihr Stück erinnert.
Auch hier wirken die Studierenden nicht nur als Schauspieler:innen. Sie entwerfen die Maske und das Bühnenbild, machen die Technik selbst und unterstützen Cecilia bei der Regie. Viele der Studierenden, die beim Unitheater mitmachen, studieren im Studiengang Literatur, Kunst und Medien. Einige von ihnen wollen später selbst im Theaterbereich arbeiten. Das Unitheater gibt ihnen die Möglichkeit, erste Schritte in der Inszenierung eigener Stücke zu machen, sagt Jette. Sie ist schon seit einigen Jahren dabei und spielt in diesem Semester eine der Hauptrollen.
Am Anfang steht eine Geschichte
Doch das Unitheater steht in diesem Semester auch vor Herausforderungen. Wegen der Baustelle an der Universität können sie nicht auf ihrer eigenen Bühne proben und auftreten. Stattdessen müssen sie für ihre Proben Räume im Jugendzentrum mieten. Die Aufführung findet zum ersten Mal im Kula statt. Auch wegen der zusätzlichen Kosten wird es in diesem Semester nur eine große Aufführung geben – im Sommersemester waren es noch drei.
Aber nicht nur Theaterstücke werden an der Uni inszeniert. Es gibt auch eine eigene Tanzgruppe. Im vergangenen Semester entwickelte sie das Tanztheaterstück „Alles ok, Eva?“ über zwei Frauen, die ein sexuell selbstbestimmtes Leben führen wollen. Die Tänzerinnen sind monatlich beim Bunten Abend des Unitheaters zu sehen. Aber auch in „Der Wanderer“ werden sie eine Rolle spielen.
Bei ihren Auftritten wollen sie weg von den klassischen, grazilen Schritten. „Wir sind keine Ballerinen“, ruft Charlotte bei den Proben immer wieder. Stattdessen sind sie wilde Tiere im Käfig. Zuerst können sie nicht aufstehen, doch nach und nach nehmen sie Schwung auf, werden vom Blitz getroffen, flippen aus und schlagen wild um sich. Die Schritte dazu denkt sich Charlotte zu Hause vor dem Spiegel aus. Am Anfang steht immer eine Geschichte, die es zu erzählen gilt. Sie selbst ist auch noch Studentin. Sie schreibt gerade ihre Masterarbeit in Psychologie über Demenzforschung. Nebenbei macht sie eine Ausbildung zur Tanzpädagogin und besucht einen Tanzkurs – tanzt also fast jeden Tag.