Herr Venzago, Sie sind Chefdirigent bei der Südwestdeutschen Philharmonie. Was ist eigentlich die Aufgabe eines Chefdirigenten?
Als Chefdirigent ist man zunächst für die künstlerische Entwicklung eines Orchesters zuständig. Das heißt, ich überlege mir, wie ich das Orchester voranbringen und wie ich den Stil des Ensembles prägen kann. Dazu muss ich die Stücke erstmal am Schreibtisch und Klavier lernen, die ich selbst dirigiere. Dann muss ich Stücke konzipieren von denen ich denke, dass sie das Orchester voran bringen. Am Ende geht es vor allem darum, den Konzertbetrieb der Philharmonie so attraktiv wie möglich zu gestalten.
Als Chefdirigent geben Sie bis zu 70 Menschen aus dem Orchester Anweisungen, inwieweit ist das auch eine Machtposition?
Natürlich ist es das. Es ist eine Machtposition in einer Zeit, in der diese Art von Macht weder modern noch erwünscht ist.
Wie gehen Sie mit dieser Macht um?
Ich versuche viel zu sprechen, viel zu verstehen, viel Bedürfnisse zu respektieren und vor allem die Würde eines jeden Einzelnen zu respektieren. Ich habe das Gefühl, dass wir in der Probe auch eine ganz gute Atmosphäre haben, weil ich hoffe, dass sich das Orchester wertgeschätzt fühlt. Denn nur durch Wertschätzung kann ich Leistung einfordern. Das ist in der Musik nicht anders als im Fußball.
Es gibt Abende, die laufen katastrophal. Zudem gehst Du oft aus Proben raus und denkst: Mist, hier reicht es noch nicht.
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Wie sind Sie überhaupt zur Musik gekommen?
Ich habe früh mit Klavier angefangen, meine Eltern sind beide Berufsmusiker. Durch das Theater wurde meine Leidenschaft entfacht, ich war sozusagen mit dem Virus infiziert, und wollte unbedingt zunächst Beleuchtungsmeister, später dann Sänger werden, aber ich kann halt leider überhaupt nicht singen. Trotzdem hat mich die Musik irgendwie gepackt. Gar nicht so sehr weil ich Brahms-Sinfonien so toll fand, sondern, weil ich diese Gesellschaft, dieses Theater- und Orchesterleben so toll finde. Diese Energie, die da zum Tragen kommt, danach bin ich süchtig geworden.
Gab es auch mal Zweifel an dem Weg?
Gefühlt jeden zweiten Tag. Der Weg ist schon sehr schwer, weil man immer mit Niederlagen konfrontiert ist. Es gibt Abende, die laufen katastrophal. Zudem gehst Du oft aus Proben raus und denkst: Mist, hier reicht es noch nicht. Bis man das Erlebnis hat, dass etwas funktioniert, dauert es sehr lange. Der Beruf macht aber auch großen Spaß. Vor allem dann, wenn man die Möglichkeit hat sich auszuprobieren. Ich hab keine Ahnung, wie meine Karriere weitergeht, aber der Weg auf dem ich bin, das kann ich schon sagen, ist der richtige für mich.
Gabriel Venzago (33) ist seit Januar 2023 Chefdirigent der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Davor war er Erster Kapellmeister am Salzburger Landestheater. Der in Heidelberg geborene Dirigent studierte an der Hochschule für Musik und Theater in München und an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.
Im Jahr 2021 erregte Venzagos musikalische Leitung der Oper „Zaide. Eine Flucht“, die einen integrativen Prozess mit jungen Flüchtlingen beinhaltet, große Aufmerksamkeit und Medienresonanz. Als Gastdirigent arbeitete er mit den Brandenburger Symphonikern, dem Staatsorchester Darmstadt, der Jenaer Philharmonie, dem Mozarteum Orchester Salzburg, der NDR Radiophilharmonie Hannover, dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen.
Seit diesem Jahr sind Sie Chefdirigent in Konstanz. Kaum waren Sie hier, war die Intendantin Insa Pijanka weg. Hätten Sie sich einen leichteren Start gewünscht?
Natürlich. Es war mir bewusst, dass am Anfang nach Corona die Zeiten nicht leicht sind, dass die Haushalte angespannt sind und dass man auch in der Programmatik und der Ansetzung der Stücke darauf achten muss, finanziell im Rahmen zu bleiben, damit aber trotzdem versucht, das bestmögliche Resultat zu erzielen. Ich hatte dabei das Gefühl, in Insa Pijanka eine sehr gute Partnerin zu haben. Auch die Vorarbeit mit ihr war sehr gut. Aber ja, am Ende wurde es ein Start, der unter einem besseren Sternzeichen hätte stehen können.
Haben Sie manchmal in den vergangenen Monaten nach all den negativen Schlagzeilen gedacht „Verdammt, wo bin ich hier rein geraten?“?
Nein, überhaupt nicht. Was mich aber vielmehr beschäftigt: Ich finde es extrem traurig, dass wir als Philharmonie nicht Schlagzeilen damit machen, wie toll wir Musik machen, sondern dass wir in den Schlagzeilen sind zu unseren Finanzen und der Frage, wie es mit der Intendanz weitergeht. Ich bedauere es auch, dass wir immer nur auf Probleme angesprochen werden und nicht darauf, welche Möglichkeiten und Angebote wir jetzt schon bieten. Abgesehen davon: Ich bin ein Mensch, der mag es nicht so gerne langweilig. Aus Krisen können große Chancen entstehen. Egal welche Institution man heute übernimmt, man muss überlegen, wofür stehen wir eigentlich? Und das finde ich wahnsinnig spannend im Moment. Ich kann nicht nur versuchen, aktiv neue Gedanken zu formulieren, sondern sie auch in die Tat umsetzen.
Ich gebe zu, das ist ein schwieriger Weg raus aus dem Elfenbeinturm, aber wir müssen ihn gehen
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Wofür steht denn die Südwestdeutsche Philharmonie heute?
Die Philharmonie steht dafür, dass wir auf einem ganz hohen Niveau Musik machen. Dass wir superattraktive Konzertprogramme und Solist:innen haben. Dass wir vielseitige und auch schon neue Formate, vor allem für Kinder und Jugendliche, haben. Dass wir in Schulen gehen und in verschiedenen Formationen auftreten. Jetzt will ich damit aber auch viel mehr Menschen erreichen!
Klingt einfacher als es ist. Viele Menschen haben nicht gerade auf den Besuch der klassischen Musik gewartet.
Aber eben die Neugier auf klassische Musik will ich entfachen. Die Fragen müssen natürlich für uns auch lauten – was können wir tun, um ein aktiverer Teil der Gesellschaft zu werden? Gibt es Möglichkeiten, wie wir zum Diskurs in der Stadt beitragen können? Was können wir der Stadt zurückgeben? Ich gebe zu, das ist ein schwieriger Weg raus aus dem Elfenbeinturm, aber wir müssen ihn gehen und uns die Frage stellen, wie wir mit unserer Identität und unserem Wesen punkten können. Ich glaube, wenn man merkt, was für eine Energie klassische Musik hat, wie klassische Musik auch verbinden kann, dann gewinnen wir und dann können wir auch diesen Auftrag der Gesellschaft nachkommen.
Die Abozahlen der Philharmonie sind seit Jahren im Sinkflug. Und die große Frage ist: Wie kommt das Orchester raus aus der Krise?
Wir müssen solide wirtschaften, künstlerisch überzeugen und viel stärker in die Stadtgesellschaft hinein wirken als das zuletzt der Fall war. Das neue Spielzeitheft schreibt das „Wir“ sehr groß. Diese Offenheit will ich programmieren, die will ich ausstrahlen. Und auch hier gibt es schon gute Neuigkeiten: Unsere Abozahlen steigen wieder!
Bei uns denkt man immer noch, ich geh ins Konzert und muss mich benehmen. Das müssen wir durchbrechen, wenn wir jüngere Menschen erreichen wollen.
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Eine andere Frage, die sich gerade viele Kultureinrichtungen stellen, lautet: Wie gewinnen wir ein neues Publikum? Haben Sie für die Philharmonie schon eine Antwort darauf gefunden?
Wir sagen immer nur, wir wollen zu den jungen Leuten, und das ist einerseits wahr, andererseits aber auch zu kurz gesprungen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir für viele ältere Menschen ein Zufluchtsort sind, dass wir auch hier eine Gemeinschaft schaffen können. Am liebsten wäre es mir, so breit aufgestellt zu sein, dass jeder, der ein Interesse am Orchester hat, etwas im Programm findet, das ihn neugierig macht.
Warum sollte sich ein jüngeres Publikum überhaupt für klassische Musik interessieren? Oder anders gefragt: Was kann Klassik besser erzählen als Hip-Hop?
Die Frage ist doch eher – warum soll man sich nicht dafür interessieren? Ich glaube, dass es mit der Klassik immer noch ganz große Berührungsängste gibt. Jeder kennt die 5. Beethoven und ich bin überzeugt, dass jeder dabei Interpretationsspielräume hören würde. Es ist doch eigentlich ganz spannend, mit wie wenig Tönen man sehr viel erzählen kann. Um das zu verstehen, brauche ich Fantasie und dafür brauche ich vor allem auch eine Enthemmung. Das schafft der Hip Hop viel einfacher, weil die Stimmung in diesen Konzerten viel lauter, viel einladender ist. Bei uns denkt man immer noch, ich geh ins Konzert und muss mich benehmen. Das müssen wir durchbrechen, wenn wir jüngere Menschen erreichen wollen.
Am 22. September beginnt die neue Saison der Südwestdeutschen Philharmonie mit einem Abokonzert. Chefdirigent Gabriel Venzago hat schon einige eigene Ideen eingebracht.
Junge Bodenseephilharmonie: Für junge Musiker:innen entwickelt die Philharmonie ein neues Ensemble: Unter der Leitung von Gabriel Venzago und in Kooperation mit der Musikschule Konstanz können Kinder ab 12 Jahren ein richtiges Konzertprogramm einstudieren und auf die Bühne bringen. Die Teilnehmer:innen werden über ein Vorspiel ausgewählt. Die Aufführungen von Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ finden im Juli 2024 statt. Wer mitmachen möchte kann sich per Mail bei der Philharmonie melden: musikvermittlung@konstanz.de
Weihnachtssingen in der Schänzlehalle: Das Orchester frischt die Kooperation mit der HSG Konstanz auf. Am Freitag 22. Dezember, laden Orchester, HSG und die Konstanzer Altstadtpfarreien zum gemeinsamen Singen von Weihnachtsliedern in die Schänzlehalle ein
Matinee-Konzerte mit Kinderbetreuung: An drei Terminen, jeweils sonntags, 11 Uhr, läuft diese neue Konzertreihe. Eine Stunde lang stellt Chefdirigent Gabriel Venzago ein bestimmtes Werk vor, erläutert es und führt es mit dem Orchester auf. Damit Eltern das Konzert entspannt genießen können, bietet die Musikschule Konstanz zeitgleich eine musikalische Betreuung für Kinder an.
Auf der Suche nach dem Publikum von morgen: Mit der neuen Youngsters-Konzertreihe will die Philharmonie ein Publikum ab 13 Jahren ansprechen, es richtet sich aber auch an jung gebliebene Erwachsene. Ziel: Klassische Musik an ein Publikum vermitteln, das sich bisher noch nicht sonderlich dafür interessiert. Die Nussknacker-Suite gibt es beispielsweise mit DJ-Set und in der Schänzlehalle gibt es einen Filmmusikabend mit Fußball-Europameisterpokal.
Ab 17. Februar startet zudem eine neue Mozart-Reihe, die Zuhörer:innen die Werke des vielleicht weltbekanntesten Komponisten nochmal neu entdecken lassen.
Direkt gefragt: Braucht Konstanz die Philharmonie überhaupt?
Unbedingt. Die Philharmonie trägt maßgeblich zur Identität bei. Wir wollen doch alle in einer Stadt leben, in der man heute dies, morgen das machen kann: Kino, Theater, Musik machen Städte lebenswerter. Stellen Sie sich vor, wie trist diese Stadt wäre, wenn all das nicht mehr stattfinden würde. Wie viel Unterhaltung, aber auch Diskurs verloren gehen würde! Das geht es auch nicht nur um den Betrieb der Philharmonie. Das Orchester ist auch ein wichtiger Mitspieler für all die Chöre der Stadt. Wenn das alles tot wäre, dann wäre Konstanz immer noch schön, aber dann wäre die Seele, das Innenleben in dieser Stadt sehr schwer beschädigt.
Weitere Kürzungen würden in der Konsequenz bedeuten, wir spielen nicht zehn Konzerte weniger, sondern das heißt, wir haben zehn Musiker:innen weniger.
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Das Problem ist: Der städtische Haushalt ist klamm, die Stadt will sparen. Auch die Philharmonie musste prüfen, was sie einbringen kann. Lässt sich am Orchester überhaupt etwas sparen?
Der Prüfauftrag ist etwas sehr Verständliches erstmal. Die Stadt sagt, wir geben zu viel aus und fragt sich: Wo können wir sparen? Nun ist die Frage, wie kann das bei der Philharmonie gehen? Wir haben im Orchester einen sehr hohen Personalkostenanteil und einen sehr geringen Sachkostenanteil. Wenn man das auf dem Papier sieht, ist es ganz klar, wo man sparen kann – am Personal. Nun heißt aber eine Personaleinsparung bei uns sehr schnell das Ende der Spielfähigkeit.
Warum? Man kann doch auch mit einem kleineren Orchester Konzerte spielen.
Das Problem ist: Wir sind jetzt schon zu dünn besetzt für die Größe des Orchesters. Unser Streichapparat ist nicht groß genug, um wirklich alles spielen zu können, wir haben keine Harfe, wir haben nur einen Schlagzeuger. Das heißt, wir sind schon eingeschränkt. Weitere Kürzungen würden in der Konsequenz bedeuten, wir spielen nicht zehn Konzerte weniger, sondern das heißt, wir haben zehn Musiker:innen weniger. Wir reden also über Schicksale. Dass wir auf dem Papier solche Sachen errechnen müssen, das greift mich extrem an.
Was würden Sie stattdessen vorschlagen?
Anstelle von Einsparungen sollten wir über Zukunftsprojekte sprechen. Über Zukunftsvisionen und Optimierungen unseres Apparats. Es wäre doch auch ein Weg, neue und zusätzliche Träger der Philharmonie zu finden. Und so die finanziellen Lasten eines Orchesterbetriebs auf mehrere Schultern zu verteilen.
Also eine Bodensee-Philharmonie statt der Südwestdeutschen Philharmonie.
Absolut. Ich bin ein Fan davon, dass wir eine Bodensee-Philharmonie mit Konstanz als Heimathafen werden. Das wäre eine ganz klare Verortung, es wäre ein ganz klares Statement in der Region, es wäre einzigartig in Deutschland, dass man mit Schweiz, Deutschland, Österreich drei Länder mit einem Orchester verbindet. Wir sind nicht nur Konstanz. Wir sind auch Singen, Friedrichshafen, Bregenz, Romanshorn. Das schafft doch auch Identität rund um den See! Anstatt Geld zu sparen, entwickeln wir eine Zukunftsvision mit neuen Partnern rund um den See.
Wir müssen solide wirtschaften, künstlerisch überzeugen und viel stärker in die Stadtgesellschaft hinein wirken als das zuletzt der Fall war.
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Gibt es in anderen Städten überhaupt Interesse daran?
Das wäre der zweite Schritt, dort anzufragen. Der erste Schritt ist, zu signalisieren, dass man diese Offenheit hat. Und ja, wir spielen bereits in Singen, Radolfzell, in Friedrichshafen, das machen wir schon, aber am Ende ist es eine politische Entscheidung, ob und in welchem Maße das gewollt ist. Wir können als Orchester die Grundlage dafür bieten, die politischen Entscheidungsträger müssen dann die Gespräche führen. Auch über die Finanzen.
Ehrlich gesagt, Konstanz hat keine guten Erfahrungen mit Bodensee-Strukturen. Das war oft kompliziert. Zum Beispiel beim Bodenseefestival aus dem sich die Stadt zunehmend zurückgezogen hat.
Ich bin ein großer Fan vom Bodenseefestival, finde das total großartig, was die machen. Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass wir da auch einen größeren Beitrag leisten könnten. Aber genau in diesen Dingen können wir den Schulterschluss suchen. Vielleicht schaffen wir darüber neue Anknüpfungen.
Es wird künftig auch darum gehen, welche Führungsstrukturen das Orchester braucht. In den letzten Jahren gab es sehr gute Intendanten hier, aber auch weniger gute. Braucht die Philharmonie wirklich eine:n Intendant:in?
Unbedingt. Wir arbeiten uns aktuell im Dreierteam mit Rouven Schöll und Dieter Dörrenbächer die Seele aus dem Leib und können trotzdem nicht alles schaffen. Wir können das Tagesgeschäft bewältigen, wir können ab und zu eine Vision auch andenken und vielleicht verwirklichen. Aber ich persönlich brauche ein Korrektiv. Ich brauche jemanden mit dem ich diskutieren kann. Das kennt doch jeder – wenn man zuhause am Schreibtisch sitzt ist jede Idee grandios oder eine Katastrophe, aber alleine durch den Austausch kommen ganz andere Fragen auf, das fehlt auf allen Ebenen im Moment.
Wir arbeiten uns aktuell im Dreierteam mit Rouven Schöll und Dieter Dörrenbächer die Seele aus dem Leib.
Gabriel Venzago, Chefdirigent
Kann diese Aufgabe nicht auch ein:e Geschäftsführer:in in Zusammenarbeit mit dem Chefdirigenten erledigen?
Ich hoffe, dass es weiterhin Intendanz heißt und nicht Geschäftsführung, weil ein Intendant auch eine wichtige Symbolfigur ist für einen Orchesterbetrieb. Gerade auch im Hinblick auf die Akquise neuer Geldquellen. Da hat ein Intendant ein ganz anderes Standing und Renommee als ein Geschäftsführer. Gleichzeitig wünsche ich mir als Chefdirigent natürlich auch eine künstlerische Verantwortung für das Orchester. Ich möchte mit einem Intendanten im Team arbeiten. Für diese Position wünsche ich mir jemanden, der nicht nur Bilanzen, sondern auch Partituren lesen kann.
Bei all den Entscheidungen über die Zukunft des Orchesters wird die Politik eine große Rolle spielen. Welche Erwartungen haben Sie als Chefdirigent an die Politik?
Meine Erwartung ist auf der einen Seite, dass uns die Politik die künstlerische Freiheit gibt, alles machen, alles programmieren zu dürfen, wovon wir überzeugt sind. Auf der anderen Seite wünsche ich mir aber auch eine klare Ansage, was die Stadt von uns erwartet. Am meisten würde ich mir wünschen, dass es ein Verständnis in der Politik gibt, warum es die Philharmonie hier gibt und braucht und was wir in die Stadtgesellschaft einbringen können. Ich wünsche mir eine Offenheit uns gegenüber und ein breites Interesse, unsere Konzerte zu besuchen.
Gehört dazu auch, ein Bekenntnis der Politik, dass die Philharmonie einen neuen Konzertsaal braucht?
Für mich schon, ja. Es ist aber weniger der alte Traum vom Konzerthaus als der Traum von einem echten Kulturzentrum. Wir sind ja nicht die alleinigen Kulturakteure in der Stadt. Wir haben die Museen, die Stadtbücherei, die Freie Szene, die überhaupt keinen Platz in Konstanz hat. Wenn wir solch ein gemeinsames Kulturzentrum bauen könnten, am liebsten mit Restaurants, Bars außen rum, so dass man Kunst und Kultur lebendig spüren und erleben kann, davon könnte die Stadt nur profitieren.
Die Musiker sollen mit einer breiten Brust sagen können: Cool, ich spiele hier. Und die Stadt soll stolz sein auf ihr Orchester und sich daran erfreuen.
Gabriel Venzago. Chefdirigent
Wir haben jetzt viel über Strukturen, Zahlen und Organisation gesprochen. Aber eigentlich sind Sie ja zuständig für den künstlerische Entwicklung der Philharmonie. Wie lautet ihre künstlerische Vision für das Orchester?
Ich möchte ein bisschen back to the roots. Wieder zurück ans klassische romantische Programm, wo wir Repertoire für unsere Spielstärke haben. Brahms, Schumann, Schubert wieder vermehrt spielen. Ich möchte auch die Entwicklung in der Musik aufzeigen. Also verständlich machen, warum es logisch ist, dass nach Beethoven Schubert und Brahms kommen, warum es logisch ist, dass nach Schubert und Brahms Mahler kommt und weshalb Mahler die Tür in die Neue Musik ist. Dass die sogenannte Neue Musik auch kein Schreckgespenst ist, sondern wahnsinnig spannend. Diese Stränge möchte ich beleuchten, in diesen Werken soll unser Orchester glänzen. Kurz gesagt: Ich will, dass wir hier einen super Laden haben und einen Laden, dem man auch ansieht, dass er ein super Laden ist. Die Musiker sollen mit einer breiten Brust sagen können: Cool, ich spiele hier. Und die Stadt soll stolz sein auf ihr Orchester und sich daran erfreuen.
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