Manchmal spiegeln sich die großen Geschichten sehr deutlich im Kleinen. Wenn man sich also die Frage stellt, warum die Perspektive von jüngeren Menschen in der Politik allgemein und in der Vergabe von Kulturfördergeldern in Konstanz speziell eine maximal untergeordnete Rolle spielt, dann reicht ein Blick auf die Besetzung des zuständigen Kulturausschusses. Während der Stadtseniorenrat seit 2018 selbstverständlich einen Vertreter entsendet, hat die junge Generation dort bislang keinen Platz. Die spontane Diagnose: Politische Teilhabe ist in Konstanz ungerecht verteilt.
Die Gründe dafür haben nicht nur mit den Machtverhältnissen in der Stadt und der Ignoranz der Älteren zu tun, aber schon auch. Überspitzt formuliert: Reicht doch, wenn es einmal im Jahr das Campusfestival gibt. Die Politik macht es sich manchmal auch zu leicht, weil sie lieber Vertreter:innen von Interessengruppen anspricht, die bereits organisiert sind. Das geht schneller. Da hat der Stadtseniorenrat einen klaren Vorteil gegenüber Jugendlichen.
Ein anderer Grund ist aber auch bei den jungen Menschen selbst zu finden. Die vor zwei Jahren gegründete Jugendvertretung hat die Mitsprache in anderen kommunalpolitischen Themen als wichtiger erachtet. Statt im Kulturausschuss sitzen sie als sachkundige Mitglieder lieber im Bildungsausschuss (2 Sitze), im Sportausschuss (1 Sitz) und im Jugendhilfeausschuss (2 Sitze). Vielleicht ist Kulturpolitik einfach nicht das dringendste Thema für junge Menschen.
Die großen Einrichtungen Stadttheater, Philharmonie, Museen und die Stadtbücherei erhalten die größten Beiträge aus der Stadtkasse. Der Grund dafür ist simpel – sie unterhalten die größten Betriebe mit dem meisten Personal: Das Stadttheater beschäftigt beispielsweise 111 festangestellte Mitarbeiter:innen. Die Südwestdeutsche Philharmonie hat 65 Planstellen in Orchester und Verwaltung.
Stadttheater: Das Gesamtbudget liegt bei knapp 9 Millionen Euro im Jahr, 6,7 Millionen Euro davon kommen von der Stadt (2021).
Südwestdeutsche Philharmonie: Das Gesamtbudget liegt bei 5,8 Millionen Euro, der städtische Anteil liegt bei 3 Millionen Euro (2021).
Städtische Museen: Mit 3,4 Millionen Euro hat die Stadt Rosgartenmuseum, Wessenberg-Galerie und Bodensee-Naturmuseum bezuschusst (2021).
Stadtbibliothek: Mit 1,7 Millionen Euro hat die Stadt den Betrieb der Bücherei bezuschusst (2021)
Quellen: Haushalt der Stadt Konstanz 2023/2024 & Konstanz in Zahlen 2022
Das Kulturamt hat ein Jahresbudget von rund 1,7 Millionen Euro. Mit diesem Geld werden ganz verschiedene Initiativen unterstützt. Eine kleine Auswahl (alle Zahlen beziehen sich auf 2023):
Volkshochschule Konstanz-Singen: 459.000 Euro im Jahr
Kulturladen: 60.000 Euro im Jahr
K9: 70.000 Euro im Jahr
Zebra Kino: 54.500 Euro im Jahr
Kunstverein Konstanz: 69.400 Euro im Jahr
Turm zur Katz: 65.000 Euro im Jahr
An Vereine und Verbände fließen 59.600 Euro.
Diese so genannte institutionelle Förderung bekommen Vereine erst, wenn es sie schon drei Jahre gibt. Sie müssen auch Leistungsnachweise und Kostenrechnungen vorlegen. Gefördert werden nicht einzelne Projekte, sondern generell die jährlichen Aktivitäten der Initiative und ihr kontinuierliches Angebot.
Unterjährig vergibt das Kulturamt Mittel für Projektförderung an Vereine, Einzelkünstler:innen oder Kollektive: Dafür stehen im Jahr 22.000 Euro bereit. Die hier verteilten Zuwendungen dienen „zur Deckung oder teilweisen Deckung von Ausgaben des Zuwendungsempfängers für einzelne abgegrenzte Vorhaben“, schreibt das Kulturamt auf seiner Internetseite. Diese Förderung konzentriert sich auf öffentliche Projekte.
Weitere 50.000 Euro liegen im Kulturfonds. Gefördert werden können hier Projekte, „die sich durch ihre künstlerische Qualität auszeichnen. Dabei können die einzelnen Beteiligten durchaus Laien, semiprofessionelle oder professionelle Künstler und Künstlerinnen sein. Wichtig ist, dass die Projekte einen ortsbezogenen und kulturszenebelebenden Charakter in Konstanz oder Kreuzlingen aufweisen“, heißt es auf der Website der Stadt Konstanz.
Anträge zu allen Fördermöglichkeiten können Kulturschaffende hier stellen.
Trotzdem könnte die Stimme der jungen Menschen in der Frage, welche Kulturveranstaltungen Geld von der Stadt bekommen sollten, bald stärker gehört werden. Sarah Müssig, Leiterin des Konstanzer Kulturamts, hat einen Prozess angestoßen, der neue Perspektiven in der Kulturförderung der Stadt abbilden will. Weil in der Debatte um Kulturförderung aber oft viele Dinge durcheinandergeraten, ist es hilfreich, sich nochmal kurz darüber zu verständigen, was Kulturförderung eigentlich ist. Und was nicht.
Kleine Erinnerung: Was soll Kulturförderung überhaupt?
Kulturförderung soll Kultur fördern. In Wirtschaftsdeutsch gesprochen: Kulturförderung soll Projekte subventionieren, die die Bürger:innen zu üblichen Marktpreisen kaum nachfragen würden. Daraus ergibt sich auch der Bildungsauftrag, den geförderte Kulturinstitutionen übernehmen.
Die Politik fordert manchmal, Kultur müsse „die Strahlkraft der Stadt verstärken“, „Botschafterin“ und „Werbeträgerin“ für die Region sein. Diese Etiketten spielen aus guten Gründen untergeordnete Rollen bei der Vergabe von Kulturfördermitteln. Käme das eines Tages anders, wäre dies das Ende von Kulturförderung. Dann gäbe es nur noch Wirtschafts- beziehungsweise Tourismusförderung. Kann man machen, aber dann würde eben nur doch das gefördert, was sich potenziell gut verkauft, Nischenprodukte hätten keine Chance mehr.
Kulturförderung will aber genau das: Projekte möglich machen, die sich allein über den Markt nicht finanzieren lassen. Sie will die (finanziell) Schwachen stark machen.
Warum sollte der Staat für etwas bezahlen, was auch ohne sein Zutun läuft?
Daneben gibt es eine andere Denkschule, die das fördern will, was populär ist. Das würde in der Konsequenz bedeuten, die Starken noch stärker zu machen. Ein fragwürdiges Modell: Mit welchen Argumenten könnte man öffentliche Mittel für kommerziell erfolgreiche Produktionen einsetzen? Oder anders gefragt: Warum sollte der Staat für etwas bezahlen, was auch ohne sein Zutun läuft?
Beide Ansätze unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Die einen orientieren sich an denen, die Kultur produzieren, die anderen an denen, die Kultur konsumieren. Kluge Kulturpolitik muss Wege finden, die besten Aspekte jeder Denkrichtung zu verbinden.
Wie man populäre Kultur fördert, ohne kommerzielle Anbieter zu subventionieren
Man kann nämlich populäre Kultur fördern, ohne kommerziell erfolgreiche Veranstaltungen zu subventionieren. Zum Beispiel, indem man die Förderung kommerzieller Veranstalter:innen an einen substanziellen Beitrag für die Kulturschaffenden in Konstanz knüpft. So läuft es ja schon jetzt beim Campusfestival: Treten Konstanzer Bands und Musiker:innen im Programm auf, ist eine Unterstützung schlüssiger als, sagen wir, den Toten Hosen weiteres Geld hinterherzuwerfen.
Das Publikum kann man über andere Wege einbinden. Über die Auswertung von Daten zum Beispiel. Bislang ist über die Bedürfnisse des Publikums in Konstanz wenig bekannt. 2011 gab es zuletzt von der Universität Konstanz eine repräsentative Umfrage zur Nutzung kultureller Einrichtungen in der Stadt. Eine Erkenntnis damals: Je älter die Befragten waren, umso zufriedener waren sie mit dem kulturellen Angebot der Stadt. Demgegenüber sagten nur vier Prozent der 18- bis 30-Jährigen, dass das Konstanzer Kulturleben für sie ausreichend ist.
Umfrage 2011: Je jünger die Menschen, umso unzufriedener sind sie mit dem Kulturangebot
Nach einzelnen Sparten gefragt, zeigte sich vor 12 Jahren, dass besonders Film und Kino beliebt waren (und da gab es noch das Scala, das Bedürfnis dürfte also eher gestiegen sein). Dahinter folgte Rock- und Popmusik. Auch in Bibliotheken, kultureller Bildung und historischen Museen sahen 2011 jeweils mehr als 70 Prozent der Befragten interessante Bereiche. Für Theater und klassische Musik bekundeten demnach jeweils ein Viertel der Befragten starkes Interesse, fassten die Studien-Autor:innen zusammen.
Eine zeitgemäße Kulturförderung, die kein Akzeptanzproblem bekommen möchte, sollte diese Aspekte zumindest mitdenken. Ein erster Schritt dazu wäre, die Umfrage von damals zu wiederholen, um ein aktuelles Bild aus der Bevölkerung zu erhalten. Die Ergebnisse muss man dann nicht 1:1 umsetzen, das wäre Förderung nach Quote, aber einzelne Schwerpunkte lassen sich in der Kulturförderung daraus durchaus setzen.
Zwei Beispiele: Wenn 2011 86 Prozent der Konstanzer:innen in der Umfrage der Universität sagen, dass sie sehr an Film und Kino interessiert seien, wäre es vielleicht vier Jahre später immer noch eine gute Idee gewesen, wenn sich die Stadt viel stärker um den Erhalt des Scala bemüht hätte. Und wenn Rock- und Popmusik besonders beliebt sind in der Bevölkerung, kann städtische Kulturpolitik darauf reagieren und genau diese Sparte vor Ort mit besonderen Förderprogrammen unterstützen.
Wie sich der Kulturbegriff verändert und wie Kulturförderung darauf reagieren kann
Das würde auch einem anderen Trend entgegenkommen: Der Kulturbegriff ist im Wandel. Der lange Zeit reflexhaft betonte Unterschied zwischen ernsthafter und unterhaltender Kultur ist so heute kaum noch aufrechtzuerhalten. Im besten Fall sind Kulturprojekte heute ernsthaft und unterhaltsam. Auch Hochkultur und Populärkultur kann man heute nicht mehr so einfach trennen. In beiden Feldern gibt es spannende, innovative Projekte ebenso wie es langweilige und überholte Ansätze gibt.
Die gute Nachricht dazu lautet: Das städtische Kulturamt hat die Signale gehört und ist auf dem Weg zu einer Neuausrichtung der eigenen Kulturförderung. Klar, das ist nur ein Teilbereich der städtischen Kulturförderung. Die Gelder für Stadttheater, Philharmonie und Museen werden nicht über das Kulturamt verteilt. Aber: Es ist ein Anfang.
Bereits 2020 hatte die SPD im Gemeinderat gefordert, einen neuen Kulturentwicklungsprozess zu starten, inklusive einer Neuordnung der städtischen Kulturförderrichtlinien. In der Pandemie ist das Vorhaben ein bisschen vom Radar geraten, aber seit 2022 bemühen sich Sarah Müssig und ihr Team um eine strategische Neuausrichtung unter dem Titel „Blickrichtung.Kultur“.
Wie sich das Konstanzer Kulturamt neu aufstellt
Sie haben den Ist-Zustand analysiert, Interviews mit Expert:innen aus anderen Städten geführt und (vielleicht der wichtigste Teil) vier Workshops mit insgesamt 40 verschiedenen Konstanzer Kulturschaffenden durchgeführt. Das Ziel: Bedürfnisse und Ideen aus der freien Szene abholen. „Wir haben uns wirklich viele Gedanken gemacht und können auf der Basis jetzt neue Ideen in unsere Kulturförderung einbauen. Wir müssen ganz neue Akzente setzen“, sagte Kulturamtsleiterin Sarah Müssig kürzlich im Kulturausschuss des Konstanzer Gemeinderats.
So soll es neu beispielsweise auch eine Konzeptionsförderung geben. Das heißt, die Unterstützung wird nicht mehr an ein fertiges Werk geknüpft, sondern kann auch in die Recherche fließen. Um dem Mangel an Ateliers und Band-Räumen in Konstanz zu begegnen, will das Kulturamt künftig auch grenzüberschreitende Atelier- und Band-Raumförderung anbieten. In Kreuzlingen ist das Angebot wesentlich größer. Und: Projekte, die zum zweiten Mal aufgeführt werden, sollen auch gefördert werden können. Bislang ist das ausgeschlossen.
Ideen gut, Umsetzung wird noch dauern
Wann all diese Ideen umgesetzt werden, ist noch offen. Bis November 2023 will das Kulturamt an der Formulierung der neuen Kulturförderrichtlinien feilen, danach könnte es in die politischen Beratungen gehen. Es dürfte also noch eine Weile dauern.
Das Kulturamt denkt den Prozess unterdessen schon weiter. Neben den neuen Förderrichtlinien möchte Sarah Müssig auch einen neuen Kulturbeirat installieren. Mitglieder könnten verschiedene Akteur:innen aus der freien Konstanzer Kulturszene werden: Kulturladen, K9, Zebra Kino, Neuwerk, aber auch Vertreter:innen von aktiven Musik- und Kulturvereinen. Vorbild dafür ist der Stadtsportverband. „Perspektivisch gesprochen könnte aus diesem Beirat dann irgendwann auch ein:e Vertreter:in im Kulturausschuss sitzen“, zeigte Sarah Müssig einen möglichen weiteren Weg auf.
Das Publikum soll eine Stimme bekommen – im Kulturbeirat
Spätestens an diesem Punkt erinnert man sich an den Anfang dieser Geschichte und fragt sich: Und wo bleiben da wieder die Bedürfnisse des Publikums? Tatsächlich sollen auch die Zuschauer:innen künftig gehört werden, sie sollen Teil des Kulturbeirats werden. „Wir sind uns noch nicht ganz sicher, wie wir diesen besetzen, aber denkbar wäre, zwei oder drei Plätze an Interessierte zu vergeben. Diese müssen dann auch keinen kulturellen Expert:innen-Hintergrund haben“, erklärt Kulturamtsleiterin Sarah Müssig auf Nachfrage von karla.
Die Erwartungen an das zu gründende Gremium sind groß: „Es soll uns ein Stimmungsbild der aktuellen gesellschaftlichen Themen vermitteln und auch ein Korrektiv für unsere – zum Teil wahrscheinlich sehr fachlichen Überlegungen – sein“, so Müssig. Vielleicht findet sich da ja auch ein Platz für die jüngere Generation. Wenn sie denn wollen. Schon zu den Workshops des Kulturamts im vergangenen Jahr war die Jugendvertretung eingeladen. Sie haben aber abgesagt.
Studi-Festival war gestern
Du willst mehr karla?
Werde jetzt Mitglied auf Steady und gestalte mit uns neuen Lokaljournalismus für Konstanz.
Oder unterstütze uns mit einer Spende über Paypal.