Dein Weg in die Freiheit. Häusliche Gewalt darf kein Tabuthema sein

Petra Reinoso gibt in ihrem Community-Beitrag einen Einblick in ihre Erfahrung mit häuslicher Gewalt und ruft auf zu mehr Sichtbarkeit für Missbrauch.

Community-Beitrag von Petra Reinoso

Petra Reinoso ist Autorin, Podcasterin und Speakerin. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht Frauen zu empowern und ihnen dabei zu helfen in Ihre eigene Kraft zu kommen. Warum? Weil sie selbst jahrelang keine hatte. Heute ist sie die Frau, die sie damals gebraucht hätte. Sie begleitet Frauen nach ihrem Leiden zurück in ein erfülltes, glückliches und freies Leben. Mit ihren Vorträgen bricht sie die Tabus des Schweigens über das Thema häusliche Gewalt, empowernd, wohlwollend und heilend.

Triggerwarnung: Explizite Beschreibung von Gewalt

Es ist 3 Uhr morgens, ich liege im Bett, mein Rücken schmerzt. Noch immer spüre ich den Schnitt in meinem Rücken. Die Glasscherbe steckte tief, ich habe viel Blut verloren und mein Kreislauf hatte kurzzeitig versagt. Neben mir liegt mein Peiniger, er schläft. Ich höre seinen Atem in leisen Tönen. Im Schlaf scheint er, als würde er nie jemanden verletzen können, als wäre er der friedlichste und liebevollste Mensch. Ich frage mich, wie es ist als ein Mensch seiner Art diesen ruhigen Schlaf zu finden. Der Mensch der noch vor wenigen Stunden in einem jähzornigen, bösartigen Akt seiner Gewalt freien Lauf ließ.

Ansonsten ist es still und dunkel. Ich atme so flach, dass ich gerade noch verhindern kann zu ersticken, um ihn keinesfalls aufzuwecken. Fast scheint es friedvoll, aber das ist es nicht, nicht für mich. Ein unbeschreibliches, erdrückendes Gefühl neben ihm zu liegen. So gerne würde ich schlafen, doch seine Nähe, sein Geruch, seine Energie erzeugt in mir eine so grosse Ablehnung, die es mir nicht möglich macht zu schlafen. Und auch wenn ich einschlafen könnte, weiß ich, dass der Schlaf mir nicht die gewünschte Erholung bringen würde. Die wenigen Stunden reichen nicht aus, um meinen Geist zu beruhigen. Mein Körper ist regungslos und vielleicht findet er dadurch etwas Erholung und doch genügt das nicht. Mein gequälter Geist ist stärker und mein Körper ist verkrampft, erstarrt und wie tiefgefroren.

Die Dämonen in meinem Kopf, die meinem Körper die falschen Informationen liefern, attackieren mich. Ich habe den großen Wunsch zu fliehen, nur wohin. Fürs erste würde es vielleicht auch genügen einfach nur aufzustehen und rauszugehen. Doch ich liege regungslos im Bett, vermeide jede Bewegung, verharre in Körperstarre. So gerne würde ich mich drehen, denn ich liege auf meinem Rücken und spüre schmerzhaft, wie sich dabei die Wunde zusammendrückt. Meine Drehung könnte dazu führen, dass sich auch die Matratze meines Peinigers bewegt. Das darf auf gar keinen Fall passieren. Würde er erwachen, weiß ich nicht was als nächstes passieren würde. Ich bleibe also so liegen. Durch die Angst und die Panik fühle ich mich getrennt von mir selbst, energielos, ohnmächtig und nur im Überlebensmodus. Der Weg nach draußen scheint so weit weg und versperrt.

Skizze, gezeichnet von
Petra Reinoso

Der Peiniger neben mir ist mein Ehemann, der Mann, den ich vor 5 Jahren geheiratet habe. Seit Jahren liege ich jede Nacht neben meinem Peiniger. Ich beginne zu rechnen, wie viele Jahre es noch sein werden, die ich meine Nächte neben ihm verbringen muss. Es sind viele Jahre, die Zahl erscheint sehr hoch, denn ich bin jetzt 27 Jahre alt. Mir das Leben zu nehmen und meinen Wunsch zu erfüllen zu entkommen, könnte die Zahl der Jahre verringern. Doch ich kann und werde meinen Sohn nicht allein zurücklassen. Mein Sohn ist der Mensch, der mich noch am Leben hält. Es bleibt mir keine andere Wahl als meine Nächte neben meinem Peiniger zu verbringen, so jedenfalls erzählt es mir die Software, die mein Peiniger mir in meinem Kopf programmiert hat. Ich erkenne nicht einmal, dass es nicht meine eigene Software ist. Im Gegenteil, er hat es geschafft, dass ich denke, es sei meine Software. Ich erfülle alle seine Befehle und noch mehr, weit über dies hinaus. Meine eigenen Bedürfnisse kenne ich nicht mehr. Das Rad der Dämonen dreht sich weiter. Ich will nicht mehr neben meinem Peiniger liegen, auch nicht im Geringsten in seiner Nähe sein. Ich möchte Lichtjahre von ihm entfernt sein und zu meiner Identität zurückfinden.

Doch die Angst durch seine Gewalt hat die Kontrolle über mich übernommen. Ich frage mich, wer bin ich wirklich, wer war ich früher, warum bin ich so und warum passiert das alles mit mir. Jahrelange Gewalt und Missbrauch haben meine Psyche eingeengt und verändert. Nie weiß ich, was als Nächstes kommt. Wann beginnt der nächste Angriff, welches Ausmaß wird er haben und wie lange hält er an. Werde ich den nächsten Angriff überleben? Ich fühle, ich kann nichts mehr für mich tun.

Der Text bis hierhin ist ein Auszug aus dem Buch “Einmal Kuba und zurück”.

Du darfst ausbrechen!

Bist du in der gleichen oder ähnlichen Situation? Wie lange liegst du schon neben deinem Peiniger und wie lange willst du das noch aushalten? Du kämpfst nicht gegen ihn, du kämpfst gegen dich anstatt für dich. Jeder Tag mehr ist deine verlorene Lebenszeit. Es ist dein Leben, deine Zeit der Liebe, der Freude, der Glückseligkeit und der Selbstverwirklichung, die du wegwirfst. Erlaube dir wieder dein eigenes Leben zu leben, damit auch unsere Kinder nicht die Last unseres ungelebten Lebens tragen müssen. Nur so können wir verhindern, dass Jungs nicht länger mit dem Glauben in einer Welt aufwachsen, überlegen zu sein. Auch wenn es schwierig ist, ist es das einzig Richtige. Glaube mir das Großartigste daran ist, ein wahrhaftiges, schönes Leben danach in Frieden und Freiheit. Schreibe deine Lebensgeschichte neu. Es gibt Hilfe, ergreife sie. Du bist nicht allein. Ich habe überlebt. Glücklich sein ist dein Geburtsrecht.

Hilfe

Hilfe für Betroffene gibt es beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter der Telefonnummer 0800 116 016.

Beim Konstanzer Verein Frauen helfen Frauen in Not e.V. finden sich Sicherheitspläne, Informationen für Beratungen sowie eine Anlaufstelle für konkrete Unterstützung und Hilfe in Notfällen.

Wie kann die Zivilgesellschaft helfen?

Wenn du glücklicherweise nicht betroffen bist, könnte es jemand ganz in deiner Nähe sein. Kennst du eine Person, die Ähnliches erfährt? Vielleicht deine Nachbarin, Kollegin, Freundin, Mutter oder Schwester?

Frauen, die überlebt haben, werden oft gefragt, warum bist du nicht einfach gegangen oder warum hast du dir das so lange gefallen lassen. Was die Fragenden nicht verstehen, ist, dass der permanente Missbrauch und die Gewalt die Psyche verändert. Betroffene Frauen sind physisch und psychisch im größten Maße verwundet, verletzt und ihr eigener freie Wille ist gebrochen. Die Wunden sitzen tief und brauchen lange Zeit, um zu heilen. Jeder neue Angriff reißt die Wunden wieder auf und stoppt den Heilungsprozess. Akut Betroffene sind in einem nicht therapierten Zustand. Die Psyche muss zwingend Heilung erfahren. Sie leiden oft an Realitätsverlust, sind nicht in der Lage Entscheidungen zu treffen und können kaum vorausschauend denken. Doch selbst, wenn nur ein anderer Mensch das Leiden einer Person anhört und versteht, ist eine gewaltige Reduktion des Leidens zu beobachten.

Dieses Thema geht uns alle an. Darüber zu schweigen wäre unterlassene Hilfeleistung und macht die Opfer schutzlos. Wenn wir nicht darüber sprechen, schützen wir die Täter und sie bleiben weiterhin unbeobachtet. Wir dürfen nicht weghören und wegschauen. Die gesamte Zivilgesellschaft ist dazu aufgerufen. Auch du kannst ein wichtiger Teil der Therapie sein. Hinschauen statt Wegschauen. Das kann Leben retten.

Allein in Deutschland erleiden durchschnittlich jede Stunde 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft.

Wir brauchen Maskulinität die Femininität nicht gefährdet! Und für diese Entwicklung braucht es das Engagement von uns allen.

Ein Zitat von Deepak Chopra

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