Mehr Unterstützung für Jugendliche – jetzt oder nie?  

Die queere Community in Konstanz fordert eine Beratungsstelle für Jugendliche – und feiert zugleich das neue Selbstbestimmungsgesetz. Zwischen Aktivismus und Party rücken sie ihre Forderungen in den Fokus. Wir waren dabei.
  • Seit über einem Jahr kämpft die queere Community in Konstanz für eine Beratungsstelle für queere Jugendliche.
  • Das Selbstbestimmungsgesetz bringt nun neue Hoffnung.
  • Das Netzwerk „Queer Konstanz“ verleiht der Forderung Nachdruck.
  • Aktivist:innen mobilisieren für die anstehende Entscheidung im Kreistag.
  • Veranstaltungen und Petitionen sollen Aufmerksamkeit schaffen.
  • Eine Beratungsstelle wäre ein wichtiger Schritt für Akzeptanz und Unterstützung.

Konstanz feiert das Selbstbestimmungsgesetz 

17 Uhr, so langsam füllt sich das Foyer des Stadttheaters Konstanz. Etwa 40 Menschen versammeln sich in der mit Regenbogenflaggen geschmückten Vorhalle. Schnell entstehen Gespräche. Konstanz ist eine kleine Stadt. Queere Konstanzer:innen kennen sich untereinander.   

Am 7. November lud die queere Community ein, das Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes zu feiern. Seit dem 1. November 2024 können Menschen ihren Geschlechtseintrag im Personalausweis selbst bestimmen. Zoey Gebert, 27, erklärt: „Insgesamt ist das ein sehr positiver Schritt für uns trans Menschen. Auch wenn der Prozess lange gedauert hat und berechtigte Kritikpunkte bleiben, wird dieses Gesetz viel Leid ersparen.“ Zoey studiert Soziologie und Gender Studies an der Universität Konstanz und weiß, wovon sie spricht – sie selbst musste noch den langen Weg der Namensänderung nach dem alten Gesetz durchlaufen.

Doch heute richtet sie den Blick nach vorn: Sie ist hier, um zu feiern und die Zukunft zu gestalten. Als Leiterin der Hochschulgruppe uniqueer stellt sie an diesem Abend ihre Initiative vor und nutzt die Gelegenheit, um die politische Forderung nach einer Beratungsstelle für queere Menschen in den Fokus zu rücken und die Community dafür zu mobilisieren. Ein Abend voller Party und Aktivismus – eine Mischung, für die die queere Community mit Events wie dem CSD bekannt ist. 

Julika Funk von der Konstanzer Chancengleichheitsstelle begrüßt die Gäste und unterstreicht die Bedeutung des neuen Selbstbestimmungsgestzes. | Foto: Stadt Konstanz

Julika Funk, die Leiterin der Konstanzer Chancengleichheitsstelle, begrüßt unter großem Applaus die Anwesenden im Namen der Stadt: „Jetzt ist es für Menschen jeden Alters möglich, sich ohne große Hürden als divers eintragen zu lassen – oder auf den Geschlechtseintrag ganz zu verzichten.“

Die Nachfrage sei viel höher als von der Politik zunächst angenommen: Inzwischen haben sich bundesweit rund 15.000 Menschen für einen neuen Geschlechtseintrag angemeldet, darunter auch einige in Konstanz. Funk sieht in dieser massenhaften Nutzung des neuen Rechts auch ein politisches Statement: „We are queer, we are here, get used to it!“ 

„Queer“ ist ein Sammelbegriff für Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von der heterosexuellen Norm abweicht. Dazu gehören unter anderem homosexuelle, bisexuelle, trans, nicht-binäre und andere Identitäten. Der Begriff, der ursprünglich als Schimpfwort genutzt wurde, wurde von der queeren Community angeeignet und symbolisiert heute die Ablehnung starrer Geschlechts- und Sexualitätskategorien. Queer ist nicht nur eine sexuelle Orientierung, sondern auch eine politische Haltung, die gegen Diskriminierung und für die Gleichberechtigung aller Menschen kämpft. Mehr dazu hier.  

Warum braucht es eine Beratungsstelle für queere Jugendliche? 

Nina1, 19, Psychologiestudentin, ist eine dieser 15.000 Menschen: „Ich habe morgen meinen Termin beim Amt für meine Namensänderung.“ Zusammen mit Zoey engagiert sie sich im Leitungsteam von uniqueer und setzt sich auch aus persönlichen Erfahrungen heraus für die Einrichtung einer Beratungsstelle für queere Menschen ein: „Ich war die erste Person, die sich in meiner Schule als trans geoutet hat. Viele Lehrer:innen haben daraufhin gefragt, wie sie queere Schüler:innen besser unterstützen könnten – denn sie wussten schlicht nicht, wie.“ Nina half damals, an ihrer Schule ein queeres Treffen zu organisieren. Doch die Gruppe löste sich irgendwann auf. Nina erkannte schnell die Grenzen ihrer Möglichkeiten:

„Ich konnte die Jugendlichen und ihre Anliegen gar nicht richtig unterstützen. Es braucht einfach eine professionelle Beratungsstelle, die auch das Lehrpersonal berät.“ 

Der Bedarf ist groß, und das nicht nur gefühlt: Bereits vor einem Jahr hat Karla über eine Umfrage der Chancengleichheitsstelle der Stadt berichtet, die zeigt: Viele potenzielle Anlaufstellen für queere Jugendliche in Konstanz berichten von einem gestiegenen Beratungsbedarf zu LGBTQIA+-Themen.  71 Prozent der befragten Stellen gaben an, nur teilweise in der Lage zu sein, angemessene Unterstützung in Bezug auf queere Themen leisten zu können. 

Lilith (links), Nina (mitte) und Zoey (rechts) leiten die Hochschulgruppe uniqueer und sind an diesem Abend da, um die politische Forderung nach einer Beratungsstelle für queere Jugendliche zu  unterstützen. | Fotos: Anna Hollandt

Queere Menschen in Konstanz vernetzen sich 

Um ihre Forderungen mit vereinter Stimme voranzubringen, haben sich queere Organisationen, Vereine und Aktivist:innen in einem Netzwerk zusammengeschlossen: queer Konstanz. In Konstanz gibt es viele engagierte Menschen, doch lange fehlte eine Struktur, um die Anliegen der Community gemeinschaftlich zu vertreten. Das wollten Burkhard Lehner vom CSD Konstanz, Jana Schlenkrich vom queergestreift Filmfestival und Alexandra Rottler ändern. Mit dem Netzwerk geben sie den queeren Initiativen mehr Sichtbarkeit und verleihen ihren Forderungen, wie der nach einer Beratungsstelle, ein Sprachrohr. Der Abend dient auch dazu, das Netzwerk vorzustellen und Menschen dazu zu ermutigen, mitzumachen. Rottler verkündet stolz:

„Inzwischen gehören etwa 30 Vereine und Organisationen und weitere Aktivist:innen dem Netzwerk an. Bald soll auch eine Webseite online gehen, auf der alle Mitglieder vorgestellt werden.“ 

Harte Arbeit: Der politische Prozess zur Beratungsstelle 

Am 18. November 2024 wird der Kreistag und im Januar 2025 der Gemeinderat von Konstanz über den Antrag zur Einrichtung einer psychologischen Beratungsstelle für queere Menschen entscheiden. Es könnte das Ende eines langen politischen Kampfes sein. „Es ist harte Knochenarbeit“, erklärt Rottler von queer Konstanz. Seit mehr als einem Jahr engagieren sie und die Mitglieder von queer Konstanz sich ehrenamtlich, um die lokale Politik von der Notwendigkeit dieser Beratungsstelle zu überzeugen.

Dafür haben sie Schreiben von Unterstützer:innen gesammelt, etwa von Uwe Herwig, dem Direktor der Psychiatrie und Psychotherapie Reichenau, der Intendantin des Stadttheaters Karin Becker, der Rektorin der Universität Konstanz Katharina Holzinger sowie der Präsidentin der Hochschule Konstanz Sabine Rein. Zusätzlich haben sie die Bedarfsumfrage in Zusammenarbeit mit der Chancengleichheitsstelle angestoßen und immer wieder Gespräche mit lokalen Politiker:innen geführt. 

Karin Becker, Intendantin des Stadttheaters Konstanz, öffnete die Türen des Theaters für die Veranstaltung. Das Theater ist Teil des Netzwerks queer Konstanz und setzt sich für Rechte queerer Menschen ein.

Zwar gibt es im Konstanzer Gemeinderat schon Unterstützung durch die Grünen, das Junge Forum und die Linke – doch die Stadt allein will die Beratungsstelle nicht vollständig finanzieren. Eine Ko-Finanzierung durch den Kreis wird angestrebt, was die Lage zusätzlich erschwert. Denn auch der Kreistag muss dem Antrag zustimmen und da dort die CDU die stärkste Fraktion stellt, könnte das deutlich komplizierter werden als im Gemeinderat.

Im Kreistag braucht die Initiative neben der Unterstützung der SPD, der Linken und der Grünen auch die Stimmen der Freien Wähler oder der CDU. Zoey von uniqueer hat sich deshalb bereit erklärt, noch einmal gezielt Gespräche mit Abgeordneten der SPD im Gemeinderat und der Freien Wähler im Kreistag zu führen, um die entscheidenden Stimmen zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe, aber Zoey ist optimistisch: „Ich sehe unsere Chancen relativ gut. Unser erstes Ziel ist, dass die Stelle überhaupt bewilligt wird.  In Zukunft lässt sich dann noch mehr ausbauen.“ 

Warum queere Jugendliche in Konstanz mehr Hilfe brauchen

Eine Feier in turbulenten Zeiten: Zwischen Hoffnung und Sorgen 

Die queere Community feiert sich an diesem Abend selbst. Eine Feier, die auch ein Zeichen des Widerstands ist.  Ein Moment der Selbstliebe in einer Welt, die draußen oft weniger akzeptierend ist. Denn nur einen Tag zuvor wurde bekannt, dass die Ampel-Koalition in Deutschland gescheitert ist und Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen hat.

Ninas Stimmung ist von gemischten Gefühlen geprägt: „Ich freue mich auf meinen Termin beim Standesamt, um meinen Namen zu ändern – und habe trotzdem Angst, dass die Fortschritte in zukünftigen Regierungen wieder rückgängig gemacht werden könnten.“ Auch Zoey macht die aktuelle Nachrichtenlage Sorgen. Doch statt sich auf Dinge zu konzentrieren, die sie nicht beeinflussen kann, möchte sie den Fokus auf das Hier und Jetzt legen:

„Ich frage mich, was ich konkret hier in der Region Gutes tun kann. Die Community ist eines der wertvollsten Dinge, die wir haben.“ 

Kurz vor den Abstimmungen in Stadt und Kreis hat uniqueer eine Petition ins Leben gerufen und plant für den 15. November eine Demo. „Ich hoffe, dass auch Konstanzer:innen, die nicht direkt betroffen sind, durch ihre Unterschrift und die Teilnahme an der Demo ein Zeichen setzen“, sagt Zoey.

Zwar würde sie sich wünschen, dass der sachliche Bedarf für eine Beratungsstelle, der längst durch die Chancengleichheitsstelle ermittelt wurde, ausreichen würde, um die Politik zu überzeugen, aber sie weiß auch: „Es hinterlässt einen Eindruck bei Politiker:innen, wenn das Anliegen auch Menschen unterstützen, die nicht direkt davon betroffen sind – viele Politiker:innen gehören schließlich selbst zu dieser Gruppe.“ 

Am Ende bleibt die Hoffnung, dass die queere Community in Konstanz diesen politischen Weg nicht allein gehen muss. Denn in Zeiten, in denen queerfeindliche Strömungen wieder an Stärke gewinnen, braucht es auch den Rückhalt von Menschen außerhalb der queeren Szene, um die hart erkämpften Rechte zu verteidigen und eine inklusive Gesellschaft zu gestalten. 


Geschichten, die inspirieren

  1. Nina möchte ihren Nachnamen aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht sehen.  ↩︎