Das Foto zeigt ein Gebäude der Universität Konstanz.

Studieren mit Flucht­hintergrund: Zwischen Traum und Trauma

Eigentlich wollen Viktoriia und Roméo einfach nur studieren. Beide sind aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen. Beide versuchen ein neues Leben in Konstanz anzufangen. Was bedeutet es, als Geflüchtete ein Studium in Deutschland anzufangen? Und was tut die Universität Konstanz, um diese Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen?

Am 24. Februar 2022 greift Russland die Ukraine an. An diesem Tag brechen mit dem Krieg auch die Zukunftspläne von unzähligen jungen Menschen zusammen. Seit der russischen Invasion sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Unter ihnen auch Zehntausende ukrainische und internationale Studierende. Zu ihnen gehören Viktoriia und Roméo.

Die Flucht nach Deutschland

Viktoriia Ozerkevych ist 21 Jahre alt und kommt aus Dnipro in der Zentralukraine – „200 Kilometer von der Frontlinie“, ergänzt Viktoriia. Vor vier Jahren ist sie nach Kiew gezogen, um dort Übersetzen zu studieren. Sie wählt die Fremdsprachen Englisch und Deutsch. Viktoriia begeistert sich für Sprachen und vor allem auch für Europa.

Für ihr Studium fängt sie an Deutsch zu lernen und bewirbt sich für ein Auslandsemester. Dass es Konstanz geworden ist, war ein Zufall: „Ich wusste vorher nichts über Konstanz. Aber als ich die Bilder gesehen habe, war ich sehr froh. Die Berge, die Schweizer Grenze … Hier ist ein Paradies“, sagt sie lachend.

Hinter dem Lachen steckt jedoch das traurige Wissen, dass alles so schön hätte sein können. Als der Krieg anfängt, muss sie ihre Heimat verfrüht verlassen. Aus einem geplanten Auslandssemester sind bereits drei geworden. Wann sie wieder zurück kann? – ungewiss.

Ist vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen: Viktoriia Ozerkevych studiert jetzt an der Universität Konstanz. Foto: privat

Hoffnung auf bessere Bildung

Roméo Mbessa ist 23 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Kamerun. Dort hat er nach seinem Abitur angefangen Biologie zu studieren. Für die Hoffnung auf eine bessere Bildung und Berufsmöglichkeiten hat er auf eine Uni in der Ukraine gewechselt.

Sein Bruder lebte damals bereits in der Ukraine, hat eine ukrainische Frau und ein Kind. „„Er hat mich angerufen und gesagt: Hier ist es gut“, erzählt Roméo. Also schrieb er sich für Ingenieurwissenschaften auf Englisch ein und zieht seinem Bruder hinterher. Doch ganz so gut war dann doch nicht alles.

Das Studieren ist teuer und die Sprachbarriere hoch. Trotz Ukrainisch-Kurs war es schwer für ihn, sich mit den Menschen dort zu verständigen. Auf der Straße spricht man Russisch und die wenigsten verstehen Englisch. Außerdem belasten ihn Rassismus-Erfahrungen. Roméo berichtet von Beleidigungen und Anfeindungen gegen ihn und seinen Bruder. Als dann der Krieg ausbricht, will er einfach nur weg.

Doch erst vor neun Monaten schafft er schließlich die Flucht nach Deutschland. Es ist schwer für ihn, über die Flucht zu sprechen. Und das nicht nur aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. Die Polizei wollte ihn nicht ausreisen lassen, doch irgendwann hat er es geschafft, sich noch in einen der total überfüllten Züge nach Polen zu quetschen. Heute lebt er in Konstanz in einer Unterkunft für Geflüchtete und hat nur ein Ziel: In Deutschland weiterstudieren.

Das Bild zeigt eine Beratungssituation im International Office der Universität Konstanz. Zwei Frauen unterhalten sich.
Eine Beratungssituation im International Office der Universität Konstanz. Foto: Universität Konstanz

Studieren im Asyl – die Beratungsstelle der Uni Konstanz

Die erste Anlaufstelle für Geflüchtete, die hier studieren wollen, ist Andrea Beeken von der Beratungsstelle „Studieren im Asyl“ von der Universität Konstanz. „Zurzeit beschäftigt viele ukrainische Studierende vor allem das Thema, ob sie an ihrer Heimatuni online erfolgreich weiterstudieren können oder nicht“, beschreibt sie die aktuelle Situation

In Folge der Ankunft vieler syrischer Kriegsflüchtlinge 2015 wurde in Deutschland erstmals diskutiert, wie die immer größer werdende Zahl von jungen studienmotivierten Geflüchteten in das deutsche Hochschulsystem integriert werden können. 2016 wurde daraufhin vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) das Programm „Integra“ ins Leben gerufen. Integra finanziert an Hochschulen Integrations -und Sprachkurse sowie Beratungsstellen wie die von Andrea Beeken. Denn von der Flucht bis hin zum Uni-Abschluss in Deutschland gibt es zahlreiche bürokratische, finanzielle und sprachliche Hürden.

Die Sprachbarriere

Am Anfang steht die Sprache. Zurzeit finanziert der DAAD drei Sprachkurse an der Universität Konstanz, die die Geflüchteten auf ihr Studium vorbereiten sollen. Nach dem europäischen Referenzrahmen gibt es sechs verschiedene Sprachniveaus: von A1 bis C2. Für ein Studium auf Deutsch müssen ausländische Bewerber:innen das zweithöchste Sprachniveau nachweisen. C1 – das ist das große Ziel.

Anders als viele andere Geflüchtete hat Viktoriia bereits deutsche Grundkenntnisse, als sie ankommt. Trotzdem fiel ihr vor allem das Sprechen am Anfang noch sehr schwer. Neben ihren englischen Uni-Kursen belegt sie deutsche Sprachkurse und arbeitet sich auf C1 hoch. Dennoch merkt sie: „Die Sprache für die Uni und die Sprache auf der Straße. Das sind zwei verschiedene Sachen.“ Prüfungen auf Deutsch schreiben ist selbst mit einem C1 in der Tasche eine große Herausforderung.

Das Bild zeigt zwei Studentinnen an der Universität Konstanz vor einem großen Wegweiser.
Wohin geht`s? Wer neu an der Universität Konstanz ankommt, muss sich erstmal orientieren. Zum Beispiel hier an der Bibliothek. Foto: Universität Konstanz

„Man muss auch mit den Leuten auf der Straße sprechen. Sonst lernt man nichts.“

Roméo Mbessa, Student

Roméo muss von null anfangen, als er in Deutschland ankommt. Doch er ist motiviert. „Deutsch ist viel einfacher als Ukrainisch“, stellt er begeistert fest. Obwohl er erst seit neun Monaten in Deutschland ist, hat er schon das dritte Sprachniveau B1 erreicht. Er lernt schnell und viel. Hat bereits einen Integrationskurs gemacht, besucht neben seinem Job dreimal die Woche den Sprachkurs. Doch nur der Kurs reicht laut seiner Auskunft nicht aus: „Man muss auch mit den Leuten auf der Straße sprechen. Sonst lernt man nichts.“

Die Sprache so weit zu lernen, bis man ein akademisches Studium verfolgen kann, ist ein weiter Weg. Das merken Andrea Beeken und ihre Kolleg:innen auch immer wieder. Das kann schon mal Jahre dauern. Von einigen Kursteilnehmer:innen wissen sie, dass diese mittlerweile erfolgreich ein Studium angefangen oder schon abgeschlossen haben. Doch nicht wenige brechen die Sprachkurse auch vorher ab und geben ihren Traum vom Studium auf. Denn die Zeit, die sie zum Lernen brauchen, muss auch finanziert werden.

Das liebe Geld

Wie bei deutschen Studierenden auch, entscheidet oft das Geld maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg. Geflüchtete können häufig nur wenig auf familiäre Unterstützung bauen. Ihre Zukunftspläne basieren auf den Sozialleistungen, die sie beziehen können.

Die Geflüchteten mit ukrainischem Pass erhalten in Deutschland einen besonderen Schutzstatus für zwei Jahre und können ohne langes Warten und Bürokratie Sozialleistungen bekommen. Da Viktoriia bereits an der Uni eingeschrieben ist, bekommt sie ihr Geld nicht vom Jobcenter, sondern von einem speziell eingerichteten Stipendienprogramm der DAAD namens „Zukunft Ukraine“.

Erst eine Pflege­ausbildung – und dann?

Roméos Zukunft sieht da schon ungewisser aus. Da er keinen ukrainischen Pass hat, bekommt er keinen Schutzstatus und auch keine Sozialleistungen. Er hangelt sich von einem 6-monatigen Aufenthaltsstatus zum nächsten und hält sich mit verschiedenen Jobs über Wasser. „C’est très injuste“ („Das ist sehr ungerecht“), stellt Roméo erschöpft in seiner Muttersprache fest.

Ab August wird er eine einjährige Ausbildung in der Pflege anfangen. Damit sichert er sich ein weiteres Jahr in Deutschland und kann in das medizinische Berufsfeld reinschnuppern. Medizintechnik in Tuttlingen würde er am liebsten danach studieren. Die perfekte Kombination aus Biologie und Ingenieurwissenschaften, meint er.

Doch das könnte schwierig werden. Als ausländischer Student muss er in Baden-Württemberg 1.500 Euro Semestergebühren bezahlen und seine Chancen auf ein BAföG-Stipendium sehen nicht gut aus. Einen Studienfachwechsel fördert BAföG nur, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Beurteilung der Wichtigkeit liegt in den Händen des Amts. Eine Tatsache, die Andrea Beeken schon oft frustriert hat. „Das Problem ist, dass BAföG geflüchtete Studierende einfach komplett gleich betrachtet wie deutsche Studierende. Es wird in vielen Fällen nicht beachtet, dass die Situation einer Person nach der Flucht völlig anders ist als die von einer Person, die einfach im Heimatland weiterlebt und ihren Plan fortsetzen kann, den sie bei der ersten Studienentscheidung hatte.“

Das Bild zeigt Studierende der Universität Konstanz im Gespräch
Campusleben an der Universität Konstanz. Foto: Universität Konstanz

Zukunftspläne in ungewissen Zeiten

Viktoriia kann ihre Zukunft in Deutschland mit einer größeren Gewissheit planen. Sie hat sich bereits für einen Master in Linguistik an der Uni Konstanz beworben. Sie könnte auch weiter Übersetzen an der Uni Kiew studieren. Jedoch nur online. Und „online sucks“, stellt sie fest. Das kann seit Corona wohl jeder nachvollziehen.

Also plant sie ihr weiteres Studium lieber in Präsenz in Deutschland. Doch mit ihrem Kopf ist sie trotzdem ständig in ihrer Heimat. Vor allem in den ersten Monaten in Deutschland konnte sie sich kaum auf ihr Studium konzentrieren. Aber auch heute noch lenkt sie die Situation in ihrer Heimat oft ab: „Wenn du jeden Tag die Nachrichten siehst, bist du ein bisschen frustriert. Du verstehst nicht, wie das Leben hier so schön sein kann und alle das Leben genießen und unsere Studenten müssen in den Krieg gehen, um das Land zu verteidigen.“ Ihre Familie ist auch noch in der Ukraine.

Das Bild zeigt die ukrainische Studentin Viktoriia Ozerkevych. Sie ist vor dem Krieg nach Konstanz geflohen.
Ist vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen: Viktoriia Ozerkevych studiert jetzt an der Universität Konstanz. Foto: privat

„Mein Name ist Viktoriia. Das bedeutet Sieg. Deswegen habe ich keinen anderen Weg.“

Viktoriia Ozerkevych, Studentin

Manchmal fühlt sie sich schuldig, dass sie hier in Sicherheit lebt, während andere ihr Leben riskieren. Doch sie weiß auch, dass sie von hier aus besser helfen kann. Sie organisiert mit anderen ukrainischen Geflüchteten Demonstrationen und engagiert sich im „European Youth Parliament“. Ihr großes Ziel ist es, mal in einer EU-Institution zu arbeiten. „Mein Name ist Viktoriia. Das bedeutet Sieg. Deswegen habe ich keinen anderen Weg. Ich möchte helfen, mein Land in die EU zu bringen, und ich glaube, ich muss viel studieren und viel lernen, um das zu ermöglichen.“

Roméo hat auch große Zukunftspläne. Er möchte am liebsten noch einen Master machen, vielleicht sogar promovieren. Außerdem hat er den Traum, eine Plattform zu gründen, auf der sich geflüchtete Studierende austauschen, sich Tipps geben und gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren können. Roméo würde sich das manchmal für sich selber wünschen. Er fühlt sich oft isoliert. Auch Viktoriia kennt dieses Gefühl. In der großen Anonymität der Uni ist es nicht immer einfach, Anschluss zu finden.

Das Projekt Studieren im Asyl versucht die Geflüchteten so gut wie möglich zu unterstützen. Doch ihnen sind auch Grenzen gesetzt. Die Nachfrage ist hoch und die Ressourcen knapp. Andrea Beeken würde sich vor allem eine längere Planbarkeit für ihre Angebote wünschen. Die Finanzierung ist nur bis Jahresende gesichert. Danach muss sie abwarten, wie viel Geld sie fürs nächste Jahr bekommt und wie viele Geflüchtete sie bei ihrem Traum nach der Flucht zu studieren unterstützen kann.