Das Foto zeigt Kateryna Danylyshyna in der Kita am Grenzbach

Irgendwann integriert im Arbeitsmarkt

Mehrere tausend Geflüchtete wollen im Landkreis neu anfangen. Damit das gelingt, ist der Einstieg in einen neuen Job entscheidend. Gleichzeitig suchen Betriebe händeringend nach Fachkräften. Doch der Einstieg in den Job gestaltet sich oft schwieriger, als es Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen lieb ist.
Wiebke ist Journalistin aus Leidenschaft. Gemeinsam mit Michael leitet…

Jeden Tag lernt Kateryna fünf deutsche Wörter. Überhaupt ist es ihr Motto, in den Tag hineinzuleben. Jeden Tag so nehmen, wie er kommt – seit der Krieg in ihrem Heimatland, der Ukraine, ausgebrochen ist. Was die Zukunft bringt, weiß Kateryna nicht. Wissen kann das niemand. Eins aber steht für sie fest: Sobald es geht, will sie zurück in die Ukraine. Zurück in ihr altes Leben, das sie von heute auf morgen hinter sich lassen musste. Zwei Monate, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat, ist Kateryna im April mit ihren beiden Kindern nach Konstanz gekommen. Darüber, wie ein Leben in Deutschland wohl aussehen könnte, hatte sie sich davor nie Gedanken gemacht. Warum auch, schließlich war sie glücklich in der Ukraine. 

Kateryna hat, wie alle ukrainischen Geflüchteten, eine direkte Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen. Mit der Erlaubnis nach Paragraph 24 des Aufenthaltsschutzgesetzes kann sie in Deutschland arbeiten. Und so dauert es nicht lange, bis sie Ende Juni 2022 in der Kita am Grenzbach anfangen kann zu arbeiten. Sie arbeitet in einer Betreuungsgruppe, die für unter 10 Stunden in der Woche ukrainische Kinder betreut. Seit Ende November kam in der Kita am Grenzbach eine Kita-Einstiegsgruppe für alle Kinder hinzu. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die die baden-württembergische Landesregierung zunächst befristet für zwei Jahre geschaffen hat – um dem Fachkräftemangel im Betreuungsbereich entgegenzuwirken.

Das Foto zeigt Kateryna Danylyshyna in der Kita am Grenzbach
Kateryna Danylyshyna aus der Ukraine bei ihrer Arbeit in der Kita am Grenzbach. Foto: Wiebke Wetschera

Der Gemeinderat hat beschlossen, fünf dieser Gruppen in Konstanz umzusetzen. Statt zwei Fachkräften pro Gruppe ist damit nur noch eine Vorschrift. Die zweite soll eine „im Umgang mit Kindern geeignete Kraft“ sein. Kateryna war in der Ukraine Erzieherin, hat zehn Jahre Berufserfahrung – auch als stellvertretende Leitung. Erfahren ist sie; ihre Ausbildung in Deutschland aber bisher noch nicht anerkannt.

Die Kita-Einstiegsgruppe wurde anlässlich der vermehrten Zuwanderungswelle durch den Ukraine-Krieg eingeführt, steht aber grundsätzlich allen Kindern offen. Dementsprechend ermöglichen die Gruppen ortsansässigen und Zuflucht suchenden Kindern ab drei Jahren, denen derzeit kein regulärer Kita-Platz angeboten werden kann, Kindertagesbetreuung. Die Betreuungszeit pro Kind liegt bei maximal 20 Stunden in der Woche. Bei der Betreuungsgruppe liegt die Betreuungszeit bei unter 10 Stunden in der Woche.

Es geht ums Bleiberecht 

Deutschland unterscheidet bei der Einwanderung zwischen legaler und illegaler Einwanderung. Legal ist sie dann, wenn vor der Einwanderung bei einer deutschen Auslandsvertretung ein Visum zur Einreise beantragt wurde. Dabei gilt: Nur wer Fachkraft, also zum Beispiel eine Pflegerin, ist, hat eine Chance auf ein Visum. Geflüchtete Menschen sind meist zunächst keine Fachkräfte – nur wenige bringen Qualifikationen aus dem Ausland mit, die hier anerkannt werden können. Sie können in Deutschland aber zu Fachkräften werden: „Wenn hierfür entsprechende gesetzliche Voraussetzungen geschaffen würden. Diese gibt es aktuell nur bedingt“, sagt Ines Rimmele, Migrationsbeauftragte der Handwerkskammer Konstanz.

Bei einer Flucht erfolgt der Grenzübertritt illegal, also ohne vorher beantragtes Visum. Statt nach Qualifikationen wird hierbei nach Bleibeperspektive entschieden. Menschen, die aus Herkunftsländern mit einer Schutzquote von über 50 Prozent kommen – wie Eritrea, Syrien, Somalia und Afghanistan –, haben eine gute Bleibeperspektive. Die Schutzquote eines Landes gibt an, wie viele Asylentscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) positiv waren. 

Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive bekommen in Deutschland einen humanitären Aufenthaltstitel und sind zunächst nicht von Abschiebungen betroffen – unabhängig davon, ob sie hier nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert sind. Geflüchtete Menschen ohne Bleibeperspektive sind nach Abschluss des Asylverfahrens zur Ausreise verpflichtet. Für sie ist eine erfolgreich absolvierte Ausbildung regelmäßig die einzige Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland.

Das Bild zeigt Ines Rimmele

„Werden solche Menschen aber während oder nach der Ausbildung abgeschoben, ist niemandem geholfen“, kritisiert Ines Rimmele. Trotzdem werden der Handwerkskammer zufolge regelmäßig geflüchtete Menschen, die im regionalen Handwerk in Anstellung sind, abgeschoben: „Es trifft aber noch immer zu oft solche, die mittlerweile durch Ausbildung zu Fachkräften geworden sind“, erklärt Rimmele. „Die bis zur Abschiebung erbrachten Integrationsleistungen unserer Betriebe sind dann umsonst.“

Der Weg zur Anerkennung

Anerkannt werden ausländische Qualifikationen in Deutschland, wenn sie mit einem deutschen Abschluss gleichwertig sind. Für ausländische Fachkräfte ist die Anerkennung notwendig, wenn sie hier in einem reglementierten Beruf arbeiten wollen. Dazu zählen zum Beispiel Jobs im Bereich Gesundheit, Sicherheit und Soziales wie Ärzt:innen oder Lehrer:innen.

Die meisten Berufe in Deutschland sind zwar nicht reglementiert. Allerdings ist die Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation oder die Vergleichbarkeit des Hochschulabschlusses häufig Voraussetzung für ein Visum für Menschen, die nicht aus dem Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz kommen. Eine volle Anerkennung ist eher selten der Fall. Gängiger ist eine Teilanerkennung der Qualifikationen. Bis zur Anerkennung ist das oft ein langer Prozess, der zu Frustration und Unverständnis führt. 

Der Verein Save me Konstanz schätzt die Zahl der Geflüchteten in Konstanz auf rund 4.000. Mehr als die Hälfte der Geflüchteten sind Ukrainer:innen. „Aber es kommen auch viele aus Afrika“, sagt Marion Mallmann-Biehler, Vorsitzende des Vereins. Sie kritisiert: „Es dauert alles ewig. Ich habe den Eindruck, Anträge werden vielfach geprüft, ohne dass jegliche Ermessensspielräume in Betracht gezogen werden. Die Leute sind überlastet, aber es wird überhaupt nicht überlegt, wie man die Arbeitslast reduzieren könnte.“

Marion Mallmann-Biehler, Vorsitzendes des Vereins Save me. Foto: Nina Maier

Einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge wurde im Jahr 2020 bei 59 Prozent der Verfahren zur Anerkennung in nicht reglementierten Berufen die Dreimonatsfrist eingehalten oder unterschritten. 41 Prozent der Verfahren dauerten länger. Besonders lang gedauert hat die Anerkennung von Nicht-EU-Abschlüssen in den reglementierten Berufen: im Durchschnitt 15 Monate, in vielen Fällen sogar deutlich länger. Der Grund: Die Betroffenen mussten noch an Ausgleichsmaßnahmen teilnehmen, um die volle Gleichwertigkeit zu erreichen.

Die Grafik zeigt die Dauer der Anerkennung von Berufsabschlüssen bei Geflüchteten.
Grafik: Lotte Stoll

„Die Menschen verstehen gar nicht, wieso das so ist. Jetzt komme ich nach Deutschland und darf meinen Job auf einmal nicht mehr ausüben“,

sagt Veronika Ellert vom Jugendmigrationsdienst der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die vorher im Welcome Center in Singen tätig war.

Ellert ist oft eine der ersten Anlaufstellen, wenn es um die Integration in den Arbeitsmarkt geht – bekommt deshalb auch ungefilterte Reaktionen mit. „Viele bekommen direkt ein Minderwertigkeitsgefühl. Was soll ich dann jetzt machen? Soll ich etwa putzen gehen?“

Bleibt nur die Arbeit im Hotel?

Nach außen damit prahlen, dass Geflüchtete im Steigenberger Inselhotel arbeiten, will Pierre Welack nicht. „Geflüchtete in unserem Team sind ganz normale Mitarbeiter – nur eben mit einem anderen Bedarf“, sagt der Human Resource Manager des Inselhotels. Rund 15 Geflüchtete aus allerlei Ländern arbeiten im Hotel; sie bringen unterschiedliche Berufserfahrungen mit: Theologie, Maschinenbau, Journalismus. „Im Bereich Hotel und Gastronomie sind wir schon seit Jahren daran gewöhnt, dass wir ein multikulturelles Team haben – mit vielen verschiedenen Sprachen und Kulturen“, sagt Welack. Der Großteil der Geflüchteten arbeitet im Inselhotel allerdings im Zimmerservice. Einzelne im Wäscheservice, Gastro-Service oder Gepäckservice. Jedenfalls weit unter den Qualifikationen, die sie eigentlich mitbringen. 

Aber weniger die vorherigen Erfahrungen als die Sprachkenntnisse entscheiden, in welchen Bereichen Welack die Mitarbeitenden einsetzen kann. „Ich kann niemanden an den Gast lassen, der kein ausreichendes Deutsch kann“, sagt Welack. Die Folge: ein limitierter Aufgabenbereich. Aber auch ein Weg in den deutschen Arbeitsmarkt. Ein Weg, um Geld zu verdienen. Ein Weg, um das Leben in Deutschland zu finanzieren. Ein Weg, um die Familie in der Heimat zu unterstützen. Ein Weg, um neben dem Deutschkurs zu arbeiten. Eine Überbrückung, bis die eigentlichen Qualifikationen anerkannt sind. Dass niemand den Job für immer machen will, ist Pierre Welack klar:

„Die Arbeit hier ist auch ein Sprungbrett in den deutschen Arbeitsmarkt, in die Kultur und das Sozialsystem.“

Pierre Welack, HR-Manager Steigenberger Inselhotel

Eigentlich sei das Ziel, dass die Geflüchteten nach drei bis vier Jahren nicht mehr im Housekeeping arbeiten, sondern sich weiterentwickelt haben. „Im Gegenzug habe ich für drei Jahre einen guten Mitarbeiter“, so Welack. 

Wichtig sei dabei die Unterstützung der Mitarbeitenden. Ein großes Problem: die Bearbeitungszeit. Es dauert gerne mal sechs Wochen, bis nötige Dokumente der Ausländerbehörde verfügbar sind. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen bei der IHK Foreign Skills Approval (IHK FOSA) sogar mehrere Monate. Aktuell ist das Hotel im Housekeeping durch viele Ukrainer:innen überbesetzt. Für viele ist das Steigenberger Inselhotel nicht die erste Anlaufstelle, sondern bereits die zweite nach schlechten Erfahrungen bei der ersten. 

Obwohl Veronika Ellert von der AWO in der Tourismusbranche viele Chancen für Geflüchtete sieht, weiß auch sie: Es gibt schwarze Schafe. „Leider gibt es oft prekäre Arbeitsbedingungen in der Branche“, erklärt sie. Betriebe, die die Lage der Menschen ausnutzen möchten. Für die sie nur billiges Personal sind. „Ansonsten haben wir tolle Arbeitgeber, die offen sind und auch den Kontakt zu Geflüchteten aktiv suchen“, sagt Ellert. In ihrem Berufsalltag begegnen ihr dabei oft falsche Erwartungen – von beiden Seiten. Wenn jemand noch nie in einem Bereich gearbeitet hat, braucht er:sie eine gewisse Einarbeitungszeit. Viele Arbeitgeber:innen benötigen aber sofort jemanden. Das ist eine falsche Erwartung. Auf der anderen Seite können Geflüchtete ohne Berufserfahrung oder Qualifikationen nicht erwarten, dass sie direkt 2.500 Euro netto verdienen und dafür nur sechs Stunden arbeiten müssen. „Da muss man vorab klärende Gespräche führen“, sagt Ellert. 

Eine Lösung des Fachkräftemangels?

Als Kateryna gemeinsam mit ihren beiden ukrainischen Kolleginnen Anzhelika und Inna in der Kita am Grenzbach angefangen hat, war es ein Glücksfall für sie. Die Kita wurde erst im April 2022 eröffnet. Eigentlich wollte man damals mit vier Gruppen und insgesamt 80 Kindern an den Start gehen. Dafür brauchte die Stadt zwölf Fachkräfte, an denen es fehlte.

Statt der geplanten vier Gruppen konnte zu Beginn nur eine Gruppe bestehen. „Da haben wir den Fachkräftemangel sehr stark zu spüren bekommen“, sagt Anja Mazzardo, Leiterin der Kita. Die Betreuungsgruppe war eigentlich nur ein Notfallplan. Aufgrund der angespannten Betreuungssituation in Konstanz wird diese aber gut angenommen. Sie gibt nicht nur Kateryna, Anzhelika und Inna einen Arbeitsplatz, sondern den ukrainischen Eltern die Möglichkeit, Sprachkurse zu besuchen. Ohne einen Betreuungsplatz ist das sonst schwierig. „Was mir bei der Arbeit sehr auffällt, ist, wie heilsam ein strukturierter Alltag sein kann. Deswegen wollen wir den ukrainischen Eltern auch die Möglichkeit geben, ihre Kinder hier bei uns betreuen zu lassen“, so Mazzardo. 

Die Rolle der Kinderbetreuung

Die Kinderbetreuung spielt bei der Integration in den Arbeitsmarkt eine große Rolle. Statistisch gesehen haben geflüchtete Frauen es im Arbeitsmarkt besonders schwer, wie die Untersuchung eines Forscherteams vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zeigt.

Bei der Befragung von mehr als 7.000 Geflüchteten fielen den Forscherinnen und Forschern deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf: 44 Prozent der geflüchteten Männer können demnach inzwischen sehr gut oder gut Deutsch, nur 26 Prozent der Frauen haben dieses Sprachniveau erreicht. Es sind vor allem die geflüchteten Mütter mit kleinen Kindern, die noch wenig Deutsch gelernt haben. Weil die Teilnahme an Deutschkursen der wichtigste Faktor sei, sehen die Wissenschaftler:innen hier das entscheidende Hindernis: Mütter mit kleinen Kindern absolvieren deutlich weniger Sprachkurse, womöglich, weil sie keine Kinderbetreuung haben oder diese nicht in Anspruch nehmen wollen. 

Die Grafik zeigt, das mehr geflüchtete Männer als Frauen Deutsch sprechen.
Grafik: Lotte Stoll

Das wirkt sich auch auf ihre Chancen auf dem Jobmarkt aus. Denn Integrations- und Deutschkurse haben auch darauf erheblichen Einfluss. So haben neun Prozent der männlichen Schutzsuchenden und zwei Prozent der weiblichen Flüchtlinge, die seit einem Jahr oder kürzer in Deutschland leben, schon einen Job oder eine Ausbildungsstelle oder absolvieren ein Praktikum. Nach einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren gilt dies für jeden zweiten Mann, aber lediglich für jede achte Frau. „Für Frauen mit Kindern dauert einfach alles zu lange. Das ist ein Problem, das es in vielen Kommunen gibt“, sagt Alessa Haecker, Migrationsbeauftragte beim Jobcenter in Konstanz.

Sie wünscht sich Sprachkurse mit Kinderbetreuung. Beim Jobcenter Konstanz sind all jene Geflüchtete angesiedelt, deren Aufenthaltsstatus geklärt ist. Wenn das eigene Arbeitseinkommen und Vermögen nicht ausreicht oder keines erwirtschaftet wird, bekommen sie Bürgergeld vom Jobcenter. Darüber hinaus ist das Jobcenter als gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Landkreises eine zentrale Stelle für die Integration in den Arbeitsmarkt. In regelmäßigen Beratungsgesprächen werden die Möglichkeiten für die arbeitssuchenden Migrant:innen besprochen. „Wir haben ausschließlich Kunden, bei denen die Anerkennung des Asylantrags schon durch ist. Die große Ungerechtigkeit, was den Aufenthalt angeht oder auch den Zugang zum Arbeitsmarkt, ist bei uns kein Thema mehr.“

Erstmal ein Integrationskurs

Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gab es im Dezember im Landkreis Konstanz 4.948 gemeldete erwerbsfähige Personen aus Drittstaaten, die Leistungen vom Jobcenter bezogen haben. Zu dieser Personengruppe zählen alle, die sich im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 67 Jahren befinden, auch wenn sie zurzeit die Schule besuchen, in Elternzeit oder krank sind und nicht aus der EU kommen. Bei den Ukrainerinnen und Ukrainern stieg die Zahl der Geflüchteten im vergangenen Jahr ab Juni 2022 von vorher rund 60 Personen auf 1.036 an. 

Die Grafik zeigt die Zahl der Ukrainer:innen und Geflüchteten aus Asylherkunftsländern im Landkreis
Grafik: Lotte Stoll

Im Dezember gab es 1.847 Ukrainer:innen im Landkreis. 124 von ihnen haben seit Juni 2022 eine Arbeit aufgenommen, 35 eine Ausbildung begonnen. Bei den übrigen Asylherkunftsländern wie Syrien und Afghanistan liegt der Wert für Dezember 2022 bei 1.783 erwerbsfähigen Personen, im Vorjahr (Dezember 2021) waren es 1.843. 1.606 Menschen aus Asylherkunftsländern waren im Juni 2022 im Landkreis in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. 

Das Konstanzer Jobcenter hat eine klare Devise: am Anfang kommt der Integrationskurs. Zumindest in der Theorie. Die Realität sieht so aus, dass es nicht genügend Plätze gibt. Die Wartezeiten sind viel zu lang. Eigentlich sollte es von der Anmeldung bis zum Kursbeginn sechs Wochen dauern; im Landkreis Konstanz ist das, wie vielerorts, aktuell nicht möglich. Die Sprachkurse in den Volkshochschulen und bei anderen Trägern sind voll, es gibt nicht genug Lehrpersonal, nicht genug Räume – beklagt Alessa Haecker. Dabei öffnen ausreichende Sprachkenntnisse die Tür in den Arbeitsmarkt.

Der Integrationskurs besteht aus einem Sprach- und einen Orientierungskurs. Das Geld für die Sprachkurse kommt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). 600 Stunden sind für die deutsche Sprache in den Integrationskursen eingeplant. Fünfmal in der Woche und vier Stunden pro Tag. Teilnehmende schließen ihn mit dem Sprachniveau B1 ab und lernen gleichzeitig viel über das Leben in Deutschland – zu Themen wie Arbeit und Beruf, Wohnen, Einkaufen. Außerdem lernen Geflüchtete, auf Deutsch Briefe und E-Mails zu schreiben, Formulare auszufüllen, zu telefonieren oder sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben. Der Orientierungskurs setzt sich mit Themen wie Rechten und Pflichten in Deutschland auseinander.

Der nächste Schritt: die Anerkennung der bisherigen Bildungsabschlüsse aus dem Ausland. Statt Geflüchtete möglichst schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, wolle man das Sprachniveau und die Anerkennung erst so weit haben, dass die Eingliederung den Abschlüssen entsprechend erfolgen kann. „Solange viele Geflüchtete noch keinen Platz im Integrationskurs haben, ist es natürlich hilfreich, im Zuge eines Minijobs schon viel Deutsch im Alltag zu hören“, sagt Claudia Walschburger, Bereichsleiterin Markt und Integration beim Jobcenter in Konstanz. „Trotzdem darf der Integrationskurs da nicht hinten runterfallen.“

Das Stichwort lautet nachhaltige Integration. „Unser Ziel ist, dass die Leute wirklich dauerhaft in Arbeit sind, und zwar so, dass sie sich selbst und ihre Familie ernähren können und nicht abhängig sind von Sozialleistungen“, sagt Walschburger.

Oft heißt das auch einfach, Alternativen zu finden. Für eine Lehrerin aus dem arabischen Raum ist eine Anerkennung ihres Abschlusses in Deutschland laut Alessa Haecker „so gut wie unmöglich“.

In so einem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder nochmal Lehramt in Deutschland studieren oder sich umorientieren. Im konkreten Fall hatte die Lehrerin aus Syrien einen mittleren Bildungsabschluss, der anerkannt wurde. Mit den ausreichenden Deutschkenntnissen konnte sie dann eine Ausbildung zur Erzieherin anfangen. Ein anderer Fall ist der einer Fahrlehrerin, die in Deutschland auch unbedingt als solche arbeiten wollte. Doch für die Berufsanerkennung hätte sie eine gültige Fahrerlaubnis aus dem Heimatland gebraucht, die nicht zu besorgen war. Letztlich konnte sie eine sechsmonatige Weiterbildung zur Busfahrerin machen und hat sofort einen Job gefunden. 

Das Foto zeigt Alessa Haecker, Migrationsbeauftragte beim Jobcenter in Konstanz.

In anderen Fällen kann sich der Weg bis zur Anerkennung aber lohnen: „Wenn ein Arzt die nötigen Dokumente mitbringt, kriegen wir ihn bis dahin durch, dass er seinen Beruf wieder ausüben kann“, sagt Haecker optimistisch. Neben den nötigen Dokumenten sind sehr gute Sprachkenntnisse und eine ordentliche Portion Geduld Voraussetzungen dafür. „Es wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, aber wenn er es mit dem Deutsch packt, dann wird es irgendwann gehen.“

Für dieses Irgendwann braucht ein Arzt aus einem Drittstaat mindestens Deutschkenntnisse auf Fachsprachen-Niveau und muss noch eine extra Prüfung absolvieren, um die Gleichwertigkeit mit der deutschen Approbation zu erreichen. Wie lange das dauert, hängt maßgeblich vom Sprachkurs ab – wie schnell bekommt die Person einen Platz, wie schnell lernt sie die Sprache? Zahlen, wie oft Geflüchtete in Deutschland wieder in dem Beruf arbeiten, den sie auch vor ihrer Migration ausgeübt haben, werden bei der Agentur für Arbeit nicht erfasst. 

Eine Ausbildung zum Start

Häufig ist der erste Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt eine Ausbildung. Entweder, weil die bisherigen Abschlüsse für den neuen Job nicht anerkannt werden, oder eine Person in einen neuen Beruf startet. Die Ausbildungszahlen von geflüchteten Menschen haben im gesamten Gebiet der Handwerkskammer Konstanz in den Jahren 2015 bis 2018 stetig zugenommen, im Jahr 2018 erreichten diese Zahlen ihren Höhepunkt mit 245 eingetragenen Ausbildungsverhältnissen – davon 100 im Landkreis Konstanz.

Seit 2019 sind die Zahlen rückläufig. Für das Jahr 2022 wurden im kompletten Kammergebiet 119 Ausbildungsverträge für geflüchtete Personen eingetragen – davon befinden sich 42 in Ausbildungsstellen im Landkreis Konstanz. Viele geflüchtete Menschen haben im regionalen Handwerk einen Platz für sich gefunden – als Fachkraft oder im Rahmen einer angelernten Helfer:innen-Tätigkeit. „Uns erreichen überwiegend positive Rückmeldungen aus den Betrieben, die insbesondere die Arbeitsbereitschaft und die Lernwilligkeit der Geflüchteten in den Mittelpunkt stellen“, sagt Ines Rimmele. 

Die Grafik zeigt woher die 42 geflüchteten Auszubildenden kommen und welchem Geschlecht sie angehören.
Die Grafik zeigt die beliebtesten Berufe von Geflüchteten aus dem Landkreis.
Top 3 Berufe unter den 42 Geflüchteten aus dem Landkreis Konstanz, die eine Ausbildung machen. Grafiken: Lotte Stoll

Für eine normale Ausbildung ist das benötigte Sprachniveau B2. Vor allem, um in der Berufsschule mitzukommen. Auch wenn Geflüchtete die nötigen Fachkenntnisse mitbringen und sich super im Betrieb anstellen. „Spätestens in der Berufsschule braucht man das Sprachniveau. Das macht einen merklichen Unterschied – auch in Bezug auf Ausbildungsabbrüche“, sagt Haecker.

Nach den im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen festgelegten Sprachniveaustufen wird auch in Deutschland das Niveau der Sprache von A1 bis C2 eingeordnet, wobei A1 das niedrigste Niveau ist und C2 dem eines Muttersprachlers am nächsten kommt. Das Sprachinveau B2 definiert sich beispielsweise dadurch, dass die Person komplexe Texte und Aussagen verstehen und eine flüssige Unterhaltung mit Muttersprachlern führen kann.

In Konstanz gibt es dafür beispielsweise die Zeppelin-Gewerbeschule und die Wessenbergschule. „Wer sitzt schon gerne als einziger Migrant in einer deutschen Klasse, ist vielleicht deutlich älter und hat nicht die gleichen Sprachkenntnisse?“, sagt Veronika Ellert. Zweck ihrer Beratung ist auch herauszufinden, ob die Geflüchteten bereit für eine reguläre Ausbildung sind. Sie findet: Bevor man sich die Ziele zu hoch setzt und dann abbricht, lieber einen Schritt zurückgehen und niederschwellig einsteigen.

Für so einen niedrigschwelligen Einstieg gibt es spezielle Ausbildungsangebote, die sich explizit an Geflüchtete richten – zum Beispiel an der Mettnau-Schule in Radolfzell. Die Berufsschule gibt Nicht-Deutsch-Muttersprachlern die Möglichkeit, eine Ausbildung zum:zur Altenhelfer:in zu machen. Während der zweijährigen Ausbildung haben die Auszubildenden darüber hinaus zehn Stunden Deutschunterricht in der Woche. Am Ende der Ausbildung haben sie damit nicht nur den Abschluss in der Tasche, sondern auch Deutsch auf B2-Niveau. Die Ausbildung an der Mettnau-Schule wurde geschaffen, um den Fachkräftemangel im Pflegebereich auszugleichen. Im Anschluss an die Ausbildung können die Teilnehmenden die Ausbildung zur Pflegefachkraft anschließen.

Um dem Fachkräftemangel im Bereich der Pflege zu begegnen, werden seit Jahren Fachkräfte aus dem Ausland gesucht. Im Jahr 2020 stammten mehr als ein Drittel aller bundesweit anerkannten Berufsabschlüsse aus dem Bereich Pflege. Aber nicht alle Geflüchteten wollen in Berufe gehen, die vom Fachkräftemangel geplagt sind: „Es ist schwierig, wenn man sie in eine Schublade steckt. Nicht alle Geflüchteten wollen in der Pflege oder im Handwerk arbeiten. Sie haben ihre eigenen Erwartungen und Wünsche“, sagt Veronika Ellert. In ihrer Beratung stelle sie fest, dass viele der jungen Geflüchteten sich mehr für IT-Berufe interessieren. Vielmehr sei die Chance auf ein Bleiberecht oft der Faktor, eine Ausbildung oder einen Job in den benannten Branchen anzunehmen. „Viele sehen sich gezwungen, einen Beruf mit Fachkräftemangel anzunehmen, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollen“, sagt Ellert. 

Wie die Integration von Migrant:innen am Arbeitsplatz aktuell funktioniert, erforscht ein Team der Universität Konstanz im Forschungsprojekt Integration at Work am Exzellenzcluster für Ungleichheitsforschung. Die Forscher:innen befragen 1.128 migrantische und deutsche Auszubildende – darunter 28 aus dem Landkreis Konstanz – kontinuierlich während ihrer gesamten dreijährigen Ausbildung. „Man weiß, dass es gerade bei migrantischen Auszubildenden deutlich höhere Abbruchquoten gibt“, sagt Florian Kunze, Professor am Lehrstuhl für Organizational Behavior. Das Ziel der Forschung: die Integration am Arbeitsplatz besser zu verstehen. Neben Einflüssen wie Sprachkenntnissen und der Schulbildung interessiert sich das Team vor allem für soziale Faktoren: Wie werde ich im neuen Betrieb aufgenommen? Wie behandeln mich meine Kolleg:innen und Führungskräfte? Welche Auswirkungen haben die sozialen Faktoren auf die Abbruchquote von Ausbildungen? Die Hypothese der Forscher:innen: „Es gibt sogenannte Ankerereignisse; wenn jemand zu Beginn schlecht behandelt wird, speichert die Person ab, dass sie dort diskriminiert wird“, sagt Florian Kunze. 

Erste vorläufige Ergebnisse der Befragungswelle von Auszubildenden, die 2021 ihre Ausbildung gestartet haben, zeigen: Wie Migrant:innen in ihrem ersten Kontakt mit ihrem Arbeitgeber behandelt werden, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie später soziale Interaktionen am Arbeitsplatz wahrgenommen werden. Die Abbruchquote der Ausbildung ist bei Migrant:innen (5,8 Prozent) fast doppelt so hoch wie bei deutschen Azubis. „Das deutet darauf hin, dass Auszubildende zu Beginn ihrer Ausbildung mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind“, sagt Kunze. Auch die Überlegung, eine Ausbildung abzubrechen, ist deutlich erhöht. „Wir sehen schon, dass Migrant:innen sensibler reagieren, als es von anderen wahrgenommen wird“, sagt Kunze. „Wenn die sozialen Interaktionen negativ behaftet sind, dann nimmt die Leistungsfähigkeit ab, die Auszubildenden sind schneller erschöpft.“ Weitere vorläufige Ergebnisse der Forschung sind zum Beispiel, dass Migrant:innen ein deutlich niedrigeres Selbstvertrauen in ihre Arbeitskompetenz haben als deutsche Azubis. Zusätzlich fühlen Migrant:innen eine geringere soziale Unterstützung durch ihre Arbeitskolleg:innen. Spannend ist: „In der Wahrnehmung zeigen Migrant:innen einen höheren Arbeitseinsatz und überkompensieren, indem sie beispielsweise krank zur Arbeit kommen.“ Mit der Forschung will das Team auch die Ausbildungsbedingungen verbessern. „Die konkrete soziale Interaktion kann den Unterschied machen“, sagt Kunze. Im Idealfall soll eine Art Leitfaden für den Umgang mit migrantischen Auszubildenden entstehen – für Personalmanagement und Führungskräfte. Kunze plädiert für mehr Reflexion: „Man muss sich selber mal überlegen, wie man spricht und was daran beim Gegenüber auch falsch ankommen kann.“ 

Veronika Ellert sieht in Ausbildungen auf der einen Seite eine große Chance für Geflüchtete, um im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Kehrseite: In einer Ausbildung wird sehr viel von ihnen erwartet – die Anforderungen der Berufsschule, der Leistungsdruck im Betrieb, die deutsche Sprache und die Fachsprache, Hausaufgaben, die Alltagsorganisation wie der Anwalt, der ständig Unterlagen anfordert, die Familie im Heimatland, Behördenschreiben. „Das ist so viel, was auf einen jungen Menschen einprasselt“, sagt Veronika Ellert. Im schlimmsten Fall führt die Überforderung zum Ausbildungsabbruch. Für die Begleitung vor der Ausbildung gibt es viele Angebote, innerhalb der Ausbildung ist das Angebot beschränkt. Viel bleibt dann an den Arbeitgeber:innen oder den Berufsschulen hängen. 

Was muss sich noch verbessern?

Wer über die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt spricht, der stößt früher oder später auf grundsätzliche Probleme in Konstanz wie zu wenig Kinderbetreuung, fehlender Wohnraum. Und auf bundesweite Probleme, wie zu wenig Sprachkursplätze, die bürokratischen Hürden. „Die Arbeitgeber sind teilweise total überfordert mit den Voraussetzungen, um Geflüchtete einzustellen. Dann kommt es auf den Status an. Ich finde die Hürden zu hoch für jemanden, der einfach sagt: Ich bin hier und möchte arbeiten“, sagt Veronika Ellert.

Sie sieht darüber hinaus Nachholbedarf bei Sprachkursen für Mütter mit Kindern und Teilzeitausbildungsstellen, um auch Müttern den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. „Bei uns im Landkreis ist das echt die Ausnahme. Das finde ich schade, denn sie würden gerne eine Ausbildung machen, aber mit Kindern geht es nicht“, sagt Veronika Ellert. Trotzdem habe sich im Landkreis viel getan: Beispielsweise gibt es die sogenannten VABOE Klassen – in denen erwachsene Geflüchtete ihren Hauptschulabschluss nachholen können – mittlerweile auch in Teilzeit. „Der Bedarf war sehr groß, das ist eine tolle Möglichkeit, sich weiterzubilden“, sagt Ellert.

Wenn Marion Mallmann-Biehler vom Konstanzer Verein Save me über den Zugang Geflüchteter im Landkreis Konstanz nachdenkt, kann sie nur müde lächeln. „Ich kenne niemanden, der in einem gehobenen Job ist“, sagt die Vorsitzende des Vereins. Jemand, der sein Leben lang im Mittelstand oder oberen Mittelstand war, muss plötzlich in Jobs arbeiten, die nicht der Qualifikation entsprechen. Sie sagt:

„Man will nicht immer Flüchtling sein, sondern einfach ganz normal. Aber ohne Geld funktioniert das nicht.“

Marion Mallmann-Biehler

Ihre Kritik: Es dauert alles ewig. Das liege nicht daran, dass die berufsbildenden Schulen oder die Arbeitgeber nicht bemüht wären, sondern „an den sturen Voraussetzungen für diese und jene Arbeitserlaubnis, die Leute nicht erbringen können.“ 

Dass Deutschland ein Land ist, das sehr viel Wert auf formale Abschlüsse legt, sagt auch Alessa Haecker vom Jobcenter. Die Anerkennung und das Erlernen der Sprache erschwert den Einstieg in den Arbeitsmarkt, alles dauert länger. „Geflüchtete sind länger bei uns, weil sie zunächst die Sprache lernen müssen. Aber sie sind sonst nicht schlechter vermittelbar“, sagt Haecker.

Den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen heißt aber nicht automatisch immer, dass die Abhängigkeit vom Jobcenter damit endet. Bei Alleinstehenden geht eine Abmeldung schnell, mit drei Kindern sieht die Welt schon anders aus. Deshalb kann es sein: Jemand arbeitet bereits für längere Zeit, aber bezieht noch Leistungen vom Jobcenter. Spaß macht Alessa Haecker der Moment, wenn sie ihre Kund:innen dann endgültig abmelden kann – „weil das ein großer Schritt ist, den sie geschafft haben.“