Die Solidarität in Person

Sie hat Wohnungen und Ausbildungsplätze besorgt, Behördengänge erledigt und eine Fußballmannschaft gegründet: Doris Künzel hat sich schon immer für Geflüchtete eingesetzt – in ihrer Zeit beim Deutschen Roten Kreuz und auch heute beim Café Mondial. Ihr Ziel: den Menschen Hoffnung spenden.
Das Foto zeigt Doris Künzel im Café Mondial
Doris Künzel im Café Mondial. Foto: Michael Buchmüller

19 Jahre lang war Doris Künzel Sozialarbeiterin beim Deutschen Roten Kreuz. Bis zu jenem Tag, als sie aus den Ferien ins Büro zurückkehren will, um sich – wie jeden Tag – für Geflüchtete einzusetzen. Doch an der Bürotür in der Jägerkaserne auf dem Flur einer Flüchtlingsunterkunft schraubte gerade jemand ihr Namensschild ab. Ohne Vorankündigung ist ihre Stelle gestrichen worden. Der Landkreis wolle die Flüchtlinge nun selbst betreuen. Eine Umstrukturierungsmaßnahme. Künzel ist wie vor den Kopf gestoßen: „Da brach eine Welt für mich zusammen!“ Denn sie verstand ihren Beruf als Berufung und übte ihn mit leidenschaftlichem Engagement aus. 

„Über meinen Schreibtisch sind alle Kriege dieser Welt gegangen, denn herrschte irgendwo Krieg, dann tauchten die Flüchtenden bei mir auf.“

Doris Künzel

Allesamt menschliche Schicksale, für die sie Wohnungen, Ausbildungsplätze, Behördengänge und vieles mehr organisierte. „Mama Afrika“ war in der Gustav-Schwab-Straße irgendwann ihr Beiname. Auch eine afrikanische Fußballmannschaft, in der Geflüchtete aus Angola, Ghana und Nigeria kickten, stellte sie zusammen. Sie spielten für das Rote Kreuz bei selbst organisierten Turnieren. Wie eine „Mama“ war sie auch für die vielen Kinder im Flüchtlingsheim, die sie liebten. Und diese waren es auch, die protestierten, als man sie vor die Tür setzen wollte. Als Mitarbeiter vom Landratsamt das Büro räumen wollten, trugen sie die Akten einfach zurück. 

Ihr ging es schon immer um Gerechtigkeit

Irgendjemand schaltete das Fernsehen ein, die Kindersendung „logo“ kam und berichtete über Künzel und den Protest der von ihr betreuten Kinder. Noch am Tag ihres „Rauswurfes“ wurden Transparente hochgehalten und die Flure füllten sich mit herbeieilenden Flüchtlingen, die sich mit „ihrer“ Sozialarbeiterin solidarisch erklärten. Letztlich musste sie trotzdem gehen. In Stockach war Künzel dann noch sechs Jahre beim Deutschen Roten Kreuz für Spätaussiedler zuständig. Eine langjährige chronische Erkrankung und die damit verbundenen gesundheitlichen Probleme zwangen sie schließlich vorzeitig in den Ruhestand. 

Doris Künzel ging es immer schon um Gerechtigkeit. „Das habe ich von meinen Eltern gelernt.“ Beide waren Vertriebene, er aus einer polnischen Gegend, sie aus Böhmen. „Meine Eltern kamen ins Bayrische in ein Dorf, in dem unsere Familie nicht willkommen war.“ Sie wächst in der Nähe von Neu-Um mit vier weiteren Geschwistern auf. Das prägte. 

Das Café Mondial

Wofür ihr Name in Konstanz vielleicht am bekanntesten ist: das Café Mondial. Aus dem „Aktionsbündnis Abschiebestopp“, bei dem man sich vor allem um Roma kümmerte, entsteht 2015 das Café Mondial, damals noch ohne feste Bleibe. „Wir gingen on tour. Will heißen: Wir haben an verschiedenen Orten Feste und Begegnungen mit Flüchtlingen organisiert.“ Im Innenhof des Rathauses, in Stadthallen, in den Unterkünften selbst. Es wurde getanzt und Hoffnung verbreitet mit der Botschaft: „Das alles ist fremd hier, aber ihr seid nicht alleine.“ 

Während dieser Tour, so erinnert sich Künzel, kamen sie an ein leerstehendes Gebäude, das ehemalige Sozialgebäude der Stadtgärtnerei. Hier, am Hussenstein, zogen sich die Gärtner:innen vor und nach der Arbeit um, konnten duschen, hatten einen Aufenthaltsraum. Drumherum eine große Fläche.

Das Foto zeigt Doris Künzel im Café Mondial

„Ideal für uns: Platz für Feste und Spiele im Freien und ein großer Raum für das Cafè. Und das Ganze ohne große Miete. Ein Sechser im Lotto.“ Die Stadt konnte nicht Nein sagen, schließlich galt es im Jahre 2015, die Willkommenskultur der Bundesregierung unter Merkel umzusetzen, da kam so ein ehrenamtlicher Verein mit seinen Ideen gerade recht. 

Für vier Jahre, hieß es zunächst, könnten sie einziehen. Vorher war zu renovieren. „Das haben wir gemacht, Obdachlose, Flüchtlinge, Ehrenamtliche haben geholfen. Ein toller Sommer.“ Sieben Jahre später ist das Café Mondial immer noch da, Umzugspläne sind erstmal auf Eis gelegt. Die Räume sind sonntags ab 15 Uhr für jede:n geöffnet. Und jeden zweiten Samstag gibt es einen internationalen Spielenachmittag. Wer zahlen kann, zahlt etwas, und wer nichts hat, bekommt Kaffee und Kuchen auch umsonst. 

Was sie beim Roten Kreuz beruflich machte, übt sie nun ehrenamtlich weiter aus: Gerade hat eine Familienzusammenführung einer afghanischen Familie geklappt. Im Januar 2022 hatte sie begonnen, die nötigen Papiere zu sammeln, und wer die Bürokratie kennt, weiß, wie viele Papier da nötig waren. „Das kann man sich gar nicht vorstellen!“

Im Mai 2022 war es dann so weit. Die Frau konnte aus Teheran zu ihrem Ehemann und ihren Kindern nach Konstanz einreisen. Ein anderes Mal will Künzel verhindern, dass – nach dem Dublin-Abkommen – drei über Italien eingereiste Flüchtlinge nach fünf Jahren, die sie in Konstanz verbracht (und sich integriert) haben, wieder abgeschoben werden. Oder sie sucht eine Ausbildungsstelle für einen jungen Mann aus Gambia, der gerne eine Elektrikerlehre machen würde.

„Ich habe auch lernen müssen, Nein zu sagen.“

Sie schreibt Härtefallanträge und Petitionen, für einige ihrer Schützlinge erreicht sie ein Bleiberecht. Und auch die Kampagne „Harrison ist Konstanzer“ ist erfolgreich: Der Nigerianer Harrison Chukwu, ehrenamtlicher Mitarbeiter von Café Mondial, darf bleiben. Nach 12 Jahren erhält er im Dezember 2022 endlich eine Aufenthaltserlaubnis.  

Und auch wenn ihr das soziale Engagement ungeheuer wichtig ist: „Ich habe auch lernen müssen, Nein zu sagen.“ Abgrenzung, Ausgleich, Sport und viele gute Freundinnen und Freunde sind nötig, um sich die Kraft zu bewahren.

„Und was ich von den Flüchtlingen gelernt habe: Immer wieder aufzustehen. Ich bewundere viele, wie sie damit umgehen.“

Doris Künzel

Aufgestanden, das ist sie auch nach ihrem Rauswurf im Jahr 1999. „Die Solidarität der Kinder und der Flüchtlinge damals haben mir geholfen, diese Zeit gut zu überstehen.“ Diese Solidarität zeigt sie umgekehrt auch weiterhin. Ihr Blick ist ein politischer. Immer gewesen. Sie sieht die Zusammenhänge zwischen Kriegen, Klimaveränderungen, Fluchtbewegungen. So wie es die jungen Menschen heute auch tun.

„Kunst der Vielfalt“ ist das Motto von Café Mondial, die will sie leben, neugierig auf und fasziniert von Menschen und ihren Geschichten, die oft allen Widrigkeiten zum Trotz weitergehen. „Ohne Hoffnung kann man nicht leben. Und das geht nur, wenn man spürt: Man ist nicht allein.“