Das Foto zeigt Jannis Pagels, wie er mit seinem Rollstuhl am Seerhein steht.

„Wenn ich auf meinem Surfboard bin, fühle ich mich unabhängig.“

Jannis Pagels ist querschnittsgelähmt. Seit einem schweren Unfall vor drei Jahren sitzt der 19-Jährige im Rollstuhl – und muss rund um die Uhr betreut werden. Trotzdem will er seine große Leidenschaft, das Surfen, nicht aufgeben.
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Jannis sammelt aktuell Spenden für seine Teilnahme an der Surf-Weltmeisterschaft im Winter 2023. Wer mag, kann ihn dabei unterstützen.


Den folgenden Text hat Jannis Pagels über seinen Unfall und die Zeit danach geschrieben:

Way to California – keep dreaming

Wellen. Ein Wort, das mein Leben prägt wie kein anderes.

31.07.2019: Eine Welle bricht mir das Genick. Ein sorgloser Sprung in ein Wellental am französischen Atlantik. Brutaler Schnitt. Diagnose: komplette Tetraplegie (C5). Nach der Erstversorgung in Bordeaux, geht es kurze Zeit später in das Querschnittzentrum der BGU nach Tübingen. 11 Monate. Ein Hoffen, ein Bangen – ein Auf und Ab. Getragen von großer Hilfsbereitschaft, kämpfe ich mich zurück in ein neues, anderes Leben. Es war ein Unfall. Aber das Leben geht weiter.

Corona schlägt zu. Die Pforten der Klinik werden geschlossen. Kein Besuch ist mehr zugelassen. Ein Glück, dass ich minderjährig bin. Zumindest ein Elternteil darf mich besuchen. Die letzten Wochen sind zäh, aber die Aussicht, endlich bald zuhause zu sein, gibt Kraft.

Die nächste Coronawelle. Endlich zuhause, die nächsten Herausforderungen. Exklusion statt Inklusion. Vorsicht ist geboten. Eine eingeschränkte Lungenfunktion bedeutet, dass ich Hochrisikopatient bin. Aktive Pläne werden ausgebremst. Therapien gestrichen. Rehamaßnahmen können nicht stattfinden. Teilhabe am Leben als Tetraplegigker unter Corona? Fast unmöglich.

Aber, meine Gedanken und Träume lasse ich mir nicht nehmen. Ich möchte zurück aufs Wasser. Surfen. Warum nicht als Tetraplegiker? Wieder trägt mich eine Welle der Sympathie. Meine Träume werden aufgegriffen. Ein Glück Matthias kennengelernt zu haben, der das Surfen lebt. Minutiöse Detailarbeit: Check bei den Ärzten, Materialsichtung, Probedurchlauf mit Fußgängern, durchgespielte Rettungsversuche, Sitzprobe, Liegeprobe – dann endlich auf den See. Das SUP trägt mich. Sicher. Das Gefühl ist zurück. Ich spüre Freiheit! Surfen ist Therapie! Glücksgefühl!

Was ich auf dem See kann, kann ich auch auf dem Meer. 2 Monate später zurück am Atlantik. Ich beobachte. Die Wellen. Das Gefühl. Der Bauch sagt ja. Mein Umfeld unterstützt, trägt mich ins Meer und ich kann floaten. Wieder durchströmt mich dieses Gefühl der Freiheit und des Glücks. Ich bin eins mit dem Wasser.

Jetzt will ich aufs Brett! Gemeinsam mit Matthias, der mir nach wie vor zur Seite steht und mich mit dem Brett aufs Meer bringen will, überlege ich: Warum nicht dahin, wo dieser Sport angefangen hat? Warum nicht dahin, wo Adaptive Surfing Teil des Alltags ist? Einmal zum Ursprung des Surfens. Einmal da sein, wo die Profis Surfen. Einmal Teil der adaptive surfing community sein. Der Gedanke schlägt Wurzeln: Ein neues Projekt. Kalifornien!

Dann der Realitätscheck: Ein Team von Assistenten unterstützt mich 24/7. Wer kann mit nach Kalifornien? Wie kann ich versorgt werden? Wie fliegen Tetraplegiker? Unterkunft in Kalifornien suchen. Behindertengerecht, fürs ganze Team. Transportmittel Auto. Ich sitze im Elektrorollstuhl. Auto mit elektrischer Hebebühne. Gesamtkosten? Unüberschaubar. Unbezahlbar.

Parallelwelt Altersgenossen: Abi in der Tasche. Nachrichten ploppen auf. New York, Sri Lanka, Kalifornien – around the world. Günstige Tickets. Wir sind weg. Unbekümmertheit. Pure Freiheit.

Keine unüberwindbaren Hürden. Schnell geht nicht. Spontan gibt es nicht. Unüberlegt schon gar nicht. Ich lass mich trotzdem nicht unterkriegen. Ich will Unmögliches möglich machen. Die Paraolympics inspirieren mich. Großartige Menschen. Einzigartige Lebensläufe. Außerordentliche Leistungen.

Und wieder lerne ich über Matthias einen Menschen kennen, der mir Mut macht. «Der» adaptive surfer coach in den USA und Mitbegründer der adaptive community ! Er findet meine Idee großartig. Will mir, wenn wir es nach Kalifornien schaffen, mit einem Team zur Seite stehen. Und: er lädt mich zu den ISA World Para Surfing Championships im Dezember ein!

Mir wird klar: Weitermachen. Kämpfen. Auch Tetras können Träume verwirklichen. Mehr noch: Botschafter für andere werden und Mut machen.

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