Es ist einfach besonders, dass wir in Konstanz nur wenige Schritte gehen müssen und in einem anderen Land sind. Plötzlich sieht die Architektur anders aus, es gibt eine andere Währung und es wird eine andere Sprache gesprochen. Zwar eine, die wir größtenteils verstehen, aber einige müssen sich beim Zuhören doch ein bisschen mehr konzentrieren. Korrekterweise muss hier direkt erwähnt werden, dass Schweizerdeutsch keine offizielle Sprache ist, sondern als Dialekt gilt.
Weltweit gibt es mehr als 7.000 Sprachen, Dialekte gibt es so viele, dass man sie nicht zählen kann. Sie verändern sich ständig, es entstehen neue Wortkreationen oder aus verschiedenen Dialekten bildet sich ein neuer. Die Konstanzer Mundart ist ein gutes Beispiel. Sie formt sich aus dem Alemannischen, aber auch badische und schwäbische Wortkreationen gehen am Seealemannisch nicht vorbei. Badisch, Schwäbisch, Seealemannisch, Schweizerdeutsch – all das sind Variationen des Alemannischen, die sich mit den Jahrhunderten zu eigenen Dialekten weiterentwickelten.
Sprache oder Dialekt?
Der Duden beschreibt Sprache als „historisch entstandenes und sich entwickelndes System von Zeichen und Regeln, das einer Sprachgemeinschaft als Verständigungsmittel dient.“ Geht man ein bisschen tiefer, stellen sich zwei Merkmale heraus, die eine Sprache erfüllen muss: die politischen und die wissenschaftlichen Kriterien. Politik kann Einfluss auf die Sprache nehmen, indem sie beispielsweise per Verfassung eine Amtssprache festlegt.
Ein wissenschaftliches Kriterium besteht darin, dass sich eine Sprache klar von einer anderen unterscheiden muss. Sie muss außerdem ein normatives Regelwerk vorlegen. Das bedeutet, dass es Regeln zu Aussprache, Grammatik und Rechtschreibung gibt. „Natürlich ist ein Dialekt eine Sprache. Dialekte haben ihre eigene Grammatik und Aussprache. Aber es gibt eben kein offizielles Regelwerk, das sie festhält und für allgemeingültig erklärt“, sagt Alexandra Rehn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Linguistik an der Uni Konstanz. Ein solches Regelwerk gibt es weder im Schwäbischen noch im Seealemannischen noch im Schweizerdeutschen. In der Schweiz werden alle Mundarten im deutschsprachigen Raum als „Schwiizerdütsch“ bezeichnet. Außer im Kanton „Schwyz“. Dort heißt es „Schwyzerdütsch“.
In Konschdanz schwätzet se Seealemannisch
Es gibt insgesamt fünf Variationen des Alemannischen. Höchst-, Hoch-, Mittel-, Niederalemannisch und Schwäbisch. Das (Boden-)Seealemannisch gehört zum Mittelalemannischen und charakterisiert sich vor allem durch den Einheitsplural. Das bedeutet, dass Endungen von Verben mit „et“ statt mit „e“ enden. Also beispielsweise „mir ganget uf’d Gass“. Im südlichen Allgäu, im nördlichen Bodenseeraum und im nördlichen Vorarlberg wird Seealemannisch gesprochen. Höchst- und Hochalemannisch sprechen über 60 Prozent der Schweiz:erinnen (neben Französisch, Italienisch und Rätoromanisch). In der Region um Freiburg im Breisgau sprechen die Menschen Niederalemannisch. Ein besonderes Merkmal im Hochalemannisch ist, dass das anlautende „K“ in den Ach-Laut „Ch“ umgewandelt wird. So heißt es im Bodenseealemannischen „Kind“, während die Hochalemannen „Chind“ sagen.
Sprache verbindet. Oder?
In Europa gibt es 291 Sprachen. Im Vergleich zu anderen Kontinenten ist das noch wenig. In Asien sind beispielsweise 2.314 Sprachen verzeichnet, in Afrika 2.158. Die Europäische Kommission sieht Mehrsprachigkeit als Grundprinzip der Union. Das Motto des Rates zur Regelung der Sprachenfrage lautet: „in Vielfalt geeint“. An den meisten europäischen Grenzen ändert sich die Sprache, deshalb ist es bei uns im deutschsprachigen Raum auch eine Besonderheit, dass wir in die Schweiz oder nach Österreich reisen und uns in unserer Muttersprache verständigen können. Damit das aber auch in anderen Ländern der EU möglich ist, hat sich die Kommission das Ziel gesetzt, dass jede:r Europäer:in die Möglichkeit erhalten soll, mindestens zwei Fremdsprachen zu erlernen.
Uns Muetterspröchler liegt unsri schön alemannisch Sproch am Herze. Mir wän, dass sie erhalte blibt. Dodefür schaffe mr. Un jede ka selber ebbis defür tue: eifach schwätze, wie de Schnabel gwachse isch
Muettersproch-Gsellschaft e.V.
Die eigene Sprache ist heutzutage ein starkes Merkmal von regionaler Identität. „Leider sind Dialekte in vielen Ländern stigmatisiert. Viele Menschen denken, dass Leute, die einen Dialekt sprechen, ungebildet sind. Dieses Stigma gefährdet Dialekte. Die Schweiz ist hier eine Ausnahme, denn Dialekte gehören fest zu ihrer Identität. Sie sind stolz auf ihren Dialekt“, sagt Theo Marinis, Leiter des Zentrums für Mehrsprachigkeit der Uni Konstanz. Während in Schulen lange Zeit Dialekte abtrainiert wurden, setzen sich heute immer mehr Menschen für den Erhalt ihres Dialektes ein. So beispielsweise der Verein Muettersproch-Gsellschaft e.V. mit Sitz in Freiburg. „Uns Muetterspröchler liegt unsri schön alemannisch Sproch am Herze. Mir wän, dass sie erhalte blibt. Dodefür schaffe mr. Un jede ka selber ebbis defür tue: eifach schwätze, wie de Schnabel gwachse isch“, heißt es auf deren Webseite.
Deutsch ist generell eine plurizentrische Sprache, das heißt, dass es für einen Gegenstand mehrere Wörter geben kann. Was im Deutschen Schneebesen genannt wird, wird in Österreich als Schneerute und in der Schweiz als Schwingbesen bezeichnet. Aber auch innerhalb Deutschlands können einer einzigen Sache verschiedene Begriffe entsprechen. In Konstanz sagt man „Berliner“. In einer Berliner Bäckerei würde sich der:die Verkäufer:in fragen, was denn damit gemeint sei. In Berlin sagt man „Pfannkuchen“, im Frankenland „Krapfen“. Irgendwie kommen wir dann immer auf einen Konsens. Dieses Beispiel zeigt aber, dass Dialekte zu Missverständnissen führen können. „Das Standarddeutsch entstand aus der Notwendigkeit der gegenseitigen Verständigung heraus. Es gab lange keine Einigkeit und es wurde viel darüber gestritten. Eine einheitliche Sprache kam erst im 15. Jahrhundert“, erklärt Alexandra Rehn.
Das Gute an der weiten Verbreitung des Alemannischen ist, dass wir uns alle miteinander verständigen können. „Sprachen sind per Definition immer ein verbindendes Element. Leute, die eine gemeinsame Sprache haben, können miteinander in dieser Sprache kommunizieren, ihre Gedanken und Gefühle teilen, kooperieren oder auch streiten“, so Marinis. Die Schweizer:innen wachsen zweisprachig auf und lernen in der Schule Hochdeutsch. Die offizielle Sprache ist zwar Deutsch, aber nur in wenigen Fällen weicht der:die Schweizer:in im Alltag von seinem:ihrem Dialekt ab. Zum Teil wird das von der:dem Arbeitgeber:in jedoch gewünscht. Das stößt nicht überall auf Wohlwollen.
So erhielt der Schweizer Rundfunk (SRF) viele Beschwerden zur deutschen Aussprache der Moderator:innen: „Der Deutsche sagt: ‚Müsli‘. Und der Schweizer sagt: ‚Müesli‘. Zwar sagen gewisse Schweizer ‚Müüsli‘, die Deutschen sagen dann sinngemäss aber ‚Mäuschen‘. Und das geht Wort für Wort so. In der Tagesschau. Und anderswo. Bei SRF Aktuell. Ich kann es nicht mehr hören, diese Verleugnung des Schweizer Volkes durch das Schweizer Fernsehen,“ schreibt ein Zuschauer. Es ist interessant, dass der Kommentator die offizielle Beschwerde in Hochdeutsch schreibt und nicht seinen eigenen Dialekt verwendet. Beißt sich das System in den eigenen Schwanz?
Gefühlt unangenehm
Viele Deutsche berichten, dass es ihnen unangenehm sei, in der Schweiz hochdeutsch zu sprechen, weil sie ihnen kein Gefühl von Minderwertigkeit vermitteln wollen. Umgekehrt fühlen sich Schweizer:innen unwohl, in ihrem Dialekt zu sprechen und möglicherweise nicht verstanden zu werden.
Es ist doch so: Im Italienurlaub fühlt man sich wohler, angenommener und integrierter in die italienische Kultur, wenn man das Heißgetränk nicht mit einem „Hallo, ein Ekspresso bitte“ bestellt, sondern mit „Ciao, un espresso per favore, grazie“. Allein der Versuch, in der Sprache des Landes zu sprechen, in dem man sich befindet, wird oft mit Anerkennung und Freundlichkeit gedankt. In der Schweiz ist das ein bisschen anders. Deutsche, die versuchen Schwiizerdütsch zu reden, werden eher schräg angesehen. Warum? Sind die Schweizer:innen so stolz auf ihren Dialekt, dass sie ihn nicht teilen mögen? „Es geht hier vielmehr darum, die Schweizer Mundarten zu achten. Bei Wikipedia steht zum Beispiel, dass das Schweizerdeutsch eine Variation des Hochdeutschen ist. Das ist schlicht falsch, weil es aus dem Alemannischen kommt und nichts mit Hochdeutsch zu tun hat. Das ist dann ein Schlag ins Gesicht”, sagt Tanja Kupisch, die Expertin für romanische Sprachen an der Uni Konstanz ist.
Sprache trennt
Beat Siebenhaar und Alfred Wyler beschreiben Anfang der 2000er in ihrem Buch „Dialekt und Hochsprache in der deutschsprachigen Schweiz“ dieses Phänomen so: „Zum einen ist die Hochsprache die Sprache des leistungsorientierten schulischen Unterrichts. Die neuere Forschung zum Standardspracherwerb in der deutschsprachigen Schweiz hat gezeigt, dass die Schule einen wesentlichen Teil zur negativen Einstellung zum Hochdeutschen beiträgt.“ Die Standardsprache werde dann aufgefasst als Schulsprache, als die Sprache, in der Lerninhalte vermittelt werden, in der Fehler gemacht werden, in der geprüft werde, in der getadelt werde. Im Gegenzug erscheine der Dialekt als Sprache der Freizeit, der Gefühle, als nicht normierte Sprache. Zum anderen sehen Schweizer:innen die Hochsprache auch klar als Sprache der Deutschen an, denen nicht immer mit Sympathie begegnet wird.
„So wie die Deutschen wollen Schweizer jedenfalls nicht sprechen, sie können es auch nicht, und das hat Folgen für ihr Verhältnis zur Hochsprache. Die meisten Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer fühlen sich Deutschen gegenüber in mündlichen Kommunikationssituationen unterlegen“, schreiben Siebenhaar und Wyler weiter. Gebildete Deutschweizer:innen verwenden im Normalfall die Standardsprache in schriftlicher oder in formaler mündlicher Form. Umgangssprachlich wird sie nicht angewendet, weil die Umgangssprache eben ihr Dialekt ist.
Das SRF greift die Diskrepanz, die es für die Schweizer:innen mit der Standardsprache und ihrem Dialekt gibt, auf und produziert Erklärvideos. „Dini Mundart“ wird von André Perler präsentiert, der im schweizerischen Freiburg Germanistik studierte. „SRF-Mundartredaktor André Perler (im Bild links) bringt aktuelle Debatten und sprachliche Phänomene auf den Punkt – kompetent, knackig und mit viel Humor“, beschreibt der Sender das Format. Hier ist es ebenfalls interessant, dass das Format auf Hochdeutsch beschrieben wird, aber das schweizerische Wort „Redaktor“ für das hochdeutsche „Redakteur” verwendet wird. In seinen Videos erklärt Perler die Unterschiede der Dialekte in den Kantonen, er beschreibt anschaulich, wie die Verkleinerungsformen, die es im Schweizer Dialekt vermehrt gibt, wirken.
Liest man die Kommentare zu seinen Videos, scheinen die Schweizer:innen sie anregend und interessant zu finden. Ein Instagram-User kommentiert: „Merci för di Eklärig. Ech wörd säge üsi Art emmer alles z Froge ond entschuldige zeigt d Art vo de Schwiiz. Biispelswiis i de Bäckerei frogemer ‚Dörft ech ächt es Brot ha?‘ ond in Dütschland ghörsch eher ‚Ich krieg n Brot‘. Was zwar glich gmeint esch aber för üs onfröndlecher tönt.“
Wie ist es in unserer Grenzregion?
In Konstanz ist es selbstverständlich, dass man die Schweizer:innen versteht. Umgekehrt rümpft in Kreuzlingen niemand die Nase, wenn man auf Hochdeutsch einen Kaffee bestellt. Aber den Dialekt nachzuahmen kommt in den seltensten Fällen beim Gegenüber gut an. Warum ist das so? „I finge das Dütschi besser bim Hochdütsch blibe, es tönt eifach authentischer“, sagt der Schweizer Bruno Hofstetter, der André Perlers Videos ebenfalls verfolgt. André Perler findet es super, wenn Deutsche versuchen, Schweizerdeutsch zu reden. Anders als viele andere Schweizer:innen verbindet er Sprache nicht mit einer Minderwertigkeit. „Aber man kann es den Schweizern auch nicht recht machen. Wenn man Hochdeutsch redet, fühlen sie sich unterlegen, wenn man den Dialekt nachmacht, wollen sie uns unsere Identität streitig machen“, erklärt er weiter.
Was uns verbindet und was uns trennt
Was uns alle eint, ist der Ursprung unserer Dialekte. Das Alemannische hat viele Formen und Farben über die Jahrhunderte erlangt, ist aber gleichzeitig die Basis für unser Sprachverständnis. Die Verbindungen, die durch die gemeinsame Sprache entstehen, sind nicht nur sozialer Natur. Auch politisch arbeiten Kreuzlingen und Konstanz zusammen. Es gibt grenzübergreifende Veranstaltungen, wie den Flohmarkt oder das NUN-Magazin, das Kreuzlinger und Konstanzer Themen aufgreift und durch die gemeinsame Sprache für beide Länder verständlich ist.
Im Geist sind wir zum Teil aber doch voneinander getrennt und das muss nicht unbedingt negativ sein: Jeder Dialekt bringt eine eigene Form von Identität mit sich. Das ist es ja auch, was eine Gesellschaft bunt und vielfältig macht. Erst die Tatsache, dass aus unterschiedlichen Dialekten und Sprachen Missverständnisse und klischeehaftes Denken entstehen können, hat dazu geführt, dass es eine festgelegte Standardsprache gibt. Und solange niemand von den Schweizer:innen verlangt, auch im persönlichen Umfeld Hochdeutsch zu sprechen, können Deutschland und die Schweiz – und, im Kleinen gesehen, Konstanz und Kreuzlingen – von der gemeinsamen Sprachbasis profitieren.
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