Kein Klimaschutz ohne Daten?

Beim Open Data Hackathon im Dezember haben wir von karla festgestellt: Es fehlen reihenweise Daten auf dem Portal der Stadt. Das liegt auch daran, dass Agenturen Geld mit Daten verdienen wollen. Dabei nehmen die Statistiken eine wichtige Funktion ein, wenn es um Klimaschutz in Konstanz geht.
Das Foto zeigt das Offene Daten Portal Konstanz.
Foto: Wiebke Wetschera

Wie hat sich die Mobilität in Konstanz verändert? Wie haben sich die Emissionen in der Stadt entwickelt? Fragen, die sich anhand von Daten beantworten lassen können. Das bedeutet auch: Daten sind wichtig für den Klimaschutz. Anhand von Daten und Qualitätsmanagementsystemen wie dem European Energy Award lässt sich bewerten, ob der Klimaschutz in Konstanz Fortschritte macht. Dementsprechend arbeitet Lorenz Heublein als Leiter der Stabsstelle Klimaschutz viel mit Daten. „Die Datenerfassung ist wichtig, um das ohnehin Bekannte mit Zahlen zu untermauern“, sagt Lorenz Heublein. Das „ohnehin Bekannte“ ist, dass wir in Konstanz wie auch deutschlandweit der Erreichung unserer Klimaschutzziele hinterherhinken. Seit Ausrufen des Klimanotstands am 2. Mai 2019 muss er dem Gemeinderat regelmäßig über die Fortschritte und Stagnationen beim Klimaschutz berichten. Jede Entscheidung, die der Gemeinderat trifft, wird auf ihre Klimarelevanz geprüft.

Die Frage, die bleibt: Was hat das Ausrufen des Klimanotstands in Konstanz gebracht? Kann man das anhand von Daten beantworten? Diese Frage haben wir beim Open Data Hackathon gemeinsam mit CorrelAid versucht zu beantworten. Allerdings sind wir recht schnell an Grenzen gestoßen. Der Grund: Es fehlten die nötigen Daten auf dem Open Data Portal. Wie beim Hackathon herauskam, sind viele der vorhandenen Daten veraltet oder unvollständig, dadurch teilweise sogar unbrauchbar. „Die Aktualität ist natürlich ein zentraler Faktor bei der Arbeit mit Daten. Wenn wir eine Entwicklung im Bereich Klima darstellen wollen und nur Zahlen bis 2017 haben, wirkt das wie aus der Zeit gefallen“, gibt Eberhard Baier, Leiter des Amts für Digitalisierung, zu. Ihrem Qualitätsanspruch an die Daten kann die Stadt damit noch nicht gerecht werden. Diese sind: Vollständigkeit, Konsistenz und eine ausreichende Zeitspanne. 

Auf dem Open Data Portal der Stadt liegen viele Daten. Die wurden bisher nicht gezielt analysiert und hinterfragt. Das wollten wir ändern. Gemeinsam mit der Stadt Konstanz, CorrelAid e. V., cyberLAGO e. V. und hacKNology e. V. sind wir von karla lokalen Fragestellungen bei unserem Open Data Hackathon nachgegangen. Der Open Data Hackathon fand am 16. und 17. Dezember 2022 im Ratssaal des Konstanzer Rathauses statt.

Für die Stadt Konstanz ist die Arbeit mit Daten noch „Neuland“, wie Baier sagt. „Aber wir sehen es als Notwendigkeit, dass es stärker bespielt wird.“ Gerade im Hinblick auf die Datenexperten von Correlaid und der Uni sei es wichtig, dass die Stadt mitspielen könne. „Wir versuchen mal die Pflanze auf kleiner Flamme am Leben zu halten“, so Baier. Zukünftig geht es darum, dass in Konstanz Entscheidungen datengestützt getroffen werden. „Es ist nicht immer alles allein mit irgendwelchen Zahlen zu beziffern, es braucht auch eine schriftliche Berichterstattung dazu“, ergänzt Lorenz Heublein. Zwar sei es immer gut, über mehr Daten zu verfügen. Denn: Jede klimaschutzbezogene Datenerhebung stellt eine zusätzliche Argumentationsgrundlage gegenüber dem Gemeinderat dar.

„Niemandem ist aber damit geholfen, wenn man immer mehr Daten erhebt und darüber nicht mehr zur tatsächlichen Umsetzung kommt.“

Lorenz Heublein

Über die Fortschritte, Stagnationen oder auch Rückschritte im Klimaschutz informiert die Stabsstelle in ihrem Klimaschutzbericht, der einmal im Jahr erscheint. Er fasst den Stand der Maßnahmen und die bestehenden Schwierigkeiten zusammen. „Der Bericht für 2023 zeigt dies gut – er enthält mehr Daten, als dies in der Vergangenheit der Fall war“, sagt Heublein.

Am 26. Januar wurde der neue Klimaschutzbericht der Stadt veröffentlicht. Das Fazit von Lorenz Heublein beim Pressegespräch lautete: „Man sieht Fortschritte, die aber nicht unserem eigenen Anspruch entsprechen.“ Das heißt konkret: Es gibt noch Nachholbedarf. Die CO2-Bilanz für das gesamte Stadtgebiet ist ernüchternd: Pro Einwohner:in werden fünf Tonnen CO2 pro Jahr in den Sektoren Wärme, Strom und Kraftstoffe verbraucht (Zahlen von 2018). Die Treibhausgasemissionen sanken seit 2015 zwar, liegen aber ohne Aktualisierung des Verkehrs im Jahr 2021 noch immer bei 400.000 Tonnen (2018: 428.000 Tonnen). „Es gibt eine Absenkung, aber es geht bei Weitem nicht schnell genug“, sagt Heublein. Gleichzeitig stieg die Zahl der Autos in Konstanz von 2010 bis 2022 stetig. Potenzial zur Erhöhung der erneuerbaren Stromproduktion sieht Heublein vor allem im Ausbau von Photovoltaik-Anlagen. Das Ziel von zusätzlichen 10 Megawatt Peak pro Jahr hat die Stadtgesellschaft noch lange nicht erreicht. Im Jahr 2022 kamen lediglich 1,7 Megawatt Peak an PV-Anlagen hinzu. Megawatt Peak ist eine Einheit, um die maximale Leistungsfähigkeit von Solaranlagen zu beziffern. „Wir können dem Ziel nur näherkommen, wenn wir auch Frei- und Infrastrukturflächen für Photovoltaik nutzen“, sagt Heublein. Die Bedarfsanalyse dazu läuft und soll im Herbst dieses Jahres fertiggestellt werden. Ein weiterer Schritt: die Sanierung von Bestandsgebäuden. Das Hochbauamt hat kürzlich seinen Sanierungsfahrplan für kommunale Gebäude vorgestellt.

Lorenz Heublein bei der Vorstellung des Klimaschutzberichts.
Foto: Elena Oliveira (Pressereferat Konstanz)

Laut Lorenz Heublein geht es aber weder im PV-Ausbau noch in der Gebäudesanierung ohne die privaten Eigentümer:innen: Deshalb gibt es nun für 2023 ein Förderprogramm im Umfang von knapp einer Million Euro für die Bestandssanierung. Potenzial liegt Heublein zufolge außerdem im Ausbau von nachhaltigen Wärmenetzen: „Das ist der Punkt, an dem wir auf einen Schlag die größten Treibhausgasminderungen erreichen können.“ Dafür haben die Stadtwerke einen Plan für Prioritätsgebiete erarbeitet, der im Rahmen der Aktualisierung des städtischen Energienutzungsplans veröffentlicht werden soll. Im Sommer wird aus der Stabsstelle Klimaschutz ein Amt für Klimaschutz, womit dem Thema in der Stadt noch mehr Schlagkraft verliehen werden soll. Sollten bei der Präsentation des Klimaschutzberichts im März im Gemeinderat noch konkrete Maßnahmen beschlossen werden, können diese über den Nachtragshaushalt 2024 ins Budget der Stadt aufgenommen werden. Im Juli gibt es dann den nächsten Zwischenbericht zu den Fortschritten der Klimaschutz-Maßnahmen.

Daten für den Klimaschutz

Für Lorenz Heublein ist der Klimaschutzbericht das entscheidende Instrument, um die Bürger:innen in puncto Klimaschutz abzuholen. „Jeder, der sich wirklich dafür interessiert, kann viele Dinge in den Publikationen nachlesen“, sagt er. Wer darüber hinaus Fragen habe oder Daten auswerten wolle, könne sich an die Stadt wenden. Fakt ist: Aus den Klimaschutzberichten schaffen es nur einige wenige Daten in das Portal. Warum eigentlich? „Das ist eine gute Anregung, wir könnten das systematisch mal aufnehmen“, sagt Baier. 

Eberhard Baier, Leiter des Amts für Digitalisierung.
Foto: Stadt Konstanz/Chris Danneffel

Das Open Data Portal, das Portal der Stadt Konstanz gibt es seit 2019. Betreut wird es von einer Arbeitsgruppe aus verschiedenen Bereichen der Stadtverwaltung, darunter IT, Datenmanagement und Statistik. Das Ziel ist, Daten für die breite Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. „Wir haben uns damals entschieden, dass wir den Fokus auf Klimadaten und Klimaanpassung legen wollen“, sagt Eberhard Baier. Bisher wurden allerdings erst 77 Datensätze auf dem Portal hochgeladen.

Grundsätzlich gilt: Daten werden in verschiedener Häufigkeit erfasst. Während die Fahrradzählstelle in Petershausen jeden Tag neue Daten sammelt, gibt es viele Daten, die aus dem Energienutzungsplan der Stadt von 2018 stammen. Manche Datenerfassungen wie der Modal Split – also die Statistik über die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger oder Verkehrsmittel – müsse extra beauftragt werden. Bis die Stadt die Daten hat, ist das manchmal ein langer Weg. Beim Stadtradeln, erklärt Baier, hätte das Bereitstellen der Daten 10.000 Euro gekostet. Weil das zu teuer war, hat die Stadt Konstanz die Daten über das Land Baden-Württemberg angefragt – ein Jahr später hatten alle Kommunen in Baden-Württemberg ihre Daten. Die erfasst die Stadt nämlich nicht selbst, sondern meist über externe Agenturen. 

So war es auch bei der Fahrradzählstelle in Petershausen. Als es um die gezielte Auswertung der Daten der Fahrradzählstellen im Stadtgebiet ging, führte der erste Weg zur Fachstelle Fahrrad bei der Stadt. Der Radverkehrsbeauftragte Gregor Gaffga wiederum hatte nur ein Dashboard, auf dem er die von Mobidata erfassten Daten sieht. Für eine systematische Auswertung braucht es allerdings Rohdaten und die lassen sich die Dienstleister gerne extra bezahlen. Auch hier musste wieder das Land Baden-Württemberg einbezogen werden, um an die Daten zu kommen. „Da wird die Landesebene schon relevant, weil sie mit der Firma ganz anders verhandeln kann als wir“, sagt Baier. Kurz und gut: Mittlerweile hat die Stadt Konstanz die Daten, kann sie auswerten und auch auf dem Open Data Portal hochladen. Aus dem langwierigen Weg hat man gelernt: „Wir wollen Firmen künftig von vornherein verpflichten uns die Rohdaten auch zur Verfügung zu stellen“, sagt Baier. „Damit wir nicht unsere eigenen Daten kaufen müssen.“ Beim Hackathon kam heraus, dass im September 2021 über einen Zeitraum von zwei Wochen keine Daten von der Fahrradzählstelle erfasst wurden. Für die Auswertung ist dieser Zeitraum damit unbrauchbar. Um die Qualität der Daten über einen gewissen Zeitraum zu sichern, braucht es daher nicht nur eine automatische Datenlieferung, sondern auch eine Überprüfungssoftware. Die frühzeitig merkt, wenn etwas nicht stimmt. Bisher gibt es diese nicht. 

Das Ziel: Professionali­sierung 

Die Fahrradzählstelle in Petershausen ist ein gutes Beispiel, wenn es um die Transparenz von Daten geht. Hier erfassen die Bürger:innen ihre eigenen Daten und sehen sie jeden Tag direkt, wenn sie an der Zählstelle vorbeifahren. Bei anderen Daten ist das weniger der Fall. Laut Lorenz Heublein probiert die Stadt gerade ein Online-Portal aus, das einen Überblick über den Stand sämtlicher Maßnahmen im Rahmen der Klimaschutzstrategie gibt. Das Portal wird zurzeit noch getestet, einen Release-Termin gibt es nicht. Vorrangig richtet sich das Portal an die Mitglieder des Gemeinderats. „Damit wollen wir im ersten Schritt die halbjährliche Berichterstattung an den Gemeinderat digitalisieren. Im weiteren Schritt kann es auch für die Bürger:innen genutzt werden“, sagt Heublein. 

Die Arbeit mit Daten mehr zu professionalisieren ist das Ziel von Eberhard Baier als Leiter des Amts für Digitalisierung. Wenn man ihn fragt, woran es fehlt, dann sagt er: Personal.

„Wenn wir immer in Konkurrenz zu Personal im Bereich Kita stehen, ist es schwer, dem Gemeinderat die Wichtigkeit deutlich zu machen.“

Eberhard Baier

Offen sei eine Stelle, die sich nur um das Open Data Portal kümmere. Damit könne die Vollständigkeit und Qualität der Daten verbessert werden. Zudem fehlt es noch an einer Datenstrategie, an der nun intern gearbeitet werden soll. Auch im Rahmen des Smart City Projekts gewinnen Daten in der Stadt an Bedeutung. Bei dem Projekt sollen durch Digitalisierung die Teilhabe und der soziale Zusammenhalt der Stadtgesellschaft gefördert werden. Auch innerhalb der Stadtverwaltung gibt es noch Nachholbedarf. „Wir stehen nicht ganz am Anfang, aber es muss breiter werden. Uns ist bewusst, dass wir noch auf dem Weg sind.“

Aus Sicht von Lorenz Heublein darf man bei der Arbeit mit Daten nicht die Gesamtperspektive aus den Augen verlieren: Wenn man beispielsweise von heute auf morgen beschließen würde: Es fahren doppelt so viele Busse wie bisher und man dann merkt, es fahren nur fünf Prozent mehr Fahrgäste, dann würde eine Maßnahme rein auf Grundlage der erhobenen Daten als gescheitert gelten. „Eine solche Maßnahme kann jedoch erst dann wirken, wenn parallel der innerstädtische Autoverkehr unattraktiver wird“, sagt Heublein. Allein das immer präzisere Erfassen von Daten zum Stand von Klimakrise und Bemühungen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen genüge nicht, um die Gesellschaft zum entschiedenen Handeln zu bewegen.

„In einer idealen Welt mit allen Ressourcen könnte man natürlich noch viel mehr Daten erheben, aber am Ende wage ich zu bezweifeln, dass allein eine weiter erhöhte Transparenz die Gesellschaft dazu bringt, mehr und schnellere Schritte im Klimaschutz zu gehen.“

Lorenz Heublein

Wichtiger sei es stattdessen, gerade in den Städten, Gebäudebestand und Wärmeversorgung sowie umweltfreundliche Mobilität noch stärker in den Blick zu nehmen und der Gesellschaft zu vermitteln, dass der notwendige Wandel nur durch ein Mitwirken aller zu schaffen ist. „Kein Amt oder Stabsstelle und auch keine Stadtverwaltung wird die Klimaneutralität 2035 garantieren können“, sagt Heublein. Weil ein Großteil der Treibhausgasemissionen in Gebäuden stattfinde, auf deren Eigentümer:innen die Stadt nur indirekt einwirken könne – durch Angebote in den Bereichen Beratung, Förderung und Wärmenetzausbau.