Disclaimer: Die Tochter des Autors wurde im Juli 2019 geboren und besucht eine Konstanzer Kita, sein zweites Kindes kam vor kurzem zur Welt.
Ich habe einen wiederkehrenden Traum. Darin radle ich mit meiner Tochter von Petershausen Richtung Königsbau in ihre Kita. Am Zähringerplatz wird unsere Fahrt jäh gestoppt. Dutzende Eltern üben den zivilen Ungehorsam und haben sich auf den Asphalt geklebt. Seit Wochen sorgen die sogenannten Kita-Kleber für Unruhen im Städtle, Ordnungsamt und Polizei sind am Limit.
Dann erwache ich am eigenen Lachen: Als ob Eltern zwischen „Irgendein-Kita-Scheiß“ die Zeit, Geduld, geschweige denn Nerven für solche Aktionen hätten.
Irgendein-Kita-Scheiß, das ist der Realität gewordene Alptraum über alles von Husten-Schnupfen-Heiserkeit, kurzfristig verschlossenen Türen wegen kranker Erzieher:innen, Nachwehen der Corona-Notbetreuung und Organisations-Ohnmacht aufgrund von 30 (bald 32, danke, lieber Gemeinderat) regulärer Schließtage der Konstanzer Einrichtungen. Der Stadt fällt einfach auf die Füße, dass sie besonders kinder- und familienlieb sein will. Sogar ist.
Tschüss, Erfüllung des Rechtsanspruchs!
Wenn nicht gerade eine besser situierte lokale Not-in-my-backyard-Clique eine neue Kita blockiert, sprießen die Häuser wie Pilze aus dem Boden. Bis 2027 sollen so laut städtischer Planung mehr als 200 Kindergarten- plus 130 Krippenplätze dazukommen. Doof nur, dass sie – so wie es gerade aussieht – ohne Personal auskommen werden müssen. Denn wer soll all die Erzieher:innen backen innerhalb der nächsten fünf Jahre? Von der Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung hat man sich auch in Konstanz mittel- bis längerfristig verabschiedet.
Die Stadt geht laut Kitabericht 2022 davon aus, dass „Eltern wieder den Klageweg wegen Verdienstausfalls einschlagen oder die Kosten selbstbeschaffter Plätze geltend machen werden“.
Aber jetzt mal im Ernst: Wir Konstanzer Eltern klagen bei der Versorgung der Kinder trotzdem auf beinahe unschicklich hohem Niveau. Okay, der schönste Spielplatz liegt in der Schweizer Nachbarstadt. Aber hey, hier werden Kinder an einem Ort groß, an dem andere Familien ihre Ferien verbringen. Umsonst in den See jucken können, während anderswo Eintritt für knietiefe, ockerfarbene Baggerseen oder Schwimmbecken mit mehr Haut- als Wasserkontakt bezahlt werden muss – so übel ist das nicht als Ausgleich für den Stress wegen einer mangelhaften Kita-Lage.
Erzieher:innen-Beruf muss gestärkt werden
Und selbst bei diesem Thema geht es uns ja gut. Immerhin liegt die Konstanzer Betreuungsquote bei unter Dreijährigen knapp, aber stabil über dem mickrigen Baden-Württemberg-Schnitt (2022 einmal mehr Schlusslicht mit 29,9 Prozent). Dies, obwohl sich Erzieher:innen mit einem durchschnittlichen Brutto-Einkommen von 3.400 Euro den Bodensee-Wohlstand inklusive großstädtischer Lebenshaltungskosten erst einmal leisten müssen. Klappt es mit den Planungen für die nächsten Jahre, können in Konstanz in fünf Jahren stattliche 43 Prozent aller Kinder zwischen vier Monaten und drei Jahren betreut werden.
Nullsummenspiele oder: Ab wie viel Arbeit lohnt sich Kinderbetreuung?
Klar, dafür müsste der Erzieher:innen-Beruf gestärkt werden. Allein eine Fachkräftestrategie aufzusetzen, wie es die Stadt gemeinsam mit freien Trägern getan hat, reicht nicht aus. Der Job muss gerechter bezahlt werden. Das fängt schon bei der Ausbildung an. Wählen die Azubis nicht die praxisintegrierte Form, müssen sie in Baden-Württemberg zwei Jahre ohne Lohn auskommen. Vor allem aber muss klar sein, dass hier keine „Kindergärtner:innen“ oder „Betreuungstanten und -onkels“ am Werk sind, sondern Pädagog:innen eine gesellschaftlich unerlässliche Aufgabe wahrnehmen.
Klingt nach viel, ich weiß. Aber man wird ja schließlich noch träumen dürfen.
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