Kein Wochenende ohne Klage über die überfüllte Innenstadt. Kein Gang zum Supermarkt ohne Aufstöhnen, weil es an der Kasse mal wieder länger dauert. Kein argwöhnischer Blick zum Autokennzeichen, wenn Verkehrsregeln mal wieder als freundliches Angebot statt als Pflicht interpretiert werden: „Wieder mal nur Schweizer:innen hier.“
Ich bin leicht zu reizen, ab und zu missmutig und entsprechend nicht frei von diesen Gedanken. In Konstanz schlägt die enervierte Stimmung gegenüber dem Nachbarland und seinen Bürger:innen bisweilen aber in verallgemeinernde Fremdenfeindlichkeit um. Eine Antwort auf die Frage, wer „die Schweizer:innen“ eigentlich sein sollen, wird gar nicht erst gesucht. Genau deshalb bin ich froh, dass ich innerlich rechtzeitig abbremse, bevor ich aus der Kurve der Vernunft schleudere.
Denn jetzt mal im Ernst: Ohne Schweizer:innen sähe es bei uns ziemlich düster aus.
Konstanz – die südliche Version einer verlassenen Nordseeinsel
Abgehängt ist man rein geografisch ohnehin schon – nach Freiburg, Stuttgart oder Karlsruhe gurkt man mit dem Zug lächerliche drei Stunden. Gäbe es die Schweiz nicht, wäre Konstanz sowas wie die südliche Version einer verlassenen Nordseeinsel: Ganz nett für die Ferien. Ohne Schweizer Fränkli sähe die Infrastruktur, von der vielfach auch Konstanzer:innen profitieren, völlig anders aus. Da reichen auch immer mehr Tourist:innen nicht aus.
Zudem bin ich ein Kind der 80er- und 90er-Jahre und verbinde daher vor allem schöne Erinnerungen mit den Nachbar:innen. Jeden Samstag war für den kleinen Benny klar: Erst mit Mama und Papa zum Einkaufen(!) rüber, danach im Supermarkt-Restaurant (Ikea kannte damals kein Mensch bei uns) eine Olma mit Pommes und Zwiebelsoße zu Mittag essen und dann zurück über den Zoll, fröhlich vom Rücksitz „Freimenge“ rufend.
Meine Mutter, Ur-Konstanzerin und seit 20 Jahren im schwäbischen Exil, kauft noch heute bei nahezu jedem Besuch in der alten Heimat in der Schweiz ein. Ich weiß genau: Das hat nahezu ausschließlich mit ähnlichen nostalgischen Erinnerungen zu tun.
Der Bodensee und ich
Ganz ehrlich, wir würden es doch genauso machen!
Abgesehen davon würden wir es doch genauso handhaben, wenn wir uns dank Ausfuhrschein und teils eklatanten Preisunterschieden kostengünstig bei Migros, Coop und Denner eindecken könnten. Dann wäre Konstanz nicht die heimliche Hauptstadt des Thurgaus, sondern eine Durchgangsstation nach Kreuzlingen und Frauenfeld für das südliche Baden-Württemberg. Der alle Jahre wiederkehrende Tanktourismus ist da nur ein kleiner Vorgeschmack.
Nicht zuletzt kann ich darüber schmunzeln, dass Konstanz im späten Mittelalter sogar gerne Schweizerisch geworden wäre – was viele Städte dort aber nicht wollten.
Man muss gar nicht verklärt über schöne Bergpässe, leckere Schoggi und saubere Straßen ssinnieren, um die Vorzüge der nahen Schweiz wenn nicht zu schätzen, so doch zumindest zu akzeptieren. Wahrscheinlich kennt jede:r Konstanzer:in mindestens eine:n Grenzgänger:in, die:der trotz deutlich familienunfreundlicheren und oft strengen Arbeitsbedingungen nicht böse über achtbare Schweizer Löhne ist.
Die Musikfestivals in St. Gallen und Frauenfeld besuchen wir doch auch gerne, oder?
Man frage nur einmal im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich oder an der Supermarktkasse nach. Nicht wenige Konstanzer:innen dürften außerdem schon mal von Zürich aus in die Welt gereist sein, die Musikfestivals in St. Gallen oder Frauenfeld genossen haben.
Nebensächlichkeiten? Kann schon sein. Aber ich glaube, es gibt für jede:n Konstanzer:in ganz eigene kleine Annehmlichkeiten durch diese Nachbarschaft. Die gibt es nicht umsonst, kosten aber eigentlich nur ein paar Nerven.
Jetzt mal im Ernst, Konstanz ist für Familien eine Traum-Stadt!
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