Kartenlos im Grenzgebiet oder: Haste mal n‘ Euro?

Eine Sekunde nicht aufgepasst, und schon sind Geld und Identität weg. Es folgt ein Test, im Grenzgebiet ohne Karten zu überleben – inklusive Schlangestehen bei Banken und leerem Kühlschrank.  
Die Grafik zeigt das Logo der Kolumne Yvo testet.
Grafik: Alex Wucherer

Ach, deshalb brauchen Banken in der Provinz noch einen Schalter, denke ich mir in der Deutschen Bank Konstanz nach gefühlt dreißig Minuten Wartezeit. Vor mir Menschen mit diversen Geldproblemen, die ich selbst im Flüsterton bis in alle Details mitbekomme. Auch ich habe eins: Ich brauche Bargeld. Mein Geldbeutel hat sich verflüchtigt, alle Karten sind gesperrt. Doch wie bezahlen? Banken-Öffnungszeiten googeln, Reisepass einpacken und auf zu meinen Banken dies- und jenseits der Grenze. Immer und immer wieder, denn ständig geht mir das Geld aus. Plötzlich wird mir bewusst, wie viel ich davon ausgebe. 

Deutschland macht’s bar

Dabei fühle ich mich in dieser Zeit in Bargeld-Deutschland plötzlich wieder wohl, obwohl ich sonst immer darüber schimpfe. Schließlich ist Deutschland beim digitalen Bezahlen im Europa-Vergleich auf Platz 12 von 17. Wie wenig digital Deutschland ist, habe ich erst in meinem Dänemark-Urlaub im Sommer gemerkt. Viele Geschäfte akzeptieren dort nichts außer Karten. Damals war ich begeistert – jetzt wäre ich in Kopenhagen komplett aufgeschmissen gewesen. 

Plötzlich ist mir egal, dass der Käseverkäufer auf dem Markt seit Monaten nur verspricht, Kartenzahlung einzuführen – ich habe es eh nur in bar. Ist an der Kasse des Altstadt-Parkhauses beim Bürgerbüro die Kartenzahlung defekt, schenke ich verzweifelten Menschen gern ein paar Euros. Und auch bei der Grillbude am Konzil muss ich erst nur grinsen, wenn ich meine alte Überheblichkeit bei anderen sehe. Ein Vater mit Fahrrad und Kinderanhänger rollt an, ruft dem Grillmeister aus der Distanz zu: „Nehmt ihr Karte?“ und rauscht nach dessen Kopfschütteln schimpfend wieder ab. Ätsch! Meine Kids essen schon bar bezahlte Würste. Aber dammisch: Das waren meine letzten zehn Euro, jetzt sind nur noch Franken in der Tasche und ich muss noch …. 

Schweizer:innen sollen Euro bringen

In Kreuzlingen hat sich der Euro als Alternativwährung längst durchgesetzt – die bekommt jede:r beim nächsten Edeka-Einkauf los. In Konstanz werden zwar in den großen Läden Frankenscheine akzeptiert, aber sonst wird’s eng. In meiner Naivität habe ich mit meinen Kids auf einer Konstanzer Kinderkleiderbörse die kommende Wintergarnitur und Spielzeug ausgesucht. An der Kasse wollte niemand meine Franken. Die Folge: Zwei heulende Kinder und ein leerer Schrank. 

Ähnlich auch das Ergebnis nach diversen Migros-Einkäufen. In Schweizer Supermärkten bezahle ich fast nur noch an Self-Checkout-Kassen. Coop hat in seine Varianten Löchlein für Bargeld eingebaut, die Migros spart sich das. Nicht nur einmal ist mir zu spät eingefallen, dass ich ja nur Scheine habe, stand hochrot und ziemlich dumm da. Mit zwei quengelnden Kids, die zuvor alle Lebensmittel in einem Happening eingescannt hatten.

Im Grenzgebiet-Dschungel fehlten mir neben den Karten immer Euros oder Franken oder es fehlte beides. Selbst schuld? Stimmt. Aber ich kann nichts dafür, dass die Zusendung einer neuen Karte der Deutschen Bank in die Schweiz über einen Monat braucht. Und selbst die Schweizer Finanzkompetenz scheitert an der Grenze. Mit dem Zahlungssystem Twint gibt es einen cleveren Weg, in der Schweiz per Handy zu bezahlen. Mein Partner nutzt es für sämtliche Käufe und verwendet wie viele in der Schweiz kaum mehr Bargeld. Doch meine mobile Hauptnummer läuft über Deutschland – und das ist meiner Schweizer Bank nicht vertrauenswürdig genug, um mich für Twint zu akzeptieren. 

Der digitale Euro wird’s richten

Ich gebe jetzt einfach bis 2026 kein Geld mehr aus, so die Quintessenz aus meinem Test. Dann soll der digitale Euro kommen, den die Europäische Zentralbank in der Mache hat. Dieses System soll digitales Bezahlen über eine App ermöglichen – ohne Gebühren und ohne Datenautobahn in die USA. Die Schweiz wird sicherlich auch das digitale Geld von mir nehmen. Alles ist in meinen Träumen auf dem Handy, bei Verlust schnell zu sperren und wiederzubekommen. Und der Geldbeutel wird unnötig, denn 2026 sind hoffentlich nicht nur alle Identitätsausweise, sondern selbst die Treuekarte meiner Bäckerei im Lago digital. 

Übrigens bin ich drum herumgekommen, all diese Karten neu zu beantragen. Fünf Wochen nach meinem X-Day kam ein Anruf vom Polizeiposten Kreuzlingen. Alles da – außer der paar Euros und Franken, die im Geldbeutel waren. Die Dieb:innen waren sicher deutsch.